Landtag von Sachsen-Anhalt Drucksache 6/3345 06.08.2014 (Ausgegeben am 06.08.2014) Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung Abgeordnete Birke Bull (DIE LINKE) Konduktive Therapie bei infantiler Zerebralparese Kleine Anfrage - KA 6/8413 Vorbemerkung des Fragestellenden: Die konduktive Therapie bzw. Petö-Therapie gilt in Fachkreisen bei der Behandlung von infantiler Zerebralparese (massive Bewegungsstörung aufgrund einer frühkindlichen Hirnschädigung) als besonders erfolgsversprechend. Studien aus den 1990er Jahren haben dies bestätigt. Dennoch ist 2002 ein Versuch gescheitert, die Therapie in den Katalog der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) aufzunehmen. Am 29. September 2009 hatte das Bundessozialgericht indes in einem Urteil festgelegt, dass mit dieser fehlenden Anerkennung durch die GKV kein Leistungsausschluss für die Eingliederungshilfe vorliegt und die Sozialhilfeträger entsprechend verantwortlich sind (BSG 29. September 2009 - B 8 SO 19/08 R). Antwort der Landesregierung erstellt vom Ministerium für Arbeit und Soziales 1. Gab es in der Zwischenzeit neue Versuche für ein Anerkennungsverfahren bei der GKV für die konduktive Therapie? Neue Versuche für ein Anerkennungsverfahren bei der GKV für die konduktive Therapie sind der Landesregierung nicht bekannt. 2. Welche Position nimmt die Landesregierung hinsichtlich eines erneuten Anlaufs der GKV-Anerkennung für die konduktive Therapie ein? Für eine GKV-Anerkennung ist die Aufnahme der konduktiven Therapie in die Richtlinie über die Verordnung von Heilmitteln in der ärztlichen Versorgung (Heilmittelrichtlinie ) Voraussetzung. Gemäß § 92 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) ist es Aufgabe des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) als oberstes Beschluss- 2 gremium der gemeinsamen Selbstverwaltung der Ärzte, Zahnärzte, Psychotherapeuten , Krankenhäuser und Krankenkassen, Richtlinien u. a. zur Verordnung von Heilund Hilfsmitteln zu beschließen. 2013 ist ein Gutachten über die konduktive Therapie im Auftrag des G-BA erstellt worden. Im Ergebnis dessen wurde festgestellt, dass keine Notwendigkeit für die Änderung der Heilmittelrichtlinie durch Aufnahme der konduktiven Therapie besteht. Ein entsprechendes Anhörungsverfahren der betroffenen Verbände hat wie gesetzlich geregelt stattgefunden. Aus Sicht der Landesregierung liegen keine neuen Erkenntnisse vor, die eine Änderung der Richtlinie begründen . Die Landesregierung besitzt zudem kein Antragsrecht. 3. Wäre die Landesregierung bereit, sich an Kosten für eine neue Studie über die konduktive Therapie zu beteiligen bzw. weitere Kooperationspartner/innen hierfür zu suchen? Die Möglichkeit für eine Beteiligung des Landes an den Kosten für eine neue Studie über die konduktive Therapie wird im Rahmen des Haushaltsplanes 2015/2016 insbesondere im Hinblick auf die Konzentration der Landesmittel auf Pflichtaufgaben nicht gesehen. 4. Wie sieht die Praxis der Eingliederungshilfe hinsichtlich der konduktiven Therapie in Sachsen-Anhalt aus? a) Wie beurteilt die Landesregierung grundsätzlich die Möglichkeit, Familien bei der Nutzung von Angeboten konduktiver Therapie mit den Mitteln der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen zu unterstützen? Die Möglichkeiten der Unterstützung sind vorgegeben und durch die für den überörtlichen Sozialhilfeträger geltenden gesetzlichen Regelungen begrenzt. Die konduktive Therapie nach Prof. Dr. Petö wurde durch die Krankenkassen als nicht verordnungsfähiges Heilmittel eingestuft, so dass sie gem. § 54 Abs. 1 Satz 2 SGB XII nicht als Leistung der medizinischen Rehabilitation im Rahmen der Eingliederungshilfe erbracht werden kann. Eine Kostenübernahme für die konduktive Förderung als Eingliederungshilfe setzt unter anderem voraus, dass es sich bei der Leistung um eine Maßnahme der sozialen Rehabilitation handelt. Weiterhin muss im Einzelfall festgestellt worden sein, dass Aussicht darauf besteht, Ziele der Eingliederungshilfe mit der konduktiven Therapie nach Prof. Dr. Petö zu erreichen . Mögliche Ziele sind: - die Ermöglichung oder Erleichterung des Schulbesuchs im Rahmen der Hilfe zur angemessenen Schulbildung (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII i. V. m. § 12 Nr. 1 EingliederungshilfeVO), - Verbesserung der motorischen Fähigkeiten zur Erlangung eines höheren Grades an Selbständigkeit als Hilfe zum Erwerb praktischer Kenntnisse und Fähigkeiten, 3 die erforderlich und geeignet sind, behinderten Menschen die für sie erreichbare Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu sichern (§ 55 Abs. 2 Nr. 3 SGB IX), - Beseitigung oder Milderung der Folgen einer Behinderung als heilpädagogische Leistung für Kinder, die noch nicht eingeschult sind (§ 55 Abs. 2 Nr. 2 SGB IX i. V. m. § 56 SGB IX). Sind die tatbestandlichen Voraussetzungen erfüllt, besteht hinsichtlich der Eingliederungshilfeleistung für die konduktive Therapie nach Prof. Dr. Petö kein Ermessen, sondern eine Verpflichtung. Die gesetzlichen Möglichkeiten des überörtlichen Sozialhilfeträgers zur Kostentragung sind jedoch dahingehend begrenzt, dass Leistungen der Eingliederungshilfe grundsätzlich unter Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen der Hilfesuchenden und ihrer zum Unterhalt Verpflichteten gewährt werden. Daraus ergibt sich, dass ein Anspruch auf eine Eingliederungshilfeleistung, z. B. auch auf die konduktive Therapie nach Prof. Dr. Petö, nicht immer zu einer Kostenübernahme durch den überörtlichen Sozialhilfeträger führt. Neben einer Kostenübernahme erhalten Hilfesuchende bei entsprechendem Erfordernis Unterstützung durch Beratung, z. B. in Form von Adressen der Therapiezentren oder Organisationen mit Bezug zur Petö-Therapie. b) Wie viele Personen erhalten Leistungen der Eingliederungshilfe für die konduktive Therapie? Datenmaterial zur Kostenübernahme in Zuständigkeit des überörtlichen Sozialhilfeträgers Sachsen-Anhalt ist ab dem 01.01.2012 verfügbar. Im Jahr 2012 erhielten 3 Personen Leistungen der Eingliederungshilfe für eine konduktive Therapie nach Prof. Dr. Petö. Im Zeitraum 01.01.2013 bis 15.07.2014 wurden die Kosten für eine konduktive Therapie nach Prof. Dr. Petö in 4 Fällen übernommen. c) In wie vielen Fällen und aus welchen Gründen wurde die Leistungserstattung für die konduktive Therapie abgelehnt? Im Jahr 2012 wurde die Kostenübernahme für die Petö-Therapie in zwei Fällen abgelehnt . In einem Fall erfolgte die Ablehnung unter Hinzuziehung einer Stellungnahme durch den rehabilitationspädagogischen Fachdienst der Sozialagentur. Der Fachdienst stellte eine gute geistige und körperliche Entwicklung der hilfesuchenden Person fest. Eine Petö-Therapie wurde im Hinblick auf die Eingliederungshilfe neben den bereits in Anspruch genommenen Therapien (Physiotherapie nach Bobath und heilpädagogische Frühförderung) als nicht zielführend erkannt. Im zweiten Fall wurde gegen die Ablehnung der Kostenübernahme für die PetöTherapie Widerspruch eingelegt. Der Widerspruch wurde mit der Begründung zurückgewiesen , dass die Petö-Therapie in diesem Einzelfall keine Voraussetzung sei, um das Eingliederungshilfeziel der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zu verwirklichen . Die/Der Hilfesuchende legte daraufhin weitere Rechtsmittel mit dem Ziel der Übernahme der Kosten für die Petö-Therapie durch den überörtlichen Sozialhilfe- 4 träger ein. Ein Berufungsverfahren ist in diesem Zusammenhang derzeit vor dem Landessozialgericht Sachsen-Anhalt anhängig. Im Zeitraum 01.01.2013 bis 15.07.2014 wurde die Kostenübernahme für eine PetöTherapie in drei Fällen abgelehnt. In einem Fall wurde die Ablehnung damit begründet, dass der/dem Hilfesuchenden keine Leistungen der Eingliederungshilfe in Form von Hilfen zur angemessenen Schulbildung nach § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII in Verbindung mit § 12 der EingliederungshilfeVO gewährt werden, sondern Leistungen der Eingliederungshilfe in der Fördergruppe. In einem anderen Fall wurde die Ablehnung unter Berücksichtigung einer Stellungnahme des rehabilitationspädagogischen Fachdienstes der Sozialagentur mit der fehlenden Erreichbarkeit der Ziele der Eingliederungshilfe begründet (s. Antwort zu Frage Nr. 4.a). In einem dritten Fall wurden zwei Anträge abgelehnt, da vorrangige und bedarfsdeckende Leistungen der Krankenversicherung erbracht wurden. Beide Ablehnungen erfolgten unter Einbeziehung des rehabilitationspädagogischen Fachdienstes der Sozialagentur.