Landtag von Sachsen-Anhalt Drucksache 6/3631 24.11.2014 (Ausgegeben am 25.11.2014) Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung Abgeordneter Sebastian Striegel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Abgeordneter Sören Herbst (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Flüchtlingskontrollen im Rahmen der Polizeiaktion „Mos Maiorum“ in SachsenAnhalt Kleine Anfrage - KA 6/8559 Vorbemerkung des Fragestellenden: Am 13. Oktober 2014 begann eine zweiwöchige EU-weite Polizeiaktion gegen illegale Flüchtlinge. Ziel der von der italienischen Ratspräsidentschaft geleiteten Aktion „Mos Maiorum“ ist nach offiziellen Angaben, organisierte Kriminalität zu schwächen, die illegale Immigration in die EU und den Schengenraum ermöglicht. Im Tagesspiegel vom 7. Oktober 2014 war zu lesen, was genau bei diesen Kontrollen erfasst und während der zwei Wochen täglich gemeldet werden soll: „Angaben zu Orten, an dem die illegalen Einwanderer aufgegriffen wurden, ihre Namen, Herkunft, Alter, Geschlecht , Ankunftsort und -zeit. Die Polizisten sollen zudem schriftlich festhalten, was sie über die Routen der Migranten herausfinden können: Transportmittel, Zielort, Route seit Grenzübertritt. Gab es gefälschte Reisedokumente? Wieviel Geld haben die Flüchtlinge ihren Schmugglern gezahlt? Aus welchem Land stammen die Schmuggler selbst? Eine Auswertung der Daten soll bis Dezember vorliegen.“ (vgl. „EU-weite Polizeiaktion gegen illegale Flüchtlinge“ von Elisa Simantke, Tagesspiegel vom 7. Oktober 2014) Laut MDR-Bericht vom 12. Oktober 2014 kontrolliert die Polizei auch Flüchtlinge in Sachsen-Anhalt. Dabei kämen ferner Kräfte der Bundespolizei und Mitglieder von FRONTEX zum Einsatz. Antwort der Landesregierung erstellt vom Ministerium für Inneres und Sport Namens der Landesregierung beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: 2 Vorbemerkung: Die Bekämpfung des Menschenhandels, der Schleusungskriminalität und der illegalen Migration stellt einen Schwerpunkt der Kriminalitätsbekämpfung in der Europäischen Union (EU) dar. Hierfür werden regelmäßig europaweite koordinierte Einsätze durchgeführt. „Mos maiorum“ war ein solcher gemeinsamer europäischer Fahndungseinsatz , der unter Führung der italienischen EU-Ratspräsidentschaft in der Zeit vom 13. bis zum 26. Oktober 2014 durchgeführt wurde. Eines der Hauptziele war u. a. die Feststellung der Anzahl illegal reisender Migranten sowie von Schleusern auf Reiserouten innerhalb des Schengenraumes und in den Schengenraum. Polizeiliche Erkenntnisse aus den bisherigen Einsätzen dieser Art bestätigten die Rolle Deutschlands als ein Hauptzielland illegaler Migration. 1. Wie viele Beamtinnen und Beamte aus Sachsen-Anhalt, der Bundespolizei und von FRONTEX waren - aufgegliedert nach Organisation - in SachsenAnhalt im Rahmen von „Mos Maiorum“ wo und mit welchem Auftrag im Einsatz? Die Polizei des Landes Sachsen-Anhalt hat sich nicht an den Kontrollmaßnahmen im Rahmen der gemeinsamen Polizeiaktion „Mos maiorum“ beteiligt. Darüber hinaus waren auch keine Beamten der Gemeinsamen Ermittlungsgruppe Schleusung von Landes- und Bundespolizei im Landeskriminalamt beteiligt. Maßnahmen von Kräften anderer Bundesländer oder der EU in Sachsen-Anhalt sind im Rahmen der Aktion „Mos maiorum“ hier nicht bekannt geworden. 2. Wie viele Menschen wurden von diesen kontrolliert und wie viele von wem und mit welchem Ergebnis erfasst? Bitte aufgliedern nach Geschlecht, Erwachsenen und Kindern, Transportmittel, Zielort, Route seit Grenzübertritt und Herkunftsland. 