Landtag von Sachsen-Anhalt Drucksache 6/705 05.01.2012 (Ausgegeben am 10.01.2012) Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung Abgeordneter Daniel Sturm (CDU) Waschbären in Sachsen-Anhalt Kleine Anfrage - KA 6/7279 Vorbemerkung des Fragestellenden: Die Waschbären sollen sich in Sachsen-Anhalt in den letzten Jahren stark vermehrt haben. Allein 2010 sollen über 8000 Tiere von Jagdberechtigten erlegt worden sein, zehn Jahre zuvor nur 250 Waschbären. Die nicht natürliche Vermehrung soll darauf zurückzuführen sein, dass Waschbären keine Feinde haben. Vermehrt sollen jetzt Waschbären in Städte drängen und auch an Häusern Schäden anrichten. Als nachtaktive Tiere werden sie selten wahrgenommen, wohl der von ihnen verursachte Schaden. Antwort der Landesregierung erstellt vom Ministerium für Landwirtschaft und Umwelt 1. Trifft es zu, dass sich Waschbären in den letzten zehn Jahren erheblich im Land vermehrt haben und dass diese nun zunehmend auch städtische Gebiete heimsuchen? Ja. Die Populationen des Waschbären in Deutschland befinden sich in einem andauernden Aufwärtstrend verbunden mit einer expansiven Erweiterung der von ihnen besiedelten Areale. Davon betroffen ist auch Sachsen-Anhalt. Zunehmend dringt der Waschbär dabei auch in besiedelte Gebiete vor. 2. Worauf ist das zurückzuführen? Als Nahrungsgeneralisten sind die Waschbären bei vornehmlich nächtlicher Lebensweise außerordentlich anpassungsfähig. Mit ihrer hohen Vermehrungsrate mit vier bis sechs Jungtieren pro Wurf und ihrer spezifischen geselligen Lebensweise ohne die Inanspruchnahme fester Streifgebiete, die gegen Artge- 2 nossen verteidigt werden, erschließen sich die Tiere immer neue Lebensräume. Menschliche Siedlungen bieten vielerlei Unterschlupfmöglichkeiten und reichlich Nahrung, zum Beispiel in Form von Abfällen, Kompost oder Gartenobst. 3. Sind Schäden, die durch Waschbären verursacht werden, eine zu ver- nachlässigende Größe? Durch von Waschbären verursachte Fraßschäden können Ernteverluste in Obstplantagen, Weinanbaugebieten und auf landwirtschaftlichen Nutzflächen (Mais) entstehen. Der ökonomische Schaden hält sich jedoch bislang in Grenzen . Allerdings ist es möglich, dass bei solchen reichhaltigen Nahrungsquellen der gesamte Sozialverband einer lokalen Population zusammen kommt und einzelne Obstbäume in kürzester Zeit aberntet. Anders zu bewerten sind Schäden, die der Waschbär im besiedelten Bereich verursachen kann. Schäden treten hier vor allem in Gärten und durch das Eindringen in Wohnhäuser und das Nutzen von Dachböden und Kaminschächten als Ruhe- und Wurfplätze mit einhergehender Zerstörung von Wärmedämmungen , Aufhebelung von Dachziegeln und Verschmutzungen durch Kot auf. 4. Wie ist die Auswirkung von Waschbären auf die Vogelwelt? Welche Auswirkungen von Waschbären auf die Vogelwelt ausgehen, lässt sich derzeit nicht näher quantifizieren. In Sachsen-Anhalt ist an mehreren Beispielen der Einfluss des Waschbären auf die Vogelwelt beobachtet worden, so zum Beispiel auf einen Brutbestand des Graureihers im Naturschutzgebiet „Auwald bei Plötzkau“, den Greifvogelbestand im Hakel, den Großtrappenbestand im Fiener Bruch und die Kormorankolonie im Elbe-Saale-Winkel. 