Landtag von Sachsen-Anhalt Drucksache 6/877 02.03.2012 (Ausgegeben am 05.03.2012) Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung Abgeordneter Thomas Keindorf (CDU) Kooperation zwischen Gedenkstätten und Schulen Kleine Anfrage - KA 6/7346 Vorbemerkung des Fragestellenden: Gedenkstätten sind Orte der historischen Erinnerung und dienen Schulen als Instrument zur Vermittlung historisch-politischer Bildung. Antwort der Landesregierung erstellt vom Kultusministerium Namens der Landesregierung beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1: Welche Bedeutung misst die Landesregierung der Aufklärung über die beiden deutschen Diktaturen im Schulunterricht bei? Wie viele Schulstunden sind dafür jeweils veranschlagt? Die Aufklärung über die beiden deutschen Diktaturen hat eine zentrale Bedeutung für den Schulunterricht. Im Fachlehrplan Geschichte Sekundarschule (Erprobungsfassung ) sind im 9. Schuljahrgang etwa zwei Drittel der Unterrichtszeit dafür vorgesehen . Im kompletten 10. Schuljahrgang wird die deutsch-deutsche Geschichte nach 1945 vertiefend behandelt. Im Gymnasium ist das Thema „Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg" mit einem Zeitrichtwert von 15 Stunden versehen (9. Schuljahrgang ). Für Themen zur DDR-Geschichte sind im 10. Schuljahrgang insgesamt 26 Stunden vorgesehen. Die Schülerinnen und Schüler werden in der gymnasialen Oberstufe außerdem im kompletten 3. Kurshalbjahr zum Thema „Parlamentarische Demokratie und nationalsozialistische Diktatur" und im kompletten 4. Kurshalbjahr zum Thema „Deutschland im Widerstreit der Systeme" unterrichtet. 2 Frage 2: Welchen Stellenwert hat die Gedenkstättenarbeit bei der Vermittlung von historisch -politischer Bildung im Rahmen des Schulunterrichts? Liegen Erfahrungen aus der Praxis vor? Die Gedenkstättenarbeit hat bei der Vermittlung von historisch-politischer Bildung einen hohen Stellenwert. So verweist der Fachlehrplan Geschichte (Erprobungsfassung ) auf Gedenkstätten für ehemalige Konzentrations- oder Arbeitslager der jeweiligen Region. Außerdem enthält der 10. Schuljahrgang ein Methodenpraktikum, in dem Zeitgeschichte in einer Ausstellung untersucht werden soll. Im 10. Schuljahrgang des Gymnasiums ist für alle Schülerinnen und Schüler verpflichtend, die „Staatsicherheit“ und den Umgang mit ihrem Erbe zu behandeln. Gedenkstättenbesuche gehören in vielen Schulen zum Bestandteil historisch-politischer Bildung. Mittlerweile verfügen alle Gedenkstätten über moderne Dauerausstellungen, die an aktuelle Konzepte der Geschichtsdidaktik und Gedenkstättenpädagogik angepasst sind. Projekttage orientieren sich an den Anforderungen der Rahmkennrichtlinien nach der Stärkung historischer und narrativer Kompetenzen. Bis auf die Gedenkstätte Deutsche Teilung werden die Gedenkstätten der Stiftung Gedenkstätten überwiegend von Gruppen besucht unter denen Schulklassen mit bis zu fast 80% die Mehrheit bilden. Die vorhandenen Untersuchungen legen den Schluss nahe, dass die Mehrheit (ca. 70 %) der Schülerinnen und Schüler in Sachsen -Anhalt während ihrer Schulzeit eine Gedenkstätte besucht. Am 30. Juni 2011 wurde für Schülerinnen und Schüler aus Niedersachsen und Sachsen-Anhalt in der Gedenkstätte „Deutsche Teilung Marienborn“ ein gemeinsamer Schülerprojekttag „50 Jahre Mauerbau“ mit dem