Landtag von Sachsen-Anhalt Drucksache 6/399 13.09.2011 (Ausgegeben am 19.09.2011) Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung Abgeordnete Eva von Angern (DIE LINKE) Wahlrecht ab 16 Kleine Anfrage - KA 6/7152 Antwort der Landesregierung erstellt vom Ministerium des Innern 1. Welche Maßnahmen initiiert und unterstützt die Landesregierung, um der so genannten Politikverdrossenheit gerade junger Menschen entgegenzuwirken ? Die Aktivitäten der Landesregierung zur politischen und sozialen Bildung sind sehr umfassend und komplex, denn die Landesregierung geht davon aus, dass Kinder und Jugendliche durchaus politisch interessiert und bereit sind, ihre politische Meinung zu sagen. Der Landesregierung ist aber auch bewusst, dass bei Jugendlichen in bestimmten Entwicklungs- und Lebensabschnitten in Folge der Prioritätensetzung in der Vielfalt der Interessen, die Kinder und Jugendliche haben, nicht immer das Interesse an politischem Engagement an erster Stelle steht, sondern die Sorge um Schulabschluss, Lehrstelle oder Studienplatz. Die Landesregierung beteiligt sich im Rahmen ihrer Zuständigkeiten durch ein breites Maßnahmenspektrum an der Gestaltung jugendgemäßer Partizipationsmöglichkeiten . Sie bietet insbesondere im Bereich politischer Bildung und Demokratieerziehung durch die dem Geschäftsbereich des Kultusministeriums zugeordnete Landeszentrale für politische Bildung, aber auch gemeinsam mit dem Landtag, dem Bereich der Justiz, den Gedenkstätten, dem Kinder- und Jugendring und weiteren freien Trägern zahlreiche Projekte, Initiativen und außerschulische Aktivitäten an bzw. fördert diese. Zu nennen sind: - die Schülermitwirkungsrechte nach dem Schulgesetz, - die Juniorwahlen, 2 - Jugendparlamente, - das Partizipations- und Engagementprojekt „jungbewegt", welches gemeinsam mit der Bertelsmann-Stiftung und der Landeshauptstadt Magdeburg als Modellkommune realisiert wird, - der regelmäßig durchgeführte Schülerwettbewerb „Alles rechtens?“, der zur Aus- einandersetzung mit rechtspolitischen Themen auffordert, - Schülerzeitungsprojekte und beispielsweise Projekte anlässlich verschiedener Gedenktage, - die gemeinsam mit Partnern organisierte Wanderausstellung „Justiz im National- sozialismus: Über Verbrechen im Namen des Deutschen Volkes“, die ab Herbst 2011 erneut an Gerichten und Institutionen in Sachsen-Anhalt gezeigt werden wird. Dafür werden Schülerinnen und Schüler als Guides ausgebildet und führen Gruppen durch die Ausstellung. Begleitend gibt es Angebote für Schulklassen, - Diskussionsangebote in Kooperation mit unterschiedlichen Partnern, - Unterstützung des Rechtskundeunterrichts in Schulen, - Förderung des Freiwilligen Sozialen Jahres im politischen Leben, - Unterstützung von Jugendverbänden, um bereits bei dem jungen Menschen die Grundhaltung von Mitgestaltung und Mitverantwortung zu fördern. Nicht nur spezifisch an junge Menschen gerichtet werden verschiedene Veranstaltungen durchgeführt, die dazu geeignet sind, der sogenannten Politikverdrossenheit entgegenzuwirken. Mit dem Ziel der Transparenz und Bürgernähe stellen zum Beispiel beim jährlichen Sachsen-Anhalt-Tag die Ministerien des Landes, zum Teil auch unter Einbeziehung ihrer nachgeordneten Bereiche, ihre vielfältigen Aufgaben und Arbeitsbereiche vor. Außerdem erhalten die im Landtag vertretenen Fraktionen die Gelegenheit, sich beim