Landtag von Sachsen-Anhalt Drucksache 6/2817 20.02.2014 (Ausgegeben am 20.02.2014) Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung Abgeordneter Dr. Frank Thiel (DIE LINKE) Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) EU-USA - Teil 2 Kleine Anfrage - KA 6/8144 Vorbemerkung des Fragestellenden: Derzeitig verhandelt die EU mit den USA über eine Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP). Im Dezember 2013 erfolgt bereits die dritte Verhandlungsrunde . Diese findet allerdings, wie auch die vorherigen Runden, zum großen Teil unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Die Bundesregierung steht diesen Verhandlungen sehr positiv gegenüber, teilt sie doch die Annahme der Europäischen Kommission, dass durch ein solches Abkommen die Wettbewerbsfähigkeit beider Partner erhöht, die Wirtschaft angekurbelt und damit auch neue Arbeitsplätze geschaffen werden könnten. Antwort der Landesregierung erstellt vom Ministerium für Wissenschaft und Wirtschaft Vorbemerkung: Über die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) zwischen der EU und den Vereinigten Staaten wurde bereits in drei Verhandlungsrunden diskutiert . Bevor die nächste Runde im März 2014 in Brüssel stattfindet, wird eine Reihe von Aspekten dieses Abkommens momentan kontrovers in der Öffentlichkeit erörtert. Dabei bestehen beispielsweise Bedenken, dass das Abkommen zur Absenkung des europäischen Schutzniveaus für die Verbraucherinnen und Verbraucher führen könnte . Die Gespräche über das Handelsabkommen TTIP zwischen der EU und den USA sollen teilweise ausgesetzt werden, dies berichteten Medien am 21. Januar 2014. Das Bundeswirtschaftsministerium bestätigte die Medienberichte. Die Europäische Kommission hat entschieden, zum Bereich des Investitionsschutzes eine dreimonati- 2 ge öffentliche Konsultation zur Klärung offener Fragen aus den Verhandlungen mit den USA über die TTIP zu beginnen. Im Anschluss will die Europäische Kommission mit den EU-Mitgliedstaaten im Handelsministerrat die EU-Verhandlungsposition zu diesem Thema festlegen. Einige der in dieser Kleinen Anfrage aufgeworfenen Fragen können daher erst nach Beendigung des Konsultationsprozesses konkreter beantwortet werden. Frage 1: Welche Chancen sieht die Landesregierung in einem Transatlantischen Freihandelsabkommen ? Frage 2: Welche Nachteile sieht die Landesregierung in einem Transatlantischen Freihandelsabkommen ? Bitte konkret ausführen und begründen für a. die wirtschaftliche Entwicklung des Landes Sachsen-Anhalt, b. die Entwicklung des Arbeitsmarktes im Land Sachsen-Anhalt, c. die Aufrechterhaltung von Standards in der Daseinsvorsorge im Land Sachsen-Anhalt, d. die Aufrechterhaltung von Standards bei den Arbeitnehmerrechten und beim Verbraucher sowie bei Umweltstandards. Antwort zu Frage 1 und 2: a. die wirtschaftliche Entwicklung des Landes Sachsen-Anhalt Für sachsen-anhaltische Unternehmen sind die USA nach der Volksrepublik China der zweitwichtigste Exportmarkt außerhalb Europas. Insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen, die aufgrund derzeit bestehender Hemmnisse (siehe hierzu Antwort zu Frage 6) nicht auf dem US-amerikanischen Markt vertreten sind, können sich neue Chancen eröffnen. Das ifo Institut München untersucht in einer Studie („Dimensionen und Auswirkungen eines Freihandelsabkommens zwischen der EU und den USA“, Februar 2013) die wirtschaftlichen Effekte eines solchen Freihandelsabkommens insbesondere auch für Deutschland. Das ifo Institut kommt zu dem Schluss, dass bei einem solchen Abkommen für beide Partner mit außerordentlich großen wirtschaftlichen Effekten zu rechnen ist, da beide