Landtag von Sachsen-Anhalt Drucksache 6/864 27.02.2012 (Ausgegeben am 27.02.2012) Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung Abgeordneter Thomas Keindorf (CDU) Lokale Netzwerke Kinderschutz Kleine Anfrage - KA 6/7347 Vorbemerkung des Fragestellenden: Im Jahr 2009 wurde das Gesetz zum Schutz des Kindeswohls und zur Förderung der Kindergesundheit beschlossen. Lokale Netzwerke tragen seit dem mit dazu bei, konkrete Gefährdungen des Kindeswohls frühzeitig zu erkennen und für den notwendigen Schutz zu sorgen. Antwort der Landesregierung erstellt vom Ministerium für Arbeit und Soziales Frage Nr. 1: Wie bewertet die Landesregierung den Kinderschutz in Sachsen-Anhalt? Frage Nr. 2: Wie wird die Umsetzung des Gesetzes eingeschätzt? Welche Stärken und Schwächen sind bekannt? Worin liegen die Ursachen? Aufgrund des Sachzusammenhangs werden die Fragen Nr. 1 und Nr. 2 gemeinsam beantwortet. Den Trägern der öffentlichen Jugendhilfe obliegt gemäß § 79 SGB VIII die Gesamtverantwortung für die Kinder- und Jugendhilfe, unter die auch der Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung fällt. Die Landesebene hält verschiedene Unterstützungsmaßnahmen für die kommunale Ebene vor, um diese in der Wahrnehmung dieser Gesamtverantwortung zu stärken. Gleichwohl wird es trotz größter Anstrengungen auf Landes- wie auf kommunaler Ebene, keinen 100-prozentigen Schutz gegen Vernachlässigung , Misshandlung und Missbrauch geben können. 2 Bereits vor Inkrafttreten des Gesetzes zum Schutz von Kindern und zur Förderung der Kindergesundheit (Kinderschutzgesetz) vom 9. Dezember 2009 (GVBl. LSA S. 644, ausgegeben am 21. Dezember 2009) existierten Grundlagen und Maßnahmen zum Kinderschutz auf Landesebene sowie in den kommunalen Gebietskörperschaften , die in die Umsetzung des Gesetzes einbezogen werden. So bestanden bereits flächendeckend Vereinbarungen zwischen den Jugendämtern und den Freien Trägern der Jugendhilfe zur Wahrnehmung des Schutzauftrages nach § 8a Abs. 2 SGB VIII. Das Landesverwaltungsamt/Landesjugendamt begann 2006 landesweit Informationsveranstaltungen und Qualifizierungen zur zertifizierten Kinderschutzfachkraft zum Schutzauftrag nach § 8a umzusetzen. Zudem existierten bereits vereinzelt regionale Netzwerke zum Thema und vorhandene Netzwerke mit thematischen Schnittstellen werden in den Auf- und Ausbau der nach § 3 Kinderschutzgesetz auf kommunaler Ebene einzurichtenden „Lokalen Netzwerke Kinderschutz“ einbezogen (unter anderem Netzwerke Schulerfolg, Netzwerke kommunale Gewaltprävention, Netzwerke Drogen-/Suchtprävention, Netzwerke Häusliche Gewalt, Lokale Bündnisse für Familien). Zur Stärkung der Kinderschutzkompetenzen und zur Umsetzung des Kinderschutzgesetzes wurden unter anderem folgende Maßnahmen ergriffen: Gemäß § 5 des Kinderschutzgesetzes wurde im Ministerium für Arbeit und Soziales ein Zentrum „Frühe Hilfen für Familien“ eingerichtet, welches am 1. April 2010 seine Arbeit aufnahm. Hier werden vor allem die Projekte „Familienhebammen“ und „Familienpaten “ koordiniert sowie die oben genannten „Lokale Netzwerke Kinderschutz“ in Kooperation mit dem Landesverwaltungsamt/Landesjugendamt unterstützt und begleitet . Dies erfolgt insbesondere durch kontinuierliche Informationen über kinderschutzrelevante Aspekte, Fortbildungen und regelmäßige Arbeitstreffen der Netzwerkkoordinatorinnen und -koordinatoren. Darüber hinaus hat das Ministerium für Arbeit und Soziales Mitte 2010 und Mitte Januar 2012 jeweils große Landeskonferenzen zur Unterstützung der Arbeit der „Lokalen Netzwerke Kinderschutz“ veranstaltet . Die Auswertung der ersten Umfrage zum Stand des Aufbaus und zur Arbeit der „Lokalen Netzwerke Kinderschutz“ nach einem Jahr Kinderschutzgesetz (Stichtag 31. Dezember 2010) floss in einen Bericht des Ministeriums für Arbeit und Soziales ein. Dieser wurde dem Ausschuss für Arbeit und Soziales des Landtags von Sachsen -Anhalt mit