Landtag von Sachsen-Anhalt Drucksache 6/4127 03.06.2015 (Ausgegeben am 04.06.2015) Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung Abgeordneter Sebastian Striegel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vorgehen bei der Geruchsprüfung hinsichtlich der Emissionen des Unternehmens Verbio in Zörbig Kleine Anfrage - KA 6/8783 Vorbemerkung des Fragestellenden: Wie in meiner Kleinen Anfrage (KA 6/8545, Drs. 6/3635) ausgeführt, betreibt das Unternehmen Verbio AG im Zörbiger Gewerbegebiet (Gewerbe- und Industriegebiet Thura Mark) seit einigen Jahren eine Anlage zur Produktion von Bioethanol sowie Biomethan. Die auf diese Anlage zurückzuführenden Geruchsemissionen führen seit Jahren zu massiven Bürgerprotesten. In diesem Zusammenhang ist bekannt geworden, dass die Geruchsproblematik nicht in erster Linie mit Schwefelwasserstoffemissionen zu begründen ist. Vielmehr sind die in dem Geruchscocktail vorkommenden Mercaptane sowie primäre und sekundäre Amine hauptsächlich - Quellen sprechen etwa von einem 2/3-Anteil - für die Geruchsbelästigung verantwortlich. Antwort der Landesregierung erstellt vom Ministerium für Landwirtschaft und Umwelt 1. Wie viele schriftliche Einzelbeschwerden zu den Geruchsemissionen der Firma Verbio am Standort Zörbig sind aktuell beim Landesverwaltungsamt (LVwA) eingegangen? Bitte die genaue Anzahl der schriftlichen Beschwerden angeben. Von der Bürgerinitiative wurden bisher 407 Unterschriften in Form von pauschalierten Vordrucken gesammelt und vorgelegt. Davon haben 22 Personen konkrete Angaben zu Geruchsereignissen gemacht. Von den übrigen liegt jeweils nur das unterschriebene Formblatt vor. Davon sind 80 Adressen identisch und 28 Personen keine Anwohner . 2 2. Warum fokussiert sich das Landesverwaltungsamt in seinen bisherigen Untersuchungen hauptsächlich auf Schwefelwasserstoff (H2S)- Emissionen? Warum werden Geruchsemissionen durch Mercaptane und NH3-Derivate, wie primäre und sekundäre Amine sowie ggf. noch weitere Verbindungen, nicht in den Untersuchungsprozess mit einbezogen? Warum werden zur Vorbereitung der olfaktorischen Messungen die Probanden nur auf H2S und iso-Butanol geschult und nicht auch auf die angeführten geruchsrelevanten Stoffe? Das Landesverwaltungsamt fokussiert seine Untersuchungen nicht hauptsächlich auf Schwefelwasserstoff (H2S), da die Messergebnisse zeigen, dass faktisch kein Schwefelwasserstoff im Abgas vorhanden ist. Untersucht wird die Gesamtheit der auftretenden Geruchsemissionen (z. B. organische Stoffe, Geruchskonzentration an Abgasquellen). Im Fermenter von Biogasanlagen entstehen neben H2S auch Mercaptane und Ammoniakverbindungen . Hierfür sind die anaeroben Bedingungen und der Schwefelgehalt der Eingangsstoffe ausschlaggebend. In der Anlage der Verbio werden diese Stoffe bereits bei der Biogasaufbereitung aus dem Biogas entfernt und in weiteren Schritten in ein verkaufsfähiges Produkt umgewandelt (Ammoniak als Ammoniumsulfatlösung und H2S als reiner Schwefel). Da das Biogas bei der Verbio aufgrund der Einspeisung in das Erdgasnetz besonders hohen Qualitätsanforderungen unterliegt, muss die Entfernung dieser Anteile nahezu vollständig erfolgen. Die in den Produktionsabgasen enthaltenen Schadstoffe werden der regenerativen thermischen Oxidation (RTO) zugeführt und dort nahezu vollständig verbrannt. Für die Emissionsquellen