Landtag von Sachsen-Anhalt Drucksache 6/2940 21.03.2014 (Ausgegeben am 24.03.2014) Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung Abgeordnete Henriette Quade (DIE LINKE) Sperrung der Elbbrücken im Rahmen des Polizeieinsatzes am 18. Januar 2014 Kleine Anfrage - KA 6/8198 Vorbemerkung des Fragestellenden: Am 18. Januar 2014 fand der jährlich wiederkehrende Aufmarsch von Neonazis in Magdeburg statt. Im Laufe des Tages wurden die Elbbrücken für längere Zeit komplett gesperrt und damit der Individualverkehr sowie auch der Zugang zu angemeldeten und stattfindenden Versammlungen erheblich behindert und unmöglich gemacht . In der medialen Berichterstattung wurde die komplette Sperrung der Brücken über einen längeren Zeitraum im Nachhinein seitens der Polizei als Fehler, der auf Kommunikationsfehler zurückzuführen sei, beschrieben. Antwort der Landesregierung erstellt vom Ministerium für Inneres und Sport Namens der Landesregierung beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Vorbemerkung: Die Versammlungslage in Magdeburg anlässlich des Jahrestages der Bombardierung im Zweiten Weltkrieg ist ein jährlich wiederkehrendes Ereignis. Unzählige Bürger versammeln sich mit dem Ziel, deutlich zu machen, dass die geschichtsfälscherische Vereinnahmung dieses Tages durch Rechtsextreme in der breiten Masse der Bevölkerung nicht hingenommen wird. Die umfangreiche Versammlungslage ist jährlich der Grund für sehr komplexe und personalintensive Polizeieinsätze, da dieser Tag neben den zahlreichen friedlichen Versammlungen leider auch regelmäßig von gewalttätigen Auseinandersetzungen, zahlreichen Straftaten und Verstößen gegen das Versammlungsgesetz geprägt ist. 2 Allein im Verantwortungsbereich der Polizeidirektion Sachsen-Anhalt Nord waren in diesem Jahr ca. 2.600 Polizeibeamte im Einsatz, parallel dazu führte die Bundespolizei in ihrer Zuständigkeit einen Einsatz mit ca. 900 Polizeibeamten durch. Die Polizeidirektion Sachsen-Anhalt Nord fungiert bei diesen Versammlungslagen regelmäßig sowohl als Versammlungsbehörde als auch als einsatzführende Polizeibehörde . Sie muss in dieser Rolle unter Wahrung der verfassungsrechtlich garantierten Neutralität und unter Beachtung der diametralen Interessen der Versammlungsteilnehmer sicherstellen, dass das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit für alle, die dieses Recht friedlich und ohne Waffen ausüben wollen, gewährleistet werden kann. Nach Überzeugung der Landesregierung würde es ohne das Handeln der Polizei zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kommen, in deren Folgen zahlreiche Beteiligte und unbeteiligte Dritte geschädigt würden. 1. Wann genau wurde durch wen die Entscheidung zur Sperrung der Brü- cken getroffen? Der Polizeiführer traf diese bestätigende Entscheidung um ca. 12:27 Uhr, unmittelbar nachdem die an den Elbebrücken eingesetzten Kräfte des Einsatzabschnittes Raumschutz diese Maßnahme aufgrund der sich aus der dynamischen Lageentwicklung ergebenen Gefahrenlage ergreifen mussten. 2. Über welchen Zeitraum erstreckten sich die Brückensperrungen? Die Maßnahmen zur Vollsperrung der Elbebrücken begannen ca. 12:27 Uhr. Ab 13:10 Uhr war das Passieren der Brücken in Richtung Westen wieder möglich. Ab ca. 14:28 Uhr waren die Brücken wieder uneingeschränkt freigegeben. 