Landtag von Sachsen-Anhalt Drucksache 6/2776 11.02.2014 (Ausgegeben am 12.02.2014) Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung Abgeordneter Ralf Geisthardt (CDU) Deichrückverlegung an der Elbe bei Lödderitz Kleine Anfrage - KA 6/8156 Antwort der Landesregierung erstellt vom Ministerium für Landwirtschaft und Umwelt 1. Die Deichrückverlegung in Lödderitz zur Schaffung zusätzlicher groß- flächiger Polderflächen ist eine wichtige Hochwasserschutzmaßnahme. Dieser Auwald mit einem hohen Anteil an Alteichen ist durch über 100- jährige forstliche Bewirtschaftung entstanden. Weshalb kann diese Bewirtschaftung unter Beachtung dieser erweiterten Aufgaben nicht entsprechend fortgeführt werden? Über welchen Anteil mit dem Ziel zukünftiger „Kernzonen“ verfügt das Großschutzgebiet aktuell? Die Funktion der Fläche im Lödderitzer Forst als Polderfläche für Hochwasser schließt eine weitere forstliche Nutzung nicht aus. Für die sukzessive Aufgabe der Waldbewirtschaftung in Teilen der Wälder an der Elbe sind Gründe des Naturschutzes maßgeblich: 1. Die Deichrückverlegung in Lödderitz ist Teil des vom WWF Deutschland getrage- nen und vom Bund, Land und WWF finanzierten Naturschutzgroßprojektes „Mittlere Elbe“ zur Errichtung und Sicherung schutzwürdiger Teile von Natur und Landschaft mit gesamtstaatlich repräsentativer Bedeutung. Bis 2018 soll zwischen Mulde- und Saalemündung ein durchgehender Verbund überflutbarer Auenwälder geschaffen und gesichert werden. Danach werden die Hochwasser der Elbe die Auenwälder des Lödderitzer Forstes, auf einer etwa 600 Hektar großen Rückverlegungsfläche wieder ganz natürlich überfluten können. Die Schaffung eines durchgehenden Verbundes überflutbarer Auenwälder ist nicht der Schaffung von Polderflächen gleichzusetzen. Beim Naturschutzgroßprojekt wird ein zusätzlicher und insbesondere natürlicher Überflutungsraum ge- 2 schaffen bzw. zurück gewonnen, dessen Zufluss nicht gesteuert wird. Dagegen kann bei Polderflächen der Zufluss gezielt gesteuert werden und durch das Öffnen der Einlassbauwerke soll dabei ein Hochwasserrückhalt nutzbar gemacht und Hochwasserspitzen gezielt gekappt werden. Zu den Projektzielen, die für das Land Sachsen-Anhalt verbindlich sind, gehört auch die Ausweisung von Kernzonen, in denen die forstliche Bewirtschaftung zugunsten des Prozessschutzes aufgegeben wird. Das bezieht sich auf Flächen, die sich im Eigentum des Landes und des WWF befinden, u.a. die im Rahmen der Deichrückverlegung gewonnenen Überflutungsflächen. 2. Das deutsche MAB-Nationalkomitee (Man and the Biosphere/Nationalkomitee) hat 2007 einen Kriterienkatalog für UNESCO-Biosphärenreservate in Deutschland verabschiedet, der für deutsche Biosphärenreservate verbindlich ist. Zu diesen Kriterien gehört, dass mindestens drei Prozent der Gesamtfläche als Kernzone ausgewiesen werden. Die Fläche des Biosphärenreservats Mittelelbe in Sachsen-Anhalt als Teil des UNESCO-Biosphärenreservates beträgt 125.743 ha, daraus ergibt sich ein Kernzonenanteil von etwa 3.800 ha. Zusätzlich zu den bereits im Naturschutzgroßprojekt vorgesehenen Flächen wurden die benötigten Kernzonen, soweit nicht bereits in Naturschutzgebieten vorhanden, in einer Vereinbarung mit dem Landesforstbetrieb für die Entwicklung zur Kernzone gesichert . Derzeit sind etwa 2.027 ha im Bereich