sind Nachmessungen und zusätzlich Analysen des Abgases nach der Reinigung in Vorbereitung. Zur Ermittlung der Geruchsstoffkonzentration von Emissionsproben wird im Land Sachsen-Anhalt das olfaktometrische Messverfahren angewendet. Die normativen Anforderungen sind in der DIN EN 13725, der VDI 3880 und VDI 3884 sowie in der Geruchsimmissions-Richtlinie GIRL 2008 festgelegt. Die Testung der Prüfer (Prüfereignung ) und die Ermittlung der Verfahrenskenngrößen eines Prüflabors (Messinstitut ) haben danach mit den Standardgeruchsstoffen n-Butanol (nicht iso-Butanol) und im eingeschränktem Rahmen auch mit H2S zu erfolgen. Die Ermittlung dieser Verfahrenskenngrößen ist dabei zwingend vorgeschrieben (vergleichbar mit einer „Eichung“ bei technischen Messgeräten). Eine Testung der Prüfer mit realen Abgasproben widerspricht den normativen Anforderungen und ist auch nicht praktikabel. Ein Messinstitut kann erst, wenn es die Anforderungen an die Prüfereignung nach der DIN EN 13725 erfüllt, mit diesen getesteten Prüfern Geruchsstoffkonzentrationen von realen Geruchsproben (z. B. aus Biogasanlagen ) bestimmen. Eine Ermittlung der Geruchsstoffkonzentration von Immissionsproben , das heißt von Geruchsproben am Immissionsort (z. B. am Wohnort von betroffenen Anwohnern), ist im Allgemeinen nicht üblich (viel zu großer Aufwand, die Geruchskonzentration der Immissionsproben ist meist zu gering). Hinzu kommt, dass für die Belästigungssituation am Immissionsort in den meisten Fällen nur die Geruchshäufigkeit von Bedeutung ist. 3 3. Warum macht das LAU von dem Kooperationsangebot der BI ZÖRbio (Schreiben vom 8. Dezember 2014) keinen Gebrauch, indem man die offiziell einzusetzenden Geruchsprüfer - z. B. sachkundige Zörbiger Bürger (diplomierte Chemiker, Verfahrenstechniker, u. Ä.) - zu Probennahmen und Rasterbegehungen mit einlädt? Behördlich veranlasste Ermittlungen sind durch eine nach § 29b BundesImmissionsschutzgesetz bekanntgegebene Stelle durchzuführen, die zuvor in einem aufwändigen Akkreditierungsverfahren ihre Kompetenz nachgewiesen und anschließend in einem Bekanntgabeverfahren den Nachweis ihrer Unabhängigkeit und Zuverlässigkeit erbracht hat. Der Nachweis der Sachkunde anhand des Nachweises eines Hochschulstudiums auf den Gebieten des Ingenieurwesens, der Chemie oder der Physik ist dafür nicht hinreichend . Probenahmen oder Messungen von Betroffenen dürfen behördlich nicht verwendet werden, um die Objektivität der Ergebnisse zu gewährleisten. Das LAU führt keine messtechnischen Ermittlungen im Rahmen von behördlichen Überwachungsverfahren durch. Einladungen der BI ZÖRbio zu Messungen durch das LAU können demnach nicht erfolgen. 4. Im Erhebungsbogen für Geruchswahrnehmungen des LVwA sind vier Ge- ruchsintensitäten möglich. Welche der vier angegebenen Geruchsintensitäten - Stufe 1 (schwach); Stufe 2 (deutlich); Stufe 3 (stark); Stufe 4 (sehr stark) - sind bei der sehr spezifischen Geruchsbelastung durch die Firma Verbio in Zörbig zwingend als „Ekel und Übelkeit auslösend“ einzustufen ? Der Erhebungsbogen wurde vom LVwA selbst als Hilfsmittel und Angebot an Betroffene zur Unterstützung der Behörden beim Auffinden von möglichen Ursachen von Geruchsereignissen entwickelt. Die Angaben können bei der Zuordnung von Geruchsereignissen zu bestimmten Betriebszuständen einer Anlage oder Störungen im Anlagenbetrieb hilfreich sein. Da die Wahrnehmung von Gerüchen immer subjektiv ist, kann eine Bewertung der Intensität nicht vorgegeben werden. Für eine zusätzliche qualitative Bewertung von Eintragungen (z. B. „Ekel und Übelkeit auslösend“) steht das Feld „Bemerkungen“ zur Verfügung. 