Landtag von Sachsen-Anhalt Drucksache 6/3581 06.11.2014 (Ausgegeben am 06.11.2014) Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung Abgeordneter Dietmar Weihrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Bibervorkommen in Sachsen-Anhalt Kleine Anfrage - KA 6/8505 Vorbemerkung des Fragestellenden: Der Elbebiber (Castor fiber albicus) galt gegen Mitte des 20. Jahrhunderts als beinahe ausgestorben. Erhebliche Schutzmaßnahmen und die Unterschutzstellung des Elbebibers selbst führten zu einer Erholung der Bestände. In Sachsen-Anhalt schätzt man derzeit etwa 2500 Biber. Geeignete und besiedelte Lebensräume befinden sich in den Einzugsgebieten der Flüsse Elbe, Saale, Mulde und Havel. Als günstig wird der Erhaltungszustand eines Lebensraumtyps bzw. einer Art angesehen, wenn u. a. das natürliche Verbreitungsgebiet weder ab- noch zunimmt. Im Allgemeinen wird bei der Populationsentwicklung des Elbebibers von einer Stagnation auf einem Niveau von etwa 2500 Tieren gesprochen. Die Biber besiedeln die für sie geeigneten und gemäß der FFH-Richtlinie adäquaten und vorgesehenen Lebensräume. Antwort der Landesregierung erstellt vom Ministerium für Landwirtschaft und Umwelt 1. Wie hoch ist der Bestand des Bibers in Sachsen-Anhalt und in Deutsch- land derzeit? Bitte auch die Entwicklung der letzten 10 Jahre in Jahresscheiben als Diagramm oder Tabelle darstellen. Befindet sich die Population des Bibers in Sachsen-Anhalt und bundesweit in einem günstigen Erhaltungszustand im Sinne der FFH-Richtlinie? Der sich in einem günstigen Erhaltungszustand befindende Biberbestand wird in Sachsen-Anhalt (Stand 2011) auf ca. 3.000 bis 3.300 Tiere geschätzt. Diese siedeln in ca. 1.200 Revieren, wobei 950 bis 1.000 Reviere konstant besetzt sind. Eine kontinuierliche jährliche Bestandserhebung wird in Sachsen-Anhalt nicht vorgenommen. Es liegen lediglich Schätzungen und Hochrechnungen vor, die 2 im Wesentlichen aus den Erfassungen der ehrenamtlichen Biberbetreuer stammen. Eine tabellarische Darstellung der Bestandsentwicklung ist daher mit entsprechenden Unschärfen behaftet. Abb. 1: Geschätzte Entwicklung des Biberbestandes in Sachsen-Anhalt von1972 bis 2011 (Quelle: Arbeitskreis Biberschutz und Landesreferenzstelle für Biberschutz). Ab 2010 war ein Wechsel der Auswertungsmethodik erforderlich. Der Biberbestand in Deutschland dürfte sich auf ca. 30.000 Tiere belaufen, wobei darin nicht nur die Unterart Elbe-Biber (Castor fiber albicus) sondern weitere Unterarten (z. B. Rhone-Biber, Woronesz-Biber) enthalten sind. Sein Erhaltungszustand wird für die atlantische und für die kontinentale Region als günstig bewertet. 2. Welche Zielkonflikte mit den artenschutzrechtlichen Bestimmungen der FFH-Richtlinie und des Bundesnaturschutzgesetzes existieren bei der Durchsetzung von Maßnahmen zur Begrenzung der Biber-Populationen? Bitte begründen. Der Europäische Biber (Castor fiber) unterliegt mit Ausnahme der finnischen und schwedischen Population den Anhängen II und IV der FFH-Richtlinie. Daraus resultiert, dass sowohl Schutzgebiete auszuweisen als auch Schutzmaßnahmen auf der gesamten Fläche anzuwenden sind, die den Fortbestand oder das Erreichen eines günstigen Erhaltungszustandes gewährleisten. Alle rechtlich möglichen Maßnahmen der Einflussnahme müssen sich an diesen Kriterien 3 und den Artenschutzbestimmungen der Artikel 12 bis 16 der FFH-Richtlinie i. V. m. § 45 Abs. 7 Bundesnaturschutzgesetz orientieren. Eingriffe in Teile der Population stehen unter dem Vorbehalt, dass es keine anderweitige zufriedenstellende Lösung gibt (Artikel 16 Abs. 1 FFH-RL). Dies erfordert zur Konfliktbeseitigung oder -minimierung in der Regel eine Einzelfallprüfung der bestehenden Verhältnisse. Bei Biberansiedlungen sind angesichts der Jungenaufzucht über einen Zeitraum von einem Jahr