des Biosphärenreservates Mittelelbe in Naturschutzgebieten als Kernzone gesichert. Weitere 1.627 ha sind im Rahmen des Großschutzprojektes als Kernzonen vorgesehen und sollen im Rahmen einer Naturschutzgebietsverordnung gesichert werden. Darüber hinaus stehen aus der Übertragung bundeseigener Flächen an die Stiftung Deutsche Bundesstiftung Umwelt weitere Waldflächen zur Verfügung, die zumindest teilweise zu Kernzonen entwickelt werden sollen. Schließlich gibt es in bestehenden Naturschutzgebieten Flächen, in denen Kernzonen noch nicht ausgewiesen sind, eine forstliche Nutzung aber bereits untersagt ist. Insgesamt soll der Anteil an Kernflächen, soweit zwingende naturschutzfachliche Gründe nicht entgegenstehen, die durch die Unesco-Anerkennung vorgegebenen 3 % nicht überschreiten. Von den Entwicklungen zu Kernzonen ist die Eiche als typische Baumart der Flussauen überproportional betroffen. 2. Bei der Baumart Eiche sind aktive Maßnahmen erforderlich, um diese langfristig, auch in ausgeglichenen Baumaltern zu sichern. Wie soll in den größten zusammenhängenden Auwäldern Deutschlands, an der Mittelelbe, der Erhalt der Eichen langfristig gesichert werden und welche Möglichkeiten der Produktion von nutzbarem Eichenholz im Wert von über 20 Mio. Euro bestehen eigentlich überhaupt noch in dieser Region ? In diesem Gebiet liegt die Priorität primär auf dem Naturschutzaspekt. Bei der Frage der Entwicklung der Eichenbestände muss grundsätzlich zwischen Kernzonen und bewirtschafteten Flächen unterschieden werden. 3 In den Prozessschutzflächen wird sich der Eichenanteil mit dem Absterben der vorhandenen Eichen sukzessive verringern. Wie intensiv bzw. lange dies dauert, ist schwer zu prognostizieren. Die Erfahrungen im Landeswald zeigen, dass sich über rein natürliche Prozesse die bisher durch forstliche Bewirtschaftung hochgehaltenen Eichenanteile nicht erhalten lassen. Hier werden sich andere Baumarten wie Winterlinde , Esche, Weißesche, Ahorn, etc. in höheren Anteilen etablieren. Dabei kann aus Naturschutzsicht ein relativer Rückgang der Eichenanteile akzeptiert werden. Aus forstwirtschaftlicher Sicht ist diese Entwicklung in Kernzonen unerheblich, weil eine Holznutzung ohnehin nicht mehr stattfinden wird. Auch die nicht in Kernzonen liegenden Eichenflächen können im Bereich des Biosphärenreservates Bewirtschaftungseinschränkungen unterliegen, die sich aus naturschutzfachlichen Zielen bestehender Naturschutzgebietsverordnungen oder aus den Vorgaben für die Bewirtschaftung von Lebensraumtypen im Schutzgebietssystem Natura 2000 ergeben. Durch die Ausweisung von Kernzonen, die überproportional in älteren und damit sowohl forstlich wie naturschutzfachlich wertvollen Eichenbeständen liegen, ist das Aufkommen an starkem und wertvollem Eichenholz in der Region spürbar zurückgegangen . Eine Kompensation auf Flächen, die keiner Nutzungseinschränkung unterliegen ist bei dem langsamen Wachstumsgang nicht möglich. Die im Biosphärenreservat mit Landeswaldflächen vertretenen Forstbetriebe Anhalt und Altmark verfügen in diesem Bereich über insgesamt 3.329 ha Eichenfläche. Davon liegen 1.776 ha in Kernzonen, weitere 888 ha in der Pflegezone, wo eine Einschränkung der Bewirtschaftung durch Natura 2000 oder bestehende Naturschutzgebietsverordnung erfolgen kann. 665 ha liegen in der Entwicklungszone ohne naturschutzfachliche Einschränkungen. 