Untertitel „Fluchtschicksale“ angeboten , der von Schulen aus beiden Ländern mit sehr positiver Resonanz angenommen wurde. Für 2012 ist ein weiterer Projekttag vorgesehen. Die neue Dauerausstellung der Gedenkstätte Lichtenburg ist modernen pädagogischen Anforderungen angepasst. Die diesjährige Gedenkveranstaltung zum Holocaustgedenktag wurde gemeinsam mit dem Gymnasium Jessen durchgeführt. In der Gedenkstätte Bernburg arbeiten die Schüler, begleitet von den Gedenkstättenmitarbeitern /-innen bei Besuchen grundsätzlich selbständig und gemäß der modernen Museumspädagogik stark mit Bildquellen. Es gibt besondere Angebote für Menschen mit Lernschwierigkeiten und Schulen für Lernbehinderte. Die Gedenkstätte Langenstein-Zwieberge führt während der jährlichen „Tage der Begegnung“ Zeitzeugengespräche mit Überlebenden oder deren Nachkommen durch. Die Gedenkstätte ROTER OCHSE bietet ein umfangreiches Zeitzeugenprogramm an, so z. B. im letzten Jahr mit Überlebenden Sowjetischer Lager. Projekttage für Schulklassen zur NS-Geschichte beschäftigen sich z. B. mit den Themen Zwangsarbeit und NS-Justiz. Die von Schulen gut angenommene Ausstellung „Karl Plagge - ein Gerechter unter den Völkern“ wurde von den Gedenkstätten Bernburg und ROTER OCHSE in Ko- 3 operation mit dem AJZ Dessau und dem Förderverein Gedenkstätte und Schloss Lichtenburg erarbeitet und präsentiert. Die neue Dauerausstellung in der Gedenkstätte Moritzplatz Magdeburg verfügt über multimediale Zeitzeugenstationen und ein modernes Angebot an Zeitzeugengesprächen im Rahmen der Projektarbeit und des mit der VOS gemeinsam durchgeführten Zeitzeugencafés. In der Gedenkstätte Deutsche Teilung Marienborn wird neben dem genannten Schülerprojekttag jährlich das Seminar „Unrechtssysteme“ mit Schülern aus Gernrode und Walsrode durchgeführt, in dem historisch-politische Bildung, Zeitzeugenarbeit und künstlerische Präsentation verbunden werden. Frage 3: Wie bewertet die Landesregierung die Möglichkeit von Kooperationsvereinbarungen zwischen Gedenkstätten und Schulen in Sachsen-Anhalt? Wie viele Vereinbarungen sind der Landesregierung bekannt? Welche Ziele und Erwartungen sind damit verbunden und werden diese erfüllt? Innerhalb der Stiftung Gedenkstätten Sachsen-Anhalt gibt es bereits über viele Jahre enge Beziehungen zwischen einzelnen Gedenkstätten und bestimmten Schulen, ohne dass darüber formelle Kooperationsvereinbarungen abgeschlossen wurden. Für das laufende Jahr planen sowohl die Gedenkstätte Deutsche Teilung Marienborn als auch die Ende letzten Jahres eröffnete Gedenkstätte KZ Lichtenburg Prettin erstmals den Abschluss entsprechender Vereinbarungen. Die Gedenkstätte Marienborn strebt vertraglich geregelte Beziehungen mit dem Gymnasium Julianum Helmstedt, dem Ökumenisches Domgymnasium Magdeburg sowie einer Sekundarschule im Bördekreis an. Kooperationsziele sind: - die gemeinsame Entwicklung von Projekttagen; - Unterstützung bei der Weiterentwicklung der Besucherbetreuung der Gedenkstät- te; - Unterstützung bei der Entwicklung des Konzeptes der neuen Dauerausstellung der Gedenkstätte; - Unterstützung des Geschichtsunterrichts der Schulen insbesondere im Bereich der Geschichte der SBZ/DDR, des Kalten Krieges und - der deutschen Teilung. Die Gedenkstätte KZ Lichtenburg und das Gymnasium in Jessen führen derzeit