Sachsen-Anhalt-Tag zu präsentieren. Darüber hinaus wird i. d. R. alle zwei Jahre ein Tag der offenen Tür der Landesregierung organisiert, bei dem die Bevölkerung Zugang zu allen Ministerien hat und sich dort ebenfalls über Aufgaben und Arbeitsbereiche der Ressorts informieren kann. 2. Wie schätzt die Landesregierung die Herabsetzung des Wahlalters auf 16 Jahre zu Landtagswahlen als Maßnahme gegen die so genannte Politikverdrossenheit ein? Die Herabsetzung des Wahlalters auf 16 Jahre zur Landtagswahl hinsichtlich des aktiven Wahlrechts wird als ein mögliches Mittel gegen die so genannte Politikverdrossenheit angesehen, aber das Interesse an Politik ist keine Frage des Alters. Es gibt zweifellos politisch interessierte Schülerinnen und Schüler, die überlegter als so mancher Erwachsener ihre Wahlentscheidung treffen würden, und es gibt auch auf Landesebene Themen, die Jugendliche mit 16 gleich oder stärker betreffen als Ältere . Die Gründe für die so genannte Politikverdrossenheit der Wahlberechtigten sind jedoch individuell und vielschichtig, die Lösungsansätze sind weniger im Wahlrecht 3 als in der individuellen, entwicklungsbedingten Prioritätensetzung und der Mobilisierung durch die Parteien zu finden. Das Wahlrecht ist ein sehr sensibles Rechtsgebiet , bei dem Änderungen nur dann vorzunehmen sind, wenn sie notwendig sind. Interesse, Verständnis und Engagement für die Politik können nicht durch den Akt der Wahlrechtsverleihung verordnet werden, die Herabsetzung des Wahlalters als „pädagogisches Projekt“ gegen Politikverdrossenheit wertet das Wahlrecht ab. Aus Sicht der Landesregierung ist es entscheidender, Kindern und Jugendlichen frühzeitig die Gelegenheit zu geben, Verantwortungsübernahme, Mitwirkung und Konfliktbewältigung in Kindertageseinrichtungen, Schulen und etwa Jugendverbänden zu erlernen . Möglichkeiten der weiteren Vertiefung dieser Erfahrungen bieten Jugendparlamente , -foren und -räte auf kommunaler Ebene. Wie bereits in der Antwort zur Kleinen Anfrage Drs. 5/585 dargelegt, besteht im Bereich der Kommunalwahl das aktive Wahlrecht ab dem Alter von 16 Jahren, vgl. PlProt 5/18 S. 1083. Jugendliche interessieren sich besonders für das, was in ihrem Umfeld passiert, das entspricht dem Reifeprozess eines Menschen. Bereits ab 14 Jahren dürfen Jugendliche mit Hilfe eines Einwohnerantrages initiieren, dass Belange der Jugend im Gemeinde-, Stadt- oder Kreistag behandelt werden. Demokratische Mitentscheidung wurde den Jugendlichen mit der Herabsetzung des Wahlalters von 18 auf 16 Jahre für Wahlen auf kommunaler Ebene eröffnet, das umfasst auch die Teilnahme an Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden. Diesen richtigen Schritt zur politischen Integration Jugendlicher hält die Landesregierung nicht zwingend für übertragbar auf Wahlen auf Landesebene. Die tatsächliche Wahlbeteiligung der sogenannten Jungwähler führt ebenfalls nicht zwangsläufig zu dem Schluss, dass eine Änderung des Wahlrechtes notwendig ist. Da in Sachsen-Anhalt keine repräsentativen Wahlstatistiken zu den Kommunalwahlen erstellt werden, kann zur Wahlbeteiligung der 16- bis 18-Jährigen nur bedingt Stellung genommen werden. Bei den Kommunalwahlen 1999 und 2009 wurde diese Altersgruppe jedoch im Laufe des Wahltages hinsichtlich der Wahlbeteiligung mit abgefragt . Im Jahr 1999 lag die Wahlbeteiligung der 16- bis unter 18-Jährigen