Landtag von Sachsen-Anhalt Drucksache 6/383 08.09.2011 (Ausgegeben am 12.09.2011) Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung Abgeordnete Eva von Angern (DIE LINKE) Zukunft der Institute für Rechtsmedizin in Halle und Magdeburg Kleine Anfrage - KA 6/7146 Vorbemerkung des Fragestellenden: Für eine effektive Strafverfolgung sind rechtsmedizinische Gutachten ein wesentlicher Bestandteil. Antwort der Landesregierung erstellt vom Ministerium für Wissenschaft und Wirtschaft Frage 1: Welche Institute bzw. Praxen in Sachsen-Anhalt erstellen rechtsmedizinische Gutachten für Strafverfolgungsbehörden? Im Geschäftsbereich des Ministeriums für Justiz und Gleichstellung sowie im Geschäftsbereich des Ministeriums des Innern werden keine Statistiken über Vergabe und Kosten rechtsmedizinischer Gutachten geführt. Angaben könnten nur aufgrund von Sondererhebungen - Durchsicht und Auswertung sämtlicher infrage kommender Akten - gemacht werden. Dies erforderte nicht nur einen unverhältnismäßigen Aufwand , sondern könnte auch im Rahmen der zur Beantwortung der Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht geleistet werden. Im Bereich des Ministeriums für Justiz und Gleichstellung werden nach fundierten Schätzungen der staatsanwaltschaftlichen Praxis nahezu ausschließlich die Institute für Rechtsmedizin in Halle und Magdeburg mit der Erstattung rechtsmedizinischer Gutachten beauftragt. Die Schätzung bezieht sich auf Todesermittlungssachen, Verfahren wegen des Verdachtes der vorsätzlichen Tötung, des Verdachtes von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung oder die körperliche Unversehrtheit. Im Bereich des Ministeriums des Innern (Polizei) werden Obduktionen und Untersuchungen von Blutproben sowie körperliche Untersuchungen bei schweren Gewaltdelikten und Sexualstraftaten ebenfalls durch die rechtsmedizinischen Institute vorgenommen. 2 Für Leichenöffnungen folgt dies schon aus den gesetzlichen Anforderungen in § 87 Abs. 2 StPO. Danach wird die Leichenöffnung von zwei Ärzten vorgenommen, einer der Ärzte muss Gerichtsarzt oder Leiter eines öffentlichen gerichtsmedizinischen oder pathologischen Instituts oder ein von diesem beauftragter Arzt des Instituts mit gerichtsmedizinischen Fachkenntnissen sein. Soweit die Staatsanwaltschaft Stendal in Verfahren wegen des Verdachtes vorsätzlicher Tötung vormals das Institut für Rechtsmedizin in Hannover mit der Durchführung der Leichenöffnung beauftragt hatte, vergibt sie solche Aufträge nunmehr an das rechtsmedizinische Institut in Halle. Mit Leichenöffnungen in Todesermittlungssachen wird nach wie vor das rechtsmedizinische Institut in Magdeburg betraut. In den rechtsmedizinischen Instituten in Halle und Magdeburg erfolgen zudem alle Blutalkoholanalysen in einschlägigen Verfahren wegen Straßenverkehrsdelikten zur Bestimmung der Ethanolkonzentration und zum Nachweis von Betäubungsmitteln. Das Institut für Rechtsmedizin in Halle führt im Auftrag der Staatsanwaltschaften auch molekulargenetische Untersuchungen - beispielsweise zur Identifizierung unbekannter Toter - durch. Frage 2: Woher und in welcher Anzahl bezogen Polizei bzw. Justiz im Rahmen der Strafverfolgung rechtsmedizinische Gutachten? Bitte unterteilen in Institutionen und Leistungsarten. Auf die Antwort zu Frage 1 wird verwiesen. Da Statistiken über die Erstellung rechtsmedizinischer Gutachten im Rahmen der Strafverfolgung den Geschäftbereichen des Ministeriums der Justiz und Gleichstellung sowie des Ministeriums des Innern nicht vorliegen, wurden die rechtsmedizinischen Institute Magdeburg und Halle um Beantwortung der Frage gebeten. Das rechtsmedizinische Institut in Magdeburg hat im Jahr 2010 folgende Leistungen erbracht: für die Justiz 288 Sektionen 205 Gutachten 219 Toxikologische Untersuchungen an Leichenmaterial für die Polizei 2.916 Blutalkoholbestimmungen 680 Untersuchungen auf Drogen und Medikamente Das