Landtag von Sachsen-Anhalt Drucksache 6/806 14.02.2012 (Ausgegeben am 15.02.2012) Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung Abgeordnete Cornelia Lüddemann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Geschlossene Bereiche in der Kinder- und Jugendhilfe Kleine Anfrage - KA 6/7320 Vorbemerkung des Fragestellenden: Im 18. Tätigkeitsbericht des Ausschusses für Angelegenheiten der psychiatrischen Krankenversorgung des Landes Sachsen-Anhalt wird festgestellt, dass es in Sachsen -Anhalt einen „nicht unerheblichen Bedarf“ (S. 56) an geschlossenen Bereichen in der Kinder- und Jugendhilfe gibt. Weiter ist zu lesen, dass aufgrund einer Entscheidung des Ministeriums solche geschlossenen Einrichtungen in Sachsen-Anhalt nicht vorgesehen sind. Antwort der Landesregierung erstellt vom Ministerium für Arbeit und Soziales Frage Nr. 1: Welche Gründe bewogen das Ministerium zu der Entscheidung, keine geschlossenen Bereiche in der Kinder- und Jugendhilfe vorzuhalten? Geschlossene Unterbringungen stehen unter dem Zwang, die notwendige therapeutische Arbeit mit dem betroffenen Kind oder Jugendlichen unter Berücksichtigung der rechtlichen Rahmenbedingungen und damit unter anderem in kürzester Zeit leisten zu müssen. Die Beschränkung der Freiheit ist unter dem Aspekt des Rechtsgrundsatzes der Verhältnismäßigkeit so schnell wie möglich zu beenden, sodass der den Freiheitsentzug anordnende Familienrichter bzw. die anordnende Familienrichterin nach den Vorgaben des § 1631b des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) die Zeiträume des Freiheitsentzuges so kurz wie möglich halten muss. Therapie und Erziehung benötigen aber Zeit und stabile Beziehungen, um eine Veränderung im Verhalten der bzw. des Jugendlichen möglichst unter normalen Bedingungen, also in Freiheit, herbeizufüh- 2 ren. Die Wirksamkeit freiheitsentziehender Maßnahmen in der Jugendhilfe ist überdies nicht nachgewiesen und kann durch Untersuchungen nicht belegt werden. Das Ministerium für Arbeit und Soziales hat sich daher entschlossen, Alternativprojekte zu fördern, die diese Jugendlichen aufnehmen können. Dadurch wird zum einen eine Intensivbetreuung des Jugendlichen sichergestellt; zum anderen können die therapeutischen und erzieherischen Maßnahmen durchgeführt werden, ohne die Voraussetzungen des § 1631b BGB zu erfüllen. In Sachsen-Anhalt gibt es 93 Plätze mit Intensivangeboten für diese Personengruppe als Alternative zur geschlossenen Unterbringung. Frage Nr. 2: Gibt es von Seiten der Landesregierung Bestrebungen auf Bundesebene, den § 1631b BGB zu modifizieren bzw. zu streichen, sodass eine geschlossene Unterbringung von Kindern und Jugendlichen rechtlich nicht mehr zulässig ist? Wenn nein, wie verträgt sich das mit der in Frage 1 angeführten Entscheidung des Ministeriums in Sachsen-Anhalt, keine geschlossenen Bereiche in der Kinder - und Jugendhilfe einzurichten? Von Seiten der Landesregierung gibt es derzeit keine Bestrebungen zu einer Bundesratsinitiative , die das Ziel der Streichung oder Modifizierung des § 1631b BGB hat. Soweit Sachsen-Anhalt keine geschlossenen Heimplätze eingerichtet hat, muss dies nicht als Maßgabe für andere Länder gelten, welche die Einrichtung geschlossener Heimplätze für Kinder und Jugendliche als sinnvoll erachtet haben. Die Mehrzahl der Bundesländer (10) - einschließlich Sachsen-Anhalt - hält keine Einrichtungen vor, die eine geschlossene Unterbringung von Kindern und Jugendlichen anbieten. Frage Nr. 3: Wie oft genehmigten Familiengerichte in Sachsen-Anhalt die Unterbringung von Kindern und Jugendlichen in geschlossenen Bereichen der Kinder- und Jugendhilfe gemäß § 1631b BGB? Bitte Zahlen nach Landkreisen und Dauer der Unterbringung aufschlüsseln für die Jahre 2007 bis 2011. In der Justiz wird lediglich die Anzahl der erledigten Verfahren in Familiensachen, die eine Unterbringung nach § 1631b BGB betrafen, erfasst. Weitere Differenzierungen erfolgen nicht. Aus der statistischen Erhebung ist nicht zu entnehmen, ob die Gerichte in den Verfahren eine Unterbringung genehmigt oder aber die Genehmigung nicht erteilt haben. Frage Nr. 4: Welche Kosten entstehen den Kommunen, indem sie diese Plätze anderenorts „kaufen“ müssen? Bitte auflisten für alle Kommunen in Sachsen-Anhalt. Entsprechende Daten liegen der Landesregierung nicht vor. 3 Frage Nr. 5: Welche Kosten entständen dem Land, wenn es den Bedarf an geschlossenen Plätzen in der Jugendhilfe bereitstellen würde? Für das Land ergäben sich keine Kosten. Die geschlossene Unterbringung von Kindern und Jugendlichen ist eine spezielle Form der Hilfen zur Erziehung, die wiederum Pflichtaufgaben der örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe im eigenen Wirkungskreis sind und für die Pflegesätze zu vereinbaren wären. Frage Nr. 6: Wie wird die Umsetzung des SGB VIII § 35a „Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche“ in Sachsen-Anhalt finanziert? Kinder und Jugendliche mit (drohender) seelischer Behinderung erhalten Eingliederungshilfe durch den örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe nach § 35a des Achten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VIII - Kinder- und Jugendhilfe). Standards und Entgelte werden in Vereinbarungen getroffen (§§ 78b ff. SGB VIII). Frage Nr. 6.1: Wenn die Finanzierung nicht über das SGB XII erfolgt, warum nicht? Dies ist bundesgesetzlich geregelt: Gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII gehen die Leistungen nach dem SGB VIII den Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII - Sozialhilfe -) vor.