Landtag von Sachsen-Anhalt Drucksache 6/3344 06.08.2014 (Ausgegeben am 07.08.2014) Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung Abgeordneter Sebastian Striegel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Politisch motivierte Kriminalität - Im Verfassungsschutzbericht aufgeführte politisch motivierte Gewaltstraftaten ohne Berücksichtigung in der Polizeilichen Kriminalstatistik Kleine Anfrage - KA 6/8408 Vorbemerkung des Fragestellenden: Politisch motivierte (Gewalt-)Straftaten sind Gegenstand polizeilicher Erfassung. Sie werden im Rahmen der Statistik zur Politisch motivierten Kriminalität (PMK) nach bundesweit einheitlichen Kriterien registriert. Die PMK-Statistik wurde am 12. März 2014 durch den Innenminister der Öffentlichkeit präsentiert. Am 20. Mai 2014 erfolgte durch den Innenminister die Vorstellung des Verfassungsschutzberichts, in dem ebenfalls Informationen zur politisch motivierten Kriminalität enthalten sind. Die Zahlen zur politisch motivierten Kriminalität sind zudem regelmäßig Gegenstand parlamentarischer Anfragen. Ausweislich der PMK-Statistik gab es im Jahr 2013 insgesamt 71 rechts motivierte Gewaltstraftaten in Sachsen-Anhalt. Diese Zahl findet sich auch in der Antwort der Landesregierung auf die Frage der Abgeordneten Quade und Striegel (Drucksache 6/3029) und im Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2013 wieder. Im Verfassungsschutzbericht des Landes für das Jahr 2013 wird jedoch auf Seite 26 auf einen Angriff vom 4. Oktober 2013 in Köthen Bezug genommen, der in der Übersicht politisch rechts motivierter Gewaltstraftaten der Polizei keine Erwähnung findet. Selbiges gilt für den auf Seite 29 des Berichts erwähnten Angriff vom 4. Juli 2013 in Magdeburg. Weiterhin erwähnt wird auf Seite 50 eine Gewaltstraftat vom 25. September 2013, bei dem in Bernburg eine Person angab, von Nazis zusammengeschlagen worden zu sein. 2 Antwort der Landesregierung erstellt vom Ministerium für Inneres und Sport Vorbemerkung: Im Verfassungsschutzbericht werden einzelne politisch rechts motivierte Straf- und Gewalttaten dargestellt, um die Öffentlichkeit exemplarisch über die Denk- und Handlungsweise von Rechtsextremisten zu informieren und insbesondere deren fremdenfeindliche oder antisemitische Motivation zu illustrieren. Um Sachverhalte in den politischen Kontext zum Phänomenbereich Rechtsextremismus einordnen zu können, werden in der Regel die Sichtweise und die Angaben der Opfer oder Anzeigenerstatter über die oftmals von unbekannten Tätern verübten Straf- und Gewalttaten wiedergegeben. Eine abschließende Einordnung der polizeilichen Ermittlungsergebnisse im Sinne der PMK-Statistik seitens des Verfassungsschutzes ist bis dahin kaum möglich, da sich diese über längere Zeiträume erstreckt. Gleichwohl soll der Informationsgehalt bis zur endgültigen Entscheidung nicht verloren gehen. 1. Warum werden die oben benannten drei Gewalttaten des Jahres 2013 zwar im Verfassungsschutzbericht als politisch rechts motiviert erwähnt, nicht aber in der Statistik der Politisch motivierten Kriminalität geführt? Die benannten drei Straftaten sind der Polizei Sachsen-Anhalts bekannt, wurden im polizeilichen Staatsschutz bearbeitet und an die zuständigen Staatsanwaltschaften abgegeben. Magdeburg, 4. Juli 2013/Bernburg, 25. September 2013 Diese beiden, im Verfassungsschutzbericht auf den Seiten 29 und 50 genannten, Straftaten (4. Juli 2013, Magdeburg und 25. September 2013, Bernburg) wurden der Verfassungsschutzbehörde über das Lagezentrum der Landesregierung im Ministerium für Inneres und Sport im Wege einer Lagemeldung bekannt. Den Lagemeldungen war zu entnehmen, dass die Straftaten zum Zeitpunkt der polizeilichen