rechtsmedizinische Institut in Halle hat im Jahr 2010 folgende Leistungen (Differenzierung nach Polizei und Justiz nicht möglich) erbracht: 267 Sektionen 287 Gutachten 3545 Alkoholbestimmungen 890 Betäubungsmittel(BtM)-Untersuchungen 3 81 toxikologische Analysen von Obduktionsfällen 113 Abstammungsgutachten (DNA-Labor) 43 Spurengutachten (DNA-Labor). Frage 3: Welche Kosten sind hierfür entstanden? Bitte unterteilen nach Gutachten durch private Dienstleister und Gutachten staatlicher Dienstleister. Auf die Antwort zu Frage 1 wird verwiesen. Da Statistiken über die Erstellung rechtsmedizinischer Gutachten im Rahmen der Strafverfolgung und der damit verbundenen Kosten den Geschäftbereichen des Ministeriums der Justiz und Gleichstellung sowie des Ministeriums des Innern nicht vorliegen, wurden die rechtsmedizinischen Institute Magdeburg und Halle um Beantwortung der Frage gebeten. Die Antwort der rechtsmedizinischen Institute bezieht sich nur auf die von Polizei und Justiz im Jahr 2010 erzielten Erlöse und nicht auf die Kosten im Sinne von Aufwendungen, die den Leistungserbringern tatsächlich zur Erstellung der Gutachten entstanden sind. rechtsmedizinisches Institut Magdeburg: 220.990 EUR (für Justiz) 183.489 EUR (für Polizei) rechtsmedizinisches Institut Halle: 320.325 EUR * (Differenzierung nach Justiz und Polizei nicht möglich) * die Erlöse beinhalten überwiegend nur die Nutzungsentgelte aus Privatliquidation des vormaligen Institutsleiters, da die Dienstleistungen für Strafverfolgungsbehörden in Nebentätigkeit erbracht wurden; mit dem Dienstantritt des jetzigen Institutsleiters zum 1. Oktober 2010 werden die Dienstleistungen im Rahmen der Dienstaufgaben (hauptamtlich) erbracht. Die Höhe der erzielten Erlöse kann entsprechend erst ab diesem Zeitpunkt (bzw. ab 1. Januar 2011) ermittelt werden. Frage 4: Wie stellt sich die Personalsituation an den rechtmedizinischen Instituten dar? Bitte unterteilen nach einzelnen Beschäftigungsgruppen sowie den entsprechenden Eingruppierungen. Die Personalsituation (VK; incl. Personal der Medizinischen Fakultät) an den rechtsmedizinischen Instituten stellt sich zum Stichtag 31. Dezember 2010 wie folgt dar: Rechtsmedizinisches Institut Magdeburg 1 Oberarzt E 15 1 Facharzt E 15 1 Assistenzarzt E 13 1 wissenschaftlicher Mitarbeiter (Naturwiss.) E 14 1 wissenschaftlicher Mitarbeiter (Naturwiss.) E 13 1 Sektionsassistent E 8 4,5 MTLA E 9 1 Sekretärin E 5 Gesamt: 11,5 4 Rechtsmedizinisches Institut Halle 0,25 Professor W3 0,75 Oberarzt AT 2,17 Fachärzte Ä 2 1 Facharzt Ä 1 2 wissenschaftliche Mitarbeiter (Naturwiss.) E 14 1 wissenschaftlicher Mitarbeiter (Naturwiss.) E 13 4,56 Mitarbeiter Med.-techn. Dienst E 9 3,69 Mitarbeiter Med.-techn. Dienst E 8 1 Mitarbeiter Med.-techn. Dienst E 5 2,25 Mitarbeiter Med.-techn. Dienst E 3 Gesamt: 18,67 Das Institut für Rechtsmedizin Halle wird seit dem 1. Oktober 2010 durch den Lehrstuhlinhaber (W3-Professur für Rechtsmedizin) vertreten. Hinsichtlich Forschung und Lehre ist zwischen den Medizinischen Fakultäten Halle und Magdeburg ein Kooperationsvertrag geschlossen worden. Des Weiteren wurde zur Leitung des rechtsmedizinischen Institutes Magdeburg eine vertragliche Regelung zwischen den hochschulmedizinischen Einrichtungen in Halle und Magdeburg dahin gehend geschlossen , dass die Verantwortung für den Dienstleistungsbereich des rechtsmedizinischen Institutes Magdeburg durch den Lehrstuhlinhaber in Halle erfolgt. Frage 5: Welche Kosten (unterteilt nach Personal- und Sachkosten) entstanden seit 2005 bei den Instituten für Rechtsmedizin in Halle und Magdeburg? Bitte nach Jahren auflisten. Bei den Instituten für Rechtsmedizin in Halle und Magdeburg entstanden seit 2005 folgende Kosten (unterteilt nach Personal- und Sachkosten): rechtsmedizinisches Institut Magdeburg 2005 2006 2007 2008 2009 2010 Personalkosten 891.068 € 878.541 € 886.092 € 762.429 € 820.119 € 