Landtag von Sachsen-Anhalt Drucksache 6/694 03.01.2012 (Ausgegeben am 04.01.2012) Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung Abgeordnete Dorothea Frederking (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Baugenehmigungspflicht bei Solarenergieanlagen Kleine Anfrage - KA 6/7258 Vorbemerkung des Fragestellenden: Laut derzeit gültiger Landesbauordnung des Landes Sachsen-Anhalt (BauO LSA) § 60 Absatz 1 Nr. 2 Buchst. b ist die Errichtung von Solarenergieanlagen und Sonnenkollektoren in und an Dach- und Außenwandflächen sowie gebäudeunabhängig mit einer Höhe bis zu 3 m und einer Gesamtlänge bis zu 9 m verfahrensfrei. Für Verunsicherung bei Bürgerinnen und Bürgern, die den Bau einer eigenen Kleinsolaranlage bereits getätigt haben oder planen, sorgt die Auslegung des Landesverwaltungsamtes , die Installation einer Photovoltaikanlage nur dann von einer Baugenehmigung zu befreien, wenn diese Anlage den produzierten Strom nicht in das Netz eines Stromanbieters einspeist. Antwort der Landesregierung erstellt vom Ministerium für Landesentwicklung und Verkehr 1. Mit § 60 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b BauO LSA wird eindeutig geregelt, dass die Einrichtung von Solarenergieanlagen und Sonnenkollektoren wie oben beschrieben als Anlagen der technischen Gebäudeausrüstung verfahrensfrei ist. Wie hoch muss nach Auffassung der Landesregierung der Anteil der insgesamt durch die Anlage erzeugten Strommenge sein, damit es sich bei der Solaranlage gerade noch um eine Anlage der technischen Gebäudeausrüstung handelt? Photovoltaik-Aufdachanlagen, die nicht der Gebäudeausrüstung zugeordnet werden können und der Volleinspeisung oder zum überwiegenden Teil der Netzeinspeisung dienen, sind als gewerbliche, betriebliche Anlagen nach derzeitiger Rechtslage genehmigungspflichtig. 2 2. Ist es richtig, dass für Photovoltaikanlagen, die vor der Rundverfügung des Landesverwaltungsamtes vom 13. Dezember 2010 errichtet und in Betrieb genommen wurden, im Nachhinein Baugenehmigungen von den Bauaufsichtsbehörden der Landkreise und kreisfreien Städte verlangt werden? Wenn ja, wie wird die Vorgehensweise juristisch und sachlich gerechtfertigt, dass die Errichtung von Anlagen zuvor verfahrensfrei gehandhabt wurde und nachträglich als baugenehmigungspflichtig angesehen wird? Die Festsetzung der Landesbauordnung zur Verfahrensfreiheit von Photovoltaikanlagen geht auf die Musterbauordnung vom November 2002 zurück. Die Verfügung des Landesverwaltungsamtes (LVwA) vom 13. Dezember 2010 hat keine die Rechtslage modifizierende Regelung getroffen, allenfalls die falsche Auffassung zu einer generellen Baugenehmigungsfreiheit von Photovoltaik-Aufdachanlagen berücksichtigt. Ein gezieltes Vorgehen der zuständigen Behörde ist nicht bekannt. Eine Weisung dahingehend ist weder von den oberen Bauaufsichtsbehörden noch von der obersten Bauaufsichtsbehörde ausgesprochen worden. Die Möglichkeit eines solchen fachaufsichtlichen Vorgehens ist auch nicht befürwortet worden. Im Einzelfall werden die zuständigen Stellen aber aufgrund des Verlangens Dritter bauaufsichtlich tätig. 3. Wie hoch sind die durchschnittlichen Kosten für die Bauantragsunterlagen und die Baugenehmigung bei Photovoltaikanlagen bis 30 kWp? Angaben für die Höhe der durchschnittlichen Kosten für die Bauantragsunterlagen können aufgrund fehlender Datenbasis nicht dargestellt werden. Die Planungsleistungen werden jedoch in der Regel vom jeweiligen Anbieter der Solaranlage erbracht und sind im Angebotspreis enthalten. Für die Zusammenstellung der Unterlagen zum Bauantrag wird je nach Aufwand eine Pauschale berechnet (Investitionskosten derzeit ca. 2.100 bis 2.400 €/kWp (Quelle: solaranlagen-portal), d. h. eine Anlage von 30 kWp kostet ca. 63.000 bis 72.000 €). Für eine 30 kWp-Anlage mit Investitionskosten von 67 000 € würde die Genehmigungsgebühr rund 210 € betragen. Bei einer 10 kWp-Anlage wäre die Genehmigungsgebühr durchschnittlich 70 €. Sofern der Bauherr von den Regelungen der § 62 Satz 2 bzw. § 63 Satz 2 Bauordnung LSA (BauO LSA) Gebrauch macht und beantragt, den Prüfumfang des Baugenehmigungsverfahrens entsprechend zu beschränken, verringert sich die Genehmigungsgebühr bis auf 75 % der Gebühr nach Tarifstelle 1.1. 