Schreiben vom 19. September 2011 zugeleitet und ist im Landesportal unter http://www.sachsen-anhalt.de/index.php?id=42709 einsehbar. Mit Stand vom 31. Dezember 2010 wurden demnach in insgesamt acht kommunalen Gebietskörperschaften (57,1 %) „Lokale Netzwerke Kinderschutz“ aufgebaut und die „Initialzündung“ durch Auftaktkonferenzen umgesetzt. Die meisten lokalen Netzwerke wurden während des Jahres 2010 gegründet. Sechs Jugendämter (42,9 %) waren zu diesem Zeitpunkt in der Vorbereitung der Netzwerkabsicherung. In der diesem Bericht zugrundeliegenden Umfrage wurde auch nach Schwierigkeiten der Netzwerkarbeit gefragt. Aufgrund der generellen organisatorischen wie konzeptionellen Herausforderungen sind als Hemmnisse beim Auf- und Ausbau von Netzwerken vor allem zeitliche, organisatorische und personelle Probleme von den Verantwortlichen der „Lokalen Netzwerke Kinderschutz“ benannt worden. 3 Zur Unterstützung und zur Vermittlung von Handlungssicherheit für mit dem Kinderschutz tangierten Professionen und Einrichtungen wurden von Landesseite in Kooperation mit verschiedenen Partnern Publikationen veröffentlicht: Der Leitfaden für Ärzte und Ärztinnen („Gewalt gegen Kinder und Jugendliche - Ein Leitfaden für Ärztinnen und Ärzte in Sachsen-Anhalt zu Früherkennung, Handlungsmöglichkeiten und Kooperation“), der vom damaligen Ministerium für Gesundheit und Soziales gemeinsam mit der Techniker Krankenkasse und der Allianz für Kinder im November 2007 herausgegeben wurde, richtet sich an Medizinerinnen und Mediziner , um ihnen Handlungssicherheit bei der Beurteilung von Kindeswohlgefährdungen zu geben und führt umfassend regionale Ansprechpartner im Themenfeld auf. Der Leitfaden wurde in einer Auflagenhöhe von insgesamt 2 000 Exemplaren gedruckt und an ambulant und stationär tätige Kinderärztinnen und Kinderärzte, Gynäkologinnen und Gynäkologen, Kinder- und Jugendpsychiaterinnen und -psychiater, Kinderund Jugendpsychotherapeutinnen und –therapeuten sowie Gesundheitsämter ausgereicht . Der Leitfaden für Erzieherinnen und Erzieher und Lehrkräfte („Gewalt gegen Kinder und Jugendliche“ - Ein Leitfaden für Lehrerinnen und Lehrer, Erzieherinnen und Erzieher in Sachsen Anhalt zu Früherkennung, Handlungsmöglichkeiten und Kooperation “) wurde gemeinsam vom damaligen Ministerium für Gesundheit und Soziales, dem Kultusministerium, der Techniker Krankenkasse und der „Allianz für Kinder“ im September 2010 in einer Auflagenhöhe von insgesamt 8 000 Exemplaren veröffentlicht und ist Kindertageseinrichtungen, Jugendämtern, Gesundheitsämtern, weiteren Trägern der freien Jugendhilfe, Schulen und schulpsychologischen Diensten zur Verfügung gestellt worden. In diesem Leitfaden werden unter anderem die landesweiten und regionalen Netzwerkstellen und Partner mit ihren Angeboten benannt, so dass die oben genannten Professionen in ihrem jeweiligen Umfeld die entsprechenden Anlaufstellen finden und Kontakte herstellen können. Um oben genannte Leitfäden den Zielgruppen vorzustellen, wurden Ende 2007, Ende 2010 und Anfang 2011 vom damaligen Ministerium für Gesundheit und Soziales in Kooperation mit der Ärztekammer und dem Landesverwaltungsamt/Landesjugendamt sowie vom Kultusministerium - jeweils in Kooperation mit der Techniker Krankenkasse und der „Allianz für Kinder“ - landesweite Veranstaltungen für Ärztinnen und Ärzte, Erzieherinnen und Erzieher sowie für Lehrkräfte durchgeführt. Die Leitfäden sind sehr gut angenommen worden und die Praktikerinnen und Praktiker haben durchweg positive Rückmeldungen zu der praxisorientierten Aufbereitung der Inhalte gegeben. Im Zuge des Inkrafttretens des Kinderschutzgesetzes wurde auch das Familienfördergesetz Sachsen-Anhalt ergänzt. In dessen § 17a ist die seit Ende 2006 existierende „Allianz für Kinder“ nunmehr gesetzlich verankert. Dieses Gremium ist multiprofessionell mit Expertinnen und Experten aus verschiedenen den Kinderschutz tangierenden Bereichen sowie mit Vertreterinnen und Vertretern verschiedener Ministerien besetzt. Die Allianzmitglieder beraten und unterstützen das Ministerium für Arbeit und Soziales bei dem „Aufbau eines Frühwarnsystems zur Sicherung des Kindeswohls und zum Schutz vor Kindesvernachlässigung“. 