3. Wohin wurden Menschen ohne Aufenthaltserlaubnis mit welcher Maßgabe verbracht und erhielten diese in Notfällen Beratung und Unterstützung? Wenn ja, durch wen und wenn nein, warum nicht? 4. Wurden gefälschte Reisedokumente festgestellt und wenn ja, in welcher Größenordnung und mit welcher Herkunft? 5. Nach welchen Kriterien wurden die Kontrollmaßnahmen konkret durchgeführt ? Die Fragen 2 bis 5 werden wegen ihres Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet . Unter Hinweis auf die Beantwortung zu Frage 1 sind hierzu keine Angaben möglich. 6. Welche Maßnahmen haben Innenministerium und Polizei getroffen, damit bei Kontrollmaßnahmen kein „Racial Profiling“ zur Anwendung kommt, also die Einleitung von hoheitlichen Maßnahmen alleine aufgrund von äußeren Erscheinungsmerkmalen von Personen, unabhängig von konkreten Verdachtsmomenten? Nach § 6 Absatz 3 des Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung des Landes Sachsen-Anhalt (SOG LSA) darf niemand wegen seines Geschlechts , seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Heimat und Herkunft, sei- 3 nes Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt werden. Mit dieser einfachgesetzlichen Regelung und dem Inhalt des § 11 SOG LSA (Einschränkung von Grundrechten) wird ausreichend verdeutlicht, dass die sich aus Artikel 3 Absatz 3 Grundgesetz und Artikel 7 Absatz 3 der Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt ergebenden Grundrechte grundsätzlich nicht durch Maßnahmen aufgrund des SOG LSA eingeschränkt werden können. Darüber hinaus ist der Umgang mit Menschen anderer Nationalität und/oder anderer Hautfarbe sowie die Wahrung der Menschen- und Grundrechte Bestandteil der Ausbildung von Polizeivollzugsbeamtinnen und –beamten der Laufbahngruppe 1, zweites Einstiegsamt und der Laufbahngruppe 2, erstes Einstiegsamt (Bachelor-Studiengang) an der Fachhochschule Polizei sowie der zentralen und dezentralen Fortbildung. Der Bachelor-Studiengang ist in den Rechtsfächern auf der Grundlage der bestehenden Gesetze unter Beachtung der relevanten Rechtsprechung konzipiert. Damit ist sichergestellt, dass die Absolventen ihre polizeiliche Arbeit rechtssicher und unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Schranken und des Übermaßverbots verrichten können. Das allein führt bereits dazu, dass „Racial Profiling“ oder auch „Ethnic Profiling“ von den Absolventen des Studiengangs als rechtswidrig eingestuft werden muss. Darüber hinaus wird ergänzend auf die Antwort der Landesregierung vom 16. Mai 2013 auf die Kleine Anfrage „Racial Profiling in Sachsen-Anhalt“ verwiesen (LT-Drs. 6/2085). 7. Welche Maßnahmen und Projekte gibt es - gerade mit Blick auf derartige Einsätze - bei der sachsen-anhaltischen Polizei, um die interkulturelle Kompetenz der Beamtinnen und Beamten zu stärken? Seit einem Vorfall in einem Imbiss in Mücheln im Februar 2012 wurden entsprechende Fortbildungsmaßnahmen entwickelt und durchgeführt. Beispielhaft ist das Pilotseminar der Polizeidirektion Sachsen-Anhalt Ost zur Fortbildung im Bereich der interkulturellen Kompetenz zu nennen. In Zusammenarbeit mit der Auslandsgesellschaft Sachsen-Anhalt (AGSA), der Polizeidirektion SachsenAnhalt Ost und der Fachhochschule Polizei wurde ein Modelprojekt entwickelt, bei dem dezentral unter Einbeziehung von Referenten mit Migrationshintergrund sowie mit Unterstützung der Polizeipfarrer Schulungsmaßnahmen angeboten wurden. Dieses Projekt soll auch auf die anderen Behörden ausgedehnt werden. In der Besprechung der Aus- und Fortbildungsverantwortlichen der Polizeibehörden und -einrichtungen sowie des Ministeriums für Inneres und Sport am 9. Oktober 2014 wurde dieses Seminar erneut vorgestellt. Darüber hinaus