Landtag von Sachsen-Anhalt Drucksache 6/3407 09.09.2014 (Ausgegeben am 10.09.2014) Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung Abgeordneter Rüdiger Erben (SPD) Bindungswirkung von Gebietsänderungsverträgen (I) Kleine Anfrage - KA 6/8451 Vorbemerkung des Fragestellenden: In seinem Beschluss vom 03. Juni 2014 (Az.: 4 L 162/13) bestätigt das Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt eine Entscheidung der Vorinstanz (Verwaltungsgericht Magdeburg, Beschluss vom 25. April 2014, Az.: 2 A 286/12). Gegenstand des Verfahrens war die Bindungswirkung einer Vereinbarung in einem Gebietsänderungsvertrag , wonach sich eine Gemeinde zur Beibehaltung eines bestimmten Realsteuerhebesatzes in einem bestimmten Ortsteil für eine bestimmte Zeit verpflichtet. In ihren Entscheidungen widersprechen Verwaltungs- wie Oberverwaltungsgericht der Rechtsauffassung, welche das Ministerium für Inneres und Sport in seinen Erlassen vom 14. Oktober 2011 und 18. Dezember 2011 vertritt. Nach dem Bekanntwerden der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichtes erklärte der Staatssekretär im Ministerium für Inneres und Sport in der Ausgabe der Magdeburger Volksstimme vom 07. Juni 2014 auf die Frage nach den Konsequenzen der Entscheidung, dass man „die Begründung des Oberverwaltungsgerichtes abwarten“ wolle. Die Begründung des Beschlusses des Oberverwaltungsgerichts ist zumindest seit Mitte Juni 2014 öffentlich zugänglich. 2 Antwort der Landesregierung erstellt vom Ministerium für Inneres und Sport 1. Welche Konsequenzen erwachsen nach Ansicht der Landesregierung aus der o. g. Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts für das Handeln der Kommunalaufsichtsbehörden gegenüber Gemeinden, die in Gebietsänderungsverträgen eine solche Regelung zu den Realsteuerhebesätzen getroffen haben und sich in der Haushaltskonsolidierung befinden? Es sei vorausgeschickt, dass das Ministerium für Inneres und Sport regelmäßig Erlasse zur Erläuterung kommunalrechtlicher Regelungen herausgibt. Diese Erlasse sollen eine Hilfestellung für die Kommunen bei der Auslegung und Anwendung kommunalrechtlicher Vorschriften sein. Unbenommen ist dabei, dass andere Rechtsauffassungen vertreten werden können und auch Gerichte zu anderen Auffassungen gelangen können. Gerade im Fall von Anfragen zu neuen oder sehr speziellen Rechtsfragen sind sich MI und Kommunen dieser Tatsache sehr bewusst . Bezogen auf den hier angesprochenen Einzelfall ist Folgendes anzumerken : Ausgangspunkt der Entscheidungen des VG Magdeburg ist ein Grundsteuerbescheid für das Jahr 2012, der vom Grundeigentümer angegriffen wurde. Im Rahmen der Entscheidung des Gerichts über die Aufhebung dieses Grundsteuerbescheids hat das VG Ausführungen zur Rechtsmäßigkeit der Satzung der abgabenerhebenden Kommune vorgenommen. Dabei verwies das VG darauf, dass sich eine Beschränkung des Hebesatzrechts der Gemeinde aus § 25 Abs. 4 Satz 2 GrStG ergeben kann, der im Fall von Gebietsänderungen nach entsprechender bundesrechtlicher Gestaltung die Möglichkeit eröffnet, unterschiedliche Hebesätze festzusetzen. Liege eine solche Gestaltung vor und sind unterschiedliche Hebesätze im Gebietsänderungsvertrag wirksam festgelegt worden, so sei die Gemeinde daran für die vertraglich festgelegte Zeit gebunden - es sei denn, eine einschränkende Auslegung oder ein Recht auf Vertragsanpassung (§ 60 VwVfG) stehe dem entgegen. Diese grundsätzlichen Überlegungen sind auch Grundlage der Erlasse des Ministeriums für Inneres und Sport vom 14.10. und 18.12.2011. So bestätigt das VG die Möglichkeit der einschränkenden Auslegung