4 Frage Nr. 3: Wie beurteilt die Landesregierung die Zusammenarbeit der Akteure der lokalen Netzwerke Kinderschutz? Sind Probleme bekannt? Wie oben beschrieben, ist Netzwerkarbeit für alle Beteiligten eine Herausforderung bzgl. zeitlicher und personeller Ressourcen. Erfolgreiche Netzwerkarbeit muss sich entwickeln und festigen können. Gleichwohl wird der Beginn der strukturierten Zusammenarbeit der Akteure der „Lokalen Netzwerke Kinderschutz“ positiv bewertet, wobei es regionale Unterschiede gibt. Empirisch valide Aussagen zu Problemen der Zusammenarbeit können anhand der Ergebnisse oben genannter Umfrage unter den „Lokalen Netzwerken Kinderschutz“ noch nicht getroffen werden. Aus Erörterungen mit den Koordinatorinnen und Koordinatoren aber auch aus bundesweiten Diskussionen ist bekannt, dass die Einbeziehung unter anderem von freiberuflich tätigen Partnern mitunter Probleme aufweist, da diese außerhalb ihrer vergüteten Tätigkeit an den Sitzungen der „Lokalen Netzwerke Kinderschutz“ teilnehmen . Diese Problemlage gestaltet sich aber regional unterschiedlich. Das Ministerium für Arbeit und Soziales wird die Mitarbeit von freiberuflich Tätigen in den „Lokalen Netzwerken Kinderschutz“ im Zuge der Umsetzung des am 1. Januar 2012 in Kraft getretenen Bundeskinderschutzgesetzes erneut aufgreifen. Frage Nr. 4: Trifft es zu, dass Schulen nicht optimal in die Netzwerkarbeit einbezogen sind? Welche Gründe liegen vor? Die Schule ist zentraler Ort der Sozialisation für Kinder und Jugendliche. Lehrkräfte sind somit im schulischen Alltag häufig mit Problemen und Konflikten von Schülerinnen und Schülern konfrontiert. Es gehört unter anderem zu ihren Aufgaben, ein vertrauensvolles Verhältnis zu den Schülerinnen und Schülern aufzubauen und bei der Bewältigung von Problemen Unterstützung anzubieten. Die Wahrnehmung dieser Verantwortung ist verankert im Schulgesetz (SchulG LSA, GVBl. LSA 2005, 520 in der zuletzt geänderten Fassung). Besonders hinzuweisen ist dabei auf den neu eingefügten § 38 Absatz 3, wonach die Schule das zuständige Jugendamt zu unterrichten hat, wenn bei einer Schülerin oder einem Schüler erhebliche Verhaltensauffälligkeiten auftreten, die eine Maßnahme der Jugendhilfe erforderlich erscheinen lassen, oder Tatsachen bekannt werden, die auf Vernachlässigung, Missbrauch oder Misshandlung einer Schülerin oder eines Schülers schließen lassen. Um den Lehrkräften und in den Schulen tätige Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen bei ihren oftmals weitreichenden Entscheidungen im Rahmen des Kinderschutzes mehr Rechtssicherheit zu geben und sie über konkrete regionale Ansprechpartner zu informieren, wurde der oben genannte Leitfaden für Lehrerinnen und Lehrer, Erzieherinnen und Erzieher entwickelt und den Schulen zur Verfügung gestellt. In Rahmen der oben genannten Umfrage zur Umsetzung des Kinderschutzgesetzes gaben zum Stichtag (31. Dezember 2010) 71,4 % der Jugendämter an, in ihrer Planung auch die Einbeziehung von Schulen in die Netzwerkarbeit vorgesehen zu ha- 5 ben. Allerdings konnten noch keine belastbaren Aussagen zur Frage der Umsetzung sowie hinsichtlich einer optimalen Einbeziehung von Schulen abgeleitet werden. Aus aktuellen Erörterungen mit den Koordinatorinnen und Koordinatoren der „Lokalen Netzwerke Kinderschutz“ ist bekannt, dass eine Einbeziehung von Schulen regional in sehr unterschiedlicher Weise erfolgt. Die Landesregierung wird die Mitarbeit von Schulen in den „Lokalen Netzwerken Kinderschutz“ im Zuge der Umsetzung des am 1. Januar 2012 in Kraft getretenen Bundeskinderschutzgesetzes gezielt weiter verfolgen.