5. Bilden Waschbären als Überträger von Krankheiten eine Gefahr für Tiere und Menschen? Im Gegensatz zu seiner nordamerikanischen Heimat weist der Waschbär in Mitteleuropa nur ein begrenztes Parasitenspektrum auf und spielt als Überträger von Krankheiten und Seuchen bislang kaum eine Rolle. Die Gefahr der Übertragung einer Zoonose (von Tier zu Mensch und von Mensch zu Tier übertragbare Infektionskrankheit) besteht in Deutschland zurzeit nur beim Waschbärspulwurm (Baylisascaris procyonis), der im Dünndarm der Tiere lebt. Eine Studie aus dem Ostharz zeigte, dass hier 39 v. H. aller untersuchten Waschbären mit diesem Parasiten befallen waren. Die Infektionsgefahr besteht dabei durch orale Aufnahme von Spulwurmeiern im Waschbärkot, zum Beispiel bei der Säuberung von Waschbärlatrinen. Empirische Daten zeigen jedoch, dass eine Erkrankung an einer Waschbärspulwurm -Infektion auch in stark durchseuchten urbanen Habitaten beim Menschen nur äußerst selten auftritt. Darüber hinaus sind Waschbären potenzielle Träger von Staupeviren und Räudemilben. Als Überträger traten sie bisher in Europa jedoch nicht in Erscheinung. Auch in der Tollwutepidemiologie spielte der Waschbär bisher keine Rolle. 3 6. Trifft es zu, dass der Geschäftsführer des Landesjagdverbandes SachsenAnhalt unlängst im Bezug auf Waschbären sich in etwa geäußert hat, „die Lage wird immer bedrohlicher“? Der Landesjagdverband Sachsen-Anhalt hat unlängst über seine Geschäftsstelle im Mitteilungsblatt WIRJäger Nummer 10/2011 ausführlich auf die Ausbreitung des Waschbären in Sachsen-Anhalt und die damit verbundenen Probleme und notwendige Maßnahmen hingewiesen. 7. Was hat der Landesjagdverband veranlasst, um diese „Bedrohlichkeit“ abzubauen, etwa durch Einwirkung auf Jagdberechtigte, gegen Waschbären vorzugehen. Siehe Antwort zu Frage 6. 8. Gibt es verbindliche oder unverbindliche Abschusspläne zur Minderung des Problems? Abschusspläne sieht das Bundesjagdgesetz nur für Schalenwild (mit Ausnahme von Schwarzwild), sowie Auer-, Birk- und Rackelwild vor. Nach § 27 des Bundesjagdgesetzes kann die zuständige Behörde anordnen, dass der Jagdausübungsberechtigte unabhängig von den Schonzeiten innerhalb einer bestimmten Frist in bestimmtem Umfange den Wildbestand zu verringern hat, wenn dies mit Rücksicht auf das allgemeine Wohl, insbesondere auf die Interessen der Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft und die Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege, notwendig ist. Dies ist zum Beispiel dann der Fall, wenn das Ausmaß der Wildschäden eine notstandsähnliche Situation begründet. Verminderungsabschüsse für Waschbären wurden durch die Jagdbehörden bisher nicht festgesetzt. 9. Was unternehmen Kommunen im Lande, um des Problems Herr zu wer- den? Bei den Haus- und Gartengrundstücken im besiedelten Bereich handelt es sich in der Regel um sogenannte „befriedete Bezirke“, in denen die Jagd ruht. Das Landesjagdgesetz für Sachsen-Anhalt räumt dem Grundstückseigentümer oder Nutzungsberechtigten ein Notstandsrecht gegen schadenverursachende Tiere, so auch gegen Waschbären, ein. Danach darf der Eigentümer oder Nutzungsberechtigte von befriedeten Bezirken unabhängig von jagdrechtlichen Beschränkungen Waschbären fangen, töten und für sich behalten. Allerdings ist die Forderung des Tierschutzgesetzes einzuhalten, nach der nur derjenige ein Wirbeltier töten darf, der die dazu notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten hat. Einzelne Kommunen koordinieren auf dieser rechtlichen Grundlage den Fallenfang von Waschbären, indem sie das Einverständnis der Grundstückseigentümer einholen und Absprachen mit den örtlichen Jägern treffen.