Landtag von Sachsen-Anhalt Drucksache 6/3931 27.03.2015 (Ausgegeben am 27.03.2015) Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung Abgeordneter Jens Kolze (CDU) Mehrfachbelegungen in den Justizvollzugsanstalten in Sachsen-Anhalt Kleine Anfrage - KA 6/8685 Antwort der Landesregierung erstellt vom Ministerium für Justiz und Gleichstellung Die Fragestellungen beantwortet die Landesregierung wie folgt: 1. Welcher Maßstab und welche Kriterien bestehen im Land Sachsen-Anhalt für eine Doppel- oder Dreifachbelegung in Hafträumen (Raumgröße, Anforderungen an die sanitären Einrichtungen, Fenstergröße etc.)? In den Justizvollzugsanstalten des Landes Sachsen-Anhalt gilt für die Unterbringung von Gefangenen ein landesweit einheitlicher Standard, nachdem der Haftraum für einen Gefangenen in der Einzelunterbringung über eine Grundfläche von mindestens 9 qm (den Sanitärbereich nicht mit eingerechnet) und einen Rauminhalt von mindestens 22 cbm verfügen muss. Bei einer Gemeinschaftsunterbringung steht jedem Gefangenen eine Grundfläche von mindestens 7 qm und ein Rauminhalt von mindestens 16 cbm zu (den Sanitärbereich nicht mit eingerechnet). Unter diesen Voraussetzungen ist die gemeinschaftliche Unterbringung von Gefangenen nur dann zulässig, wenn der Haftraum über einen räumlich abgetrennten Sanitärbereich mit Sicht-, Geruchs - und Geräuschschutz verfügt. 2. Welche Rechtsgrundlagen schreiben hierbei diese Kriterien vor? Eine spezielle gesetzliche Grundlage gibt es nicht. Vielmehr gelten die allgemeinen Rechtssätze, die in § 144 Strafvollzugsgesetz des Bundes (StVollzG) normiert sind sowie eine Vielzahl an obergerichtlichen Rechtsprechungen. 2 Gemäß § 144 Absatz 1 StVollzG, sind Räume für den Aufenthalt während der Ruhe- und Freizeit sowie Gemeinschafts- und Besuchsräume wohnlich oder sonst ihrem Zweck entsprechend auszugestalten. Sie müssen hinreichend Luftinhalt haben und für eine gesunde Lebensführung ausreichend mit Heizung und Lüftung, Boden- und Fensterfläche ausgestattet sein. Zur Umsetzung dieser allgemeinen Rechtssätze dienen die bundesweit geltenden „Empfehlungen für den Bau von Justizvollzugsanstalten“. Diese von den Justizvollzugsverwaltungen der Länder erarbeitete und vom Strafvollzugsausschuss der Länder gebilligte Verwaltungsrichtlinie, wird regelmäßig fortgeschrieben und bundesweit durch die Justizministerien als Orientierung bei der Planung und beim Bau von Justizvollzugsanstalten verwendet. Die obergerichtliche Rechtsprechung sowie die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes zum StVollzG haben diese Empfehlungen immer wieder bestätigt. Das Bundesverfassungsgericht hat dazu mit den Beschlüssen vom 27. Februar und vom 13. März 2001 (Az. 2 BvR 553/01 und 2 BvR 261/01), zur Gewährleistung der Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG, folgende Leitsätze für die Unterbringung von Gefangenen abgeleitet: - Das Grundrecht der Gefangenen auf Achtung ihrer Menschenwürde kann durch gesetzliche Bestimmungen nicht eingeschränkt werden. - Die Menschenwürde setzt dem Ermessen der Vollzugsbehörden bei der Be- legung und Ausgestaltung der Hafträume Grenzen. - Die Unterbringung mehrerer Gefangener in einem Einzelhaftraum bzw. in zu klein dimensionierten Gemeinschaftshafträumen ist verfassungsrechtlich bedenklich . - Die menschenunwürdige Unterbringung eines Gefangenen ist auch nicht „nur vorübergehend“ zulässig. In Folge der beiden o. g. Grundsatzbeschlüsse erging eine Vielzahl weiterer Entscheidungen der Rechtsprechung zur Gefangenenunterbringung. Die wichtigsten Beschlüsse lauten wie folgt: - Die Mehrfachbelegung von Hafträumen verstößt gegen die Menschenwürde- garantie des Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) und Art. 3 Europäische Menschenrechtskonvention (MRK), wenn entweder die Toilette nicht abgetrennt und gesondert entlüftet ist oder wenn nicht auf jeden Gefangenen eine Bodenfläche von wenigstens 7 qm sowie ein Rauminhalt von wenigstens 16 cbm entfallen (OLG Frankfurt a.M; Beschluss v. 17.7.2003 - 3 Ws 578/03). - Die Mehrfachbelegung eines Haftraumes verstößt generell gegen Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 3 EMRK, wenn die Toilette nicht baulich abgetrennt oder nicht gesondert entlüftet ist (KG Berlin; Beschluss v. 16.7.2004 - 5Ws 212/04). 3 - Die Doppelbelegung eines Haftraumes mit der Größe von weniger als 12 qm Grundfläche und einem Rauminhalt von weniger als 16 cbm ist menschenunwürdig (OLG Karlsruhe; Beschluss v. 9.1.2006 - 1 Ws 147/05). - Die Unterbringung von 2 Gefangenen in einem Haftraum mit einer Fläche von weniger als 8 qm bzw. von 5 Gefangenen in einem Haftraum mit einer Fläche von 16 qm ist menschenunwürdig und kann einen Schmerzensgeldanspruch in Höhe von 100 EUR pro Gefangenen und Hafttag begründen (OLG Celle; Beschlüsse v. 16.9.2002 - 16W 47/02 sowie Berufungsurteil v. 15.7.2003 - 17 O 338/02). - Die Unterbringung von 2 Gefangenen in einem Haftraum mit einer Fläche von 9,49 qm verstößt gegen die Menschenwürde (OLG Naumburg; Beschluss v. 3.8.2004 - 4W 20/04). Aus der Vielzahl dieser nicht immer einheitlichen Rechtsprechung sowie unter Bezugnahme auf die von der Rechtsprechung immer wieder zitierten „Empfehlungen für den Bau von Justizvollzugsanstalten“, durch welche die Landesjustizverwaltungen eine Selbstbindung eingegangen sind, stellte das Ministerium für Justiz und Gleichstellung des Landes Sachsen-Anhalt die in der Antwort zu 1. dargestellten Standards für die Gefangenenunterbringung auf. 3. Gelten diese Anforderungen an die Hafträume in allen Justizvollzugsan- stalten des Landes Sachsen-Anhalts oder unterliegt die Beurteilung über die Möglichkeit einer Doppel- oder Dreifachbelegung z. B. im Hinblick auf die Haftraumgröße in den einzelnen Justizvollzugsanstalten einem anderen Maßstab? Vergleiche die Antwort zu Frage 1.