Landtag von Sachsen-Anhalt Drucksache 6/365 01.09.2011 (Ausgegeben am 07.09.2011) Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung Abgeordnete Eva von Angern (DIE LINKE) Anordnung und Vollzug der Untersuchungshaft in Sachsen-Anhalt Kleine Anfrage - KA 6/7148 Antwort der Landesregierung erstellt vom Ministerium für Justiz und Gleichstellung 1. Wie häufig wurde seit 2009 bis heute Untersuchungshaft bei Erwachsenen verhängt a) U-Haftrate pro 100.000 Einwohner, b) U-Haftanteil (in %)? Bitte getrennt nach Jahren auflisten. Jahr Bevölkerung durchschnittlicher Gefangenenbestand* erwachsene U-Gefangene* Anteil pro 100.000 Einwohner Anteil zur Bevölkerung in % U-Haft-Anteil in % zum Gesamtgefangenenbestand 2009 2.356.219 2.175 162 6,88 0,0069 7,47 2010 2.335.006 2.081 146 6,25 0,0063 7,02 per 30.4.2011 2.327.052 2.059 138 5,93 0,0059 6,70 * Die Daten ergeben sich aus Stichtagserhebungen jeweils zum letzten Tag des Monats. 2 2. Wie häufig wurde seit 2009 bis heute Untersuchungshaft bei Jugend- lichen/Heranwachsenden verhängt a) U-Haftrate pro 100.000 Einwohner, b) U-Haftanteil (in %)? Bitte getrennt nach Jahren auflisten. Jahr Bevölkerung durchschnittlicher Gefangenenbestand* junge / heranwachsende U- Gefangene* Anteil pro 100.000 Ein- wohner Anteil zur Bevölkerung in % U-Haft-Anteil in % zum Gesamtgefangenenbestand 2009 2.356.219 2.175 47 1,99 0,0020 2,16 2010 2.335.006 2.081 32 1,37 0,0014 1,54 per 30.4.2011 2.327.052 2.059 27 1,16 0,0012 1,31 * Die Daten ergeben sich aus Stichtagserhebungen jeweils zum letzten Tag des Monats. 3. Auf welche Haftgründe wurde die jeweilige Anordnung gestützt? Bitte differenziert zwischen Erwachsenen und Jugendlichen/Heranwachsenden unterscheiden. Statistische Erhebungen zu den jeweiligen Haftgründen bei jungen, heranwachsenden und erwachsenen Untersuchungshaftgefangenen werden in Sachsen-Anhalt nicht durchgeführt. 4. Welche Angebote zur U-Haftvermeidung werden in Sachsen-Anhalt vorgehalten ? Bei erwachsenen Personen gibt es keine Alternative zur Anordnung von Untersuchungshaft , sofern die Tatbestandsmerkmale des § 112 StPO gegeben sind. Bei Jugendlichen wird Untersuchungshaft - aufgrund der damit verbundenen Gefahren für die Entwicklung - nur dann angeordnet und vollstreckt, wenn ihr Zweck nicht durch die vorläufige Anordnung über die Erziehung oder durch andere Maßnahmen erreicht werden kann, § 72 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 71 Jugendgerichtsgesetz (JGG). Sofern nicht im Einzelfall gewichtige Gründe die Anordnung von Untersuchungshaft notwendig machen, bietet die einstweilige Unterbringung in einer geeigneten Einrichtung der Jugendhilfe eine erzieherische Alternative. Die praktische Ausgestaltung und das Verfahren sind im gem. RdErl. des MS, MJ und MI vom 5. August 1998 - 54.51243 - (JMBl. LSA. LSA 1998, S. 358) geregelt. Danach benennt das Landesjugendamt jährlich die Einrichtungen der Jugendhilfe, die sich zur einstweiligen Unterbringung von Jugendlichen eignen und unterrichtet über deren Leistungsangebot. Die in der Antwort der Landesregierung auf Frage 5 der Kleinen Anfrage zur Drucksache 5/1924 vom 24. April 2009 aufgeführten Einrichtungen sind auch weiterhin zur U-Haft-Vermeidung geeignet. Über die inhaltliche Gestaltung der Unterbringung in der Einrichtung der Jugendhilfe und die damit verbundenen Maßnahmen (Art der