767.408 € Sachkosten 147.351 € 135.692 € 153.249 € 128.134 € 126.775 € 155.606 € IBL/Umlagen 311.525 € 281.032 € 274.321 € 254.723 € 224.356 € 176.217 € *IBL = innerbetriebliche Leistungsverrechnung; in der Umlage sind die Gemeinkosten enthalten rechtsmedizinisches Institut Halle 2005 2006 2007 2008 2009 2010 Personalkosten 1.134.793 € 1.088.583 € 1.071.482 € 1.024.614 € 987.640 € 1.054.290 € Sachkosten 114.318 € 120.518 € 128.224 € 132.909 € 122.884 € 217.782 € IBL-Kosten 28.861 € 43.501 € 30.739 € 22.590 € Gemeinkosten 163.444 € 149.118 € 148.061 € 143.904 € 137.522 € 153.973 € * für die Jahre 2005 bis 2006 keine Werte für IBL verfügbar 5 Frage 6: Welche Planungen bestehen bei der Landesregierung hinsichtlich der zukünftigen finanziellen Förderung im Rahmen der Zielvereinbarungen mit den Universitäten und hinsichtlich der rechtsmedizinischen Standorte in Halle und Magdeburg? In den Zielvereinbarungen mit den Medizinischen Fakultäten für den Zeitraum 2011 bis 2013 ist festgelegt worden, dass im Rahmen der Haushaltsaufstellung 2012/2013 entschieden wird, ob und in welcher Höhe die Institute für Rechtsmedizin in Halle und Magdeburg einen Zuschuss erhalten werden. Die Aufstellung des Regierungsentwurfs für den Doppelhaushalt 2012/2013 ist noch nicht abgeschlossen, sodass eine tragfähige Entscheidung zur Finanzierung der rechtsmedizinischen Institute noch nicht vorliegt. (Siehe auch Antwort zu Frage 7). Frage 7: Welche Bedeutung misst die Landesregierung der eigenständigen Existenz von rechtsmedizinischen Instituten an den Universitätsklinika bei? Die beiden rechtsmedizinischen Institute an den Universitätsklinika des Landes erfüllen hoheitliche Aufgaben im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen für die Strafverfolgungsbehörden (Geschäftsbereich MI, MJ), die für eine funktionierende und zügige Strafverfolgung unverzichtbar sind. Diese Leistungen werden nach dem Justizvergütungs- und Entschädigungsgesetz (JVEG) vergütet. Zugleich bieten die Institute kostenfreie Leistungen (Konsiliartätigkeit in den Kliniken des Landes im Rahmen des Kinderschutzes, Untersuchung von Gewaltopfern, Bitten von Frauenhäusern , telefonische Beratungen, Fort- und Weiterbildungen für die Landesärztekammer , Polizei und Justiz) an zwei Standorten an. Des Weiteren dienen sie Forschung und Lehre. Dadurch wird ein Beitrag zur Sicherung des wissenschaftlichen Nachwuchses (Aus- und Weiterbildung) erbracht. Für die Landesregierung ist es von wesentlicher Bedeutung, dass die hiesige Rechtsmedizin die erforderlichen Leistungen , besonders die rechtsmedizinischen Dienstleistungen für die Strafverfolgungsbehörden auch künftig in der notwendigen Qualität und Quantität sowie in dem gebotenen zeitlichen Rahmen erbringen kann. Zutreffend haben die Behördenleiter der hiesigen Staatsanwaltschaften darauf hingewiesen, dass Todesermittlungs- und Kapitalsachen Sofortsachen seien, bei denen Zeitverzögerungen zu erheblichen Ermittlungslücken und Schwierigkeiten in der Beweislage führen könnten. Gerade bei Obduktionen seien Verzögerungen zwangsläufig mit Informationsverlusten verbunden, da der körperliche Zersetzungsvorgang unmittelbar nach Todeseintritt einsetze und sich vielfach auf die Qualität der zu erlangenden Befunde auswirke. In diesem Zusammenhang haben die Behördenleiter die Besorgnis geäußert, der Wegfall eines rechtsmedizinischen Instituts in Sachsen-Anhalt ließe eine signifikante Senkung auch der Qualität staatsanwaltschaftlicher Arbeit befürchten. Sie sprechen sich deshalb für die Beibehaltung von zwei Standorten aus. 6 Frage 8: Wie bewertet die Landesregierung die Auskömmlichkeit der Institute in Halle und Magdeburg bezogen auf die Landesförderung bzw. das vorgehaltene Personal ? Für den Fall, dass die Landesmittel nicht ausreichend sind, wie stellt sich die Gesamtfinanzierung dar? Im Land Sachsen-Anhalt werden die staatlichen Zuschüsse für Human- und