4. Welche bautechnischen Gründe sprechen dagegen, kleinere Photovoltaik- anlagen an und auf Gebäuden und gebäudeunabhängig von bis zu 3 m Höhe und 9 m Länge gänzlich von der Baugenehmigung zu befreien? In der vorgesehenen Änderung der Musterbauordnung sollen Photovoltaik-Aufdachanlagen nicht mehr der technischen Gebäudeausrüstung zugeordnet werden , sondern eine eigene Freistellung bekommen. Die Genehmigungsfreistellung befreit nicht von der Einhaltung baurechtlicher Bestimmungen und Anforderungen . 3 Photovoltaikanlagen sind bauliche Anlagen, ihre Errichtung unterliegt dem öffentlichen Baurecht. Berührte Belange sind beispielsweise Standsicherheit, Abstände und Baugestaltung. Die Genehmigungsfreiheit bedeutet nur, dass für die Einhaltung der baurechtlichen Vorschriften ausschließlich der Bauherr zuständig ist. 5. Im derzeitigen Energiekonzept des Landes Sachsen-Anhalt für den Zeitraum von 2007 bis 2020 heißt es zur Förderung von Solarstrom: „Es wird deutlich, dass es sich hier vor allen Dingen auch um eine baurechtliche Entscheidung handelt, inwiefern das Land in Zukunft die Energieversorgung durch Strom aus Photovoltaikanlagen abdecken will“. Welchen Stellenwert räumt die Landesregierung der Photovoltaik für die zukünftige Energieversorgung Sachsen-Anhalts ein? Aus Photovoltaik wurden im Jahr 2010 bereits 245 GWh/a Strom erzeugt (Energiekonzept prognostizierte nur 111 GWh für das Jahr 2010), dies entspricht einer Leistung von 272 MWp (bei 900 Volllaststunden im Jahr). Damit wird bereits die Prognose für das Jahr 2015 im Jahr 2010 um fast 100 % übertroffen. In zehn Jahren hat sich die Stromerzeugung aus Photovoltaik um das 2500-fache gesteigert. Dieses rasante Wachstum wurde durch starke Produktpreissenkungen, Vergütungsanreize und technologische Fortschritte erzielt. Zusammen mit den anderen erneuerbaren Energien und der Braunkohle sieht die Landesregierung eine gute Entwicklung des zukünftigen Energiemixes und der Versorgungssicherheit durch die zentralen und dezentralen Versorgungsstrukturen. 6. Steht die Verfahrensweise, kleine Photovoltaikanlagen von der Verfahrens- freiheit auszunehmen, wenn diese Strom ganz oder überwiegend in das Stromnetz einspeisen, im Widerspruch zur Energiewende und den Zielen der Landesregierung zum Ausbau erneuerbarer Energien? Nein. 7. Bei dem Entwurf zur Änderung der Musterbauordnung (MBO) mit Stand vom 1. Juni 2011 sind Photovoltaikanlagen nach § 61 Abs. 1 Nr. 3 MBO verfahrensfrei gestellt, auch wenn sie Strom einspeisen. Strebt die Landesregierung an, diese Regelung in die eigene Bauordnung zu übernehmen - auch vor dem Hintergrund, dass Sachsen-Anhalt im Bundesvergleich wenig Sonnenstrom produziert (Vergleich Bayern)? Wenn ja, zu welchem Zeitpunkt? Strebt die Landesregierung an, diese Regelung im Entwurf zur Änderung der MBO unabhängig von einer kompletten Überarbeitung der BauO LSA vorzuziehen? Das Anhörungsverfahren im Rahmen der Musterbauordnung bleibt abzuwarten. Die Verfahrensfreistellung wird wie auch vielfältige andere Fragestellungen in Sachsen-Anhalt im Rahmen der Evaluierung der Bauordnung ebenfalls überprüft und, da die Bauordnung in dieser Legislaturperiode überarbeitet wird, auch in diese einfließen, um ein einheitliches verwaltungsmäßiges Vorgehen zu gewährleisten . 4 Nach der Energiewende wird die Möglichkeit der Nutzung erneuerbarer Energien durch Abbau von Verwaltungshemmnissen weitergeprüft. Dies schließt ein, auf dem Erlasswege kurzfristig zu einer bauordnungsrechtlichen Klarstellung der Nutzung von Photovoltaik-Aufdachanlagen zu kommen.