Landtag von Sachsen-Anhalt Drucksache 6/400 13.09.2011 (Ausgegeben am 19.09.2011) Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung Abgeordnete Eva von Angern (DIE LINKE) Landesgesetzliche Regelungen zur (äußeren) Leichenschau Kleine Anfrage - KA 6/7153 Vorbemerkung des Fragestellenden: Jede Leiche ist ärztlich zu untersuchen, um u. a. den Todeszeitpunkt und die Todesart festzustellen. In Sachsen-Anhalt ist die Leichenschau im Gesetz über das Leichen -, Bestattungs- und Friedhofswesen des Landes Sachsen-Anhalt vom 5. Februar 2002 geregelt. Seit Jahren äußert die Fachöffentlichkeit ihre Besorgnis über eine hohe Dunkelziffer unentdeckter Tötungsdelikte. Antwort der Landesregierung erstellt vom Ministerium für Arbeit und Soziales Frage Nr. 1: Sieht die Landesregierung Defizite in der derzeitigen Praxis der Leichenschau in Sachsen-Anhalt? Wenn ja, welche? Ja. Defizite ergeben sich vor allem bei der korrekten Feststellung der Todesart (Kategorien : natürlich, nichtnatürlich, nicht aufgeklärt). Dies führt dazu, dass gemäß Angaben der Institute für Rechtsmedizin der hiesigen Universitätskliniken - im Rahmen der laut Bestattungsgesetz vorgeschriebenen zweiten Leichenschau vor der Kremation - in mindestens 3 % der Fälle die Todesart falsch eingetragen wird. Nach Erhebungen in den vergangenen Jahren in mehreren Krematorien in Sachsen-Anhalt, die von Fachärzten für Rechtsmedizin betreut werden, wurden teilweise Fehlerhäufigkeiten der ersten Leichenschau bis zu 7 % aufgedeckt. Das bedeutet, dass es bei ca. 3 % bis 7 % der Todesfälle möglich ist, dass eine nichtnatürliche Todesart fälschlicherweise nicht erkannt wurde. Als Folge der fehlerhaft festgestellten Todesart unterblieb für Fälle der nichtnatürlichen Todesart die gesetzlich vorgeschriebene Mel- 2 dung gegenüber der Polizei. Diese 3 % bis 7 % der Todesfälle sind aber nicht mit Fällen unentdeckter Tötungsdelikte gleichzusetzen. Frage Nr. 2: Sind der Landesregierung Fälle bekannt, die die o. g. Besorgnis über eine mögliche Dunkelziffer von unentdeckten Tötungsdelikten bestätigen? Wenn ja, in welcher Größenordnung? Der Landesregierung ist bekannt, dass sich in den vergangenen 10 Jahren in Sachsen -Anhalt nach Angaben der Institute für Rechtsmedizin bei acht Verstorbenen Anzeichen für ein Tötungsdelikt herausstellten, die bei der Leichenschau übersehen worden waren. Die durch die Justizministerkonferenz beauftragte Projektgruppe „Verbesserung der Qualität der äußeren Leichenschau“ zog die bundesweite Studie „Fehlleistungen bei der ärztlichen Leichenschau in der Bundesrepublik Deutschland“ von Brinkmann, Banaschak, Bratzke, Cremer (Archiv Kriminologie 1997, 199: S. 2 bis 12 und S. 65 bis 74) heran. Die Studie geht davon aus, dass mehr als 10.000 nichtnatürliche Todesfälle in Deutschland pro Jahr unerkannt bleiben und darunter mindestens 1.200 Tötungsdelikte sind. Die Projektgruppe sah diese Ergebnisse der Studie jedoch nicht als ausreichend zuverlässig an, weil die Erhebungen nicht repräsentativ waren und die Schlussfolgerungen für Gesamt-Deutschland auf Schätzungen und Hochrechnungen beruhten. Für die Verhältnisse in Sachsen-Anhalt kann daher aus der Studie auch keine zahlenmäßige Größenordnung abgeleitet werden, die belastbar wäre. Frage Nr. 3: Teilt die Landesregierung die Auffassung, dass eine der Ursachen für