Landtag von Sachsen-Anhalt Drucksache 6/3120 22.05.2014 (Ausgegeben am 22.05.2014) Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung Abgeordneter Dietmar Weihrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Baumfällungen aufgrund des Hochwassers Kleine Anfrage - KA 6/8274 Vorbemerkung des Fragestellenden: Der Auenwald zählt nicht nur zu einem der artenreichsten und vitalsten Lebensräumen in Deutschland, er hat auch eine Wasserrückhaltefunktion bei Hochwasserereignissen . Auenwaldbestände mindern zudem die Fließgeschwindigkeit von Gewässern , was wiederum positive Effekte für den Hochwasserschutz mit sich bringt. Jüngst wurden in der Presse (MZ am 7. Februar 2014) von Baumfällungen im Auenwald Plötzkau berichtet. Der Auenwald bei Plötzkau zählt mit seiner Fläche von 418 Hektar zu einem bedeutenden FFH-Gebiet (Fauna-Flora-Habitat) im Salzlandkreis und ist außerdem als EU-Vogelschutzgebiet ausgewiesen. Laut dem Landesforstbetrieb Ostharz wurde im Auenwald bei Plötzkau Ende 2013 begonnen, vom Juni -Hochwasser beschädigte Bäume aus dem Schutzgebiet „herauszuholen“. Antwort der Landesregierung erstellt vom Ministerium für Landwirtschaft und Umwelt 1. Wie viele Baumfällungen wurden aufgrund des Juni-Hochwassers 2013 in Sachsen-Anhalt im Landeswald notwendig? Bitte Anzahl und Art der Bäume (ggf. in Festmeter), Gebiet, Schutzkategorie und Art des Schadens angeben. 8.105 Hektar Landeswald waren vom Juni-Hochwasser 2013 betroffen. Bisher sind folgende Holzmengen (Angaben in Festmeter) infolge des Hochwasserereignisses des vergangenen Jahres auf den betroffenen Flächen in den Einzugsgebieten der großen Flüsse des Landes zum Einschlag gekommen: 2 Baumart  Schutzkategorie  Summe      keine  LSG  FFH, NSG, Bio‐Res   in Festmeter  Kiefer     100   100 Fichte     10   10 Lärche     600 77 677 Douglasie     290   290 Eiche     74 265 339 Rotbuche  50    46 96 Hainbuche       32 32 Esche  32  260 218 510 Bergahorn     20 30 50 Spitzahorn       44 44 Linde       56 56 Birke     60   60 Pappel       50 50 Roterle  18  150 48 216 Feldulme       20 20 verschiedene  Baumarten  50    1420 1470    150  1564 2306 4020 Die Sanierung der betroffenen Waldbestände wird sich noch über mehrere Jahre erstrecken, da Absterbeerscheinungen infolge von Überflutungen nicht in jedem Fall unmittelbar in Erscheinung treten. 2. Auf welche Höhe taxiert die Landesregierung die Einnahmen der Holzent- nahmen für den Landeshaushalt? Werden die Bäume auch exportiert? Wenn ja, in welche Länder und in welchen Größenordnungen jeweils? Bei den Holzentnahmen, die sanierungsbedingt durch das Hochwasser entstanden sind, wurden im Forstbetrieb Ostharz keine positiven Deckungsbeiträge erreicht. Damit sind diesbezüglich keine Gewinne im Landesforstbetrieb zu verbuchen, die Einnahmen für den Landeshaushalt bedeuten. Die Verkaufserlöse stehen hier den Kosten negativ gegenüber. Einschlag vor Erreichung der Hiebsreife, deutlich erhöhte Bringungskosten, Kulturausfälle, Absterben von Jungbeständen und die Wiederaufforstung geschädigter Flächen liegen weit über den Erlösen aus dem Verkauf vermarktbarer Dimensionen und Sortimente – überwiegend hiebsunreifen Holzes. Ein Export der entnommenen Bäume aus dem Landeswald in Form von aufgearbeitetem Rundholz fand nicht statt. Die Verarbeitung erfolgt stofflich und energetisch in der regionalen Holz- und Energieindustrie. 