zudem die tierschutzrechtlichen Aspekte maßgebend. Weiterhin sind die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes zu berücksichtigen . In den ergangenen Urteilen wurde ausdrücklich darauf verwiesen, dass es weder zulässig ist, bestimmte Bereiche des Vorkommensgebietes vom Schutz einer Art abzukoppeln noch eine Verschlechterung des Erhaltungszustandes herbeizuführen. Rechtlich mögliche Einflussnahmen scheitern bei einem günstigen Erhaltungszustand , wie er in Sachsen-Anhalt vorhanden ist, in der Regel an den populationsökologischen Gesetzmäßigkeiten, die zu einer unmittelbaren Besiedlung frei werdender Reviere infolge des bestehenden Populationsdrucks führen. 3. Hat die Landesregierung Mittel zur Förderung von Biber-Populationen ausgegeben? Wenn ja, wie hoch waren diese Mittel und für welche Projekte wurden sie verwendet? Eine gezielte Förderung von Biber-Populationen mit dem Ziel der Populationsstärkung oder -vergrößerung erfolgte nicht. Im Rahmen des Modellprojektes zum Schutz und Management des Elbebibers im Landkreis Wittenberg war die gezielte Anlage von Weichholzpflanzungen (Weideninitialpflanzung Rehkolk Apollensdorf) enthalten. Diese hatten das Ziel, die Bibereinflüsse in unmittelbarer Gewässernähe zu halten, um so einen Übergriff auf Nutzflächen zu verhindern. 4. Welche Mittel hat die Landesregierung aufgewendet für präventive Maß- nahmen, um Schäden durch Biber zu verhindern? Die Landesregierung realisiert über die in der Biosphärenreservatsverwaltung Mittelelbe eingerichtete Landesreferenzstelle Biberschutz eine Beratung Betroffener zur Prävention und Präventionsvorsorge. Im Wesentlichen erfolgt dies unter Einbeziehung der jeweiligen Landkreise, die in bestimmten Fällen auch Präventionsmaßnahmen direkt unterstützen (z. B. im Bördekreis und in der Stadt Magdeburg durch Bereitstellung von Drainagerohren oder Drahtgeflecht im Wert von wenigen tausend Euro in den letzten Jahren). Eine direkte Finanzierung präventiver Maßnahmen durch die Landesregierung erfolgte nicht. 4 5. Wurden der Landesregierung in den letzten 3 Jahren Schäden an Hochwasserschutzanlagen in Sachsen-Anhalt bekannt, die auf den Biber zurückzuführen sind? Welche Kosten etwa für die Reparatur sind dadurch entstanden und wo traten die Schäden hauptsächlich auf? Schäden treten an Deichanlagen durch Biber regelmäßig auf, bleiben aber im überschaubaren Rahmen. Sie entstehen fast ausschließlich durch Grabungsaktivitäten bzw. Anlage von Bauen im Deichfußbereich an Deichabschnitten, welche direkt an Gewässerflächen (in der Regel Altarmbereiche) angrenzen. Die Schäden müssen kurzfristig beseitigt werden. Die dafür eingesetzten Mittel betrugen 2011: 105.000 €, 2012: 108.000 € und 2013: 101.000 €. Schwerpunkte sind insbesondere das Gebiet des Flussbereiches Wittenberg sowie die Elbdeiche Schönhausen, Scharlibbe und Schönfeld. 6. Wurden der Landesregierung in den letzten 3 Jahren Schäden an Ver- kehrswegen, Gewässern (sowohl künstliche als auch natürliche) und landbzw . forstwirtschaftlichen Flächen in Sachsen-Anhalt bekannt, die auf den Biber zurückzuführen sind? Welche Kosten etwa für Reparaturarbeiten sind dadurch entstanden und wo traten die Schäden hauptsächlich auf? Zu beziffernde Schäden betreffen in erster Linie Schäden an Gewässern. Von den Unterhaltungsverbänden wurden nachfolgende Kosten für die Beseitigung von Schäden infolge Biberaktivitäten an den Gewässern 2. Ordnung mitgeteilt: Unterhaltungsverband 2011 2012 2013 Taube-Landgraben 8.000 9.500 11.300 Nuthe/Rossel ~ 20.000 ~ 23.000 ~ 25.000 Obere Ohre 34.390 39.480 56.870 Aller ~ 500 2.300 4.800 Untere Ohre 6.200 4.800 4.900 Ehle/Ihle ~ 50.000 ~ 40.000 ~ 60.000 Stremme/Fiener Bruch ~ 20.000 ~ 25.000 ~ 35.000 bis 40.000 Elbaue 5.000 6.200 6.500 Westl. Fuhne/Ziethe ~ 5.000 ~ 6.000 ~ 7.500 Seege/Aland 