5. Von Einwohnern in Zörbig wurde mitgeteilt, dass im direkten Zusammen- hang mit der Ekel und Übelkeit auslösenden Geruchsbelästigung sogar Gesundheitsbeschwerden auftreten. Welche spezifischen gesundheitlichen Gefährdungen gehen von Mercaptanen bzw. primären und sekundären Aminen, H2S und den anderen Inhaltsstoffen nach aktuellem Stand der Wissenschaft aus? Welche Aussagen können in dem Zusammenhang in Bezug auf den Verbio-Standort in Zörbig getroffen werden? Kann die Landesregierung anhand der vorliegenden Datenbasis ein potentielles Gefährdungspotential für Anwohner und Mitarbeiter verbindlich ausschließen ? Sind vor dem Hintergrund der potentiellen oder realen Gesundheitsgefährdung weitere Datenerhebungen oder Maßnahmen erforderlich bzw. vorgesehen? 4 Die gesundheitlichen Gefährdungen, die von diesen Stoffen ausgehen können, sind immer abhängig von der Exposition (Höhe und Dauer). Die nachfolgenden Angaben beziehen sich ausschließlich auf stoffbezogene Erkenntnisse, zusammengestellt vom Gemeinsamen Giftinformationszentrums (GGIZ) der Länder Mecklenburg-Vorpommern , Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Mercaptane (Thiole) Thiole sind den Alkoholen und Phenolen analoge Verbindungen, bei denen der Sauerstoff der Alkohol-Gruppe durch Schwefel ersetzt ist; aliphatischen Thiole werden als Thioalkohole bezeichnet. Es besteht also auch eine nahe Verwandtschaft mit Schwefelwasserstoff, die sich in der hohen Flüchtigkeit (z. B. Methanthiol, Ethanthiol) und dem sehr unangenehmen Geruch (z. B. Geruchsschwelle von Ethanthiol 1 ppb !) äußert. Die Toxizität der Thiole ist mit der von Schwefelwasserstoff vergleichbar. Methylmercaptan (Methanthiol) ist ein extrem entzündliches Gas und bildet mit Luft explosive Gemische. Als Zersetzungsprodukte entstehen Schwefeldioxid, Kohlendioxid und Kohlenmonoxid. Das Gas reizt die Augen und wird über die Atemwege schnell aufgenommen. Neben der Geruchsbelästigung verursacht es eine Reizwirkung und kann in höherer Konzentration die Lunge schädigen. Über akute inhalative (Misch-)Intoxikationen mit Benommenheit, Bewusstlosigkeit und Atemstillstand liegen mehrere Berichte vor. Da die gefährliche Konzentration jedoch um ein Vielfaches höher liegt als der Beginn der Wahrnehmbarkeit durch seinen sehr unangenehmen fauligen und stechenden Geruch (Geruchsschwelle ca. 0,002 ppm), ist die Vergiftungsgefahr in der Praxis gering. (Quelle: RÖMPP Chemie Lexikon) Amine Amine sind Substitutionsprodukte des Ammoniaks durch Alkyl- oder Aryl-Reste. Mit steigender Molmasse ändert sich ihr Geruch von ammoniakartig über fischartig bis zur Geruchlosigkeit. Amine werden bei der Biogasaufbereitung eingesetzt (Aminwäsche, zumeist mit Ethanolamin-Derivaten: Monoethanolamin (MEA), Diethanolamin (DEA), Methyldiethanolamin (MDEA), Diglykolamin (DGA)).  