3 3. Baumfällungen wurden laut MZ vom 7. Februar 2014 auch in einem Natura 2000-Gebiet (Auenwälder bei Plötzkau) durchgeführt. Wurde dafür eine FFH-Verträglichkeitsprüfung bzw. Vorprüfung durchgeführt? Welches Ergebnis hatte sie? Bitte die komplette FFH-Verträglichkeitsprüfung der Antwort beilegen. Falls keine FFH-Verträglichkeitsprüfung durchgeführt wurde: Wie begründet die Landesregierung den Verzicht auf eine FFHVerträglichkeitsprüfung ? Auf eine FFH-Verträglichkeitsprüfung wurde verzichtet, weil eine Vorprüfung unter Einbeziehung der Naturschutzbehörde zu dem Ergebnis gekommen ist, dass - es sich bei den Maßnahmen nicht um ein Projekt im Sinne des Bundesnatur- schutzgesetzes handelt und - die Maßnahmen im Übrigen nicht zu erheblichen Beeinträchtigungen des Gebietes führen. 4. Wurden Biotopbäume, insbesondere von Arten des Anhangs I der Vogel- schutzrichtlinie sowie Anhänge II und IV der FFH-Richtlinie bzw. sonstigen streng geschützten Arten gefällt? Wenn nein, durch welche Expertise und aufgrund welcher Datengrundlage wurde dies ausgeschlossen? Markante, deutlich erkennbare Horst-, Höhlen und Biotopbäume wurden vor Beginn der Einschlagsmaßnahmen dauerhaft markiert und waren von den Hiebsmaßnahmen nicht betroffen. Artvorkommen der Anhänge I der Vogelschutzrichtlinie sowie Anhänge II und IV der FFH-Richtlinie wurden entsprechend des Vorkommens im Gebiet berücksichtigt. Zusätzlich erfolgt eine unabhängige avifaunistische Untersuchung zur Ermittlung möglicher Auswirkungen auf das Vogelschutzgebiet SPA0017LSA „Auenwald Plötzkau“ durch ein externes Büro. Die Untersuchungen werden über die Brut- und Aufzuchtzeit durchgeführt und bis Juni 2014 abgeschlossen. 5. Wurde Totholz eingeschlagen bzw. entfernt? Wenn ja: Mit welcher Be- gründung und wieviel? Am ausgewiesenen Rad- und Wanderweg in der Aderstedter Saaleaue wurden in Absprache mit dem Ordnungs- und Grünflächenamt der Stadt Bernburg, unmittelbar am Weg stehende abgestorbene Bäume aus Verkehrsicherungsgründen entnommen (ca. vier Bäume). 6. Führten die Holzeinschlagsmaßnahmen zu einer Verschlechterung des Erhaltungszustandes der Arten und der Lebensraumtypen von gemeinschaftlicher Bedeutung bzw. zu einer erheblichen Gebietsbeeinträchtigung ? Nein, vorbehaltlich des Ergebnisses des avifaunistischen Gutachtens. 4 7. Für das FFH-Gebiet Auenwälder bei Plötzkau werden Nachweise für die Anhang II- und IV-Arten der FFH-Richtlinie den Hirschkäfer (Lucanus cervus ) und den Eremit (Osmoderma eremita) aufgeführt. Gibt es Nachweise dieser Arten in den Bereichen, in denen Holzeinschlag stattgefunden hat? Wie schätzt die Landesregierung deren Populationsentwicklung in Bezug auf das Vorhandensein von geschädigten Bäumen und Totholz für diese zwei stark gefährdeten und streng geschützten Arten ein? Wie begründet die Landesregierung, nach dem Hinweis auf das Vorhandensein dieser Arten , eine Verträglichkeit der durchgeführten Maßnahmen mit den Erhaltungszielen für das Gebiet? In den Bereichen der Holzeinschlagsmaßnahmen sind keine Vorkommen von Hirschkäfer oder Eremit bekannt. Da überwiegend Pappel zum Einschlag kam und die Maßnahmen im Durchforstungs- bzw. Jungdurchforstungsbereich lagen , kann von einer Gefährdung der Erhaltungsziele nicht ausgegangen werden . 