326 326 326 Tanger 3.820 7.569 23.093 Trübengraben ~ 12.000 bis 15.000 ~ 12.000 bis 15.000 weniger auf- grund Hochwasser 2013 (124 Biberbaue) Fläming-Elbaue 13.750 14.155 18.605 Mulde 17.400 18.600 19.100 Der Unterhaltungsverband „Obere Ohre“ beobachtet einen deutlichen Anstieg abflussbeeinträchtigender Biberdämme in den Gewässern des Drömlings. Damit verbunden ist der sprunghafte Anstieg der Kosten für die Schadensbeseitigung . Für das Jahr 2014 werden Kosten in der Größenordnung von 2013 erwartet . Eine ähnliche Entwicklung ist im Nachbarverband „Aller“ und im Gebiet des Unterhaltungsverbandes „Tanger“ zu verzeichnen. 5 An den Gewässern der 1. Ordnung treten durch Biberaktivitäten ebenfalls Schäden auf. Hier handelt es sich vorrangig um Böschungseinbrüche durch Biberbaue . In der Regel erfolgt nur ein Verbau der Böschung, wenn eine Gefährdung von Bauwerken o. ä. besteht. In der freien Landschaft sind meistens keine baulichen Aktivitäten durch den LHW zur Schadensbeseitigung erforderlich. Die Aufwendungen sind gegenüber den Aufwendungen an Deichen deutlich geringer . Die Kosten belaufen sich auf ca. 30.000 € jährlich. Schwerpunkte sind an Ihle, Schlagenthiner Stremme, Hauptstremme, Trübengraben und TucheimParchener Bach zu verzeichnen. Soweit Schäden vereinzelt Verkehrswege berühren (z. B. im Drömling), betreffen diese den landwirtschaftlichen Wegebau. Über die Schadenshöhe liegen keine Angaben vor. Durch Biber im Landwirtschafts- und Forstbereich verursachte Schäden resultieren überwiegend aus Vernässungen. Eine umgehende Schadensbehebung wird durch die Erteilung von Befreiungen angestrebt. Über auftretende Schadenshöhen liegen keine Informationen vor. 7. Existieren bereits konkretere Vorstellungen zu EU-Förderprogrammen zur Prävention gegen Biberschäden als noch in der Beschlussrealisierung Drs. 6/3165? Wenn ja, bitte, so konkret wie möglich, angeben. Das EPLR für die Förderperiode bis 2020 wurde bei der Europäischen Kommission eingereicht. Jedoch ist das Genehmigungsverfahren noch nicht abgeschlossen , sodass die auch für den Artenschutz formulierten Maßnahmen noch nicht als bestätigt anzusehen sind:  Gefördert werden Vorhaben für den Artenschutz und das Artenmanagement in Natura 2000-Gebieten und sonstigen Gebieten mit hohem Naturschutzwert . Sie umfassen praktische Maßnahmen zum Schutz und zum Erhalt der in diesen Gebieten vorkommenden Arten. Es sind vordringlich Arten zu berücksichtigen , für die das Land Sachsen-Anhalt eine besondere Verantwortung zum Erhalt und zum Schutz trägt bzw. deren Vorkommen in SachsenAnhalt hervorgehoben zu bewerten sind.  Gefördert werden auch Maßnahmen zur Förderung des Umweltbewusst- seins, die im Zusammenhang mit der biologischen Vielfalt, Gebieten mit hohem Naturschutzwert oder dem Schutzgebietssystem Natura 2000 stehen. Damit sind Aufklärung, Populationsschutzmaßnahmen sowie Maßnahmen zur Vermeidung von Schäden im Rahmen des speziellen Artenmanagements möglich . 8. Gibt es bereits Pläne zur Anpflanzung von Weichholz, um den Bibern die Nahrungsaufnahme zu erleichtern und Schäden an anderen Gehölzen zu verhindern? Wenn ja, wo? Wenn nein, wann ist mit Plänen zu rechnen? Gemäß der im Natur- und Artenschutz bestehenden Zuständigkeit sind die Landkreise die für die Umsetzung solcher Maßnahmen maßgebliche Behörde. 6 Das Land bietet über das Förderinstrument des ELER Möglichkeiten, Artenschutzprojekte einschließlich Öffentlichkeitsarbeit und praktische Maßnahmen für den Biber zu entwickeln. Davon haben bislang der Landkreis Wittenberg, der Verein Dübener Heide e. V. sowie die Biosphärenreservatsverwaltung Mittelelbe Gebrauch gemacht. Im Altmarkkreis Stendal werden Weichholzanpflanzungen im Rahmen von Ausgleichs - und Ersatzmaßnahmen realisiert. Der Landkreis Wittenberg legte Weichholzanpflanzungen im Rahmen der Umsetzung des Modellprojektes zum Schutz und Management des Elbebibers an. Darüber hinaus gibt es anfängliche Planungen in der kreisfreien Stadt Dessau-Roßlau. Die zusätzliche Anlage von Weichholzanpflanzungen kann Auswirkungen in zweierlei Hinsicht aufweisen. Zum einen kann damit eine Vermeidung der Einflüsse auf Nutzpflanzungen bewirkt werden, zum anderen können in nicht optimal geeigneten Lebensräumen die vorhandenen Ansiedlungen stabilisiert werden . 