Monoethanolamin (MEA; 2-Aminoethanol): farblose ölige Flüssigkeit mit ammoni- akartigem Geruch und besitzt stark reizende bis ätzende Wirkung auf Haut und Schleimhäute  Diethanolamin (DEA): farbloser, ammoniakartig riechender Feststoff mit starker Reizwirkung auf die Augen und leichter bis mäßiger Reizung der Haut  Methyldiethanolamin (MDEA; 2,2'-Methyliminodiethanol) und Diglykolamin (DGA; 2-(2-Aminoethoxy)ethanol): farblose, aminartig riechende Flüssigkeiten starker Reiz- bis Ätzwirkung auf Haut und Schleimhäute (Quelle: GESTIS Stoffdatenbank) Schwefelwasserstoff (H2S) Schwefelwasserstoff verursacht in extrem geringen Konzentrationen den typischen Geruch von faulen Eiern, der ab ca. 0,02 ppm (ml/m³) wahrnehmbar ist. Schwefelwasserstoff hat aber die Eigenschaft, die Geruchsrezeptoren zu lähmen, so dass höhere , gefährliche Konzentrationen durch Geruch nicht wahrgenommen werden. Dieser Effekt tritt bereits ab ca. 100 bis 200 ppm auf. 5 Konzentrationsabhängigkeit der Vergiftungserscheinungen beim Menschen:  <100 ppm: lebensgefährlich nach mehreren Stunden >100 ppm: lebensgefährlich weniger als eine Stunde  100 bis 150 ppm: Reizen der Augen und der Luftwege  200 bis 300 ppm: schwere lokale Reizung der Schleimhäute mit allgemeinen Vergiftungserscheinungen nach 30 Minuten, Wirkung auf das Zentralnervensystem (Geruchslähmung)  ca. 500 ppm: lebensgefährlich in 30 Minuten  ca. 1000 ppm: lebensgefährlich in wenigen Minuten >1000 ppm: Bewusstlosigkeit, Atemstörungen, Krämpfe, die innerhalb weniger Minuten zum Tod führen  ca. 5000 ppm: tödlich in wenigen Sekunden Zum Vergleich: empfohlene maximale Arbeitsplatzkonzentration 10 ppm Anzeichen einer Schwefelwasserstoffvergiftung sind z. B. Kopfschmerzen, Mattigkeit, Übelkeit, Erbrechen, motorische Unruhe, Angst, Erregungsausbruch, Verwirrtheitszustände , Gleichgewichtsstörungen, Störungen der Riech- und Hörnerven, Sprachstörungen . Bei Einwirkung auf das Auge kann eine Keratitis punctata superficialis („Spinnerauge“) entstehen (Quelle: UBA: Zur Sicherheit bei Biogasanlagen. Stand: Juni 2006). Dem zuständigen Gesundheitsamt als auch dem LVwA liegen keine Erkenntnisse und Unterlagen zu Gesundheitsbeschwerden (ärztliche Atteste oder Nachweise) im Zusammenhang mit dem Anlagenbetrieb der Verbio vor. Alle im Genehmigungsbescheid des LVwA vom 10.03.2014 festgelegten Werte wurden bei den bisher durchgeführten Messungen eingehalten und werden derzeit nochmals überprüft. Die Wartungsarbeiten und technischen Prüfungen ergaben bisher keine Beanstandungen. Undichtigkeiten durch Verschleiß o. ä. wurden jeweils unmittelbar beseitigt. Auch aus arbeitsschutzrechtlicher Sicht liegen keine Erkenntnisse vor, welche die innerbetriebliche Luftqualität betreffen. Eine Begehung der Anlage durch einen externen Sachverständigen zum Auffinden bisher nicht erfasster Geruchsquellen ist erfolgt und die Auswertung läuft derzeit. Daraus ggf. resultierende weitere technische Maßnahmen zur Beseitigung oder Minderung von Gerüchen werden entsprechend den gesetzlichen Vorgaben vom LVwA verfügt. Zusätzlich werden alle beauflagten Quellen durch ein akkreditiertes Messinstitut erneut vermessen. Daran anschließend ist eine olfaktometrische Begehung durch ein akkreditiertes Messinstitut, die sich über ein Jahr erstrecken wird, vorgesehen. Hier ist zu beachten, dass nach der GIRL Geruchimmissionen in einem bestimmten Umfang zulässig sind. Maßgeblich bei der Beurteilung sind dabei die Immissionsorte, hier die nächstgelegene Wohnbebauung. Ebenso sind andere Geruchseinträge (z. B. landwirtschaftliche Düngung) nicht dem Anlagenbetrieb zuzurechnen.