bei 40 %, dagegen im Jahr 2009 bei 29,3 %. Dies ist aber auch darauf zurückzuführen, dass die allgemeine Wahlbeteiligung von 49,5 % im Jahr 1999 auf 38,0 % im Jahr 2009 zurückging. Die praktischen Erfahrungen der Kommunalwahlen zeigen jedenfalls, dass die Beteiligung in der Altersgruppe der 16- bis unter 18-Jährigen in den aufgezeigten Jahren unterhalb der durchschnittlichen Wahlbeteiligung lag. Aber auch bei den Wahlen zum Landtag, zum Bundestag und zum EU-Parlament erreichte die Anzahl der Erstwähler nicht den Durchschnitt der Wahlbeteiligung. Zur Wahlbeteiligung bei den Landtagswahlen 2011, 2006 und 2002 wird auf die geschlechts - und altersdifferenzierende Auswertung des Statistischen Landesamtes verwiesen, (Anlage 1) abrufbar unter http://www.stala.sachsen-anhalt.de/wahlen/lt11/ index.html. Zur Wahlbeteiligung bei den Bundestagswahlen 2009, 2005 und 2002 wird auf die geschlechts- und altersdifferenzierende Auswertung des Statistischen Landesamtes verwiesen, (Anlage 2) abrufbar unter http://www.stala.sachsenanhalt .de/wahlen/bt09/index.html. Zur Wahlbeteiligung bei Wahlen zum EU-Parlament 2009, 2004 und 1999 wird auf die geschlechts- und altersdifferenzierende Auswertung des Statistischen Landesamtes verwiesen, (Anlage 3) abrufbar unter http://www.stala.sachsen-anhalt.de/wahlen/ew09/index.html. 4 Es ist bekannt, dass im Bundesland Bremen im Jahr 2009 das Wahlalter auf Landesebene auf 16 abgesenkt wurde, sodass bei der Bürgerschaftswahl am 20. Mai 2011 auch die 16-Jährigen aktiv wahlberechtigt waren. Soweit diese Sachlage auf Sachsen-Anhalt überhaupt übertragbar ist, wird darauf aufmerksam gemacht, dass sich nur sehr geringfügige Veränderungen bei der Wahlbeteiligung in der Gruppe der so genannten Jungwähler („bis 21-Jährigen“) gegenüber der letzten Bürgerschaftswahl 2007 statistisch belegen lassen, obwohl diese Gruppe mit der Absenkung des Wahlalters deutlich vergrößert wurde, vgl. Statistisches Landesamt Bremen, Statistische Mitteilungen Heft 113, S. 39, abrufbar als Pdf-Datei unter www.statistik.bremen .de. 3. Würde die Landesregierung eine Änderung der Landesverfassung bzw. des Wahlgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt initiieren, um das Wahlalter auf 16 Jahre zu senken? Für den Fall der Verneinung, warum nicht? Die Diskussion über das so genannte Minderjährigenwahlrecht wird seit Anfang der 90er-Jahre vornehmlich im politischen Raum geführt. Die dafür notwendige Änderung des Artikels 42 Abs. 2 S. 1 der Landesverfassung ist allerdings im Koalitionsvertrag nicht vorgesehen. 4. Teilt die Landesregierung die Auffassung, dass die Forderung nach der Einführung eines Wahlrechts ab 16 Jahren in einem gesellschaftlichen Gesamtkonsens, wie die Unterstützung von Maßnahmen bezüglich einer verstärkten politischen Bildung und Beteiligung der Jugend - sei es durch Jugendparlamente, an Schulen oder in Organisationen und Vereinen - stehen muss? Welchen Beitrag realisiert die Landesregierung gegenwärtig in diese Richtung? Welche künftigen Vorhaben plant die Landesregierung diesbezüglich? Die Landesregierung sieht die Einführung eines Wahlrechts ab 16 auf Landesebene als einen möglichen, jedoch nicht zwingenden Bestandteil eines Gesamtkonzeptes, zu dem die Gesellschaft in weitgehendem Konsens stehen muss. Zu den realisierten bzw. geplanten Beiträgen wird auf die Antwort zu Frage 1 verwiesen. 5 6 7