und verweist darauf, dass insbesondere die Formulierung: „solange dies gesetzlich möglich ist“ als Einschränkung anzuerkennen ist. Das VG bestätigt auch die Anwendung des § 60 VwVerfG i. V. m. § 1 LVwVfG. Entscheidungserheblich sei bei dieser Prüfung auch, ob die schlechte Haushaltssituation für die Vertragsparteien bei Vertragsabschluss absehbar war bzw. dem Risikobereich eines Vertragspartners zugeordnet worden war. In einem solchen Fall sei ein Festhalten an den vertraglichen Vereinbarungen erst dann nicht mehr zuzumuten, „wenn sich die haushaltsrechtlichen Verhältnisse derart verschlechtern, dass ein Gestaltungsspielraum hinsichtlich der Frage, wie der gesetzlich vorgegebene Haushaltsausgleich angestrebt und erreicht werden soll, nicht mehr besteht, sich also aus dem allgemeinen Haushaltsgrundsatz ein konkretes Handlungsgebot ergibt.“ Das VG stellt damit primär auf die tatsächliche Vorstellung der Vertragsparteien ab, die eine Verschlechterung der finanziellen Situation der neuen Gemeinde im 3 Einzelfall auch als unerheblich angesehen oder einen Vertragsteil als Risiko aufgebürdet haben können. Diese Differenzierung ist in den Erlassen nicht entsprechend aufgegriffen worden. Das OVG hat die Berufung gegen das Urteil des VG Magdeburg nicht zugelassen, so dass die VG-Entscheidung zwischenzeitlich rechtskräftig ist. Auch wenn es sich um die Entscheidung eines Einzelfalls handelt und die Bindungswirkung auf den Einzelfall beschränkt ist, sind die Ausführungen des VG beim kommunalen Verwaltungshandeln zu berücksichtigen. 2. Wird das Ministerium für Inneres und Sport seine in den o.g. Erlassen vom 14. Oktober und 18. Dezember 2011 vertretene Rechtsauffassung korrigieren ? 3. Wurden die Erlasse vom 14. Oktober und 18. Dezember 2011 bereits geän- dert bzw. aufgehoben? Wenn nein, wann ist mit einer Änderung bzw. Aufhebung zu rechnen? zu 2. und 3. Es geht vorliegend nicht darum, eine Rechtsauffassung zu korrigieren, sondern darum, der kommunalen Ebene ein möglichst rechtssicheres Verwaltungshandeln zu ermöglichen. Das Ministerium für Inneres und Sport wird auf die differenzierte Rechtsprechung des VG Magdeburg in dieser Sache hinweisen und eine dieser Rechtsprechung genügende Prüfung des Einzelfalls empfehlen. 4. In der jüngeren Vergangenheit wurde die Gewährung von Liquiditätshilfen aus dem Landesausgleichsstock an Gemeinden, die in Gebietsänderungsverträgen eine solche Regelung zu den Realsteuerhebesätzen getroffen haben , davon abhängig gemacht, dass die Gemeinde eine Erhöhung der Realsteuerhebesätze , entgegen einer anderslautenden Regelung im Gebietsänderungsvertrag , vornimmt. Wird die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts zu einer Änderung der Bewilligungsvoraussetzungen von Liquiditätshilfen aus dem Landesausgleichsstock führen? Nein, die Bewilligung von Liquiditätshilfen ist weiterhin daran geknüpft, dass die Kommune alle verfügbaren Möglichkeiten zur Erhöhung ihrer Einnahmen sowie auch alle Möglichkeiten zur Reduzierung von Ausgaben nutzt. In Abstimmung zwischen MI und MF unter Bezugnahme auf die unter Punkt 2. genannten Erlasse, wurde im Runderlass zur Gewährung von Bedarfszuweisungen und Liquiditätshilfen aus dem Ausgleichsstock festgelegt, dass Kommunen, die einen Antrag nach § 17 FAG stellen für die Grundsteuer A und B einen Hebesatz von mindestens 100 Prozentpunkten über dem gewichteten Durchschnittshebesatz der jeweiligen Gemeindegrößenklasse und für die Gewerbesteuer einen Hebesatz von mindestens 50 Prozentpunkten über dem gewichteten Durchschnittshebesatz der jeweiligen Gemeindegrößenklasse erheben.