Landtag von Sachsen-Anhalt Drucksache 6/270 28.07.2011 (Ausgegeben am 29.07.2011) Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung Abgeordneter Hans-Jörg Krause (DIE LINKE) Verhalten der Polizei während des Aufmarsches der Neonazis am 14. Mai 2011 in Salzwedel Kleine Anfrage - KA 6/7090 Vorbemerkung des Fragestellenden: Am 14. Mai 2011 stellten sich zahlreiche Menschen aus Salzwedel und Umgebung einem von den „Freien Nationalisten Altmark West“ angemeldeten Aufmarsch durch die Stadt mit friedlichen Protesten entgegen. Dabei waren Betroffene und Augenzeugen geradezu schockiert über das für sie nicht nachvollziehbare Vorgehen bzw. Verhalten der Polizei während des Aufmarsches der Neonazis. Antwort der Landesregierung erstellt vom Ministerium des Innern Namens der Landesregierung beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: 1. Warum wurde der Neonazi-Aufmarsch nicht sofort unterbunden, nachdem nationalsozialistische und Gewalt verherrlichende Parolen gerufen und ein Transparent mit verfassungsfeindlichem Inhalt gefunden wurde? Das Skandieren von rechtswidrigen Parolen ist von begleitenden Polizeibeamten am Aufzug nicht wahrgenommen worden. Zu Beginn des Aufzuges wurde ein Transparent festgestellt, bei dessen Inhalt der Verdacht der Volksverhetzung vorgelegen hat. Dieses Transparent wurde durch die Polizei beschlagnahmt und die Identitäten der Eigentümer festgestellt. Die Staatsanwaltschaft Stendal prüft gegenwärtig, ob der Inhalt des Transparents strafrechtlich relevant ist. Die Auflösung einer Versammlung stellt das letzte Mittel des Verwaltungshandelns dar. Vor der Auflösung einer Versammlung 2 ist gem. des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu prüfen, ob mildere Maßnahmen möglich sind. Ein sofortiges Verbot wäre rechtswidrig gewesen. 2. Warum ist die Polizei bei der Kundgebung am Kreisel Schäferstegel nicht gegen das Zeigen des „Hitler-Grußes" und anderer verfassungsfeindlicher Symbole vorgegangen? Durch die Einsatzkräfte am Kreisel Schäferstegel wurde weder das Zeigen des Hitler-Grußes noch das Zeigen von verfassungsfeindlichen Symbolen festgestellt . 3. Sind zu diesen Vorfällen nachträglich strafrechtliche Ermittlungen einge- leitet worden? Ja. 4. In welchem Umfang und mit welchen Ergebnissen wurden die Neonazis vor der Demonstration kontrolliert? Im Vorfeld der Demonstrationen wurden keine Versammlungsteilnehmer kontrolliert . 5. Warum wurde auf den Neonazi-Aufmarsch nicht stärker eingewirkt, nach- dem zwei Flaschen aus dem Demonstrationsblock in Richtung der friedlichen Blockierer auf der Kreuzung Karl-Marx-Straße/Ernst-ThälmannStraße /Vor dem Lüchower Tor geworfen wurden? Die vor Ort eingesetzten Polizeibeamten haben das Werfen von Flaschen nicht festgestellt. 6. Ist das Einsatzprotokoll der Polizei einsehbar? Wenn ja, wo und für wen unter welchen Voraussetzungen? Für Mitglieder des Landtages von Sachsen-Anhalt ergibt sich das Recht auf Vorlage von Akten durch die Landesregierung aus Artikel 53 Abs. 3 und 4 Verf. LSA unter den dort genannten Voraussetzungen. Darüber hinaus hat nach Maßgabe des Informationszugangsgesetzes SachsenAnhalt (IZG LSA) jeder einen Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen gegenüber den Behörden des Landes. 7. Warum wurde - wie Augenzeugen beobachteten - eine unverhältnismäßige Härte gegen friedlich demonstrierende Bürger jeglichen Alters bei der Räumung der Strecke eingesetzt? Am 14. Mai 2011 kam es während des Einsatzes zu mehreren Blockaden. Die Teilnehmer der Blockaden haben passiv oder zum Teil aktiv Gewalt ausgeübt. 3 Verstöße gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz insbesondere bei der Anwendung unmittelbaren Zwanges durch die Polizei sind der Landesregierung nicht bekannt geworden. 8. Ist der pauschale Einsatz von Pfefferspray gegen ganze Personengruppen (also nicht gegen Einzelne) nach den Dienstvorschriften erlaubt? Die Vorgaben des SOG LSA zur Anwendung unmittelbaren Zwanges regeln auch den Einsatz von Zwangsmitteln gegen Menschenmengen. 9. Inwiefern ist es gerechtfertigt gewesen, dass nach Auskunft von Sanitä- tern über 40 Personen (fast 10 % der von der Polizei gezählten Gegendemonstranten ) durch Pfefferspray verletzt worden sind? Die Anzahl von 40 Personen, welche durch Pfefferspray verletzt wurden, ist weder den Mitarbeitern der örtlichen Rettungsleitstelle noch der Polizei bekannt. 