Landtag von Sachsen-Anhalt Drucksache 6/3477 07.10.2014 (Ausgegeben am 08.10.2014) Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung Abgeordnete Henriette Quade (DIE LINKE) Straf- und Gewalttaten unter Bezugnahme auf den „Nationalsozialistischen Untergrund “ (NSU) seit 4. November 2011 Kleine Anfrage - KA 6/8476 Vorbemerkung des Fragestellenden: In Teilen der neonazistischen Szene werden die rassistisch motivierte Mord- und Bombenanschlagsserie des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) verherrlicht und die Angeklagten im NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München als Neonazi -Bewegungs-Idole gefeiert. Immer wieder beziehen sich rechte und rassistische Straf- und Gewalttäter auch explizit auf die Mordserie des NSU an neun migrantischen Kleinunternehmern oder auf den „Nationalsozialistischen Untergrund“ als neonazistische Terrororganisation. So wurde beispielsweise am 25. Februar 2012 in Mücheln (Sachsen-Anhalt) der Betreiber eines türkischen Imbisses laut Anklage der Staatsanwaltschaft Halle mutmaßlich von mehreren Männern im Alter von 21 bis 56 Jahren angegriffen. Die Männer sollen nach Ansicht der Staatsanwaltschaft aus „fremdenfeindlichen Motiven“ gehandelt und den Imbissbetreiber mit Hinweis auf die NSU-Mordserie bedroht, geschlagen und getreten haben. (vgl. MDR Info „Mücheln Urteil: Staatsanwaltschaft legt Berufung ein“ vom 2. Dezember 2013, http://www.mdr.de/nachrichten/rechtsmittelgegen -urteil-eingelegt100_zc-a9d57e_zs-6c4417e7.html) Wörtlich soll einer der Angreifer dem Imbissbetreiber damit gedroht haben, wenn er den Laden nicht bis „zu Führers Geburtstag“ geschlossen habe, werde er brennen und der Elfte sein, der in der Zeitung stehe. (vgl. informationen der Mobilen Opferberatung Nr. 44/2013, „Freisprüche nach Überfall auf Imbissbetreiber in Mücheln“, http://www.mobileopferberatung .de/doc/ news/informationen_44.pdf) In erster Instanz hatte das Amtsgericht Merseburg drei Angeklagte aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Nachdem die Staatsanwaltschaft Halle Rechtsmittel gegen die Freisprüche eingelegt hat, beginnt am 9. September 2014 am Landgericht Halle/S. der Berufungsprozess. Andernorts zeigen Neonazis ihre Sympathie für den NSU, indem sie Gedenksteine schänden oder Gedenkveranstaltungen für die Opfer der rassistischen Mordserie angreifen. Wie beispielsweise in Rostock: Während einer Gedenkveranstaltung für den im Februar 2004 in Rostock (Mecklenburg-Vorpommern) vom NSU ermordeten 2 Mehmet Turgut versuchten am 26. Februar 2012 zwei bis drei Dutzend vermummte und bewaffnete Neonazis und NPD-Aktivisten die Teilnehmer und Teilnehmerinnen des Gedenkens anzugreifen. Dabei verletzten die Angreifer u. a. einen Polizisten mit einer Eisenstange (vgl.,http://www.abendblatt.de/hamburg/ polizeimeldungen /article2197953/Rechte-Attacke-auf-Polizei-bei-Gedenken-an-NSU-Opfer.html). Auch RechtsRock-Bands wie die thüringische Neonaziband „SKD“ (Sonderkommando Dirlewanger) agieren offensiv. So heißt es u. a. in dem Lied „Nationale Solidarität“ von S.K.D. auf dem Sampler „Solidarität IV“, die von dem neonazistischen PC Records produziert wurde: „Freiheit für Wolle fordern wir. Egal wohin der Weg auch geht. Drinnen und draußen eine Front - Solidarität.