Landtag von Sachsen-Anhalt Drucksache 6/4859 15.03.2016 (Ausgegeben am 16.03.2016) Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung Abgeordneter Sebastian Striegel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Beteiligung sachsen-anhaltischer Neonazis und Hooligans am Angriff auf Leipzig Connewitz Kleine Anfrage - KA 6/9087 Vorbemerkung des Fragestellenden: Am Abend des 11. Januar 2016 griffen zwischen 200 und 300 Neonazis und Hooligans in und um die Wolfgang-Heinze-Straße in Leipzig Connewitz Personen und Geschäfte an. Es entstand Sachschaden in Höhe von mehreren hunderttausend Euro . Der Angriff fand parallel zur extrem rechten Legida-Demonstration im Zentrum von Leipzig statt. Zuvor hatte es im Internet Drohungen gegen den als linksalternativ bekannten Stadtteil Connewitz gegeben. Antwort der Landesregierung erstellt vom Ministerium für Inneres und Sport Namens der Landesregierung beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Vorbemerkung: Nach der gebräuchlichen Definition ist der Neonazismus eine Teilmenge des Rechtsextremismus . Die Landesregierung sammelt Informationen zu rechtsextremistischen Bestrebungen. Eine gesonderte Erfassung der Teilmenge Neonazismus findet nicht statt. Insofern werden die Fragen dahingehend interpretiert, dass diese sich auf die von der Landesregierung beobachteten Rechtsextremisten beziehen. Eine Beobachtung der Hooliganszene durch die Verfassungsschutzbehörde erfolgt grundsätzlich nicht. Es werden lediglich Schnittmengen erfasst. Dies ist etwa dann der Fall, wenn dem Verfassungsschutz hinlänglich bekannte Rechtsextremisten erkennbar aktiv in der Hooliganszene in Erscheinung treten oder wenn offenkundig der Hooliganszene zuzuordnende Personen politisch motivierte Straftaten verüben. 2 Voraussetzung dafür, dass der Verfassungsschutz Sachsen-Anhalt Informationen zu Personenzusammenschlüssen sammeln und auswerten darf, ist das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte für Bestrebungen oder Tätigkeiten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Gesetzes über den Verfassungsschutz im Land Sachsen-Anhalt (Verf- SchG-LSA). Bezüglich Hooliganstrukturen in Sachsen-Anhalt liegen der Landesregierung derartige tatsächliche Anhaltspunkte weiterhin nicht vor. Zudem geht die Landesregierung auch weiterhin nicht von einer zielgerichteten rechtsextremistischen Unterwanderung von Hooligangruppen in Sachsen-Anhalt aus. Die personelle Schnittmenge von sachsen-anhaltischen Hooligangruppen zum Rechtsextremismus liegt derzeit bei weniger als zehn Prozent. 1. Welche Erkenntnisse liegen der Landesregierung zum Angriff vom 11. Januar 2016 vor. Wie bewertet die Landesregierung einen solchen Angriff aus Sicht von Polizei und Verfassungsschutz? Der Landesregierung liegen Erkenntnisse darüber vor, dass sich am 11. Januar 2016 in Leipzig etwa 3.000 Personen an der Veranstaltung „Ein Jahr LEGIDA“ beteiligten. An zahlreichen Gegenversammlungen nahmen circa 3.000 Personen teil. Die betreffenden Veranstaltungen und Versammlungen verliefen weitestgehend friedlich. Allerdings zündeten gegen 19:30 Uhr im Stadtteil Connewitz etwa 250 vermummte und augenscheinlich rechtsorientierte Personen Pyrotechnik, griffen damit Polizeibeamte an, errichteten Barrikaden und begingen erhebliche Sachbeschädigungen. Polizeiliche Ermittlungen, hauptsächlich wegen des Verdachts des schweren Landfriedensbruchs, wurden eingeleitet. Vom überwiegenden Teil der handelnden Tatverdächtigen konnte die Identität festgestellt werden, 215 Personen wurden vorübergehend in polizeilichen Gewahrsam genommen. Die Polizeidirektion Leipzig teilte gegenüber den Medien mit, dass von diesen Personen ein nicht unerheblicher Teil bereits als „rechtsmotiviert“ und/oder „Gewalttäter Sport“ aktenkundig war sowie aufgrund mitgeführter Utensilien der Fußballfanklientel (u.a. HFC) zuzuordnen sei. In Medienberichten wurde darüber hinaus von der Teilnahme von etwa 35 Personen aus Sachsen-Anhalt an diesen Ausschreitungen gesprochen. Nach Einschätzung der Polizei und der Verfassungsschutzbehörde des Landes Sachsen-Anhalt sind die Ausschreitungen im Ergebnis bisheriger Erkenntnisse getrennt von der LEGIDA-Versammlung zu betrachten und als Racheakt zu den Übergriffen von Linksextremisten am 12. Dezember 2015 zu werten. Damals kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Teilnehmern von Veranstaltungen der „Offensive für Deutschland“ (OfD), „Thürgida“ und der Partei „Die Rechte“ mit bis zu 300 gewaltbereiten Linksautonomen und bis zu 1.000 vermummten Gewalttätern, in deren Folge erhebliche Sach- und Personenschäden sowie Angriffe auf Einsatzkräfte zu verzeichnen waren. Die Polizeidirektion Leipzig sprach in einer Pressemeldung von „Gewaltexzessen“. Obwohl Hooligans als grundsätzlich unpolitisch zu bewerten sind, konnten bereits im Zusammenhang mit früheren Veranstaltungen der Bündnisse „Hooligans gegen Salafisten“ (HoGeSa) und „Gemeinsam Stark Deutschland“ (GSD) gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Hooligans und Linksextremisten festgestellt werden. Diese Auseinandersetzungen lassen sich zum einen mit der in der Hooliganszene vorherrschenden Gewaltaffinität begründen und zum anderen mit vorausgehenden gewalttätigen Aktionen von Linksextremisten. 3 Insgesamt verurteilt die Landesregierung sowohl links- als auch rechtsextremistische Gewaltanwendungen. 2. Welche Erkenntnisse liegen der Landesregierung zur Beteiligung von Tätern und/oder Gruppen aus Sachsen-Anhalt vor? Wieviele der Tatverdächtigen kommen aus Sachsen-Anhalt? Welchen Personenzusammenhängen sind sie ggf. zuzuordnen? Die Polizeidirektion Leipzig hat eine Liste mit den in Frage 1 bereits erwähnten 215 Personen erstellt und bundesweit an die polizeilichen Staatsschutzdienststellen versandt. Unter diesen Personen befanden sich insgesamt 13, die einen Bezug zu Sachsen-Anhalt aufweisen. Dabei wurde nicht ausschließlich das Wohnortprinzip berücksichtigt; auch Personen, die in Sachsen-Anhalt nicht ihren ständigen Wohnsitz haben, jedoch hier geboren wurden und möglicherweise noch Verbindungen zum Bundesland haben, wurden dort aufgeführt. Von den genannten 13 Personen ließen sich bei zehn Personen Bezüge zum örtlichen Zuständigkeitsbereich der Polizeidirektion (PD) Sachsen-Anhalt Süd feststellen, wobei fünf Personen ihren Wohnsitz im Zuständigkeitsbereich der PD Sachsen-Anhalt Süd haben und hiervon wiederum zwei Personen zugleich Bezüge zum HFC aufweisen. Drei Personen haben Bezüge zum Zuständigkeitsbereich der PD Sachsen- Anhalt Ost, wobei zwei Personen ihren Wohnsitz dort aufweisen. Zwei der 13 Personen sind der rechtsextremistischen Szene zuzuordnen und haben ihren Wohnsitz in Sachsen-Anhalt. Zudem ist der Landesregierung bekannt , dass eine der beiden Personen der subkulturell geprägten gewaltbereiten rechtsextremistischen Szene zuzuordnen ist. Zusätzlich zu den genannten 13 Personen wurde eine weitere Person registriert , die weder ihren Wohnsitz in Sachsen-Anhalt hat noch hier aufhältig ist. Zu dieser liegen jedoch Bezüge zum HFC vor. Weitere Hinweise auf Personenzusammenschlüsse liegen der Landesregierung nach dem derzeitigen Ermittlungsstand nicht vor. 3. Welche Erkenntnisse hat das Land Sachsen-Anhalt vor oder am 11. Januar 2016 hinsichtlich möglicher Gefährdungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung an die sächsischen Behörden übermittelt? Welche Informationen wurden an das Sächsische Landesamt für Verfassungsschutz weitergegeben , welche an die Polizei des Landes Sachsen? Das Fachkommissariat 5 - Polizeilicher Staatsschutz der PD Sachsen-Anhalt Süd hatte auf der Facebookseite der Brigade Halle (Saale) einen Aufruf festgestellt , in dem eine Versammlung der Partei „Die Rechte“ am 12. Dezember 2015 in Leipzig-Connewitz thematisiert wurde. Darin hieß es wörtlich „Sei dabei! Connewitz in Schutt und Asche legen!“ sowie „Am 12.12. sind wir zu Gast bei Freunden! Auf nach Leipzig/Connewitz!“. Diese Erkenntnisse wurden am 7. Dezember 2015 an die zuständigen Polizeidienststellen des Freistaates Sachsen übermittelt. 4 Für die Veranstaltung am 11. Januar 2016 hatte die Polizeidirektion Sachsen- Anhalt Süd auf der Facebook-Seite „Ultranationalisten“, die nach polizeilichen Erkenntnissen ebenfalls von der Brigade Halle (Saale) betrieben wird, einen Eintrag der „Ultras & Hooligans Deutschland“ festgestellt. Dieser Beitrag wurde zwischenzeitlich gelöscht. Der Beitrag endete mit dem Satz „Dies ist kein Aufruf zur Gewalt.“ Der Beitrag enthielt einen Hinweis auf die Internetseite www.legida.eu, das Datum 11. Januar 2016 und die Überschrift „Leipzig macht sich grade!“. Thematisiert wurde das einjährige Bestehen der Bewegung LEGIDA. Weiter wurde dargestellt, dass die „Antifa vor kurzem einen ganzen Leipziger Stadtteil verwüstete“. Dieses sei nicht hinnehmbar, weswegen „dieser Mobilisierungsaufruf an alle Patrioten Deutschlands gerichtet ist“. Die Erkenntnisse über diesen Facebook-Eintrag wurden am 11. Januar 2016 von der Polizeidirektion Sachsen-Anhalt Süd an die Kriminalpolizeiinspektion Leipzig übermittelt . Erkenntnisse zu tatsächlichen Teilnahmeabsichten oder Mobilisierungsbestrebungen von Personen aus Sachsen-Anhalt lagen der Polizei oder der Verfassungsschutzbehörde nicht vor. Informationen im Sinne der Fragestellung an das Sächsische Landesamt für Verfassungsschutz erfolgten nicht. 4. Welche Erkenntnisse wurden vor oder am 11. Januar 2016 hinsichtlich möglicher Gefährdungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung an die Bundespolizei bzw. das Bundesamt für Verfassungsschutz übermittelt? Die Übermittlung von Erkenntnissen erfolgte, wie bei der Beantwortung zu Frage 3 dargestellt, im Rahmen des polizeilichen Informationsaustauschs ausschließlich an die zuständigen Dienststellen der Landespolizei des Freistaates Sachsen. Informationen an das Bundesamt für Verfassungsschutz erfolgten nicht, da keine Erkenntnisse zu Personen vorlagen, die Handlungen durchführen wollten, die dazu geeignet wären, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu gefährden. 5. Gab es seitens der sächsischen Behörden im Vorfeld Hinweise oder Bitten , zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung potenzielle Täter vor oder während der Abreise nach Sachsen zu kontrollieren ? Konkrete Hinweise oder Bitten in Bezug auf Abreisekontrollen lagen nicht vor. Der Landesregierung liegen jedoch Erkenntnisse darüber vor, dass die Bundespolizei im Rahmen des Einsatzes am 11. Januar 2016 mit Kräften der Bundespolizeiinspektion Magdeburg im Hauptbahnhof Halle (Saale) Aufklärungsmaßnahmen durchgeführt hat. Ungeachtet dessen bestehen vor dem Hintergrund regelmäßig stattfindender demonstrativer Veranstaltungen, insbesondere in Leipzig und Halle, zwischen den Sicherheitsbehörden beider Länder enge Kontakte im Zuge der Beschaffung , Bewertung und Weiterleitung von Informationen. Diese erstrecken sich neben dem Austausch von Lageerkenntnissen im Vorfeld von Veranstaltungen auch auf den Austausch von Informationen im Rahmen von Ermittlungsverfah- 5 ren. Regelmäßig finden Besprechungen zwischen den polizeilichen Staatsschutzabteilungen beider Länder statt. Sobald die Polizei oder die Verfassungsschutzbehörde des Landes Erkenntnisse über die Teilnahme von Rechtsextremisten oder polizeilich bekannten Straftätern an Veranstaltungen in anderen Bundesländern erlangt, werden diese regelmäßig unmittelbar an die dort zuständigen Dienststellen übermittelt. Anlassbezogen werden bei den Staatsschutzdienststellen der Polizei sowohl in Sachsen-Anhalt als auch in anderen Bundesländern entsprechende Informationssammelstellen eingerichtet. 6. Welche polizeilichen Maßnahmen erfolgten hinsichtlich sachsenanhaltischer Personen, die als potenzielle Gefährder für die öffentliche Sicherheit und Ordnung am Abend des 11. Januar 2016 in Leipzig eingeschätzt wurden? Der Polizei des Landes Sachsen-Anhalt lagen im Vorfeld keine konkreten Hinweise oder Erkenntnisse auf die Teilnahmeabsicht entsprechender Personen vor. Vor diesem Hintergrund wurden keine Maßnahmen im Sinne der Fragestellung getroffen. 7. Der Hallesche Fußballclub hat hinsichtlich etwaiger Tatbeteiligter ausdrücklich erklärt, diese mit Stadionverboten belasten zu wollen. Inwieweit sind dem Fußballverein Informationen über den Personenkreis zugänglich zu machen, sodass dieser über ein Verbot entscheiden kann? Soweit die Voraussetzungen des § 28 des Gesetzes über die Öffentliche Sicherheit und Ordnung des Landes Sachsen-Anhalt (SOG LSA) vorliegen, können die Sicherheitsbehörden und die Polizei personenbezogene Daten an nichtöffentliche Stellen übermitteln.