Landtag von Sachsen-Anhalt Drucksache 6/3142 28.05.2014 (Ausgegeben am 28.05.2014) Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung Abgeordnete Eva von Angern (DIE LINKE) Nebentätigkeiten von Richterinnen und Richtern des Landes Sachsen-Anhalt, Öffentlichkeitsarbeit der Staatsanwaltschaften und Unabhängigkeit von Richterinnen und Richtern und Staatsanwaltschaften Kleine Anfrage - KA 6/8321 Vorbemerkung des Fragestellenden: Die Unabhängigkeit der Justiz genießt aufgrund des Artikels 97 des Grundgesetzes Verfassungsrang und ist im Hinblick auf das Vertrauen in den Rechtsstaat von erheblicher Bedeutung. Mögliche Interessenverquickungen von Richterinnen und Richtern und Staatsanwaltschaften können zu Zweifeln an der Unabhängigkeit der Justiz führen. Antwort der Landesregierung erstellt vom Ministerium für Justiz und Gleichstellung 1. Wie viele Richterinnen und Richter in Sachsen-Anhalt üben eine Neben- tätigkeit aus? Im Jahr 2013 haben 72 der insgesamt 631 in der Justiz beschäftigten Richterinnen und Richter eine genehmigte Nebentätigkeit ausgeübt. Nichtgenehmigungspflichtige Nebentätigkeiten sind von der jährlichen Berichtspflicht ausgenommen . 2. Wer genehmigt und versagt Nebentätigkeiten von Richterinnen und Rich- tern im Landesdienst? Gemäß § 25 des Landesrichtergesetzes (LRiG) i.V.m. Nr. 18.2 der AV des Ministeriums für Justiz und Gleichstellung über die Befugnisse der Personaldienststellen (PersBef-AV vom 26.01.2010, JMBl. LSA 2010 S. 23, geändert durch AV vom 11.04. 2013, JMBl. LSA 2013 S. 81) ist für Entscheidungen im Zusammenhang mit Nebentätigkeiten von Richterinnen und Richtern die Präsi- 2 dentin oder der Präsident des jeweiligen oberen Landesgerichts oder eine von ihr oder ihm bestimmte nachgeordnete Behörde zuständig. Die entsprechenden Entscheidungen zu Nebentätigkeiten der Präsidentinnen und Präsidenten der oberen Landesgerichte obliegen dem Ministerium nach Nr. 19 der PersBef-AV. 3. Wie wird sichergestellt, dass im Fall einer Nebentätigkeit von Richterinnen und Richtern im Landesdienst diese Nebentätigkeit nicht die Unparteilichkeit und Unbefangenheit der Richterinnen und Richter gefährdet und letztendlich kein Gesetzesverstoß vorliegt? Nach § 16 Abs. 1 LRiG gilt generell, dass die Ausübung von Nebentätigkeiten weder das Vertrauen in die Unabhängigkeit, Unparteilichkeit oder Unbefangenheit der Richter gefährden noch das Ansehen der Justiz oder das Wohl der Allgemeinheit beeinträchtigen darf. Zur Umsetzung dieses sich aus dem besonderen Dienst- und Treueverhältnis ergebenden Grundsatzes sieht das Landesrichtergesetz in § 17 Abs. 2 vor, dass grundsätzlich alle entgeltlichen und auch bestimmten unentgeltlichen Nebentätigkeiten erst nach einer Genehmigung ausgeübt werden dürfen. Insofern unterscheidet sich das Richterdienstrecht deutlich von den beamtenrechtlichen Regelungen. In der Folge dieser regelmäßigen Genehmigungspflicht sind folgende Möglichkeiten des Dienstherrn vorgesehen, einer Verletzung des o. g. Grundsatzes vorzubeugen bzw. entgegenzuwirken: - Gemäß § 18 Abs. 2 LRiG ist die Genehmigung für eine Nebentätigkeit über die §§ 40 oder 41 Abs. 2 des Deutschen Richtergesetzes (DRiG) hinaus ganz oder teilweise zu versagen, wenn 1. der Richter diese Tätigkeit nach den §§ 4, 39 oder 41 Abs. 1 DRiG nicht wahrnehmen darf, 2. der Richter bei ihrer Ausübung in einen Widerstreit mit seinen dienstlichen Pflichten geraten kann oder 3. durch die Nebentätigkeit die Rechtspflege oder sonstige dienstliche Interessen in anderer Weise beeinträchtigt werden könnten. Die Bestimmung des § 18 Abs. 2 Nr. 3 LRiG wird auch durch Fallgruppen in § 18 Abs. 3 und 4 LRiG noch näher konkretisiert. - Eine erteilte