“ (vgl. Fehler! HyperlinkReferenz ungültig.) Mit „Wolle“ bezeichnen Neonazis den am OLG München wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung Angeklagten Ralf Wohlleben. Und nicht zuletzt kommt es bei Regionalliga-Spielen durch extrem rechte Zuschauer immer wieder zu öffentlichen „NSU“-Solidaritätsbekundungen. Wie beispielsweise einem Auswärts-Fußballspiel von 1. FC Lokomotive Leipzig gegen den SV Babelsberg am 3. August 2013 in Potsdam-Babelsberg. Dort fielen Anhänger des 1. FC Lokomotive Leipzig unter anderem durch „NSU, NSU“-Rufe sowie „Beate Zschäpe, werd meine Braut“ auf (vgl. „Raus aus der Sonne – ihr seid braun genug“, gamma - antifaschistischer Newsflyer für Leipzig und Umgebung vom 8. August 2013, http://gamma.noblogs.org/ ). Hinzu kommen Sachbeschädigungen oder Propagandadelikte an Immobilien, die Migrantinnen und Migranten zugeordnet werden. So wurde beispielsweise in der Nacht zum 18. Mai 2013 der Eingang der Islamischen Gemeinde in Düren mit folgenden Worten beschmiert: „NSU lebt weiter und ihr werdet die nächsten Opfer sein!!!“ (http://www.ditib-nord.de/content/unfassbare-moschee-%C3%BCbergriffe- %E2%80%9Ensu-lebt-weiter-und-ihr-werdet-die-n%C3%A4chsten-opfersein %E2%80%9C). Aber auch die Frage von möglichen Nachahmungstätern steht im Raum. So fanden Polizeibeamte am 3. Juni 2014 - eine knappe Woche vor dem zehnten Jahrestag des NSU-Bombenanschlags in der Kölner Keupstraße - in der Wohnung eines durch einschlägige rechtsextreme Straftaten bekannten 33-jährigen Mannes aus Gerolstein (Rheinland-Pfalz) eine hochgefährliche Nagelbombe. (vgl. „ Nagelbombe in Gerolstein entdeckt“, Rheinische Post vom 18. Juni 2014 http://www.rponline .de/panorama/ deutschland/nagelbombe-in-gerolstein-entdeckt-aid- 1.4324756). Antwort der Landesregierung erstellt vom Ministerium für Inneres und Sport Namens der Landesregierung beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Vorbemerkung: Für das Land Sachsen-Anhalt werden dem Landeskriminalamt Sachsen-Anhalt (LKA) über den Kriminalpolizeilichen Meldedienst - Politisch motivierte Kriminalität (KPMD-PMK) alle Straftaten gemeldet, die von den zuständigen Polizeibehörden des Landes als politisch motiviert eingestuft werden. Im Rahmen des KPMD-PMK existiert kein eigenständiges Themenfeld „Nationalsozialistischer Untergrund“. Dem entsprechend wurde durch das LKA Sachsen-Anhalt für die Beantwortung der Kleinen Anfrage eine Freitextrecherche nach dem Begriff „Nationalsozialistischer Untergrund“ 3 und der Abkürzung „NSU“ sowie weiteren Begrifflichkeiten, welche mit dem „Nationalsozialistischen Untergrund“ im Zusammenhang stehen, durchgeführt. Die Recherche erhebt allerdings keinen Anspruch auf Vollständigkeit, da die für die Recherche herangezogenen Suchbegriffe möglicherweise nicht allumfassend sind. 1. Wie viele Straftaten sind der Landesregierung und/oder dem „Gemeinsa- men Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrums“ (GETZ) seit dem 4. November 2011 und damit dem breiten öffentlichen Bekanntwerden der Existenz „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) bekannt geworden, bei denen die mutmaßlichen Täter und Täterinnen auf den „Nationalsozialistischen Untergrund“ und/oder auf die rassistische Mordserie an neun migrantischen Kleinunternehmern Bezug nehmen? Bitte aufschlüsseln nach Tatort, Tatdatum, Delikt. Im Zuge der Abfrage polizeilicher Datensysteme wurden zwölf auf den Fragekomplex zutreffende Straftaten verifiziert, die Bezug auf die Thematik „Nationalsozialistischer Untergrund“ genommen haben. Diese sind nachfolgend dargestellt : 1. 39114 Magdeburg, Heinrich-Heine-Platz, 14./15.11.2011, § 130 StGB, Volksverhetzung 2. 06366 Köthen, Heinrich-Heine-Straße, 23./24.11.2011, § 86a StGB, Ver- wenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen 3. 06366 Köthen, Hallesche Straße, 24.11.2011, § 303 StGB, Sachbeschä- digung 4. 