3. Der Landesbeirat Holz des Landes Sachsen-Anhalt hat in seiner Broschü- re „Waldstrategie 2020 in Sachsen-Anhalt“ Handlungsvorschläge, u. a. zur „Ressource Holz und Naturschutz“ erarbeitet. Wie werden diese Empfehlungen strategisch integriert und umgesetzt? Der Landesbeirat Holz Sachsen-Anhalt wurde im Jahr 2004 gegründet und ist seit dieser Zeit aktiv tätig. Er versteht sich als Plattform des Austausches verschiedener Akteure der stofflichen und energetischen Holznutzung und ist gegenwärtig die einzige Möglichkeit der Kommunikation von Institutionen und Firmen des Landes, die teilweise gegensätzliche wirtschaftliche Interessen haben. Die Tätigkeit des Landesbeirats hat erst eingesetzt, nachdem im Bereich der Elbe die naturschutzfachlichen Ziele bereits umgesetzt oder doch rechtsverbindlich vereinbart waren. Insofern sind die Ausführungen des Landesbeirats in der Waldstrategie auch als ausgleichende Reaktion auf bereits erfolgte Einschränkungen der Waldbewirtschaftung zu verstehen. Die Waldstrategie ist daher nicht als eine Aufforderung zu interpretieren, bisherige Erfolge im Bereich der Naturschutzpolitik zurückzudrehen, sondern bei zukünftigen Projekten die Belange der Ressourcensicherung und der Forstwirtschaft stärker zu berücksichtigen. Der Landesbeirat weist darauf hin, dass zwischen den Belangen der Waldbewirtschaftung und den Aspekten des Naturschutzes Konkurrenzsituationen entstehen, 4 die im Rahmen einer sorgsamen Abwägung gelöst werden müssen. Hierzu gibt der Landesbeirat folgende Empfehlungen: a. Rückkehr zum bewährten Prinzip der Erhaltung von Lebensraumfunktionen auf möglichst großer Fläche, keine weiteren Flächenstilllegungen Die Erhaltung von Lebensraumfunktionen auf möglichst großer Fläche ist ein gemeinsames Anliegen von Forstwirtschaft und Naturschutz. Auch Prozessschutzflächen dienen der Umsetzung dieser Zielstellung. Mit den Flächenübertragungen des Bundes im Rahmen des Nationalen Naturerbes stehen in Sachsen-Anhalt etwa 12.000 ha Wald für eine natürliche Entwicklung zur Verfügung. b. Einschränkungen der Ressourcenverfügbarkeit bei neuen Projekten nur, wenn dies nachweislich für die konkreten Schutzziele unabdingbar ist Die Abwägung, welches Mittel zur Umsetzung von Schutzzielen erforderlich ist, erfolgt sehr sorgfältig und im offenen Diskurs zwischen Naturschutzverwaltung und Landnutzern. Aktuelles Beispiel ist die Erarbeitung von Vorgaben zur Bewirtschaftung der Schutzgebiete im Rahmen von Natura 2000. c. Erfolgskontrolle und Kosten-Nutzen-Analysen bei Naturschutzprojekten Die nachhaltige Überprüfung von Maßnahmen des Naturschutzes auf Zielerreichung und Effizienz muss konsequent erfolgen. Entwicklungen in diesem Bereich sind nur langfristig nachzuweisen und die Schutzgebietsregime in SachsenAnhalt sind größtenteils noch relativ jung. d. Beteiligung des Landesbeirats Holz zu Fragen der Ressource bei neuen Schutzgebietsausweisungen Hierzu wird der Landesbeirat bei Bedarf eingebunden. e. Umsetzung von Natura 2000 im rechtlich notwendigen (nicht im naturschutz- fachlich gewünschten) Umfang Die Umsetzung von Natura 2000 erfolgt in Sachsen-Anhalt im rechtlich und fachlich notwendigen Umfang. Hierzu erarbeitet derzeit eine Projektgruppe entsprechende Vorschläge. f. Überprüfung