Genehmigung ist zu widerrufen, wenn nachträglich Umstände eintreten oder bekannt werden, die eine Versagung der Genehmigung erfordert hätten (§ 19 Abs. 1 LRiG). - Eine nach § 17 Abs. 3 LRiG nicht genehmigungspflichtige Nebentätigkeit ist gemäß § 19 Abs. 3 LRiG unter den Voraussetzungen des § 18 Abs. 2 LRiG zu untersagen. Um der zuständigen Behörde die Wahrnehmung ihrer Befugnisse zu ermöglichen, enthält § 20 LRiG umfangreiche Anzeige- und Auskunftspflichten der Richterin oder des Richters. - Falls Richterinnen oder Richter schuldhaft die ihnen im Rahmen des Nebentätigkeitsrechts obliegenden Pflichten verletzen, so begehen sie nach § 71 DRiG i.V.m. § 47 des Beamtenstatusgesetzes ein Dienstvergehen, das disziplinarisch geahndet werden kann. 3 4. Sieht die Landesregierung im Hinblick auf die Regelung in § 76 Absatz 2 Landesbeamtengesetz, welche u. a. eine Vortragstätigkeit nur untersagt, soweit die konkrete Gefahr besteht, dass bei ihrer Ausübung dienstliche Pflichten verletzt werden, evtl. Reformbedarf, um ggf. sicherzustellen, dass die Unabhängigkeit von Richterinnen und Richtern im Landesdienst nicht infrage gestellt werden kann? Nein. Die Regelung des § 76 Abs. 2 Landesbeamtengesetz betrifft ausschließlich Beamtinnen und Beamte. Die für Landesrichterinnen und -richter einschlägige Regelung findet sich in § 19 Abs. 3 Satz 3 LRiG. Aufgrund des besonderen verfassungsrechtlichen Schutzes der Freiheit von Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre (Art. 5 Abs. 3 des Grundgesetzes, Art. 10 Abs. 3 der Verfassung des Landes SachsenAnhalt ) wird auch für diese Vorschrift kein Reformbedarf gesehen. 5. Sieht die Landesregierung eine Notwendigkeit, das GVG und die StPO zu reformieren, um das Weisungsrecht gegenüber den Staatsanwaltschaften abzuschaffen? Wenn nein, warum nicht? Die Landesregierung sieht keine Notwendigkeit, das in § 146 GVG verankerte Weisungsrecht gegenüber den Staatsanwaltschaften abzuschaffen. Auch der Generalstaatsanwalt hat sich gegen eine Abschaffung des Weisungsrechts ausgesprochen. Das Weisungsrecht steht einerseits den Behördenleiterinnen und -leitern der Staatsanwaltschaften und der Generalstaatsanwaltschaft (§ 147 Nr. 3 GVG, „internes Weisungsrecht“) und andererseits der Justizministerin oder dem Justizminister (§ 147 Nr. 2 GVG, „externes Weisungsrecht“) zu. Das externe Weisungsrecht ist Spiegelbild des in der Verfassung angelegten Prinzips der parlamentarischen Verantwortlichkeit der Regierung. Es ist durch gesetzliche Regelungen hinreichend flankiert. Das geltende Recht lässt für ministerielle Weisungen gegenüber Staatsanwaltschaften nur einen schmalen Korridor: Weisungen müssen das Legalitätsprinzip (§ 152 Abs. 2 StPO) beachten und dürfen keine sachwidrigen oder gar rechtswidrigen Erwägungen enthalten. Nach § 152 Abs. 2 StPO ist die Staatsanwaltschaft verpflichtet, wegen aller verfolgbaren Straftaten einzuschreiten, sofern zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen. Im umgekehrten Fall ist sie aber auch gehindert, Ermittlungen zu führen, wenn solche Anhaltspunkte nicht gegeben sind. An diese rechtlichen Vorgaben ist das Weisungsrecht zwingend gebunden. Ferner dient das externe Weisungsrecht in Fällen allgemeiner Weisungen, bspw. der Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV), auch der Gewährleistung einer einheitlichen Rechtsanwendung. Die Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister hat sich am 14. November 2013 mit großer Mehrheit ebenfalls dagegen ausgesprochen, das externe Weisungsrecht abzuschaffen. 