jeweils für einander die größten Handelspartner sind, wobei die bedeutendsten Anteile jeweils auf Deutschland fallen. Gleichzeitig wird davon ausgegangen , dass infolge der ähnlichen Kosten- und Produktivitätsstruktur keine starken Wettbewerbseffekte aufgrund unterschiedlicher Lohnniveaus eintreten werden. Neben der eingangs erwähnten Möglichkeit, dass die Wirtschaft Sachsen-Anhalts durch eine Intensivierung der Außenwirtschaftsbeziehungen mit den USA von einem Freihandelsabkommen profitieren kann, können auch positive indirekte Impulse von diesem ausgehen. Durch die vielfältigen Vorleistungs- und Zuliefererbeziehungen 3 sachsen-anhaltischer Betriebe mit exportierenden Unternehmen in vielen Regionen Europas kann von Produktions- und Beschäftigungszuwächsen auch der hiesigen Wirtschaft ausgegangen werden. b. die Entwicklung des Arbeitsmarktes in Sachsen-Anhalt Nach Mitteilung des Ministeriums für Arbeit und Soziales sind die tatsächlichen Auswirkungen eines Transatlantischen Freihandelsabkommens auf den Arbeitsmarkt in Sachsen-Anhalt zum gegenwärtigen Zeitpunkt schwer abzuschätzen. Sie hängen insbesondere davon ab, wie weitreichend der Abbau der sogenannten nichttarifären Handelshemmnisse zwischen der EU und den USA sein wird. c. die Aufrechterhaltung von Standards in der Daseinsvorsorge im Land Sachsen-Anhalt Die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft EU - USA ist ein weiterer Schritt zu einem liberalisierten Markt, auch in Bereichen der kommunalen Daseinsvorsorge . Das Ministerium für Inneres und Sport beobachtet diese Entwicklungen, um im Rahmen eines etwaigen Bundesratsverfahrens die Interessen der Kommunen zu verteidigen. Konkrete Ausführungen zu Chancen und Nachteilen des TTIP für die Aufrechterhaltung von Standards in der Daseinsvorsorge im Land Sachsen-Anhalt können derzeit noch nicht erfolgen. d. die Aufrechterhaltung von Standards bei den Arbeitnehmerrechten und beim Verbraucher sowie bei Umweltstandards Nach Mitteilung des Ministeriums für Arbeit und Soziales sind die Auswirkungen eines Transatlantischen Freihandelsabkommens auf die Standards bei den Arbeitnehmerrechten zum gegenwärtigen Zeitpunkt schwer abzuschätzen. Gelingt es, im Abkommen Standards für Arbeitnehmerrechte, industrielle Beziehungen und Mitbestimmungsrechte zu etablieren, die mindestens dem höchsten Niveau entsprechen, das in einem Land erreicht wurde, werden Arbeitnehmerrechte - auch in Deutschland und Sachsen-Anhalt - grundlegend stabilisiert. In Unternehmen mit weniger hohen Standards bei den Arbeitnehmerrechten würden zusätzlich Chancen für eine Stärkung von Arbeitnehmerrechten erhöht, sobald sie gemäß dem Freihandelsabkommen transatlantische Wirtschafts- und Handelsbeziehungen pflegen. Nach Mitteilung des Ministeriums für Landwirtschaft und Umwelt darf in den Verhandlungen das Vorsorgeprinzip im Verbraucherschutz nicht abgeschwächt werden. Damit ein höchst mögliches Schutzniveau für europäische und amerikanische Verbraucherinnen und Verbraucher erreicht und gesichert wird, müssen nach Auffassung des Ministeriums für Landwirtschaft und Umwelt die jeweils höherwertigeren Standards des Abkommenpartners übernommen bzw. anerkannt werden. Nach Mitteilung des Ministeriums für Landwirtschaft und Umwelt sind konkrete Aussagen , welche Chancen oder Nachteile die Landesregierung hinsichtlich der Aufrechterhaltung von Umweltstandards sieht, zum jetzigen Stand der Verhandlungen nicht möglich. Die Bundesregierung will sich dafür einsetzen, dass das Abkommen die hohen EU-Standards u. a. im Bereich des Umweltschutzes nicht beeinträchtigt. 