bestehen Kontakte zu anderen Bundesländern, die entsprechende Fortbildungskonzepte entwickelt haben bzw. derzeit entwickeln. Zu nennen sind hier das Polizeipräsidium Mannheim oder das Sozialministerium des Freistaates Thüringen. Ergänzend wird auf die erst kürzlich an der Fachhochschule Polizei vorgestellte Studie von Professor Enke „Polizeilicher Umgang mit migrantischen Opferzeugen “ verwiesen, die der Frage nachging, welche Ursachen und Hintergründe 4 die wiederholt in der öffentlichen Kritik stehende mangelnde Sensibilität der Polizei im Umgang mit migrantischen Opfern, insbesondere bei polizeilichen Einsätzen im Deliktfeld der politisch motivierten Kriminalität, hat. Die gegenwärtige Praxis der polizeilichen Fortbildung zur interkulturellen Qualifizierung wird nach Vorliegen der Studienergebnisse grundsätzlich und kritisch überprüft werden. Die Pilotstudie stellt einen neuen Ausgangspunkt zur Entwicklung interkultureller Kompetenzen von Polizeibeamtinnen und –beamten in Sachsen-Anhalt dar. 8. Welche Projekte und Maßnahmen hat die sachsen-anhaltische Polizei auf den Weg gebracht, um das Konzept der Diversität in ihrer Organisation zu implementieren? Falls bisher keine Maßnahmen implementiert wurden, woran scheiterte es? Die Zielstellung einer Diversität im Sinne einer Vielfalt unter den Beschäftigten wird in der Landespolizei mit einer Vielzahl von Einzelmaßnahmen verfolgt. In Seminaren wird Führungskräften vermittelt, im Rahmen ihrer Tätigkeit auch die Stärken und Schwächen der einzelnen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu berücksichtigen. Durch mehrere Elemente, wie z. B. Mitarbeitergespräche, soll ermöglicht werden, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch entsprechend ihrer persönlichen Stärken, Kompetenzen und Interessen eingesetzt werden. Durch verschiedene Maßnahmen soll sichergestellt werden, dass Frauen und Männer in der Polizei gleiche Aufstiegs- und Karrierechancen haben. Der Anteil an Frauen in den Laufbahnen des Polizeivollzugsdienstes hat sich in der Vergangenheit erhöht. Dazu trägt auch bei, dass im Rahmen des Auswahlverfahrens bei Bewerberinnen und Bewerbern für den Polizeivollzugsdienst die unterschiedlichen körperlichen Voraussetzungen von Männern und Frauen berücksichtigt werden. Darüber hinaus wird auf die Antwort der Landesregierung vom 17. Februar 2014 auf die Kleine Anfrage „Diversität in der Landespolizei“ verwiesen (LTDrs . 6/2797). 9. Gab es in den letzten fünf Jahren Beschwerden von Menschen, die ange- geben haben, sich durch „Racial Profiling“ bei Kontrollmaßnahmen der sachsen-anhaltischen Polizei diskriminiert zu fühlen? Bitte aufschlüsseln nach Landkreis und mit kurzer Sachverhaltsdarstellung versehen. Welche Ergebnisse brachte die Überprüfung der Beschwerden? Für den angefragten Zeitraum liegen den Beschwerdestellen der Polizei des Landes Sachsen-Anhalt zwei Beschwerden im Themenzusammenhang vor. So beschwerte sich am 4. Dezember 2012 ein Bürger aus Algerien online im Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen. Er gab an, bei der Klärung eines Sachverhaltes im Straßenverkehr durch eine Polizeivollzugsbeamtin in Halle (Saale) Rassismus „klar gespürt“ zu haben. Der Vorwurf hat sich im Ergebnis der Überprüfung jedoch nicht bestätigt. Darüber hinaus beschwerte sich im Jahr 2013 die „Initiative Togo Action Plus e. V.