4 6. Sieht die Landesregierung gesetzgeberischen Klarstellungsbedarf hin- sichtlich der Verteilung der nach § 153a Absatz 1 Nummer 2 StPO zu zahlenden Bußgelder? Wenn nein, warum nicht? Die Gesetzgebungskompetenz für die Änderung des § 153a StPO liegt beim Bund. Die Bundesregierung hat insoweit auf eine gleichlautende Anfrage in der Bundestags-Drucksache 18/1027 wie folgt Stellung genommen: „Aus Sicht der Bundesregierung hat sich das System der Zuweisung von Geldauflagen in Strafverfahren im Grundsatz bewährt. Missbräuchliche Zuwendungen , hinter den persönliche Interessen stehen, dürften nach Einschätzungen aus der Praxis keine zahlenmäßig große Rolle spielen und können zudem für darin verstrickte Amtsträgerinnen und Amtsträger dienstrechtliche und ggf. auch strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Dies schließt weitere Verbesserungen, die einer missbräuchlichen Handhabung im Einzelfall entgegenwirken, nicht aus.“ Im Zuständigkeitsbereich der Staatsanwaltschaften und Gerichte des Landes hat sich das bisherige System bewährt, dass Staatsanwältinnen und Staatsanwälte sowie Richterinnen und Richter den Zuwendungsempfänger aus der für diesen Zweck beim Oberlandesgericht Naumburg geführten Liste entnehmen. Missbräuche dieses Verfahrens sind nicht bekannt geworden und würden - wie bereits in der Antwort der Bundesregierung dargelegt - zu dienstrechtlichen oder auch strafrechtlichen Konsequenzen führen. Soweit in der rechtspolitischen Diskussion in Erwägung gezogen wird, ähnlich der Verteilung der Lotterieeinnahmen aus dem Lotto-Toto-Verbund alle Geldbußen in einen Pool einzuzahlen und ein zentrales Gremium über die Verteilung der Bußgelder entscheiden zu lassen, dürften in diesem System die Nachteile gegenüber möglichen Vorteilen überwiegen. Zwar scheint diese „Poollösung “ auf den ersten Blick den Charme einer objektiven Verteilungsgerechtigkeit zu haben, jedoch wird dieses System dem Prinzip der individuellen Verfahrensbetrachtung nicht mehr gerecht. Im Gegensatz zur Verteilung der Lotterieeinnahmen dienen Geldbußen nach § 153a StPO dem Abschluss eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens, bei dem es zunächst um die Ahndung individueller Schuld gegenüber bestimmten Opfergruppen geht. Die Auswahl des konkreten Zuwendungsempfängers liefert nach Auffassung der Landesregierung einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zum Täter-Opfer-Ausgleich, indem es Gelder genau den Organisationen zuführt, die sich um Opfergruppen kümmern, zu denen das Opfer des konkreten Falles gehörte. So erscheint es wesentlich zielführender, einem gegenüber Frauen gewalttätigen Mann eine Geldbuße zugunsten des lokalen Frauenhauses oder anderer sich um diese spezifischen Opfer kümmernden Organisation aufzuerlegen, als die anonyme Verteilung dieser Gelder aus einem neutralen Topf an Organisationen, die zu diesem konkreten Fall keinerlei Bezug mehr haben. Hier scheint im Übrigen auch das größte Manko der „Poollösung“ zu liegen, weil bei einer zentralen Verteilung der Gelder der Bezug zu lokalen Institutionen verloren geht, die der zentrale „Beirat“ mangels lokalen Bezugs im Gegensatz zu den verteilenden Dezernenten vor Ort gar nicht kennt. Insoweit steht zu befürchten, dass bei einer zentralen Verteilung sogenannte „Großinstitutionen“ wie auf der gegenwärtigen 5 „Zehner-Liste“ noch mehr als bisher im Gegensatz zu lokalen Trägern bevorzugt werden. Abschließend ist auch darauf hinweisen, dass man mit einer gesetzgeberischen Regelung auch kaum die Entscheidung unabhängiger Richterinnen und Richter beeinflussen oder in einem bestimmten Sinne korrigieren könnte; eine ausschließliche Fixierung und Steuerung der Verteilung bei den Staatsanwaltschaften ist indes aus den oben genannten Gründen nicht zielführend und eher kontraproduktiv . 