4 Zuletzt hatte sich die Agrarministerkonferenz (AMK) am 30. August 2013 (TOP 2) mit dem Freihandelsabkommen zwischen den USA und der Europäischen Union befasst . Es muss sichergestellt werden, dass dem vorsorgenden Verbraucherschutz insbesondere in Bezug auf Lebens- und Futtermittel eine große Bedeutung beigemessen wird. Frage 3: Wie beurteilt die Landesregierung den Bericht der Bertelsmann Stiftung, nach der in Sachsen-Anhalt durch dieses Transatlantische Freihandelsabkommen fast 2.000 neue Dauerarbeitsplätze, vor allem im produzierenden Gewerbe entstehen könnten? Antwort zu Frage 3: Es wurde in den letzten Jahren eine Vielzahl von Studien gefertigt, die sich mit den Auswirkungen eines Transatlantischen Freihandelsabkommen auf Wachstum, Wirtschaftsleistung und -struktur sowie Beschäftigung befassen und diese auch quantifizieren . Diese Untersuchungen basieren auf verschiedenen Modellannahmen und -spezifikationen, so dass ein Vergleich der Ergebnisse nicht möglich ist. Die Bertelsmann Studie zum Transatlantischen Freihandelsabkommen schätzt zunächst die Effekte für die entscheidenden außenhandelsrelevanten Bereiche des Produzierenden Gewerbes und legt danach diese Effekte auf die 16 Bundesländer um. Im Ergebnis werden für Sachsen-Anhalt rund 2.000 neue Beschäftigungsverhältnisse ermittelt, die aus dem Transatlantischen Freihandelsabkommen resultieren - die Angaben zum Beschäftigungszuwachs für alle Bundesländer bewegen sich zwischen 551 (Bremen) und 21.080 (Nordrhein-Westfalen), was bereits die starke Abhängigkeit der Ergebnisse von den jeweiligen Wirtschaftsstrukturen verdeutlicht. Insgesamt bewertet die Landesregierung die konkreten Detailergebnisse der Studie der Bertelsmann Stiftung eher zurückhaltend. Unabhängig davon erwarten auch Studien von Wirtschaftsforschungsinstituten positive Arbeitsmarkteffekte vom Transatlantischen Freihandelsabkommen (siehe Studie des ifo Institutes „Dimensionen und Auswirkungen eines Freihandelsabkommens zwischen der EU und den USA“ vom Februar 2013). Frage 4: Welche konkreten regulatorischen Hemmnisse sieht die Landesregierung derzeit im transatlantischen Handel mit den USA bzw. für transatlantische Investitionen ? Antwort zu Frage 4: Derzeit werden folgende bestehende Hemmnisse gesehen: 1. Ein Hemmnis ist die Notwendigkeit, kostenintensive produktspezifische Registrie- rungen vornehmen zu lassen (z. B. FDA-Registrierung für Arzneimittel, Medizinprodukte und Lebensmittel), obwohl nach europäischem Standard bereits alle Zertifizierungen vorliegen (gilt vice versa auch für amerikanische Produkte, die auf dem europäischen Markt angeboten werden sollen). Einige kleinere Unternehmen können die finanziellen Mittel für diese Registrierungen nicht aufbringen 5 und verzichten daher auf die Erschließung des US-amerikanischen Marktes. 2. Viele Produkte unterliegen in den USA neben den zollrechtlichen Vorschriften weiteren Einfuhrverboten sowie -beschränkungen und sind insofern Gegenstand von Gesetzen und Vorschriften der US-Regierungsstellen, mit denen die CBP (bureau of customs and border protection) zusammenarbeitet. Diese Gesetze und Vorschriften können z. B. die Einfuhr verbieten, den Import auf bestimmte Einfuhrorte begrenzen, die Beförderung, Lagerung oder Verwendung beschränken oder eine Zulassung, Behandlung, Etikettierung oder Verarbeitung als Bedingung für eine Freigabe bestimmter Waren fordern. Weitere Einfuhrbeschränkungen und -verbote ergeben sich aus spezifischen Vorschriften, z. B. über Hafennutzung , Transport, Lagerung, Verwendung oder Kennzeichnung, ferner aus nationalen Sicherheitsinteressen sowie aus Schutz- und Antidumpinggesetzen. 