06456 Arnstein, Bergstraße, 21.12.2011 - 02.01.2012, § 86a StGB, Ver- wenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen 5. 06526 Sangerhausen, Kylische Straße, 23.02.2012, § 86a StGB, Verwen- den von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen 6. 06249 Mücheln (Geiseltal), Bürgermeister-Fritsch-Str. 7 a, 25.02.2012, § 224 StGB, Gefährliche Körperverletzung 7. 06249 Mücheln (Geiseltal), Hafenstraße, 30.01.2013, § 86a StGB, Ver- wenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen 8. 38855 Wernigerode, 27.05.2013, § 130 StGB, Volksverhetzung 9. 39539 Havelberg, Uferstraße, 02.08.-05.08.2013, § 86a StGB, Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen 10. 39114 Magdeburg, Turmschanzenstr. 25, 26.03.2014, § 241 StGB, Be- drohung 11. 39288 Burg, Conrad-Tack-Ring 23 - 34, 16./17.05.2014, § 303 StGB, Sachbeschädigung 12. 06108 Halle (Saale), Marktplatz, 11.08.2014, § 86a StGB, Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen 2. In wie vielen der Landesregierung und/oder dem GETZ bekannt geworde- nen Straftaten, bei denen die mutmaßlichen Täter und Täterinnen auf den „Nationalsozialistischen Untergrund“ und/oder auf die rassistische Mordserie an neun migrantischen Kleinunternehmern Bezug nehmen, handelt es sich um Gewalttaten? Bitte aufschlüsseln nach Tatort, Tatdatum, Delikt . 4 Bei einem Sachverhalt (siehe Antwort zu Frage 1., lfd.-Nr. 6) liegt der Tathandlung eine Gewalttat zugrunde. 3. In wie vielen der Landesregierung und/oder dem GETZ bekannt geworde- nen Straftaten, bei denen die mutmaßlichen Täter und Täterinnen auf den „Nationalsozialistischen Untergrund“ und/oder auf die rassistische Mordserie an neun migrantischen Kleinunternehmern Bezug nehmen, ist es bislang zu einer Verurteilung von Tatbeteiligten gekommen? Bitte aufschlüsseln nach Tatort, Tatdatum, Urteil, zuständiges Gericht. Bislang ist es bei einem Vorfall (siehe Antwort zu Frage 1., lfd.-Nr. 6) zu einer Verurteilung gekommen. Gegen den zum Tatzeitpunkt heranwachsenden Angeklagten wurde wegen Sachbeschädigung in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung ein Jugendarrest in Form von zwei Freizeitarresten, verhandelt am Amtsgericht - Jugendschöffengericht - Merseburg, verhängt. Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Ein polizeiliches Ermittlungsverfahren wegen Volksverhetzung (siehe Antwort zu Frage 1, lfd.-Nr. 8) wurde zuständigkeitshalber an das Polizeipräsidium München abgegeben. Der Ausgang des Verfahrens ist hier nicht bekannt. In einem anderen Ermittlungsverfahren (siehe Antwort zu Frage 1., lfd.-Nr. 10) wurde ein Tatverdächtiger ermittelt. Der Vorgang befindet sich bei der zuständigen Staatsanwaltschaft, die Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen. 4. In wie vielen der Landesregierung und/oder GETZ bekannt gewordenen Straftaten, bei denen die mutmaßlichen Täter und Täterinnen auf den „Nationalsozialistischen Untergrund“ und/oder auf die rassistische Mordserie an neun migrantischen Kleinunternehmern Bezug nehmen, ist es bislang zu Freisprüchen von Angeklagten gekommen? Bitte aufschlüsseln nach Tatort, Tatdatum, Urteil, zuständiges Gericht. Im Zusammenhang mit der Straftat vom 25.02.2012 in Mücheln (siehe Antwort zu Frage 1., lfd.-Nr. 6) wurden auch zwei Erwachsene mitangeklagt. Beide wurden vom Tatvorwurf der gefährlichen Körperverletzung und Sachbeschädigung durch das Amtsgericht Merseburg freigesprochen. Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Zu den folgenden Straftaten konnten bisher keine Täter ermittelt werden, die Strafverfahren wurden vorläufig eingestellt. 