8. In der Drucksache 6/1626 vom 21. November 2012 bekundet die Landes- regierung als Konsequenz nach einem Holzeinschlag in dem Naturschutzgebiet Kreuzhorst, künftig für eine Verbesserung der Öffentlichkeitsarbeit Sorge zu tragen. Wie erfolgte die Einbeziehung der Bürger und Bürgerinnen und Verbesserung der Öffentlichkeitsbeteiligung vor der o. g. Bewirtschaftungsmaßnahme bei Plötzkau seitens des Landesforstbetriebes ? Falls keine Beteiligung der Öffentlichkeit erfolgte, wie wird die Landesregierung künftig eine adäquate Beteiligung der Öffentlichkeit gewährleisten ? Am 30. September 2013 erfolgte ein Abstimmungstermin mit der Unteren Naturschutzbehörde des Salzlandkreises und Ornithologen zur Kartierung und Erfassung von Horstbäumen. Am 30. Oktober 2013 erfolgte mit dem Ordnungsund Grünflächenamt der Stadt Bernburg zu den beabsichtigten Holzeinschlagsmaßnahmen , insbesondere auch zu den Verkehrssicherungsmaßnahmen entlang des Rad- und Wanderweges, ein Abstimmungstermin. In der Mitteldeutschen Zeitung erfolgte am 27. November 2013 vor Beginn der Maßnahmen eine Ankündigung der Einschlagsmaßnahmen. 9. Erfolgte vor der Zerstörung potenzieller Fledermausquartiere im Auen- wald ein Datenaustausch zwischen dem Landesforstbetrieb und einem gebietskundigen Ansprechpartner der Fledermausreferenzstelle? Wenn ja, bitte die schriftlichen Äußerungen der Fledermausreferenzstelle der Antwort beilegen. Von den Durchforstungen waren keine bekannten Fledermausquartiere betroffen . Potenzielle Fledermausquartiere, wie z. B. markante Biotopbäume mit Höhlen und ähnlichen Habitatmerkmalen, wurden markiert und nicht entfernt. Daten zum Artenschutz werden dem Landesfortbetrieb durch das Landesamt für Umweltschutz zur Verfügung gestellt, was auch die Erkenntnisse der Referenzstelle für Fledermausschutz umfasst. 5 10. Laut der MZ wurden in Plötzkau im Besonderen „erntereife“ Stiel-Eichen (Quercus robur) geschlagen. In dem aktuellen Waldzustandsbericht wird dieser Art eine besondere Resistenz gegenüber temporärem Hochwasser bescheinigt. In welchem Zustand (Alter, Schaden, Marktwert) befanden sich die gefällten Stieleichen? Die Stieleiche war mit 6 % am Gesamteinschlag beteiligt. Im Einzelnen stellt sich der Einschlag wie folgt dar: Holzeinschlag Saaleaue – Aderstedt: - Gesamtfläche Waldgebiet: 98 Hektar - Bearbeitungsfläche: 11 Hektar - Forsteinrichtung- Planung: 983 Fm - Holzeinschlag 2013: 576 Fm davon Pappel: 442 Fm Eiche: 95 Fm Holzeinschlag Saaleaue – Pfuhlscher Busch: - Gesamtfläche Waldgebiet: 59 Hektar - Bearbeitungsfläche: 57 Hektar - Forsteinrichtung-Planung: 3.776 Fm - Holzeinschlag 2013: 1.054 Fm davon Pappel: 374 Fm Eiche: keine Holzeinschlag Saaleaue – Grönascher Busch: - Gesamtfläche Waldgebiet: 17 Hektar - Bearbeitungsfläche: 17 Hektar - Forsteinrichtung-Planung: 1.297 Fm - Holzeinschlag 2013: 303 Fm davon Pappel: 113 Fm Eiche: 29 Fm 11. Das EU-Vogelschutzgebiet Auenwald bei Plötzkau besitzt vor allem Be- deutung für waldbewohnende Brutvögel wie den Wendehals (Jynx torquilla ) und den Mittelspecht (Dendrocopus medius). Die letztgenannte Vogelart steht auf der Liste der Verantwortungsarten für das Land SachsenAnhalt . Zudem erreicht der Schwarzmilan (Milvus migrans) laut dem aktuellen FFH-Gebiete-Handbuch des Landesamtes für Umweltschutz, einen bemerkenswerten Brutbestand. Wie begründet die Landesregierung den Verlust von potenziellen Bruthabitaten durch den Holzeinschlag für diese Arten in dem Europäischen Vogelschutzgebiet ? Die überwiegende Entnahme von Pappel diente der Verbesserung der lebensraumtypischen Baumartenzusammensetzung. Neben der Sanierung von Hochwasser geschädigten Bestandesteilen wurden Sanierungen aufgrund des Eschentriebsterbens vorgenommen. Des Weiteren erfolgten Einschlagsmaßnahmen , die der Pflege und Durchforstung der Bestände galt. Die Holzeinschlagsmaßnahmen fanden außerhalb der Brut- und Setzzeiten statt. Horstschutzzonen waren bekannt, markiert und wurden entsprechend berücksichtigt. 