Landtag von Sachsen-Anhalt Drucksache 6/4810 15.02.2016 (Ausgegeben am 15.02.2016) Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung Abgeordnete Cornelia Lüddemann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Strom- und Gassperren in Sachsen-Anhalt Kleine Anfrage - KA 6/9046 Vorbemerkung des Fragestellenden: Laut der aktuellen Studie „Zum Stromkonsum von Haushalten in Grundsicherung: Eine empirische Analyse für Deutschland“ des Deutschen Caritasverbandes und des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), deckt der ALG II-Regelsatz nur unzureichend die Energiekosten. Zahlen der Bundesnetzagentur zeigen entsprechend , dass Strom- und Gassperren in den letzten Jahren kontinuierlich zunehmen. Laut Meldung der Mitteldeutschen Zeitung vom 15. November 2015 werden die Strompreise in Deutschland 2016 durchschnittlich um 3 % steigen. Der Bund der Energieverbraucher forderte via Pressemitteilung im Dezember 2014 Strom- und Gassperren wenigstens für den Zeitraum vom 1. November bis 15. März zu untersagen . Antwort der Landesregierung erstellt vom Ministerium für Wissenschaft und Wirtschaft Frage 1: Wie vielen Haushalten in Sachsen-Anhalt werden a) Stromsperren und b) Gassperren vom Grundversorger per Mahnung angedroht? Bitte Angaben für die Jahre 2010 bis 2015 und differenziert nach Landkreisen und kreisfreien Städten . Nach dem gemeinsamen Monitoringbericht 2015 der Bundesnetzagentur und des Bundeskartellamts gemäß § 63 Abs. 3 i. V. m. § 35 EnWG und § 48 Abs. 3 i. V. m. § 53 Abs. 3 GWB entsprach für das Bundesgebiet die Zahl der Sperrungen von Haushaltskunden im Auftrag des Grundversorgers im Jahr 2014 ungefähr dem Vor- 2 jahresniveau.1 Insgesamt wurden in Deutschland in 2014 etwa 6,3 Mio. Sperrandrohungen von Lieferanten gegenüber grundversorgten Haushaltskunden ausgesprochen , von denen ca. 1,4 Mio. in eine Unterbrechungsbeauftragung beim zuständigen Netzbetreiber mündeten. Im Auftrag des Grundversorgers wurden letztendlich 351.802 Sperrungen vollzogen. Datengrundlage hierfür sind die Angaben von 739 Verteilnetzbetreibern und 887 Lieferanten. Erstmals erhoben wurden Daten zum Einsatz von Vorkassesystemen wie Bargeld- oder Chipkartenzähler im Auftrag des Grundversorgers. Im Berichtsjahr 2014 waren insgesamt etwa 17.300 solcher Systeme installiert. Darüber hinaus liegen der Landesregierung keine Informationen vor. Die Erhebungsmethode der Bundesnetzagentur ermöglicht keine bundesländerscharfe oder gar landkreisscharfe Auswertung. Die angefragten Daten sind auch nicht Gegenstand der amtlichen Statistik des Statistischen Landesamtes Sachsen-Anhalt oder der Bundesagentur für Arbeit. Frage 2: Wie vielen Haushalten in Sachsen-Anhalt ist die Grundversorgung mit a) Strom und b) Gas vom Grundversorger unterbrochen worden? Bitte Angaben für die Jahre 2010 bis 2015 und differenziert nach Landkreisen und kreisfreien Städten . 2.1 Wie lange dauert durchschnittlich die Unterbrechung der Grundversorgung mit a) Strom und b) Gas in den Jahren 2010 bis 2015 an? 2.2 In wie vielen betroffenen Haushalten wohnen Minderjährige? Bitte auch als Vom-Hundert-Satz zur Anzahl der betroffenen Haushalte angeben. 2.3 Welche Informationen zur Einkommenssituation der betroffenen Haushalte liegen vor? Beispielsweise Anteil der Haushalte die Sozialleistungen beziehen (SGB II, SGB XII) und/oder Höhe des Erwerbseinkommens . 2.4 Wie oft fiel die Unterbrechung der Grundversorgung mit a) Strom und b) Gas in die Monate November bis März? Für den Fall fehlender Daten wird eine Einschätzung der Landesregierung dazu erbeten, wie oft Unterbrechungen der Grundversorgung mit a) Strom und b) Gas in den Wintermonaten in Sachsen-Anhalt erfolgen. Hierzu liegen der Landesregierung keine Informationen vor. Die angefragten Daten sind nicht Gegenstand der amtlichen Statistik des Statistischen Landesamtes Sachsen -Anhalt oder der Bundesagentur für Arbeit. Auch auf Bundesebene werden die Unterbrechungen der Grundversorgung mit Strom bzw. Gas nicht monatsscharf oder anderweitig unterjährig erhoben, so dass auch keine Angaben für die Wintermonate gemacht werden können. 