1. 39114 Magdeburg, Heinrich-Heine-Platz, 14./15.11.2011 (siehe Antwort zu Frage 1., lfd.-Nr. 1) 2. 06366 Köthen, Heinrich-Heine-Straße, 23./24.11.2011 (siehe Antwort zu Frage 1., lfd.-Nr. 2) 3. 06366 Köthen, Hallesche Straße, 24.11.2011 (siehe Antwort zu Frage 1., lfd.-Nr. 3) 4. 06456 Arnstein, Bergstraße, 21.12.2011 - 02.01.2012 (siehe Antwort zu Frage 1., lfd.-Nr. 4) 5. 06526 Sangerhausen, Kylische Straße, 23.02.2012 (siehe Antwort zu Fra- ge 1., lfd.-Nr. 5) 5 6. 06249 Mücheln (Geiseltal), Hafenstraße, 30.01.2013 (siehe Antwort zu Frage 1., lfd.-Nr. 7) 7. 39539 Havelberg, Uferstraße, 02.08.-05.08.2013 (siehe Antwort zu Frage 1., lfd.-Nr. 9) 8. 39288 Burg, Conrad-Tack-Ring 23 - 34, 16./17.05.2014 (siehe Antwort zu Frage 1., lfd.-Nr. 11) 9. 06108 Halle (Saale), Marktplatz, 11.08.2014 (siehe Antwort zu Frage 1., lfd.-Nr. 12) 5. In wie vielen der Landesregierung und/oder dem GETZ bekannt geworde- nen Straftaten, bei denen die mutmaßlichen Täter und Täterinnen auf den „Nationalsozialistischen Untergrund“ und/oder auf die rassistische Mordserie an neun migrantischen Kleinunternehmern Bezug nehmen, haben Staatsanwaltschaften nach Kenntnis der Landesregierung Ermittlungsverfahren wegen Werbung für eine terroristische Vereinigung nach § 129a Abs. 5 Satz 2 StGB eingeleitet? Bitte aufschlüsseln nach Tatort, Tatdatum, zuständiger Staatsanwaltschaft. Bislang wurden keine Ermittlungsverfahren nach § 129 a Abs. 5 Satz 2 StGB, wegen Werbens für eine terroristische Vereinigung, eingeleitet. 6. Inwieweit ist das GETZ mit Straf- und Gewalttaten befasst, bei denen sich die Täter und Täterinnen auf die Mordserie des NSU und den NSU beziehen ? Im Gemeinsamen Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum (GETZ) von Bund und Ländern, ist das Land Sachsen-Anhalt ebenfalls mit Verbindungsbeamten vertreten. Ein Teilbereich des GETZ ist das Gemeinsame Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus/-terrorismus (GAR). Auf die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Martina Renner, Petra Pau, Sevim Dagdelen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE (Drucksache 18/2031, Antwort zu Frage 6) wird hiermit verwiesen. 7. In wie vielen Fällen haben Sicherheitsbehörden des Landes bei Rechts- extremistinnen und Rechtsextremisten seit dem 1. Januar 2012 Waffen, Sprengstoffe, Sprengkörper und Hinweise auf Planungen und Durchführungen von Wehrsportübungen gefunden sowie Hinweise feststellen können , dass sich diese Personen ausdrücklich auf die rassistisch motivierte Mordserie und Bombenanschläge des NSU beziehen? Bitte einzeln auflisten . Der Landesregierung ist im relevanten Zeitraum kein Fall im Sinne der Fragestellung bekannt geworden. 8. In wie vielen Fällen haben Sicherheitsbehörden des Landes bei Rechts- extremistinnen und Rechtsextremisten seit dem 1. Januar 2012 feststellen können, dass diese Personen in Netzwerken und Gruppierungen operieren bzw. neue Netzwerke und Gruppierungen bilden, und dass sie sich 6 dabei positiv auf die rassistisch motivierte Mordserie und Bombenanschläge des NSU beziehen? Bitte einzeln auflisten. Der Landesregierung liegen keine Erkenntnisse im Sinne der Fragestellung vor. 9. In wie vielen Fällen haben Sicherheitsbehörden des Landes bei rechtsex- tremen, rassistischen Netzwerken und Gruppierungen mit internationalen Beziehungen feststellen können, dass diese sich positiv auf die rassistisch motivierte Mordserie und Bombenanschläge des NSU beziehen? Bitte einzeln auflisten. Der Landesregierung ist kein derartiger Fall bekannt.