3. Deutsche Unternehmen, die Außenhandelsbeziehungen mit den USA unterhalten , sind vom US-(Re)Exportkontrollrecht betroffen, da die USA von einer weltweiten Zuständigkeit ihrer Behörden für Kontrollen amerikanischer Produkte, Technologien und Software ausgehen. So unterliegen nach amerikanischem Verständnis fast alle US-Güter in Deutschland und deren Wiederausfuhr in Drittstaaten sowie deutsche Produkte mit kontrollierten amerikanischen Bestandteilen (i.d.R. ab einem bestimmten Prozentsatz) oder integriertem amerikanischen Know-how den amerikanischen Bestimmungen. Dieses hochkomplexe Thema stellt für deutsche Unternehmen eine große Herausforderung dar. Frage 5: Welche konkreten regulatorischen Hemmnisse in Sachsen-Anhalts und Deutschlands Wirtschafts-, Sozial- und Rechtsordnung beklagen die USA bzw. US-Wirtschaftsvertreter gegenüber der Landesregierung? Antwort zu Frage 5: Der Landesregierung liegen keine Hinweise auf konkrete regulatorische Hemmnisse vor. Frage 6: Welche konkreten regulatorischen Hemmnisse in der US-amerikanischen Wirtschafts -, Sozial- und Rechtsordnung beklagen Unternehmen aus SachsenAnhalt gegenüber der Landesregierung? Antwort zu Frage 6: Aufgrund der noch eher zurückhaltenden Investitionstätigkeit hiesiger Unternehmen in den USA sind nur wenige Klagen über konkrete regulatorische Hemmnisse der US-amerikanischen Wirtschafts-, Sozial- und Rechtsordnung bekannt. Die größte Herausforderung besteht darin, neben den landesweit gültigen Gesetzen Kenntnis über die vielen einzelstaatlichen Regelungen in den US-Bundesstaaten zu Arbeits- und Steuer-, sowie Wirtschaftsrecht zu erlangen. Der Aufwand, im Vorfeld der Gründung einer Niederlassung für die Standortentscheidung alle Faktoren zu berücksichtigen , ist hoch. Jedoch erhalten die Unternehmen diesbezüglich Unterstützung durch die Industrie- und Handelskammern in Sachsen-Anhalt, die Auslandshandelskammern und die Landesregierung. 6 Das Risiko der Produkthaftung stellt eine zusätzliche Markteintrittsbarriere dar. Die Rechtsprechung zur Produkthaftung ist aufgrund der föderalen Struktur der amerikanischen Gerichtsbarkeit in den einzelnen US-Staaten unterschiedlich ausgestaltet und im Vergleich zum deutschen Recht (insbesondere Schadensersatzrecht) deutlich weiter gefasst. Das anglo-amerikanische Maßsystem stellt deutsche Unternehmen vor die Notwendigkeit , sowohl Anpassungen bei Produkt- oder Dienstleistungsmerkmalen vornehmen zu müssen aber auch z. B. Präsentationen (Printprodukte, Webseiten u. ä.) umzugestalten . Diese Anpassungen sind mit finanziellem Aufwand verbunden, der nicht durch jedes Unternehmen geleistet werden kann. Frage 7: Welche Möglichkeiten hat die Landesregierung, sich in den Verhandlungsprozess einzubringen, bzw. inwieweit hat sie dies bereits schon getan? Antwort zu Frage 7: Die Landesregierung kann sich über Bund-Länder-Arbeitskreise, Fachministerkonferenzen sowie über den Bundesrat in den Verhandlungsprozess einbringen (vgl. Bundesratsdrucksache 463/13). Frage 8: Wie und in welcher Form erhält die Landesregierung Kenntnis von Zwischenergebnissen der Verhandlungen? Welche Möglichkeiten hat die Landesregierung , dann darauf zu reagieren? Antwort zu Frage 8: Die Landesregierung wird gemäß des Gesetzes über die Wahrnehmung der Integrationsverantwortung des Bundestages und des Bundesrates in Angelegenheiten der Europäischen Union i. V. m. dem Gesetz über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union von der Bundesregierung über die Berichte der Europäischen Kommission hinsichtlich der Verhandlungen informiert . Sie hat dann die Möglichkeit, über Bund-Länder-Arbeitskreise, Fachministerkonferenzen sowie über den Bundesrat darauf zu reagieren.