1 Bundesnetzagentur/Bundeskartellamt: Monitoringbericht 2015, Bonn, Stand 10. November 2015, S. 191ff.; unter: http://www.bundesnetzagentur.de/DE/Sachgebiete/ElektrizitaetundGas/Unternehmen_Institutionen/Datenaustauschund Monitoring/Monitoring/Monitoringberichte/Monitoring_Berichte_node.html 3 Frage 3: Wie viele Anträge auf Übernahme von Energieschulden werden gegenüber den Jobcentern in Sachsen-Anhalt gestellt? Bitte Angaben für die Jahre 2010 bis 2015 und differenziert nach Landkreisen und kreisfreien Städten. 3.1 Wie viele dieser Anträge werden genehmigt? Bitte auch als Vom- Hundert-Satz zur Gesamtzahl der Anträge angeben. 3.2 Wie hoch sind im Durchschnitt die Energieschulden, deren Übernahme beantragt wird? Hierzu liegen der Landesregierung keine Informationen vor. Die angefragten Daten sind nicht Gegenstand der amtlichen Statistik des Statistischen Landesamtes Sachsen -Anhalt oder der Bundesagentur für Arbeit (§ 51b SGB II); sie liegen deshalb in den Jobcentern nicht zuverlässig und nicht flächendeckend vor. Frage 4: Welche weiteren Maßnahmen und/oder Leistungen seitens der Sozialhilfeträger im Land gibt es zur Verhinderung von Strom- und Gassperren? Zur Erfüllung der Aufgaben nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) werden die Leistungsberechtigten beraten und, soweit erforderlich, unterstützt (§ 11 SGB XII). Die örtlichen Sozialhilfeträger wurden ergänzend dazu befragt, inwieweit weitere Maßnahmen bzw. Leistungen im Kontext der Sozialhilfe erbracht werden, die über die gesetzlich vorgegebenen Möglichkeiten des SGB XII hinaus erfolgen. Von den 14 zuständigen Sozialhilfeträgern in Sachsen-Anhalt haben zwölf geantwortet. Im Ergebnis dieser Umfrage haben alle zwölf Sozialämter mitgeteilt, entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen einschließlich der Beratungs- und Unterstützungsleistungen , z. B. im Rahmen des Projektes „Stromsparcheck“ oder in Verhandlungen und Gesprächen mit Energieversorgungsunternehmen, nach dem SGB XII zu verfahren . Nach § 35 Abs. 1 Satz 3 SGB XII sollen Leistungen für Unterkunft und Heizung an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte gezahlt werden, wenn die zweckentsprechende Verwendung durch die leistungsberechtigte Person nicht sichergestellt ist. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn Energiekostenrückstände bestehen , die zu einer Unterbrechung der Energieversorgung führen können. Mit dieser Regelung wird den Sozialhilfeträgern über die Beratungs- und Unterstützungsleistungen hinaus ein Instrument an die Hand gegeben, zukünftige Energiekostenrückstände durch regelmäßige Überweisungen, z. B. an den Energieversorger als Empfangsberechtigten , zu vermeiden. Nach § 36 SGB XII können darüber hinaus Schulden übernommen werden, wenn dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Diese sollen übernommen werden, wenn sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Die regelmäßige Versorgung eines Haushaltes mit Heiz- und Haushaltsenergie gehört zum sozialhilferechtlich anerkannten Mindestbedarf. Eine Strom- oder Gassperre kann insoweit zu einer mit der Wohnungslosigkeit vergleichbaren Notlage führen. Damit eröffnet der Gesetzgeber dem Sozialhilfeträger eine Ermessensentscheidung. Dabei hat er innerhalb dieser entscheidungsrechtlichen Grenzen grundsätzlich sämtliche Umstände eines Einzelfalles zu berücksichtigen. 4 Darüber hinaus liegen der Landesregierung keine Informationen vor. Die angefragten Daten sind nicht Gegenstand der amtlichen Statistik des Statistischen Landesamtes Sachsen-Anhalt oder der Bundesagentur für Arbeit. Frage 5: Inwieweit sind die Verbraucherzentralen in Sachsen-Anhalt mit dem Thema der Strom- und Gassperren befasst und inwieweit stehen gesonderte Beratungsangebote und Information dazu bereit? In der Verbraucherrechtsberatung und Schuldnerberatung der Verbraucherzentrale gibt es seit Jahren Nachfragen zu dieser Problematik. Die Verbraucherzentrale Sachsen-Anhalt bietet daher in ihrem Internetauftritt unter http://www.vzsa.de/stromsperre unter dem Titel „Stromsperre - was nun?“ eine ausführliche Verbraucherinformation zu diesem Thema an. In der Verbraucherinformation finden sich zudem Hinweise zur Rolle der Sozialleistungsträger , zum Verhandlungsweg mit dem Energieversorger, zur Sperrverhinderung , zum Tarif- und Anbieterwechsel sowie zu den Beratungsangeboten der Verbraucherzentrale und anderer Beratungsstellen. Auch findet sich dort das Muster eines Antwortbriefs für den Fall der Androhung einer Gassperre. Frage 5.1: Welche Informationen zur Nutzung dieser Beratungs- und Informationsangebote liegen vor? Hierzu liegen der Landesregierung keine Informationen vor, da das Nutzungsverhalten nicht statistisch erfasst wird. Verbraucheranfragen zu Versorgungsverträgen erfolgen zu ganz unterschiedlichen Themen. Dazu gehören Rechte und Möglichkeiten bei Preiserhöhungen, Fehler in der Jahresabrechnung, Anpassungen von Abschlagszahlungen oder Probleme bei bestehenden Zahlungsrückständen. Handelt es sich um drohende oder bestehende Sperren der Strom- und Gasversorgung, berät die Verbraucherzentrale zu Fragen der Richtigkeit der zugrundeliegenden Verbrauchsabrechnungen , zur Zulässigkeit von Versorgungsunterbrechungen und Handlungsalternativen bei berechtigter oder unberechtigter Sperrandrohung. Neben der rechtlichen Beratung geht es auch um die Suche nach einvernehmlichen Lösungen zusammen mit dem Versorger sowie bei Bedarf um den Verweis auf andere Beratungsangebote , zum Beispiel die Energiespar- oder Schuldnerberatung. Frage 6: Wie viele Personen wenden sich aufgrund von Energieschulden an die Schuldnerberatungsstellen in Sachsen-Anhalt? Angaben bitte für die Jahre 2010 bis 2015, differenziert nach Beratungsstellen und bitte als Vom-Hundert-Satz zur Gesamtzahl der Beratungsfälle pro Beratungsstelle. Zur Beantwortung dieser Frage wurden Vertreter der Schuldner- und Insolvenzberatungsstellen , das Landesverwaltungsamt sowie die Landesarbeitsgemeinschaft „Schuldnerberatung“ beteiligt. Die gewünschten Daten werden in den Schuldner- und Insolvenzberatungsstellen nicht erfasst. Jedoch wurde der Landesregierung seitens der LIGA der freien Wohlfahrtspflege , in der die Träger der Schuldner- und Insolvenzberatungsstellen organi- 5 siert sind, eine qualitative Einschätzung zu dieser Problematik übermittelt, die auf den Eindrücken der Beratungsstellen beruht: Danach habe etwa die Hälfte der Ratsuchenden bei einem oder gleich mehreren Anbietern Energieschulden. Insgesamt bestehe der Eindruck, dass Probleme mit Stromversorgern in den letzten Jahren stark angestiegen seien. Frage 7: Welche Maßnahmen und Konzepte seitens der Landesregierung bestehen bzgl. der Problematik der Strom- und Gassperren? Das Energiekonzept 2030 der Landesregierung aus dem Jahr 2014 behandelt unter Punkt 11.5 das Thema „Energie als Grundbedarf“ (Seite 68f.). Dort heißt es: „[…] Für die Verbraucherinnen und Verbraucher gehört die Versorgung mit Strom und Wärme zum Grundbedarf. Deshalb müssen Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit für alle gewährleistet werden. Dazu leistet die Umstellung unserer Energieversorgung auf Rohstoffe, die nicht den volatilen Weltmarktpreisen unterliegen, einen ebenso entscheidenden Beitrag wie konsequente Energiesparmaßnahmen. […] Energiearmut muss über Hilfen zur Energieeinsparung über Energieberatung adressiert werden. Auf diesem Gebiet wird sich das Land mit der Verbraucherzentrale des Landes abstimmen, welchen Beitrag die Landesregierung leisten kann. Eine wichtige Rolle wird dabei die LENA2 spielen. Gleichzeitig liegt es in der Verantwortung des Sozialstaats, über die üblichen Sozialleistungen einen angemessenen und an die Preissteigerungen regelmäßig angepassten Betrag für Strom, Wärme und Mobilität zur Verfügung zu stellen. Die Allgemeinheit zahlt mit hohen Energiekosten dafür, wenn sich sozial Schwache keine gut gedämmte Wohnung leisten können oder keine energiesparenden Geräte anschaffen können. Energieberatung und gezielte Förderung entlasten an dieser Stelle auch die kommunalen Haushalte. […] Daneben stehen für die Bürgerinnen und Bürger in Sachsen-Anhalt zahlreiche Beratungsmöglichkeiten im Zusammenhang mit Energie im Allgemeinen und auch drohenden Energiesperren im Besonderen zur Verfügung. Diese übernehmen örtlich die Sozialämter, die Schuldner- und Insolvenzberatungsstellen der Kommunen, Verbände der freien Wohlfahrtspflege und die Verbraucherzentrale Sachsen-Anhalt e. V. Auch der Verbraucherservice der Bundesnetzagentur sowie die im vergangenen Jahr gegründete Schlichtungsstelle Energie vermitteln in solchen Angelegenheiten. Die meisten dieser Beratungsmöglichkeiten sind kostenfrei.“ 2 Landesenergieagentur Sachsen‐Anhalt GmbH