vorhandener Schutzgebiete, ob der Grundsatz „Einschränkungen der Ressourcenverfügbarkeit nur im notwendigen Umfang“ eingehalten wird. Die Arbeitsgruppe Natura 2000 im Ministerium für Landwirtschaft und Umwelt befasst sich derzeit auch mit der Überarbeitung alter Naturschutzgebietsverordnungen . Die Umsetzung von Natura 2000 hat aber eine hohe Priorität. g. Keine Einschränkungen der Waldbewirtschaftung nach Leitbild (Baumarten- wahl) in Landschaftsschutzgebieten Hier gibt es in einigen Fällen Einschränkungen der Baumartenwahl, insbesondere der sogenannten Fremdländer (Douglasie und Roteiche), die insbesondere vor 5 dem Hintergrund des Klimawandels diskutiert werden sollen. Der Diskussionsprozess mit den zuständigen Landkreisen ist unter Beteiligung der Nordwestdeutschen Forstlichen Versuchsanstalt angelaufen. h. Steuerung von Schutzgebieten auf Flächen, die naturschutzfachlich beson- ders wertvoll sind und/oder die negativen Auswirkungen auf andere Waldfunktionen besonders gering sind (Stichwort: nationales Naturerbe) Siehe hierzu Antwort zu Ziffer f. i. Wirtschaftliche Einschränkungen durch Naturschutzziele müssen nicht nur bewertet sondern auch ersetzt werden (Förderung, Vertragsnaturschutz) Eine entsprechende Förderrichtlinie für den Ausgleich von Einschränkungen ist vorhanden, eine weitere für freiwillige Waldumweltmaßnahmen befindet sich in der Mitzeichnung. Im Landeswald werden Einschränkungen durch Naturschutzziele nicht ausgeglichen. Im Übrigen sind Aussagen der Waldstrategie 2020 in Sachsen-Anhalt in die Evaluierung der Leitlinie Wald eingeflossen. 4. Wie groß ist die Eichenwaldfläche in Sachsen-Anhalt? Wie hoch ist der Anteil nutzbaren Eichenholzes am Holzeinschlag im Landes - und Privatwald und wie wird sich dieser Anteil langfristig entwickeln ? Gibt es nicht bereits mehr als genügend Ausgleichsflächen im Sinne der 3%-Kriterien hinsichtlich der Anerkennung nutzungsfreier Flächen, die sich ja räumlich nicht auf Lödderitz beziehen müssen? Die Baumartengruppe Eiche stockt zurzeit auf 9,6 % der Waldfläche von SachsenAnhalt . Dies ist eine Fläche von ca. 45 Tha vor allem im wärmeren, trockenem Tiefland und Teilen des Hügellandes. Im Landeswald ist der Eichenanteil mit 17 % (21.779 ha) höher als im Gesamtwald. Belastbare Zahlen des Eicheneinschlages im Privatwald liegen nicht vor. Im Landeswald beträgt der nachhaltige jährliche Hiebsatz 68.000 fm und damit etwa 10 % des Gesamteinschlags. In dieser Größe sind die jeweils geltenden Nutzungseinschränkungen bereits berücksichtigt. Aus rein forstlicher Sicht könnte mehr Eiche eingeschlagen werden. Der jährliche Zuwachs liegt mit 94.000 fm fast 40 % über dem Einschlag, obwohl die Eiche mit einem Durchschnittsalter von fast 100 Jahren einen Einschlag nahe dem Zuwachs erwarten lassen würde. Der Eicheneinschlag wird im Trend noch etwas sinken, wenn die o. g. naturschutzfachlichen Vorgaben umgesetzt werden. Besondere Auswirkungen hat dies auf starkes und wertvolles Holz (s. o.). Die Eichenfläche insgesamt steigt im Trend, eine Folge der Waldumwandlungen sowohl im Landes- wie auch im Privatwald. Wegen des langsamen Wachstumsgangs der Eiche wird dies aber erst sehr langfristig zu einer Kompensation in der Nutzung führen. Zur Frage nach den benötigten Ausgleichsflächen wird auf die Beantwortung der Frage 1 verwiesen.