Anzeigenaufnahme als politisch motiviert eingestuft wurden. Vor diesem Hintergrund erfolgte die Aufnahme als Beispiele politisch motivierter Straf- und Gewalttaten in den Bereichen „Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner“ sowie der Darstellung der rechtsextremistischen Szene im Salzlandkreis im Verfassungsschutzbericht . Die weiterführenden polizeilichen Ermittlungen ergaben jedoch bei beiden Straftaten keine Erkenntnisse zu einer politischen Motivation und fanden daher keinen Eingang in die Statistik zur Politisch motivierten Kriminalität für das Jahr 2013. Köthen, 4. Oktober 2013 Der auf Seite 26 des Verfassungsschutzberichtes als Beispiel einer fremdenfeindlich motivierten Straftat genannte Sachverhalt (4. Oktober 2013, Köthen) ist in Bezug auf die politisch motivierte Beleidigung mit fremdenfeindlichem Hintergrund nach Abschluss der Ermittlungen zutreffend und entsprechend in der Statistik zur Politisch motivierten Kriminalität für das Jahr 2013 registriert worden. Zudem ist diese Straftat im Rahmen der Beantwortung der Kleinen Anfrage KA 6/8271, Anlage 1, Seite 40, als politisch motivierte Straftat - rechts - aufgelistet. Hingegen war der im Verfassungsschutzbericht genannte Tatbestand einer Körperverletzung nicht erfüllt. 3 2. Waren die genannten drei Gewaltstraftaten den zuständigen Polizeibehör- den des Landes bekannt? Falls ja, seit wann? Magdeburg, 4. Juli 2013 Der im Verfassungsschutzbericht, Seite 29, dargestellte Sachverhalt gelangte am 4.Juli 2013 um 21.45 Uhr dem Polizeirevier Magdeburg zur Kenntnis. Demnach soll ein Täter nach einer verbalen Auseinandersetzung den Geschädigten zu Boden geschlagen und ein zweiter Täter soll ihm ins Gesicht getreten haben. Der Geschädigte hatte augenscheinlich Schwellungen im Gesicht, verzichtete vor Ort jedoch auf eine medizinische Versorgung. Weiterhin wurde bekannt, dass der Geschädigte keine Benachrichtigung der Polizei wünschte. Zu dem Vorfall wurde eine Strafanzeige wegen des Verdachts der gefährlichen Körperverletzung gefertigt . Die weitere Bearbeitung erfolgte schließlich im Sachgebiet Staatsschutz des Revierkriminaldienstes Magdeburg. In seiner späteren Zeugenvernehmung äußerte sich der Geschädigte völlig widersprüchlich zum gesamten Tatgeschehen. So wichen sowohl die Anzahl der handelnden Personen, als auch das Tatgeschehen selbst und die einzelnen Tathandlungen gravierend von den noch bei der Anzeigenerstattung getätigten Aussagen ab. Zudem ergaben sich Widersprüche zwischen den vom Geschädigten geschilderten Gewalteinwirkungen und dem bei ihm festgestellten Verletzungsbild . Im Ergebnis der Ermittlungen bestätigte sich eine politisch motivierte Straftat nicht. Die Ermittlungsakte wurde am 30. Juli 2013 an die Staatsanwaltschaft Magdeburg übersandt. Bernburg, 25. September 2013 Der im Verfassungsschutzbericht, Seite 50, dargestellte Sachverhalt wurde am 25. September 2013, um 22:22 Uhr, vom Geschädigten dem Lage- und Führungszentrum der Polizeidirektion Sachsen-Anhalt Nord mitgeteilt. Der Geschädigte gab an, dass er in Bernburg, Höhe Flutbrücke, Große Wasserreihe durch drei unbekannte Personen zusammengeschlagen worden sein soll. Da im Zuge des ersten Angriffs eine politisch motivierte Straftat nicht ausgeschlossen werden konnte, wurde das Ermittlungsverfahren im Sachgebiet Staatsschutz des Revierkriminaldienstes Salzlandkreis bearbeitet. Die weiterführenden Ermittlungen, insbesondere die zeugenschaftliche Vernehmung des Geschädigten , ergaben jedoch keine Erkenntnisse auf eine politisch motivierte Tat. Die Ermittlungsakte wurde am 6. November 2013 an die Staatsanwaltschaft Magdeburg übergeben. Köthen, 4. Oktober 2013 Der im Verfassungsschutzbericht, Seite 26, erwähnte Vorgang, welcher sich am 4. Oktober 2013 in Köthen ereignet haben soll, stellt nach den im Revierkriminaldienst des Polizeireviers Anhalt-Bitterfeld getätigten Ermittlungen den Straftatbestand einer Beleidigung dar. Da es sich bei dem Straftatbestand der Beleidigung um keine Gewaltstraftat handelt, wurde diese Tat demzufolge als Beleidigung in die PMK-Statistik aufgenommen, nicht aber als Körperverletzung und somit nicht als Gewaltstraftat. Hierzu wird auf die Vorbemerkung verwiesen. 