Landtag von Sachsen-Anhalt Drucksache 6/280 03.08.2011 (Ausgegeben am 08.08.2011) Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung Abgeordneter Sören Herbst (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Tierversuche am Magdeburger Leibniz-Institut für Neurobiologie Kleine Anfrage - KA 6/7093 Vorbemerkung des Fragestellenden: Seit längerer Zeit werden am Magdeburger Leibniz-Institut für Neurobiologie Tierversuche an Mäusen, Ratten, Katzen und Affen durchgeführt. Insbesondere die Primatenversuche stehen deutschlandweit in der Kritik. An mehreren Forschungseinrichtungen wurden die Programme mangels medizinischen Nutzens und aus ethischen Gründen aufgegeben. In einem Schreiben vom 3. Februar 2010 an die Bundestagsabgeordnete Undine Kurth sicherte Landwirtschaftsminister Dr. Aeikens eine Überprüfung von Hinweisen der Organisation „Ärzte gegen Tierversuche e. V.“ zu. Antwort der Landesregierung erstellt vom Ministerium für Landwirtschaft und Umwelt Vorbemerkung: Der in § 1 des Tierschutzgesetzes formulierte Zweck „aus der Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf dessen Leben und Wohlbefinden zu schützen “ ist als Auslegungsgrundsatz geltendes Recht. Dies gilt auch für das grundsätzliche Verbot, dass niemand einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen darf. Gleichwohl dürfen nach § 7 Abs. 2 des Gesetzes Tierversuche ausnahmsweise durchgeführt werden, soweit sie unter anderem zu Zwecken - des vorbeugenden Erkennens und Behandelns von Krankheiten, Leiden, Körper- schäden oder körperlicher Beschwerden oder Erkennen oder Beeinflussen physiologischer Zustände oder Funktionen bei Mensch und Tier, - des Erkennens von Umweltgefährdungen, 2 - der Grundlagenforschung unerlässlich, d. h. nicht durch Alternativmethoden, erreichbar sind. 1. Welche Ergebnisse erbrachte die durch Minister Dr. Aeikens angeforderte detaillierte Berichterstattung zu allen durch das Landesverwaltungsamt bisher genehmigten Primatenversuchen, und wie bewertet sie diese? Im Ergebnis der Auswertung des Berichtes werden im Genehmigungsverfahren beim Landesverwaltungsamt nicht nur die Maßnahmen zur möglichen Vermeidung von durch den eigentlichen Tierversuch entstehenden Schmerzen und Leiden, sondern auch die Maßnahmen der Probandenkonditionierung vor Versuchsbeginn in den Abwägungsprozess einfließen und bewertet. Genehmigte Tierversuchsanträge werden den für die Überwachung der Versuchseinrichtung zuständigen Landkreisen und kreisfreien Städten als Kontroll- bzw. Überwachungsbehörden übermittelt. Die Genehmigung enthält darüber hinaus alle für die pflichtgemäße Überwachung der Tierversuche erforderlichen Informationen. Darüber hinaus wird zukünftig geprüft, ob Genehmigungsbescheide unter dem Vorbehalt der nachträglichen Aufnahme von Auflagen, Änderungen oder Ergänzungen erteilt werden. 2. Wie bewertet die Landesregierung die von „Ärzte gegen Tierversuche e. V.“ in einer Pressemitteilung vom 27. November 20091 geäußerten Kritikpunkte am Versuchsaufbau für Hirnversuche an Affen im Magdeburger LeibnizInstitut für Neurobiologie? Die „Ärzte gegen Tierversuche e. V.“ sprechen sich generell gegen Tierversuche aus. Zur ethischen Vertretbarkeit von Hirnversuchen an Affen siehe Antwort zu Frage 3. Das Urteil des Bremer Verwaltungsgerichtes vom 28. Mai 2010 hat Rechtssicherheit im Hinblick auf die Durchführung bestimmter Tierversuche mit Primaten geschaffen. Die Genehmigungsbehörde ist verpflichtet soweit Alternativmethoden vorliegen, Versuche mit höheren Wirbeltieren nicht zu genehmigen. Für die Hirnforschung gibt es keine geeigneten Alternativen. Der Versuchsaufbau muss die geringst mögliche Belastung für das Tier darstellen, die ein Erreichen des Versuchszieles ermöglicht. In dem bis zum 30. Mai 2012 genehmigten Versuch wird ein Halteprinzip verwendet, welches sich an den in der Medizin gebräuchlichen Halofixateuren für Hirnoperationen orientiert. Dieses Prinzip wird auch von Vertretern des „Ärzte gegen Tierversuche e. V.“ als eines dem neuesten Stand der orthopädisch-plastischen Chirurgie angesehen. 