9. In der Beschlussrealisierung Drs. 6/3165 steht: „Festlegungen zu Eingrif- fen gemäß § 45 Abs. 7 Bundesnaturschutzgesetz in eine entsprechende Rechtsverordnung des Landes Sachsen-Anhalt über die Zulassung von Ausnahmen von den Schutzvorschriften für besonders geschützte Tierarten zur Abwendung erheblicher wirtschaftlicher Schäden sowie aus Gründen der öffentlichen Sicherheit zu treffen. Dies soll landesweit ein einheitliches Vorgehen ermöglichen. Landkreise und kreisfreie Städte sollen zur Schadensabwehr unter bestimmten Voraussetzungen ohne artenschutzrechtliche Ausnahmegenehmigung tätig werden können.“ Welche werden das sein und wie wird die Konformität zur FFH-Richtlinie und zum Bundesnaturschutzgesetz gewährleistet? Das Zitat stammt nicht aus der Beschlussrealisierung (Drs. 6/3165), sondern so lautet Ziffer 4 des Beschlusses selbst (Drs. 6/2965). Zur Positionierung der Landesregierung wird auf den Text der Beschlussrealisierung in der Drs. 6/3165 verwiesen. 10. Laut Beschlussrealisierung Drs. 6/3165 sei der Bestand in Sachsen-Anhalt in den letzten Jahren relativ konstant, die Biberdichte in den Kerngebieten werde als stabil eingeschätzt und im Landkreis Wittenberg als auch im Bereich des Drömling seien die geeigneten Lebensräume durch den Biber erschlossen, eine weitere Bestandszunahme sei nicht zu erwarten. Weshalb wird ein Bibermanagement dennoch für notwendig erachtet? Bibermanagement bedeutet nicht, dass die zu treffenden Maßnahmen ausschließlich der Regulierung und der Einflussnahme auf die Population dienen. Das Management einer geschützten Art und die sich daraus ergebenden eingeschränkten Zugriffsmöglichkeiten bedeuten überwiegend den Umgang mit dem Biber in der Kulturlandschaft zu managen, um ein mögliches Konfliktpotenzial zu minimieren. Im Konkreten dient der überwiegende Teil der Managementmaßnahmen der Prävention und der damit einhergehenden Belange. Dies umfasst sowohl ein 7 abgestimmtes Wasserregime durch die Unterhaltungsverbände, insbesondere an Fließgewässern, als auch eine abgewogene Nutzung bzw. Nichtnutzung im Randbereich von Gewässern. 11. Welche positiven Effekte auf Gewässer und terrestrische Ökosysteme durch die Biber sind bekannt? Wie wird dies seitens der Landesregierung kommuniziert? Die Effekte, die eine durch Biber verursachte Landschaftsgestaltung erzeugt, sind durch verschiedene Studien dargestellt bzw. beschrieben. In aller Regel findet eine Aufwertung vorhandener Lebensräume durch mehr Naturnähe, Strukturvielfalt und allgemeiner Heterogenität statt, die ihren Niederschlag in einer Steigerung der Artenzusammensetzung findet. Selbst der Anstau der Gewässer durch Biber kann zu einer ausgleichenden Wirkung auf den Wasserhaushalt, die Verdunstungswirkung sowie die Grundwasserneubildung führen, wobei eine Förderung der gewässerbegleitenden Vegetation und der diese besiedelnden Fauna erfolgt. Allerdings kann es auch durch Biberaktivitäten zur Beeinträchtigung bestimmter Arten, so z. B. reiner Fließgewässerarten, kommen. Die Schilderung dieser Effekte findet in ihrer ausführlicheren Darstellung jeweils Eingang in die vom Land, insbesondere aber von der Landesreferenzstelle Biberschutz in Form von Vorträgen Führungen und Publikationen betriebenen Öffentlichkeitsarbeit . Ferner sind sie auch Bestandteil der Beratungstätigkeit im Konfliktfall.