4 3. Hat die Verfassungsschutzbehörde des Landes der Polizei zur Aufklärung der oben genannten Straftaten Informationen/Erkenntnisse übermittelt? Falls ja, wann geschah das? Falls nein, warum nicht? Der Verfassungsschutz Sachsen-Anhalt hat keine Informationen/Erkenntnisse an die Polizei zur Verfolgung der oben genannten Straftaten übermittelt. 4. Welche rechtlichen Bestimmungen regeln die Übersendung von Informationen /Erkenntnissen der Verfassungsschutzbehörde an die zuständigen Strafverfolgungsbehörden, soweit es sich bei den Straftaten um Gewalttaten handelt? Die Übermittlung personenbezogener Daten durch die Verfassungsschutzbehörde ist in § 18 VerfSchG-LSA („Übermittlung personenbezogener Daten durch die Verfassungsschutzbehörde“), § 19 VerfSchG-LSA („Übermittlung von Informationen durch die Verfassungsschutzbehörde an Strafverfolgungs- und Sicherheitsbehörden in Angelegenheiten des Staats- und Verfassungsschutzes“), § 20 VerfSchG-LSA („Übermittlungsverbote“) sowie § 21 VerfSchG-LSA („Minderjährigenschutz “) geregelt. 5. Wird die Landesregierung eine Korrektur der Statistik zur Politisch motivierten Kriminalität für das Jahr 2013 vornehmen? Von der Landesregierung ist keine Korrektur der Statistik zur Politisch motivierten Kriminalität für das Jahr 2013 beabsichtigt. 6. Sind ähnliche Fallkonstellationen (Gewaltstraftat der Verfassungsschutzbehörde bekannt, nicht aber im System politisch motivierter Kriminalität der Polizei registriert) auch für die Vorjahre aufgefallen? Wie ist die Landesregierung mit entsprechenden Fällen in der Vergangenheit umgegangen ? Wie gedenkt die Landesregierung, mit diesen Fällen ggf. zukünftig zu verfahren? Abweichungen zwischen den im Verfassungsschutzbericht genannten Beispielen und der PMK-Statistik resultieren aus einer, auf Grundlage der Ermittlungsergebnisse , veränderten Bewertung der Strafverfolgungsbehörden zur politischen Motivation der Taten zum Zeitpunkt der Anzeigenerstattung und zum Zeitpunkt des Abschlusses der Ermittlungen. Die veränderte Beurteilung der Motivlage der Täter ist im Verlauf der Ermittlungen jederzeit hinsichtlich einer Verifizierung oder Falsifizierung der politischen Motivation möglich und kommt in der polizeilichen Praxis wiederkehrend vor. Die Aufklärung der Öffentlichkeit über verfassungsschutzrelevante Bestrebungen im Verfassungsschutzbericht erfolgt, wenn für einen bestimmten Personenzusammenschluss auf Tatsachen gestützte Anhaltspunkte vorliegen, die in der Gesamtbetrachtung dazu führen, dass dieser Personenzusammenschluss verfassungsfeindliche Ziele verfolgt. Politisch motivierte Straftaten Einzelner bieten entsprechende Indizien für die Bewertung. Auf den Nachweis einzelner Straftaten oder die Verurteilung einzelner Straftäter kommt es im Frühwarnsystem des Ver- 5 fassungsschutzes nicht an. Ergänzend wird auf die Vorbemerkung der Landesregierung verwiesen. Im Interesse der zukünftigen Vermeidung derartiger Abweichungen zwischen Verfassungsschutzbericht und PMK-Statistik ist weiterhin vorgesehen, die in den Verfassungsschutzbericht einfließenden polizeilichen Informationen zu Straftaten , im Rahmen der Endredaktion auf Aktualität zu überprüfen.