Landtag von Sachsen-Anhalt Drucksache 6/4799 11.02.2016 (Ausgegeben am 11.02.2016) Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung Abgeordneter Sebastian Striegel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aktuelle Entwicklungen hinsichtlich der Geruchsproblematik durch das Unternehmen Verbio in Zörbig Kleine Anfrage - KA 6/9032 Vorbemerkung des Fragestellenden: In meinen bisherigen beiden Kleinen Anfragen sowie den Antworten der Landesregierung (vgl. Drs. 6/3635; Drs. 6/4127) wurde die Geruchsproblematik im Zusammenhang mit dem Unternehmen Verbio in Zörbig thematisiert. Auch nach baulichen Maßnahmen zur Luftreinhaltung kommt es weiterhin zu ekelerregenden Geruchsbelästigungen durch das Unternehmen Verbio. Darum erfolgt hiermit eine weitere Kleine Anfrage. Antwort der Landesregierung erstellt vom Ministerium für Landwirtschaft und Umwelt 1. Welche Behörden sind für die amtliche Prüfung von gesundheitlichen Problemen bei Anwohnerinnen und Anwohnern zuständig, die aller Wahrscheinlichkeit nach im ursächlichen Zusammenhang mit den Geruchsemmissionen des Unternehmens Verbio am Standort Zörbig stehen? Bitte konkret darlegen, in welchem Kontext die Prüfung auf Kreis- bzw. Landesbehördenebene erfolgt. Nach § 6 Nr. 1 Gesundheitsdienstgesetz (GDG LSA) wirkt der Öffentliche Gesundheitsdienst (ÖGD) an Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit der Bevölkerung vor schädigenden Einflüssen aus der Umwelt mit und kann ein entsprechendes Aufklärungs- und Beratungsangebot bereithalten. Er beobachtet und bewertet unter umweltmedizinischen Gesichtspunkten die Auswirkungen von Umwelteinflüssen auf die Gesundheit. Die Landkreise und kreisfreien Städte sind nach § 19 Abs. 2 GDG LSA die kommunalen Träger des ÖGD, welche die Aufgaben von § 6 GDG LSA als Angelegenheiten des übertragenen Wirkungs- 2 kreises wahrnehmen. Die klinische Umweltmedizin (medizinische Betreuung von Einzelpersonen) ist nicht Aufgabe des ÖGD sondern Fachambulanzen/Kliniken vorbehalten. Werden dem ÖGD gesundheitliche Probleme aus der Bevölkerung bekannt, die vermutlich von einer immissionsschutzrechtlich geregelten Anlage verursacht werden, wird in der Regel die zuständige Immissionsschutzbehörde (Genehmigungs - und Überwachungsbehörde der Anlage) darüber in Kenntnis gesetzt, um weitere Maßnahmen von dieser Seite zu prüfen und gegebenenfalls einleiten zu können. Dieses Vorgehen trägt auch der Tatsache Rechnung, dass im Einzelfall die Prüfung eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen gesundheitlichen Problemen bei Anwohnerinnen und Anwohnern mit Geruchsemissionen kaum möglich ist (siehe auch Antwort zu Frage 6). 2. Wie viele Beschwerden im Zusammenhang mit gesundheitlichen Problemen wurden bisher von Anwohnern und Anwohnerinnen sowie Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen der umliegenden Firmen beim Landesverwaltungsamt eingereicht? Welche Krankheitssymptome wurden von den Betroffenen im Rahmen dieser Beschwerden angeführt? Wie wurde vonseiten des Landesverwaltungsamtes auf diese Beschwerden reagiert? Seit der Beantwortung der Kleinen Anfrage in der LT-Drs. 6/4127 vom 3. Juni 2015 (Frage 1) liegen dem Landesverwaltungsamt (LVwA) 21 Beschwerden von Anwohnern und Anwohnerinnen vor, deren Inhalte und Formulierungen meist identisch und nicht weiter spezifiziert sind. Es werden gesundheitliche Probleme allgemeiner Art dargestellt, wie beispielsweise Kopfschmerzen, Brennen der Augen, Brechreiz und Schwindelgefühl. Am 11. Januar 2016 wurde das LVwA vom Gesundheitszentrum Bitterfeld/Wolfen (Klinikum Bitterfeld) informiert , dass eine Anwohnerin nach einem Inhalationstrauma stationär vom 19. Dezember 2015 bis 21. Dezember 2015 eingewiesen wurde. Eine weitere ärztliche Bescheinigung liegt dem LVwA vor. Ein eindeutiger Zusammenhang zu den Emissionen der Verbio Ethanol Zörbig GmbH & Co. KG ist allerdings nicht zu erkennen. Beim Landesverwaltungsamt, Ref. 604 (Gesundheitswesen, Pharmazie) wurden keine Beschwerden eingereicht. Im Gesundheitsamt des Landkreises Anhalt -Bitterfeld hat ein Bürger der Stadt Zörbig eine allgemeine Beschwerde im Auftrag von betroffenen Anwohnern eingereicht, die gesundheitliche Probleme haben und die aus deren Sicht auf Immissionen der Biogasanlage der Verbio AG zurückzuführen sind. Eine Anwohnerin der Stadt Zörbig hat gesundheitliche Probleme (wie Schwindelanfälle und Übelkeit) aufgrund von Immissionen des Verbio-Unternehmens geltend gemacht. Das Landesamt für Verbraucherschutz (LAV) wurde ebenfalls angeschrieben. Zur weiteren Abklärung hat das Gesundheitsamt die Konsultation in einer umweltmedizinischen Fachpraxis empfohlen , da eine individualmedizinische Betreuung nicht zu den Aufgaben des Gesundheitsamtes gehört. Das LAV hat der Bürgerin eine Übersicht von Beratungsstellen und umweltmedizinischen Ambulanzen zur Verfügung gestellt. Der Immissionsschutz im LVwA wurde informiert. 3 An die Gewerbeaufsicht im LAV wurden bisher keine Beschwerden von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Unternehmens Verbio oder angrenzenden Firmen herangetragen. Von den umliegenden Firmen liegen mit Stand vom 31. Dezember 2015 keine Beschwerden vor. Auf Betreiben des LVwA wurden bisher folgende Maßnahmen zur Geruchsminderung durchgeführt: Erweiterung der Reinigungsleistung der Regenerativ-Thermischen Oxidation (RTO) durch Aufbau einer zweiten RTO, die parallel zur ersten RTO betrieben wird. Durch die Erhöhung des möglichen Abluftstromes wurden die Emissionsquellen (Abluft CO2-Abgaswäscher, Vakuumauslass von Quenche /Wäscher) mit in die RTO eingebunden. Installation einer Absaugung für die Verdrängungsluft aus der Abfüllung von Schlempesubstrat und Zuführung zur Kesselanlage sowie Installation einer direkten Rohrleitung für die Ableitung von Restgasen zwischen Fermentation und Betriebsfackel. Einbindung der Verdrängungsabluft der Gärresteverladung in die Zuluft zur Dampfkesselanlage. Führung des Abgasstromes aus dem Auslass des Analysecontainers über ein Aktivkohle-Fass. Dosierung, Umpumpen und Rühren bei der Hefeaufbereitung in einem geschlossenen System. Änderung des Betriebsregimes zur Geruchsminderung des Gärrestes durch Zugabe eines geruchsreduzierenden Hilfsstoffs, verbunden mit der Errichtung eines entsprechenden Lagertanks. 3. Wie viele Anzeigen im Zusammenhang mit gesundheitlichen Problemen wurden bisher von Anwohnern und Anwohnerinnen sowie Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen der umliegenden Firmen beim Landesverwaltungsamt eingereicht? Welche Krankheitssymptome wurden von den Betroffenen dabei angeführt? Wie wurde vonseiten des Landesverwaltungsamtes auf diese Anzeigen reagiert? Anzeigen im strafrechtlichen Sinne liegen nicht vor. Weitere Informationen sind der Antwort auf die Frage 2 zu entnehmen. 