10. Wer erteilte den Einsatzbefehl zur Auflösung der Blockade an der Kreu- zung Nordbockhorn/Südbockhorn, welche Zwangsmittel wurden bei der Räumung eingesetzt und warum gab es keine an die sich dort aufhaltenden Demonstranten gerichtete Aufforderung zum Verlassen des Kreuzungsbereiches bzw. zur Auflösung der Versammlung? Der für diesen Bereich zuständige Einsatzabschnittsführer erteilte den Auftrag, die aufgrund von Blockaden geänderte Aufzugstrecke für die Versammlung der rechten Szene freizuhalten. Die beauftragten Polizeibeamten trafen im Kreuzungsbereich Nordbockhorn /Südbockhorn auf zunächst wenige Personen. Jeder einzelnen Person wurde ein Platzverweis direkt ausgesprochen. Unmittelbar nach dem Aussprechen der Platzverweise erhöhte sich die Personenanzahl unerwartet schnell auf ca. 150. Durch das sofortige Abdrängen der Personengruppe mittels einfacher körperlicher Gewalt wurde im o. g. Bereich eine Blockade verhindert. Die Anordnung zum Abdrängen erfolgte durch den zuständigen Hundertschaftsführer. Nach dem Abdrängen wurden die Polizeikräfte massiv durch Stein- und Flaschenwürfe angegriffen. Um die Angriffe abzuwehren und den entgegengebrachten Widerstand zu überwinden, setzten die handelnden Polizeibeamten in der Folge unmittelbaren Zwang in Form von einfacher körperlicher Gewalt sowie als Hilfsmittel der körperlichen Gewalt Pfefferspray ein. Diese Maßnahmen mussten zur Vermeidung von Verletzungen der Einsatzkräfte unmittelbar getroffen werden. Aufgrund der Gesamtumstände waren Zwangsandrohungen, insbesondere durch Lautsprecherdurchsage, nicht möglich. 4 11. Wie viel Pfefferspray bzw. ähnliche Substanzen setzte die Polizei bei Ihrem Einsatz am 14. Mai 2011 in Salzwedel ein? Die Polizeibeamten setzen ausschließlich Pfefferspray ein, andere Substanzen kamen nicht zum Einsatz. Eine genaue Mengenangabe des versprühten Pfeffersprays ist nicht möglich, da der Füllungsstand der Kartuschen nach dem Einsatz nicht überprüft wird. Grundsätzlich werden, unabhängig von der versprühten Menge, angebrochene Kartuschen ausgetauscht. Nach dem Einsatz wurden fünf Kartuschen (Fassungsvermögen je 400 ml) getauscht. 12. Warum wurde nach Räumung einer Blockade in der Goethestraße im Poli- zeikessel Pfefferspray gegen die Demonstranten eingesetzt? Eine einschließende Absperrung („Polizeikessel“) hat es am 14. Mai 2011 in Salzwedel nicht gegeben. Durch die vor Ort eingesetzten Polizeibeamten wurden Sperrungen sowohl nördlich und kurze Zeit später auch südlich der Blockadestelle eingerichtet, um den weiteren Zulauf zur Blockade zu verhindern. Personen hätten jederzeit diese Sperrung aus der Blockade heraus passieren und sich in die vorgegebene Richtung entfernen können. Die Möglichkeit zum Verlassen des Ortes wurde mittels Lautsprecherdurchsagen den Personen mitgeteilt. Bei der o. g. Blockade verhielten sich zahlreiche teils vermummte Teilnehmer unfriedlich. Es kam zu Gewalttätigkeiten in Form von Steinwürfen auf Polizeibeamte und zum Barrikadenbau (aus Stühlen, alten Fahrrädern, metallischen Gegenständen , Paletten und teilweise brennende Mülltonnen). Unter Nutzung eines Lautsprecherwagens wurden die Demonstranten mehrfach aufgefordert, die Örtlichkeit zu verlassen. Auch nach den Lautsprecherdurchsagen blieben alle Personen auf der Goethestraße stehen bzw. setzten sich hin. Der nun begonnenen Räumung der Straße widersetzten sich alle Personen zunächst durch passiven Widerstand. Den Polizeibeamten wurde im weiteren Verlauf massiv Gewalt in Form von Tritten und Schlägen entgegengebracht. Die Räumung zu diesem Zeitpunkt erfolgte nur durch Anwendung einfacher körperlicher Gewalt. Pfefferspray kam in dieser Phase nicht zum Einsatz. Plötzlich versuchten gewalttätige Personen die Sperrungen der Polizei gewaltsam zu durchbrechen, um erneut auf die Aufzugstrecke der rechten Szene zu gelangen. Der Aufzug der rechten Szene befand sich zu diesem Zeitpunkt im sichtbaren Bereich der Goethestraße. Dieser massive Versuch des Durchbrechens stellte sich als direkten Angriff auf die Polizeikräfte dar. In der weiteren Folge kam es zu gezielten Flaschen- und Steinwürfen. Zu diesem Zeitpunkt konnte die poli- 5 zeiliche Absperrung nur durch die Anwendung unmittelbaren Zwangs in Form einfacher körperlicher Gewalt sowie Hilfsmittel der körperlichen Gewalt (Pfefferspray ) aufrechterhalten werden. Darüber hinaus mussten sich die Polizeibeamten gezielter Angriffe erwehren. 13. Gibt es für die Polizei konkrete Vorschriften für den Einsatz von Pfeffer- spray? Wenn ja, sind diese Bestimmungen beim Einsatz in Salzwedel eingehalten worden? Für den Einsatz von Pfefferspray existieren konkrete Vorschriften. Verstöße gegen die gesetzlichen Vorgaben des SOG LSA und Dienstvorschriften konnten bei dem Polizeieinsatz in Salzwedel bisher nicht festgestellt werden .