3. Was waren die konkreten Gründe für die Entscheidung zur kompletten Sperrung der Brücken? Auf welcher Rechtsgrundlage erfolgte dies? Der Polizeiführer traf nach der Beurteilung der Lage die Entscheidung für die temporäre Vollsperrung der Elbebrücken aufgrund der sich aus der dynamischen Lageentwicklung ergebenden unmittelbaren Gefahrenlage. Ab ca. 12.23 Uhr entstand auf den an den Elbebrücken anlassbezogen eingerichteten polizeilichen Durchlassstellen eine unüberschaubare Gefahrensituation , als zunächst eine Gruppe von ca. 150 teilweise vermummten Personen der linken Szene aus Richtung Westen auf der Strombrücke versuchte, die östliche Elbeseite und damit die (neue) Aufzugsstrecke der rechten Szene zu erreichen . Um 12.27 Uhr meldete der Einsatzabschnitt Raumschutz der Einsatzleitung , dass die Brücken wegen des Drucks von Personenmengen auf die Durchlassstellen voll gesperrt werden mussten, da es nach Lagebeurteilung der Kräfte unmittelbar auf den Brücken zu diesem Zeitpunkt nicht mehr möglich war, Personen mit unterschiedlichen Absichten zu differenzieren. Der Polizeiführer bestätigte diese Maßnahme aufgrund der dynamischen Lageentwicklung und der daraus resultierenden Gefahrenlage. Die Anzahl der Personen, welche nach polizeilicher Einschätzung den Versammlungsraum im Ostteil der Stadt erreichen wollten, wuchs auf dem Nordbrückenzug in der Folge bis um 12.45 Uhr auf ca. 1.000 und bis 13:20 Uhr auf ca. 2.000 Personen an. Gegen 12.51 Uhr 3 versuchten zudem erneut ca. 200 Personen der linksextremen Szene auf der Sternbrücke, die polizeiliche Absperrung zu durchbrechen. Die komplette Sperrung der Elbebrücken war im Zeitraum zwischen ca. 12:27 Uhr bis ca. 13:10 Uhr nach Einschätzung des Polizeiführers aufgrund der Lageerkenntnisse zum einen unabweisbar, um Gefahren für Leib, Leben und Gesundheit und andere hochwertige Rechtsgüter von Versammlungsteilnehmern beider Lager und Unbeteiligten abzuwehren. Zum anderen musste der Polizeiführer unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit versammlungsrechtswidrige Störungen des rechten Aufzugs durch Gegendemonstranten verhindern. Der Polizeiführer stützte diese Maßnahme auf § 13 Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung Sachsen-Anhalt (SOG LSA). 4. Welche Brücken hätten - ohne Kommunikationsfehler - zu welchem Zeit- punkt wieder freigegeben werden sollen? Nach aktuellem Kenntnisstand der Landesregierung aufgrund der Berichtslage der Polizeidirektion Sachsen-Anhalt Nord gab es am 18. Januar 2014 keine Kommunikationsfehler innerhalb des Einsatzes der Polizei, die Einfluss auf die beabsichtigte Dauer der Brückensperrungen selbst hatten. 5. Nach welchen Kriterien sollte entschieden werden, welche Personen die Brücken passieren dürfen und welche nicht? Wenn ja: Wer hat diese Kriterien zu welchem Zeitpunkt auf welcher Rechtsgrundlage festgelegt? Mit Beginn der Vollsperrung der Elbebrücken um 12.27 Uhr war aus den zur Frage 3 vorgetragenen Gründen grundsätzlich kein Passieren der Brücken möglich. Vor der bestätigenden Entscheidung des Polizeiführers zur Vollsperrung und ab deren Aufhebung gegen 13.10 Uhr erhielten die unmittelbar an den Durchlassstellen auf den Brücken eingesetzten Polizeikräfte den Auftrag, unter Abwägung der Gesamtumstände den Zulauf von gewaltbereiten und sonst störwilligen Personen zu verhindern. Konkrete Kriterien oder sonstige Vorgaben, welche Personen die Brücken passieren dürfen, wurden im Rahmen der üblichen polizeilichen Auftragstaktik nicht formuliert. 