4. Die Industrieemissionsrichtlinie der EU (Industrial Emissions Directive, kurz IED), die für alle Länder der Europäischen Union gilt, musste in einem angemessenen Zeitraum in nationales Recht überführt werden. Wie wird die Umsetzung in tatsächliches Verwaltungshandeln in Sachsen- Anhalt abgesichert? Welcher Erlass, welche Verordnung regelt ggf. die Umsetzung dieser bereits in nationales Recht überführten Richtlinie auf Landesebene? Die Industrieemissionsrichtlinie der EU wurde durch das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie über Industrieemissionen (Richtlinie 2010/75/EU) vom 8. April 2013 (BGBl. I S. 734) in nationales Recht umgesetzt. Zum Vollzug wurde am 4 12. Januar 2015 der Überwachungsplan des Landes Sachsen-Anhalt für Industrieemissions -Anlage (IE-ÜPl) erlassen (http://www.mlu.sachsen-anhalt.de/fileadmin/Bibliothek/Politik_und_Verwaltung /MLU/MLU/a-Themen/Luft_Laerm_Verkehr/Immissionsschutz/Industrieemissionsanlagen /Plan.pdf). 5. Wann erfolgte die Anwendung der in der EU-Industrieemissionsrichtlinie vorgeschriebenen Emissionsüberprüfung im Rahmen einer Fremdüberwachung beim Unternehmen Verbio und welche Stoffe (z. B. H2S, Mercaptane und Amine) werden dann dabei geprüft? Wenn bisher keine Anwendung erfolgt, wie wird das begründet und wann soll die Richtlinie beim Unternehmen Verbio Anwendung finden? Die Richtlinie 2010/75/EU entfaltet bezüglich Emissionsüberprüfungen keine Direktwirkung . Im Rahmen der Fremdüberwachung fanden aber bereits im Jahr 2012 Messungen durch eine nach § 26 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (BImSchG) zugelassenen Messstelle statt. Dabei wurden die Emissionsquellen auf Organische Stoffe, angegeben als Gesamtkohlenstoff sowie Schwefelwasserstoff (H2S) geprüft. Die Messergebnisse zeigen, dass alle Grenzwerte eingehalten und deutlich unterschritten werden. Der Wert für H2S lag unterhalb der Nachweisgrenze . Aktuelle Messungen wurden am 13. Januar 2016 von der Firma Eurofins GfA GmbH durchgeführt. Das LVwA war während der Messung vor Ort. Der Messplan wurde vor der Messung dem Landesamt für Umweltschutz und dem LVwA übersendet. Dabei werden die Emissionsquellen auf Organische Stoffe, angegeben als Gesamtkohlenstoff sowie Schwefelwasserstoff geprüft . Der Messbericht liegt dem Landesverwaltungsamt spätestens Mitte März vor. Im Rahmen der Bearbeitung der Geruchsproblematik wurde zur gesonderten Prüfung des Schwefelwasserstoffwertes und der Wirksamkeit der vorgeschalteten Entschwefelungsanlage zeitweise eine kontinuierliche Messung im Abgasstrom nach der Abgasreinigung durch das LVwA veranlasst. Auch diese Ergebnisse zeigten, dass faktisch kein Schwefelwasserstoff im Abgas vorhanden ist. Aufgrund der Beschwerden zu Geruchsbelästigungen wurde von Verbio auf Veranlassung des LVwA eine Begutachtung der Geruchsquellen der Ethanolanlage und der Biomethananlage in Auftrag gegeben und durch die IFU GmbH - Privates Institut für Analytik im Juli 2015 durchgeführt. Im Hinblick auf die in letzter Zeit vermehrt auftretenden Beschwerden bzgl. Geruchsbelästigungen sind weitere Untersuchungen durch die IFU GmbH geplant und zeitnah umzusetzen . 6. Die arbeitsmedizinische Fachliteratur berichtet über gesundheitliche Probleme durch Abgase aus Biogasanlagen. Dabei wird explizit auf die Atemgifte H2S und dessen Derivate wie Mercaptane sowie zusätzlich auf NH3 und dessen Derivate wie primäre u. sekundäre Amine eingegangen (vgl. z. B. Biogashandbuch des Landesumweltamtes Bayern 2003 bis 2008). Welche dieser genannten und eventuell auch noch welche anderen Atemgifte könnten in Zörbig bei der Biogasproduktion von Verbio die gesund- 5 heitlichen Probleme der Bürger und Bürgerinnen verursachen? In welcher Konzentration und Menge werden diese Stoffe vom Zörbiger Verbio-Werk tatsächlich freigesetzt? Wie in der Antwort zur Kleinen Anfrage 6/8743 in der LT-Drs. 6/4127 zu Frage 5 ausgeführt, sind