nichtnachvollziehbare Nennungen von Todesursachen bei gleichzeitigem Übersehen todesursächlicher Verletzungen in der fehlenden Fortbildung sowie in mangelnder Erfahrung bei der richtigen Einordnung problematischer Befunde zu sehen ist? Ja. Frage Nr. 4: Wie und zu welchem Zeitpunkt gedenkt die Landesregierung, die Empfehlungen der ressort-übergreifenden Projektgruppe, gebildet im Auftrag des Strafrechtsausschusses auf Vorschlag der Justizministerkonferenz und mit Zustimmung der beteiligten Fachministerkonferenzen umzusetzen? Die Umsetzung der Empfehlungen der von der Justizministerkonferenz eingesetzten Projektgruppe bereitet größtenteils Schwierigkeiten. Für die mit erheblichen strukturellen Änderungen verbundenen Vorschläge bedarf es einer ausreichenden Anzahl interessierter Ärzte und Ärztinnen. Wegen des sich gerade in den Bundesländern außerhalb der Stadtstaaten verschärfenden Ärztemangels in ländlichen Regionen ist die Realisierbarkeit fraglich. Aus diesen Gründen beauftragte die Gesundheitsministerkonferenz im Jahr 2010 eine eigene Arbeitsgruppe mit der Prüfung. 3 Diese Arbeitsgruppe kam zu dem Ergebnis, dass es eine Reihe von Maßnahmen gibt, welche die Qualität der äußeren Leichenschau verbessern können. Jedoch die Einführung und flächendeckende Sicherstellung eines speziellen Leichenschaudienstes wird für nicht umsetzbar gehalten. Die Arbeitsgruppe befürwortet im Wesentlichen die folgenden Vorschläge, die insoweit auch von der Projektgruppe der Justizministerkonferenz aufgezeigt worden waren: 1. Verbesserung der ärztlichen Aus-, Weiter- und Fortbildung, 2. Adäquate Qualitätskontrolle der Dokumentation, 3. Einführung von Meldepflichten bei bestimmten Auffindesituationen von Leichen und 4. Einführung einer Leichennachschau durch rechtsmedizinische Institute bei be- stimmten Fällen. Dementsprechend beschloss die Gesundheitsministerkonferenz in ihrer Sitzung am 29./30. Juni 2011 die Empfehlung an die Länder, Landesärztekammern, Kassenärztlichen Vereinigungen und Krankenhäuser, die sie betreffenden Vorschläge umzusetzen . Die Landesregierung wird Gespräche mit den ärztlichen Körperschaften und anderen Organisationen aufnehmen, um Wege zur Durchführung von Verbesserungen im Einzelnen zu klären. Aufgrund der Komplexität der Verbesserungsvorschläge und des zu beachtenden Selbstverwaltungsbereiches der ärztlichen Körperschaften lässt sich ein Zeitplan für die Umsetzung nicht aufzeigen. Frage Nr. 5: Welche Maßnahmen beabsichtigt die Landesregierung zu ergreifen, um die Qualität der Leichenschau deutlich zu verbessern? Mit den ärztlichen Körperschaften soll vor allem geklärt werden, ob es machbar ist, die erste Leichenschau nur Ärzten und Ärztinnen zu übertragen, die über eine anerkannte , kontinuierliche Fortbildung für die Leichenschau verfügen. Frage Nr. 6: Welche gesetzgeberischen Überlegungen gibt es seitens der Landesregierung, um künftig eine geeignete Grundlage für eine Professionalisierung der Leichenschau zu schaffen? Als Folge der in der Antwort zu Frage Nr. 5 genannten Maßnahme müsste § 3 Abs. 2 des Bestattungsgesetzes Sachsen-Anhalt (BestattG LSA) geändert werden. Außerdem ist zu erwägen, für Fälle der Todesart-Kategorie „nicht aufgeklärt“ die ärztliche Mitteilungspflicht an ein Institut für Rechtsmedizin einzuführen und hierfür § 6 Abs. 1 BestattG LSA zu ergänzen.