1 900.91/TyQic 3 3. Welche grundsätzliche Haltung nimmt die Landesregierung hinsichtlich der ethischen Vertretbarkeit der Hirnversuche an Affen am Magdeburger Leibniz -Institut für Neurobiologie ein, und worauf gründet sie diese? Welchen konkreten medizinischen Nutzen erwartet sie? Die Landesregierung hält Hirnversuche am Affen für ethisch vertretbar, wenn die in der Vorbemerkung angeführten Voraussetzungen nach dem Tierschutzgesetz erfüllt sind und diese Versuche zum Erreichen des wissenschaftlichen Ziels unerlässlich, d. h. unumgänglich notwendig sind. Auf die Frage zum konkret medizinischen Nutzen der Hirnversuche wird auf die Beantwortung der Frage 4 verwiesen. 4. In welchem Umfang werden seit 2000 Tierversuche am Magdeburger Leib- niz-Institut für Neurobiologie durch die Landesregierung gefördert? Bitte aufschlüsseln nach Versuchsmodell, Tierart und bewilligter Fördersumme. Von 2000 bis 2011 wurden am Leibniz-Institut für Neurobiologie insgesamt 59 Tierversuchsvorhaben nach entsprechender Beantragung und Genehmigung bearbeitet. Da einige Projekte mehrere Nager-Arten einschließen, kommt es zu Mehrfachnennungen . Die überwiegende Mehrzahl der Tierversuchsgenehmigungen betrifft Experimente mit Nagetieren: neun Projekte zu Gerbilen (Meriones unguiculatus), 37 Projekte zu Ratten (Rattus rattus norvegigus) und 21 zu Mäusen (Mus musculus). Zwei Projekte, die beide seit 2006 beendet sind, befassten sich mit Katzen (Felis silvestris catus). Zwei Tierversuchsvorhaben untersuchen Langschwanzmakaken (Macaca fascicularis ). Das Leibniz-Institut für Neurobiologie ist ein Zentrum für Lern- und Gedächtnisforschung . Es erforscht die hirnbiologischen Korrelate von Motivation, Aufmerksamkeit und Gedächtnisbildung und deren Störungen. Daher sind die am Leibniz-Institut für Neurobiologie bearbeiteten Tiermodelle folgenden Kategorien zuzuordnen: 1. Lernmodelle Diese Modelle dienen der Erforschung von Lern- und Gedächtnisbildungsprozessen im Gehirn. Es kommen beispielsweise Modelle des räumlichen Lernens, der Neuheitserkennung , des Erlernens von Kategorien oder des Entscheidungslernens zum Einsatz. Die Modelle sind komplementär zu den parallel durchgeführten Humanexperimenten . 2. Informationsverarbeitungsmodelle Diese Modelle untersuchen die Verarbeitung von Informationen im Zentralnervensystem und deren Störanfälligkeit, beispielsweise im Zusammenhang mit Aufmerksamkeit oder Motivation. Auch diese Experimente sind komplementär zu Versuchen im Humanbereich und bilden die Grundlage für Neuroprothetik und Tiefenhirnstimulation beim Menschen. 3. Neurologische Krankheitsmodelle Diese Modelle bilden Teilaspekte von neurologischen Krankheitsbildern ab, die zum Teil auch psychiatrische Relevanz aufweisen. Es handelt sich dabei sowohl um weit 4 verbreitete Krankheiten wie zum Beispiel das ganze Spektrum der Demenzerkrankungen (Alzheimer-Demenz, vaskuläre Demenz), um Ischämie und Schlaganfall, Multiple Sklerose oder Alkoholsucht. Andere Modelle befassen sich mit Infektionen des Gehirns oder mentaler Retardierung bzw. Autismus. Das Land Sachsen-Anhalt hat sich an 34 tierversuchsbezogenen Projekten1) mit einer anteiligen Förderung beteiligt. Für die Tierversuchsanteile hat das Land von 2000 bis 2010 insgesamt ca. 3 Millionen € bereitgestellt. Andere Fördermittelgeber sind unter anderem die Deutsche Forschungsgemeinschaft, das Bundesministerium für Bildung und Forschung, die Europäische Kommission oder Stiftungen, wie die VWoder Schram-Stiftung. 1) Erst- und ggf. Folgeanträge sind gesondert gezählt. 5. In welchem Umfang fördert die Landesregierung seit 2000 die Erforschung von Alternativen zu Tierversuchen und deren Validierung? Am Leibniz-Institut für Neurobiologie werden bereits seit seiner Gründung vielfältige neurobiologische Korrelate des Lernens und der Gedächtnisbildung an ausgewählten Ersatzmodellen wie beispielsweise primären Nervenzellkulturen, kultivierten Hirnschnitten , Multielektrodenarrays oder Computersimulationen, gewonnen. Das Land Sachsen-Anhalt hat die Forschung an Ersatzmodellen von 2000 bis 2010 mit ca. 4 Millionen € Projektförderung unterstützt. Darüber hinaus werden strukturelle Maßnahmen ergriffen, die die Forschung an Alternativen zu Vertebratenversuchstieren am Standort verstärken. So befasst sich die in 2004 gegründete Abteilung Verhaltensneurologie mit klinisch relevanten humanexperimentellen Arbeiten.