Zahnmedizin (Forschung und Lehre) an die Medizinischen Fakultäten nach Normwerten berechnet (§ 1 Abs. 6 HMG LSA). Das Defizit der rechtsmedizinischen Institute für Dienstleistungen für Strafverfolgungsbehörden kann nicht aus den Zuschüssen für Forschung und Lehre getragen werden, da der Normwert (HMGZuschVO) keine Komponente für die Finanzierung dieser Dienstleistungen berücksichtigt. Lediglich eine Erstattung der Medizinischen Fakultät aus dem Zuschuss Forschung und Lehre für Dienstleistungen, die Forschung und Lehre mit abdecken, ist möglich. Die Erbringung der Dienstleistungen für die Strafverfolgungsbehörden Geschäftsbereich (MI/MJ) kann mit der Vergütung nach dem JVEG durch die rechtsmedizinischen Institute nicht kostendeckend erfolgen. Die Sicherung der kostenfreien Leistungen (siehe Antwort zu Frage 7) führt rein wirtschaftlich betrachtet ebenfalls zu einem Defizit . Aus diesem Grunde erhält das rechtsmedizinische Institut in Magdeburg seit dem Jahr 2008 vom Land einen teilweisen Ausgleich des Defizits aus Kapitel 06 08, Titel 533 02 (2008: 302 T€, 2009: 302 T€, 2010: 219 T€, 2011: 203 T€). 100 T€ werden jährlich aus dem Zuschuss der Fakultät für Lehre bereitgestellt. Beide rechtsmedizinischen Institute (Halle und Magdeburg) hatten in den letzten Jahren ein jährliches Defizit von jeweils über 600 T€. In diesem Zusammenhang ist auch für beide Institute in der Zielvereinbarung 2011 bis 2013 für die Universitätsmedizin verankert, im Rahmen der Haushaltsaufstellung 2012/2013 eine Entscheidung herbeizuführen , ob und ggf. in welcher Höhe die derzeitige Unterfinanzierung für gesetzlich vorgeschriebene rechtsmedizinische Dienstleistungen im Interesse der Strafverfolgungsbehörden für eine effektive Strafverfolgung kompensiert werden kann. Im Juli 2011 ist nach der Neubesetzung der Professur für Rechtsmedizin an der Medizinischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (Herr Professor Lessig) vertraglich vereinbart worden, dass Herr Professor Lessig auch die Verantwortung für den Dienstleistungsbereich des Institutes für Rechtsmedizin am Universitätsklinikum Magdeburg übernimmt. Durch die ad personam erfolgte zentrale Steuerung werden Effizienzgewinne erwartet, einschließlich der Prüfung des vorhandenen Personalbestandes. Sofern durch das Land keine Mittel bereitgestellt werden (siehe auch Antwort zu Frage 6), muss von erheblichen Defiziten durch die rechtsmedizinischen Institute / Universitätsklinika in vorgenannter Höhe ausgegangen werden, die diese nicht mehr tragen können. (Siehe auch Antwort zu Frage 6). Frage 9: Welche Erfahrungen sind aus anderen Bundesländern hinsichtlich des Vorhaltens von staatlichen Dienstleistern in der Rechtsmedizin bekannt? Eine im März 2011 initiierte Länderumfrage zur Rechtsmedizin ergab, dass die Leistungen für Strafverfolgungsbehörden, die nach dem JVEG vergütet werden, überwiegend nicht kostendeckend sind. Die Dienstleistungen für die Strafverfolgungsbehörden werden überwiegend durch die an Hochschulen angebundenen Institute für 7 Rechtsmedizin erbracht. Leistungen wie Konsiliartätigkeit in den Kliniken des Landes im Rahmen des Kinderschutzes, Untersuchung von Gewaltopfern, Bitten von Frauenhäusern , telefonische Beratungen, Fort- und Weiterbildungen für die Landesärztekammer oder Polizei und Justiz, stehen keine Erlöse gegenüber. In einigen Bundesländern erfolgt ein (teilweiser) Ausgleich des Defizites durch das Land aus dem Zuschuss der Medizinischen Fakultäten für Forschung und Lehre. In anderen Bundesländern erfolgt ein Ausgleich, soweit keine ausreichende Eigendeckung vorhanden ist, teilweise durch das jeweilige Universitätsklinikum. In Hamburg wird z. B. die Vollkostendeckung in Bezug auf forensisch-medizinische Leistungen näherungsweise seit 2007 durch eine sog. „Sockelfinanzierung“ vorwiegend aus Mitteln der Justiz-, der Wissenschafts- sowie der Finanzbehörde erreicht.