die gesundheitlichen Gefährdungen, die von diesen Stoffen ausgehen können, immer abhängig von der Höhe und Dauer der Exposition. Ohne Kenntnis dieser Daten wären Aussagen rein spekulativ. Die in der arbeitsmedizinischen Fachliteratur beschriebenen Erkenntnisse zu gesundheitlichen Wirkungen bestimmter Stoffe werden unter konkreten Expositionsbedingungen gewonnen. An Hand dieser Wirkungen nach Übereinstimmungen mit gesundheitlichen Problemen bei Bürgerinnen und Bürgern in Zörbig zu suchen und den Stoff dann als Verursacher zu identifizieren, führt ohne Kenntnis der Exposition unweigerlich zu Fehlschlüssen. Weiterhin ist es grundsätzlich kaum möglich, von Bürgerinnen und Bürgern geschilderte unspezifische gesundheitliche Probleme wie z. B. Kopfschmerzen und Übelkeit mit multifaktoriellen Ursachen eindeutig bestimmten Stoffen zuzurechnen, die in Industrieanlagen produziert werden bzw. dort als Nebenprodukte entstehen. Der Genehmigungsbescheid des LVwA für die Firma Ethanol Zörbig GmbH Co. KG vom 10.03.2014 enthält Emissionsbegrenzungen für folgende Schadstoffe: Organische Stoffe, angegeben als Gesamtkohlenstoff: 50 mg/m3 Schwefelwasserstoff: 3 mg/m3 Die bisher vorliegenden Messergebnisse zeigen die sichere Einhaltung der Grenzwerte. Wie in der Antwort zur Kleinen Anfrage 6/8743 zu Frage 2 ausgeführt, werden Mercaptane und Ammoniakverbindungen in der Anlage von Verbio bereits bei der Biogasaufbereitung aus dem Biogas entfernt. 7. Verfügt das Unternehmen Verbio am Standort Zörbig über einen Pufferspeicher für die Biogasproduktion? Wenn ja, über welche Kapazität in m³ verfügt dieser Speicher? Wenn nein, würde der Bau eines ausreichend dimensionierten Gaszwischenspeichers helfen, die Gesamtanlage so zu fahren, dass damit die Geruchsemmissionen bei auftretenden Produktionsspitzen oder Gefahrenmomenten im Extrembereich beseitigt werden würden? Über einen gesonderten Lagerbehälter, der als Pufferspeicher für das erzeugte Biomethan dient, verfügt die Anlage nicht. In der Anlage können jedoch insgesamt 13,26 Tonnen brennbare Gase gelagert werden. Eine Einschätzung, ob mit einem Bau eines ausreichend dimensionierten Gaszwischenspeichers Geruchsemmissionen beseitigt werden würden, ist rein spekulativ . Die Anlagenkonfiguration ist Angelegenheit des Antragstellers/Betreibers und wird durch die Behörde nicht vorgegeben. Die bereits eingeleiteten technischen Maßnahmen zur Geruchsminderung sind der Antwort zu Frage 2 zu entnehmen. 6 8. Welche Nennleistung (installierte Leistung) in MW und welche Jahresleistung in MWh ist für die Biogasanlage von Verbio am Standort Zörbig für die Jahre 2012, 2013, 2014 und 2015 erfasst? Bitte differenziert nach Jahresscheiben aufführen und begründen, mit welchen baulichen Erweiterungsmaßnahmen der Biogasanlage die Erhöhung der Nennleistung bzw. die Erhöhung der Jahresleistung in Zusammenhang stehen. Das erzeugte Biomethan (genehmigte Kapazität 9.123 kg/h entschwefeltes Biomethan ) wird in das öffentliche Gasnetz eingespeist. Eine Verbrennungsmotoranlage ist nicht installiert, insofern kann keine Angabe zur installierten Leistung in MW gemacht werden. Folgende Jahresleistungen wurden erzeugt: - 2012 155.615 MWh, - 2013 130.792 MWh, - 2014 182.153 MWh, - 2015 220.229 MWh. Die Erhöhung der erzeugten Biogasmenge von 2013 auf 2014 ist das Resultat einer verbesserten Ausbeute der Inputstoffe und keiner Erweiterung der Anlage. Die technische Umsetzung wesentlicher für den Betrieb erforderlicher Anlagenteile für die 2014 genehmigte Erhöhung der Biogaserzeugung ist noch nicht erfolgt .