Unterbringung, pädagogische Einflussnahme und Betreuung, Teilnahme an sonstigen Angeboten der Einrichtung und Ähnliches) sowie über die Form der Integration der oder des Jugendlichen in den 3 Einrichtungsalltag entscheidet die Leitung der Einrichtung unter Beteiligung der oder des betroffenen Jugendlichen. Bei Heranwachsenden darf das Jugendgericht die einstweilige Unterbringung gemäß § 71 Abs. 2 JGG und § 72 Abs. 4 JGG zur Vermeidung von Untersuchungshaft nicht anordnen (vgl. Ziff. 1.3 des oben genannten gem. RdErl.). In diesen Fällen kann der Träger der öffentlichen Jugendhilfe für junge Volljährige mit Zustimmung der oder des Heranwachsenden eine Unterbringung in einem Heim der Jugendhilfe vornehmen . 5. Wie schätzt die Landesregierung die Umsetzung und Wirksamkeit des Untersuchungshaftgesetzes Sachsen-Anhalt vom 22. März 2010 ein? Wie wird insbesondere dem Grundsatz der Unschuldsvermutung Rechnung getragen? a) Das am 1. Juni 2010 in Kraft getretene Untersuchungshaftvollzugsgesetz des Landes Sachsen-Anhalt (UVollzG LSA) sowie die hierzu erlassenen Verwaltungsvorschriften haben sich in der Praxis bewährt. Die Delegation von Zuständigkeiten und Kompetenzen an die Justizvollzugsanstalten, wie beispielsweise die Anordnung von besonderen Sicherungs- oder Disziplinarmaßnahmen, hat dazu geführt, dass die Vollzugsbehörden wesentlich effektiver und effizienter entscheiden und handeln können. b) Der in § 4 Abs. 1 UVollzG LSA ausdrücklich normierten Unschuldsvermutung wird zunächst dadurch Rechnung getragen, dass Untersuchungsgefangene von Strafgefangenen getrennt untergebracht werden. Darüber hinaus wird jedem neu aufgenommenen Untersuchungsgefangenen durch den Sozialen Dienst der zuständigen Justizvollzugsanstalt von Anfang an Hilfe bei der Regelung persönlicher Angelegenheiten angeboten (zum Beispiel bei der Sicherung der Wohnung und der Arbeitsstelle bzw. des Ausbildungsplatzes, Mietkostenübernahme etc.). Daneben findet eine psychologische Untersuchung im Rahmen des Aufnahmeverfahrens statt, an die sich ggf. eine weitere psychologische Betreuung anschließt. Bei Bedarf stehen auch katholische und/oder evangelische Seelsorger zur Verfügung. Soweit keine rechtlichen Gründe entgegenstehen , wird zudem unverzüglich der Kontakt zu Angehörigen hergestellt. Im Übrigen stehen den Untersuchungshaftgefangenen diverse Sport- und Freizeitmöglichkeiten zur Verfügung. 6. Wie wird gewährleistet, dass gerade die für junge Untersuchungsgefan- gene geltenden besonderen gesetzlichen Bestimmungen, wie das Angebot einer individuellen, altersgerechten Aus- und Fortbildung, umgesetzt werden? In welchem Umfang werden diese Angebote genutzt? Gemäß UVollzG LSA ist der Vollzug der Untersuchungshaft an jungen Untersuchungsgefangenen erzieherisch zu gestalten. Dem Schulunterricht kommt hierbei, aufgrund des kurzen Zeitraumes der Untersuchungshaft, besondere Bedeutung zu. In der Jugendanstalt Raßnitz stehen jungen Untersuchungshaftgefangenen hierfür 4 zehn Teilnehmerplätze zur Verfügung. Der ganzjährige Unterricht findet an vier Tagen in der Woche á vier Zeitstunden statt und vermittelt zu 30 % Theorie und zu 70 % praktische Tätigkeiten. Finanziert wird die Maßnahme von der Agentur für Arbeit ; Träger ist ein externer Bildungsträger. Dieses Bildungsangebot wird von den jungen Untersuchungsgefangenen in vollem Umfang genutzt.