6 12. Laut Bundesamt für Naturschutz sind bis dato nur 1,9 % der öffentlichen Wälder aus der Nutzung genommen worden. Wie kann das von der Bundesregierung proklamierte Ziel bis 2020 erreicht werden, 10 % dieser Wälder aus der Nutzung zu nehmen? Stehen die jüngsten Holzeinschläge im Auenwald Plötzkau in Konflikt mit diesem Ziel? In Sachsen-Anhalt stehen mit verordneten und vorgesehenen Kernzonen, dem Nationalpark und den Flächen des Nationalen Naturerbes ausreichend Flächen zur Verfügung, um die 10 % nutzungsfreier Wälder im öffentlichen Wald mittelfristig zu erreichen. 13. Bei einer Vorort-Besichtigung wurde festgestellt, dass auch Bäume gefällt wurden, die keinen erheblichen Schaden durch das Hochwasser erlitten haben, und auch Totholz in relevanter Größenordnung entfernt wurde, sodass nicht mehr genügend spezifischer Lebensraum (Biotopbäume, Totholz) im Wald zur Verfügung steht. Stattdessen entstand vor Ort der Eindruck, dass insbesondere vermarktungsfähige Bäume und Totholz aus dem Auenwald entfernt wurden. Wie begründet die Landesregierung den Holzeinschlag vor dem Hintergrund dieser Fakten? Biotopbäume wurden nicht entfernt. Totholz wurde ausschließlich im Rahmen von Verkehrssicherungsmaßnahmen entnommen. 14. Im Rahmen des Vororttermins wurde außerdem festgestellt, dass die Holzentnahmen mit schwerer Technik erfolgten, die aufgrund der hohen Bodenfeuchte erhebliche Schäden im Waldboden verursacht haben. Dies steht im Widerspruch zu den allgemeinen Grundsätzen einer naturschonenden Bewirtschaftung, die insbesondere in FFH-Gebieten anzuwenden ist. Welche Konsequenzen zieht die Landesregierung aus diesen Vorgängen ? Kritisch betrachtet werden muss, dass die Maßnahmen in den drei Waldgebieten relativ zeitgleich stattfanden. Die zeitliche Entzerrung forstlicher Maßnahmen , insbesondere in Schutzgebieten, wird daher in Zukunft stärker berücksichtigt werden. Die Eingriffshäufigkeit wird zwar steigen, aber die Entnahmemengen und Flächeninanspruchnahmen würden sich deutlich verringern und weitaus weniger kritikfähige Zustände hinterlassen. Die Betriebsleitung des Landesforstbetriebes wird durch interne Festlegungen in den Planungen der Forsteinrichtung und in der Umsetzung der konkreten Maßnahmen in den Forstbetrieben und Revieren, einschließlich der Rückegassennutzung und der Anwendung bodenschonender Verfahren der Holzbringung , absichern, dass die erforderliche Sensibilität in der Durchführung von Holzeinschlag und Waldpflege zukünftig gewahrt wird. 7 15. Bereits im Mai 2012 wurde das Verfahren zur Neuausweisung des NSG Auenwälder bei Plötzkau eröffnet. Offensichtlich lag auch ein fertiger Verordnungsentwurf vor. Warum wurde die NSG-Verordnung bis dato noch nicht in Kraft gesetzt? Die Durchführung großflächiger Schutzgebietsverfahren zur Umsetzung von Natura 2000 führte in der Vergangenheit zu heftigen Diskussionen in der Öffentlichkeit , namentlich bei den Betroffenen. Dies war Anlass, das Verfahren zu prüfen und nach alternativen Möglichkeiten zu suchen, wie die europarechtlichen Anforderungen rechtssicher erfüllt und gleichzeitig die Belange der Betroffenen umfassend berücksichtigt werden können. Eine Projektgruppe im Ministerium für Landwirtschaft und Umwelt wurde damit beauftragt, die weitere Konzeption zur Umsetzung von Natura 2000 im Land Sachsen-Anhalt zu erarbeiten und der Landesregierung die geeigneten rechtlichen Umsetzungsinstrumente vorzulegen. Diese Projektgruppe hat mittlerweile ihre Empfehlungen vorgelegt, eine Kabinettsbefassung wird demnächst erfolgen . Das Ergebnis ist abzuwarten.