6. Durch die Sperrung wurde der Zugang zu angemeldeten Versammlungen im Rahmen der Meile der Demokratie zeitweise unmöglich gemacht. Öffentlich wurde zudem mehrfach berichtet, dass Personen, die sich auf die angemeldeten Versammlungen beriefen, die Auskunft erhielten, dass diese Versammlungen nicht mehr stattfänden. Welche Erkenntnisse liegen der Landesregierung dazu vor und wie bewertet sie diese? Die Polizeidirektion Sachsen-Anhalt Nord bereitet den Polizeieinsatz vom 18. Januar 2014 bereits seit dem 19. Januar 2014 sehr zeit- und arbeitsintensiv nach. Diese Nachbereitung, für die u. a. sämtliche zur Verfügung stehenden Einsatzdokumentationen (Schrift-, Funk- und Telefonverkehr, Bildaufzeichnungen ) ausgewertet und dem chronologischen Ablauf des Einsatzes zugeordnet werden, ist noch nicht endgültig abgeschlossen, da Einzelfälle gesondert ge- 4 sichtet und adressatenbezogen - auch in anderen Bundesländern - recherchiert werden müssen. Nach aktuellem Kenntnisstand der Landesregierung wurde im Rahmen der bisherigen Einsatznachbereitung ein Fall recherchiert, in dem Einsatzkräfte aus einem anderen Bundesland an den Durchlassstellen die Auskunft erteilten, sie hätten von bestimmten Versammlungen, die östlich der Elbe stattfinden sollten, keine Kenntnis. Diese Auskunft wurde nach bisherigem Kenntnisstand während der Vollsperrung der Brücken erteilt, so dass ein Passieren zu diesem Zeitpunkt unabhängig von der erteilten Auskunft grundsätzlich nicht möglich gewesen wäre . Darüber hinaus ist es generell nicht auszuschließen, dass Polizeibeamte an den Durchlassstellen in der direkten Kommunikation unter anderem erklärt haben , bestimmte ostelbische Versammlungen fänden nicht (mehr) statt. Nach der bisherigen Auswertung der vorliegenden Dokumente konnte die Polizeidirektion Sachsen-Anhalt Nord jedoch keine konkreten Fälle recherchieren. Sofern Versammlungsteilnehmer während des Einsatzes von Polizeibeamten unrichtig informiert worden sind, bedauern sowohl die Einsatzleitung der Polizeidirektion Sachsen-Anhalt Nord als auch die Landesregierung dies. Festzuhalten ist jedoch, dass seitens der Einsatzleitung zu keinem Zeitpunkt Informationen an die Einsatzabschnitte kommuniziert worden sind, dass bestimmte Versammlungen im Ostteil der Stadt nicht stattfinden. Die Landesregierung bittet in diesem Zusammenhang jedoch zu bedenken, dass die Versammlungslage am 18. Januar 2014 in Magdeburg sehr dynamisch war und mehrere tausend Demonstranten an zahlreichen unterschiedlichen Versammlungen teilgenommen haben. Vor dem 18. Januar 2014 lagen allein 42 Anmeldungen für Gegenveranstaltungen gegen den rechten Aufzug mit teils unterschiedlichen Veranstaltungszeiten im gesamten Stadtgebiet vor. Aufgrund von Abmeldungen, Zusammenlegungen einzelner Veranstaltungen und kurzfristigen Neuanmeldungen veränderte sich die Zahl der Versammlungsanmeldungen am Versammlungstag selbst ständig. Nach Kenntnis der Polizeidirektion Sachsen-Anhalt Nord sind letztlich nur 28 Versammlungen tatsächlich durchgeführt worden. Aufgrund dieser Dynamik verloren im Vorfeld an die Einsatzkräfte ausgeteilte Einsatzunterlagen schnell an Aktualität und Vollständigkeit, was das Zuordnen von Personen zu bestimmten angemeldeten Versammlungen sehr erschwerte. Hinzu kommt, dass die zur Bewältigung der Einsatzlage hinzugezogenen Unterstützungskräfte aus anderen Bundesländern regelmäßig nicht über die erforderlichen Ortskenntnisse verfügen, um sämtliche Versammlungsorte jeweiligen Stadtteilen immer präzise zuordnen zu können.