7. Sieht die Landesregierung die Notwendigkeit, Voraussetzungen und Grenzen der Öffentlichkeitsarbeit der Staatsanwaltschaften im Rahmen von Ermittlungsverfahren gesetzgeberisch zu normieren? Wenn nein, warum nicht? Nein. Die Voraussetzungen und Grenzen der Öffentlichkeitsarbeit der Staatsanwaltschaften sind in Sachsen-Anhalt durch bundes- und landesgesetzliche Regelungen sowie durch Richtlinien ausreichend normiert. Die Auskunft aus Strafakten ist bundesrechtlich in § 475 StPO geregelt, der auch für Auskunftserteilungen gegenüber Medien Anwendung findet (MeyerGoßner , StPO, 56. Aufl. 2013, § 475 Rn. 1). Zur Auskunftserteilung setzt § 475 StPO ein berechtigtes Interesse voraus, dem keine schutzwürdigen Interessen des Betroffenen oder sonstige gewichtige Gründe entgegenstehen dürfen (§§ 475, 477 StPO). Ausgestaltende Regelungen zu presserechtlichen Auskunftsansprüchen, die ihre verfassungsrechtliche Grundlage in Artikel 5 Abs. 1 des Grundgesetzes und Artikel 10 Abs. 1 der Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt finden, enthält das Pressegesetz für das Land Sachsen-Anhalt (Landespressegesetz). Nach § 3 Landespressegesetz erfüllt die Presse eine öffentliche Aufgabe, „wenn sie in Angelegenheiten von öffentlichem Interesse Nachrichten beschafft und verbreitet , Stellung nimmt, Kritik übt oder auf andere Weise an der Meinungsbildung mitwirkt.“ § 4 Landespressegesetz regelt Umfang und Grenzen der Auskunftsverpflichtung der Staatsanwaltschaften gegenüber Pressevertretern. Gemäß § 4 Abs. 1 Landespressegesetz sind die Behörden verpflichtet, den Vertretern der Presse die der Erfüllung ihrer Aufgabe dienenden Auskünfte zu erteilen . Nach § 4 Abs. 2 Landespressegesetz können Auskünfte verweigert werden , soweit durch sie die sachgemäße Durchführung eines schwebenden Verfahrens vereitelt, erschwert, verzögert oder gefährdet werden könnte oder ihnen Vorschriften über die Geheimhaltung entgegenstehen oder sie ein überwiegendes öffentliches oder ein schutzwürdiges privates Interesse verletzen würden oder ihr Umfang das zumutbare Maß überschreitet. Diese Grundsätze sind im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit der Staatsanwaltschaften zu beachten. Daneben enthalten auch die Richtlinien für die Zusammenarbeit der Justiz mit der Presse (AV des MJ vom 17.03.2006, JMBl. LSA S. 45) einschlägige Vorgaben, insbesondere zur erforderlichen Abwägung im Spannungsverhältnis zwischen notwendiger Öffentlichkeitsarbeit und Schutz der Persönlichkeitsrechte der Betroffenen sowie über zu beachtende Schutzpflichten bei Pressemitteilungen. 6 Schließlich verpflichtet Nr. 23 der bundeseinheitlichen RiStBV die Strafverfolgungsbehörden zur informierenden Zusammenarbeit mit den Medien. Dabei darf die Unterrichtung der Medien allerdings nicht dem Ergebnis der Hauptverhandlung vorgreifen oder das Recht des Beschuldigten auf ein faires Verfahren gefährden. Zudem hat eine vorausgehende Abwägung des öffentlichen Informationsinteresses mit den Persönlichkeitsrechten des Beschuldigten zu erfolgen . Ein über die umfangreichen Regelungen hinausgehender gesetzgeberischer Handlungsbedarf wird nicht gesehen. Die Auskunftspflicht der Staatsanwaltschaft gegenüber der Presse hat konkret umschriebene Grenzen. Pressearbeit im Ermittlungsverfahren hat vor diesem Hintergrund in jedem Einzelfall eine Abwägung unter Berücksichtigung und Würdigung aller Umstände vorzunehmen , wann welche Auskünfte erteilt werden können, ohne dass Ermittlungen gefährdet oder Persönlichkeitsrechte verletzt werden. Schulungen und Fortbildungen unterstützen die Pressesprecherinnen und Pressesprecher der Staatsanwaltschaften zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben.