Landtag von Sachsen-Anhalt Drucksache 6/4867 30.03.2016 Hinweis: Die Anlage ist als Objekt beigefügt und öffnet durch Doppelklick im Netz den Acrobat Reader. (Ausgegeben am 31.03.2016) Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung Abgeordneter Olaf Meister (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Einzelhandel im ländlichen Raum Kleine Anfrage - KA 6/9094 Vorbemerkung des Fragestellenden: Bedingt durch veränderte Einkaufs- und Lebensgewohnheiten hat sich in den vergangenen drei Jahrzehnten die Einzelhandelsstruktur erheblich verändert. Insbesondere kleinere Geschäfte innerhalb der gewachsenen Ortslagen sind verschwundenen . Vornehmlich in kleineren Ortsteilen von Städten und Gemeinden ist dadurch die Situation eingetreten, dass es in der Ortschaft keinen stationären Einzelhandel mehr gibt. Dies stellt nicht nur eine Einschränkung in der wohnortnahen Grundversorgung dar, sondern ist ein ernster Verlust im örtlichen Gemeinschaftsleben und senkt die Attraktivität der Ortschaft. In mehreren Bundesländern gibt es lokale Initiativen mit dem Ziel, durch privates, gemeinschaftliches Engagement solche Versorgungslücken wieder zu schließen. Das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung hat sich im Ressortforschungsprojekt „Nahversorgung in ländlichen Räumen“ mit der Problematik befasst. Antwort der Landesregierung erstellt vom Ministerium für Wissenschaft und Wirtschaft Vorbemerkung: Nahversorgungseinrichtungen wie der Lebensmitteleinzelhandel ziehen sich zunehmend aus den kleineren Orten der ländlichen Räume zurück. Ursächlich dafür sind die gestiegene Mobilität und die gestiegenen Ansprüche der Konsumenten bezüglich Preis und Auswahl. Zudem lässt sich auf der Angebotsseite eine Entwicklung hin zu größeren Verkaufsflächen und zu steigendem Wettbewerbsdruck beobachten. Dies führt wiederum zur Konzentration von Anbietern in den Zentren der ländlichen Räu- 2 me, um Kosten zu senken und damit Wettbewerbsvorteile zu erlangen. Betroffen von dieser Entwicklung sind infolge schwächer ausgeprägten Motorisierungsgrad vor allem weniger mobile Bevölkerungsgruppen wie ältere Menschen, Menschen mit Behinderungen und Menschen mit geringem Einkommen. Die nachfolgend genannten Zahlen basieren auf Statistiken der Industrie- und Handelskammern Halle-Dessau sowie Magdeburg. Angebote wie mobiler Handel oder Wochenmärkte sind hierin nicht erfasst. Frage 1: In wie vielen räumlich getrennten Ortsteilen in Sachsen-Anhalt gibt es keine (Lebensmittel-)Einzelhandelsgeschäfte? Bitte aufgliedern nach Orte/Ortsteile bis zu 500, bis zu 2000 sowie ggf. mehr als 2000 Einwohnern. In Sachsen-Anhalt sind in 14 der 218 Gemeinden keine Einzelhandelsgeschäfte der Branchen Nahrungs- und Genussmittel, Getränke und Tabakwaren (in Verkaufsräumen ) vorhanden. Eine tiefer gehende, einzelne Ortsteile der Gemeinden abbildende Statistik liegt der Landesregierung nicht vor. Frage 2: Wie viel Prozent der Ortsteile in den unter 1. benannten Größenordnungen verfügen über keine (Lebensmittel-)Einzelhandelsgeschäfte? Nach den vorliegenden Daten zu Frage 1 sind in rund 6,4 Prozent der Gemeinden in Sachsen-Anhalt keine Einzelhandelsgeschäfte der vorgenannten Branchen vorhanden . Frage 3: Wie viele Menschen in Sachsen-Anhalt leben in Orten ohne (Lebensmittel-) Einzelhandelsgeschäfte? In Orten ohne (Lebensmittel-)Einzelhandelsgeschäfte leben ca. 16.500 der rund 2,2 Millionen Einwohner von Sachsen-Anhalt. Frage 4: Teilt die Landesregierung die Auffassung, dass das Fehlen von Einzelhandelsgeschäften in einer Ortschaft sich negativ auf die Attraktivität der Ortschaft auswirkt? Wenn nein, mit welcher Begründung wird die Auffassung nicht geteilt ? Die Landesregierung ist der Auffassung, dass das Fehlen von Einzelhandelsgeschäften in einer Ortschaft in der Regel negative Auswirkungen auf die Attraktivität derselben hat. Das Aufgeben von Einzelhandelsgeschäften im ländlichen Raum ist allerdings, wie in der Vorbemerkung der Landesregierung dargestellt, Ausdruck marktwirtschaftlichen Wettbewerbs. 3 Frage 5: Sind der Landesregierung in Sachsen-Anhalt private (z. B. als Verein oder Genossenschaft organisierte) oder kommunale Initiativen zur Gründung/Unterhaltung von Dorf- und Nachbarschaftsläden bekannt? Wenn ja, in welchen Orten ? Eine Übersicht bitte als Tabelle bzw. Karte darstellen. Die Stadt Sandau (Elbe) c/o VbG Elbe-Havel-Land hat im Jahre 2011 Fördermittel aus dem Förderprogramm „Förderung von Maßnahmen für die Gestaltung des Demografischen Wandels“ (RdErl. des Ministerium für Landesentwicklung und Verkehr vom 10. Juli 2014) für die Erarbeitung eines Konzeptes bzw. Prüfung der Umsetzung eines neuen Bürgerkonsums in Sandau erhalten. Im Ergebnis war ein neuer Bürgerkonsum in Sandau allerdings nicht umsetzbar. Im Jahr 2015 wurde ein Antrag auf Förderung von der Dorfladen Deersheim e. G. für einen Dorfladen gestellt. Dieser musste jedoch abgelehnt werden, da in diesem Förderprogramm eingetragene Genossenschaften nicht förderfähig sind. Eine darüber hinausgehende, vollständige Übersicht zu den nachgefragten Initiativen liegt der Landesregierung nicht vor. Frage 6: Welche Beratungs-/Förderangebote werden für solche Projekte vorgehalten? In welchem Maße und mi welchem Erfolg wurde diese seit 2011 in Anspruch genommen ? Es gibt keine Programme in Sachsen-Anhalt, die ausschließlich den Einzelhandel im ländlichen Raum unterstützen. Allerdings sind solche Projekte bzw. entsprechende Einzelhändler bei nachfolgenden Förderprogrammen antragsberechtigt: - Darlehen für Existenzgründer und - Beratungs-, Weiterbildungs- oder Gründungsprogramme in der laufenden Strukturfondsperiode 2014 - 2020. Statistiken zur Inanspruchnahme der Programme seitens des Einzelhandels im ländlichen Raum werden nicht vorgehalten. Darüber hinaus setzt die Investitionsbank Sachsen-Anhalt die „Förderung von Maßnahmen für die Gestaltung des Demografischen Wandels“ und die „Förderung der Regionalentwicklung in Sachsen-Anhalt“ (RdErl. des Ministerium für Landesentwicklung und Verkehr vom 18. April 2012, zuletzt geändert am 4. Januar 2016) um. Im Rahmen der „Förderung von Maßnahmen für die Gestaltung des Demografischen Wandels“ werden die Erstellung von Strategien und Planungsmaßnahmen zur Bewältigung der Folgen des demografischen Wandels und deren Umsetzung (z. B. Projekte von alternativen Angebotsformen in ländlichen Räumen zur Erhaltung der Lebensqualität und zur Sicherung der Daseinsvorsorge sowie Konzepte und Projekte zur Anpassung der Infrastruktur und des Dienstleistungsangebotes aufgrund des Rückzugs privater oder öffentlicher Anbieter) gefördert. Die Vorhaben werden schwerpunktmäßig in Regionen mit besonderen Entwicklungsaufgaben gemäß dem Landesentwicklungsplan 2010 oder mit dünner/geringer 4 Besiedelung und Bevölkerungsdichte oder überdurchschnittlichem Bevölkerungsrückgang durchgeführt. Aufgrund dessen ist insbesondere das Programm „Förderung von Maßnahmen für die Gestaltung des Demografischen Wandels“ Grundlage für die Förderung von Projekten , die die Lebensqualität in Bevölkerungs- und strukturschwachen Räumen des Landes sichern und die Daseinsvorsorge nachhaltig sichern helfen. Initiativen zur Gründung und Unterhaltung von Einzelhandelsgeschäften, Dorf- und Nachbarschaftsläden und Dienstleistungseinrichtungen für die ländliche Bevölkerung sind im Programm „Förderung von Maßnahmen für die Gestaltung des Demografischen Wandels“ grundsätzlich förderfähig, wenn die in der Richtlinie genannten Voraussetzungen für die Förderung erfüllt werden. Allerdings sind entsprechende Anträge bisher nicht bei der Investitionsbank Sachsen-Anhalt eingereicht worden. Es gab lediglich eine Anfrage durch eine GmbH, die nicht zum Kreis der in der Richtlinie genannten Zuwendungsempfänger zählt. Es werden Zuschüsse in Höhe von bis zu 80 % der zuwendungsfähigen Ausgaben gewährt, maximal 80.000 Euro. Im Rahmen der Förderung „Sachsen-Anhalt REGIO“ werden insbesondere Vorhaben zur regionalen Entwicklung gefördert. Darunter fallen auch die Umsetzung regionaler Entwicklungskonzepte und die Zusammenarbeit von Kommunen (z. B. Standortuntersuchungen , Machbarkeitsstudien, Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen, Anpassung an den demografischen Wandel, Modellvorhaben etc.). In beiden Programmen sind die Landkreise, kreisfreien Städte, Gemeinden, Gemeindeverbände sowie kommunale Zweckverbände und Verwaltungsgemeinschaften, Verbände und Vereine, gemeinnützige Gesellschaften mit beschränkter Haftung, staatlich anerkannte Glaubens- oder Religionsgemeinschaften, öffentlich rechtliche und gemeinnützige privatrechtliche Stiftungen und öffentliche Unternehmen antragsberechtigt . Die Laufzeit dieser Förderprogramme ist nicht begrenzt. Seit dem Jahr 2010 wurden in beiden Programmen 241 Vorhaben mit einem Volumen ca. 12,5 Mio. Euro gefördert . Anträge sind bis zum 30. April (Demografischer Wandel) bzw. 31. Mai (Sachsen- Anhalt REGIO) eines Jahres bei der Investitionsbank Sachsen-Anhalt einzureichen. Die erforderlichen Antragsformulare sowie die Informationen zum Förderprogramm sind auf der Internetseite der Investitionsbank Sachsen-Anhalt veröffentlicht. Die Auswahl der zu fördernden Vorhaben obliegt dem Ministerium für Landesentwicklung und Verkehr. Frage 7: Im welchem Umfang und für welche Projekte wurde in Sachsen-Anhalt die Leader -Förderung „Dienstleistungseinrichtungen zur Grundversorgung für die ländliche Wirtschaf“ zwischen 2007 und 2013 in Anspruch genommen? Eine Übersicht über die im Rahmen der Leader-Förderung „Dienstleistungseinrichtungen zur Grundversorgung für die ländliche Wirtschaft“ zwischen 2007 und 2013 5 geförderten Vorhaben, die als Dienstleistungseinrichtungen zur Grundversorgung für die ländliche Wirtschaft gezählt werden können, ist als Anlage beigefügt. Frage 8: Sieht die Landesregierung das Erfordernis und die Möglichkeit solche Beratungs-Förderangebote auszubauen? Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist kein Ausbau von Beratungs- und Förderangeboten geplant. Frage 9: Wie werden die in Brandenburg und Thüringen durchgeführten Modellprojekte „KombiBus“, in denen Nahversorgung und ÖPNV kombiniert werden, beurteilt ? In dem der Landesregierung bekannten Modellprojekt „KombiBus“ in Brandenburg bietet das kommunale Verkehrsunternehmen in der Uckermark seit September 2012 die Beförderung von Gütern in regulären Linienbussen an. Das Angebot richtet sich insbesondere an regionale Erzeuger in dünn besiedelten Räumen, denen auf diese Weise ein zum Teil schnellerer und vor allem pünktlicherer Versand kleinerer Mengen ermöglicht wird als mit klassischen Speditionen. Voraussetzung für die Einführung dieser Dienstleistung war die Einrichtung eines integralen Taktfahrplans auf allen Linien, wodurch nicht nur kurze Umsteigezeiten für die Fahrgäste, sondern auch ein flexibleres Netz für den Gütertransport geschaffen werden konnte. Bei den versendeten Produkten handelt es sich überwiegend um regional erzeugte Lebensmittel (Käse, Konfitüren, etc.) sowie um Postsendungen. Empfänger sind u. a. Hotels, Touristeninformationen und sonstige Einrichtungen. Ein Versand an Endverbraucher erfolgt nicht. Ein entsprechendes Modellprojekt „KombiBus“ ist in Thüringen im Saale-Orla-Kreis im Herbst 2014 gestartet. Die Landesregierung beurteilt das Modell „KombiBus“ als einen Ansatz zur Förderung kleiner Erzeuger im ländlichen Raum. Die Förderung ergibt sich dabei weniger aus den in einzelnen Fällen günstigeren Versandkonditionen, sondern vordergründig aus der mit dem Projekt verbundenen Netzwerkbildung und der medienwirksamen Vermarktung der Dienstleistung und der versendeten Produkte. Eine Verbesserung der Nahversorgung in ländlichen Räumen wird hiermit jedoch nicht erreicht. Da zudem beim Verkehrsunternehmen ein hoher Aufwand für Vertrieb und Logistik sowie ggf. Investitionen in Fahrzeugumbauten und Behälter entsteht, leistet das Modell derzeit auch keinen Beitrag zur besseren Finanzierung des ÖPNV.