“ aus Berlin über die im Landkreis Saalekreis durchgeführte Kontrolle zur Bekämpfung der Erschleichung von Leistungen. Im Verlauf der Prüfung der Be- 5 schwerde stellte sich heraus, dass an der besagten Kontrolle ausschließlich Kräfte der Bundespolizei beteiligt waren. Ein Ergebnis über den Ausgang des Verfahrens liegt der Landespolizei nicht vor. Für den Bereich der Polizeidirektion Sachsen-Anhalt Nord wird angemerkt, dass dort ausschließlich Vorgänge der Jahre 2012 bis 2014 überprüft werden konnten . Gemäß der Verfügung des dortigen Polizeipräsidenten zum Beschwerdemanagement beträgt die Aufbewahrungsdauer des Schriftgutes über Beschwerden , die abschließend im dortigen Bereich bearbeitet werden, zwei Jahre nach Ablauf des Jahres, in dem die Beschwerde abschließend beantwortet wurde. Anschließend sind die Akten zu vernichten. 10. Wie bewertet die Landesregierung in diesem Zusammenhang die von der Grundrechteagentur der EU im Handbuch „Für eine effektive Polizeiarbeit. Diskriminierendes `Ethnic Profiling` erkennen und vermeiden“ empfohlenen Praktiken, wie bspw. die Forderung nach der Einführung von Formularen zur Dokumentation von Polizeikontrollen und -durchsuchungen? Die Einführung von Formularen zur Dokumentation von Kontrollen und Durchsuchungen als ein sinnvolles praktisches Werkzeug, „…um Beamte zu ermutigen , Kontrollen fundiert durchzuführen, und Offenheit und Vertrauen hinsichtlich der Öffentlichkeit zu fördern.“ wird unter Nr. 4.3 des Handbuchs vorgeschlagen. Strafprozessuale und gefahrenabwehrende Maßnahmen der Polizei des Landes Sachsen-Anhalt werden bereits in den polizeilichen Vorgangssystemen nachvollziehbar dokumentiert. Die darüber hinausgehende Einführung zusätzlicher Formulare wird für entbehrlich gehalten, zumal die rechtmäßige Durchführung polizeilicher Maßnahmen nicht abhängig ist vom nachträglichen Ausfüllen eines Formulares. Hier erscheint die praxisbezogene Aus- und Fortbildung zur rechtskonformen Anwendung der Befugnisnormen wesentlich zielorientierter. Darüber hinaus enthält das in Rede stehende Handbuch zahlreiche Handlungsempfehlungen zum Erkennen und Vermeiden von diskriminierendem Ethnic Profiling. Eine Vielzahl der vorgeschlagenen Instrumente findet bei der Polizei des Landes Sachsen-Anhalt bereits Anwendung. Beispielhaft seien an dieser Stelle verschiedene Schulungsmaßnahmen, Beschwerdemechanismen und die Kontaktpflege der Polizei insbesondere zu Personen, die sich bereits verdächtigt fühlen, um Vertrauen und Zusammenarbeit zu fördern, genannt. Darüber hinaus sieht die Landespolizei junge Menschen mit Migrationshintergrund als eine potentielle Bewerbergruppe, welche auch aktiv beworben wird. Auf der Internetseite der Berufsinformation der Fachhochschule Polizei oder bei Ausschreibungen durch Anzeigen in der Tagespresse wird ausdrücklich darauf hingewiesen , dass auch junge interessierte Menschen mit Migrationshintergrund gesucht werden. Im Rahmen von Schulveranstaltungen oder Berufsmessen wird diese Zielgruppe über berufliche Perspektiven bei der Polizei des Landes Sachsen-Anhalt informiert. Das Handbuch der Grundrechteagentur der EU wird in der Fachhochschule Polizei im Rahmen der Aus- und Fortbildung modulbezogen Berücksichtigung finden . 6 11. Haben sachsen-anhaltische Polizeieinheiten die Charta der Vielfalt unter- zeichnet oder wird dies angestrebt und wenn nein, warum nicht? Die Polizeibehörden oder –einrichtungen des Landes Sachsen-Anhalt haben die Charta der Vielfalt nicht unterzeichnet. Dies wird auch nicht angestrebt. Mit Unterzeichnung der Charta der Vielfalt im November 2010 durch den Ministerpräsidenten des Landes ist die Landesverwaltung die Selbstverpflichtung eingegangen , die Charta der Vielfalt im gesamten Bereich der Landesverwaltung umzusetzen. Das schließt den Bereich der Polizei ein. Ein gesonderter Akt der Unterzeichnung ist vor diesem Hintergrund nicht erforderlich.