Gespräche über den Abschluss eines Kooperationsvertrages. Erklärte Ziele sind: - obligatorische Gedenkstättenbesuche jeder 9. Klasse im Rahmen des Ge- schichtsunterrichts; - Unterstützung der Schule bei der Vor- und Nachbereitung der Gedenkstättenbe- suche; 4 - langfristige Planung gemeinsamer Veranstaltungen anlässlich von Gedenktagen (Mitwirkung des Chor bzw. der Theatergruppe ). Frage 4: Wie bewertet die Landesregierung Lehrerfortbildungsangebote des Landesinstituts für Schulqualität und Lehrerbildung Sachsen-Anhalt (LISA), um die unterrichtlichen Möglichkeiten von Gedenkstätten zu vermitteln? Das Landesinstitut für Schulqualität und Lehrerbildung Sachsen-Anhalt (LISA) zeichnet sich durch eine langjährige Zusammenarbeit mit den Gedenkstätten in SachsenAnhalt aus. Diese Zusammenarbeit ist durch Dauerangebote und temporäre Angebote geprägt. Im Zusammenhang mit der Neu- bzw. Umgestaltung von Gedenkstätten (d. h. ihren Räumlichkeiten, Ausstellungen und pädagogischen Angeboten) und mit der Einführung neuer curricularer Vorgaben sowie mit speziellen bildungspolitischen Initiativen werden regelmäßig aktualisierte Fortbildungsangebote für Lehrkräfte aller Schulformen unterbreitet. Beispielsweise fand im Schuljahr 2010/2011 in Anbindung an den neuen kompetenzorientierten Fachlehrplan für Geschichte (Sekundarschule) eine mehrtägige Fortbildung Zeitgeschichte in einer Ausstellung am Lernort „Gedenkstätte Deutsche Teilung“ für Multiplikatorinnen und Multiplikatoren in der Gedenkstätte Deutsche Teilung Marienborn statt. Auch für die insgesamt 20 Fortbildungstage umfassende Fortbildungsreihe „Deutschdeutsche Zeitgeschichte und ihre Behandlung im Geschichtsunterricht“ wurde neben der Gedenkstätte Deutsche Teilung in Marienborn und dem dazu gehörenden Grenzdenkmal in Hötensleben auch die Gedenkstätte Roter Ochse in Halle einbezogen . Im Schuljahr 2011/2012 ist im Rahmen der Neuauflage der Fortbildungsreihe „Deutsch-deutsche Zeitgeschichte und ihre Behandlung im Geschichtsunterricht“ auch die Gedenkstätte Moritzplatz in Magdeburg als außerschulischer Lernort erkundet worden. Insgesamt ist festzustellen, dass Fachmoderatorinnen und Fachmoderatoren, Fachbetreuerinnen und Fachbetreuer sowie Lehrkräfte Gedenkstätten als außerschulische Lernorte für Fortbildung und Unterrichtszwecke nutzen. Im Übrigen wirken hier regelmäßige Fortbildungsangebote, die insofern den Teilnehmenden diese Gedenkstätten mit ihren Gegebenheiten sowie ihrem unterrichtlichen Nutzungspotenzial eröffnen . Erfahrungen des LISA zeigen, dass im Ergebnis durchgeführter Fortbildungsveranstaltungen die Nachfrage bezüglich des Nutzens der Gedenkstätten von Schulen für Unterrichtszwecke nach wie vor besteht. Frage 5: Wie viele Abordnungen von Lehrkräften an Gedenkstätten sind in den letzten Jahren mit dem Ziel verfolgt, die Angebote der Gedenkstätten für Schüler mit Blick auf den Lehrplan und Unterricht weiterzuentwickeln? Aktuell unterstützen zwei Lehrkräfte die pädagogische Arbeit der Stiftung an den Gedenkstättenstandorten in Langenstein und Prettin. 5 Die Abordnung einer Lehrkraft an die Gedenkstätte Langenstein-Zwieberge läuft seit Beginn des Schuljahres 2009/2010. Die Abordnung einer Lehrkraft an die neu eingerichtete Gedenkstätte KZ Lichtenburg erfolgte zum Beginn des 2. Schulhalbjahres 2011/2012.