Landtag von Sachsen-Anhalt Drucksache 7/1181 29.03.2017 (Ausgegeben am 30.03.2017) Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung Abgeordnete Dagmar Zoschke (DIE LINKE) Nichtraucherschutz und Prävention gegen Tabakkonsum Kleine Anfrage - KA 7/630 Vorbemerkung des Fragestellenden: Bestandteil des Gesundheitszieleprozesses in unserem Land ist die Senkung des Anteils an Raucher/innen in der Bevölkerung. In der Evaluation „Tabakkonsum reduzieren “ ist neben der Beschreibung der Vielzahl von Interventionen und Teilzielen und erreichten Teilerfolgen auch benannt, dass nach wie vor großer Handlungsbedarf besteht. Das Nichtraucherschutzgesetz geht jetzt in das zehnte Jahr. Antwort der Landesregierung erstellt vom Ministerium für Arbeit, Soziales und Integration 1. Wie schätzt die Landesregierung aktuell den Erfüllungsstand dieses Teils des Gesundheitszieles ein? Welche Entwicklungen haben sich gezeigt? Welche Interventionen hatten welches Ergebnis? Es gibt nur sehr wenige Konsumdaten. Laut Tabakatlas 2015 des Deutschen Krebsforschungszentrums (Datengrundlage ist der Mikrozensus 2013) hat Sachsen-Anhalt deutschlandweit die zweithöchste Raucherquote bei Männern (34,0 %). Die Raucherquote der Frauen in Sachsen-Anhalt liegt mit 22,6 % an 5. Stelle. Bei männlichen Jugendlichen und jungen Erwachsenen von 15 bis 24 Jahren hat Sachsen-Anhalt die höchste Raucherquote mit 36,4 % (vor Mecklenburg -Vorpommern mit 35,8 %). Bei den weiblichen Jugendlichen und jungen Erwachsenen von 15 bis 24 Jahren sind es 30,3 % (vor Thüringen mit 27,6 %). Bei den Jugendlichen ist ein sehr deutliches Ost-West-Gefälle zu verzeichnen. Unter Einbeziehung der Studien „Moderne Drogen- und Suchtprävention“ (MODRUS) sowie einem Befragungsservey des Landesamtes für Verbraucher- 2 schutz bei Sechstklässlern (Surv6) wurde trotz methodischer Einschränkungen eine Trenddarstellung versucht: Seit dem Jahr 2000 ist demnach ein kontinuierliches Sinken der Raucherquote zu verzeichnen. Sie lag im Jahre 2012 bei denen , die ab und zu, öfter und regelmäßig rauchen bei 5,8 % und bei denen, die öfter und regelmäßig rauchen bei 2,2 % (s. nachfolgende Abbildung). Aktuellere Daten stehen nicht zur Verfügung. Ob sich dieser positive Trend, der auch bundesweit feststellbar ist, fortsetzt, lässt sich aktuell nicht sagen. Vergleiche unterschiedlicher Studien sind wegen der Befragung unterschiedlicher Altersgruppen und unterschiedlicher Studiendesigns nicht ohne Weiteres möglich. Das Gesundheitsziel ist nach wie vor aktuell und wird weiter verfolgt. 14,8% 24,4% 16,4% 9,6% 5,8% 2,8% 13,8% 4,3% 2,4% 2,2% 0% 5% 10% 15% 20% 25% 1998* 1999 2000* 2001 2002 2003* 2004 2005 2006 2007 2008 2009* 2010 2011 2012** (216) . (378) . . (92) . . . . . (372) . . (2.172) A nt ei l d er 1 2- Jä hr ig en , d er a ng ib t, in d en le tz te n 12 M on at en g er au ch t zu h ab en ab und zu, öfter oder regelmäßig öfter oder regelmäßig * MODRUS, ** Surv 6 (Anzahl befragter Schüler mit gültigen Daten) Abb. 2: Häufigkeit selbstberichteten Rauchens bei 12-Jährigen in Sachsen-Anhalt Quelle: Landesamt für Verbraucherschutz Sachsen-Anhalt – GBE-Schlaglicht Gesundheit Sachsen-Anhalt Nr. 3 / 2016 Interventionen: Unter dem Dach des Gesundheitszieles „Senkung des Anteils an Rauchern/innen in der Bevölkerung“ erfolgten und erfolgen in Sachsen-Anhalt eine Reihe von Maßnahmen zur Umsetzung, wie z. B.: BZgA-Länderprojekt „Auf dem Weg zur rauchfreien Schule“, in Sachsen- Anhalt von 2004 bis 2007 Rund 60 Schulen aller Schulformen ab Sekundarstufe 1 waren insgesamt beteiligt . Die Abschlusserhebung zeigte folgende Ergebnisse: Rauchverbote werden besser befolgt (89,2 %). Das Rauchen in den unteren Jahrgängen hat abgenommen (71,4 %). Das Rauchen von Schülern/innen der SEK II hat abgenommen (53,9 %). Das Sympathierauchen hat abgenommen (66,6 %). 3 Die Glaubwürdigkeit schulischer Regeln insgesamt hat zugenommen (81,2 %). Einheitlichkeit des Vorgehens gegenüber rauchenden Schülern/innen hat zugenommen (78,5 %). In Projektschulen haben Lehrkräfte aufgehört, in der Schule zu rauchen (63 %). Die Zustimmung der Elternschaft zur rauchfreien Schule hat im Projektverlauf um 63 % zugenommen. Die Projektkoordination erfolgte bei der Landesstelle für Suchtfragen über Drittmittelfinanzierung . Seit dem Inkrafttreten des Gesetz zur Wahrung des Nichtraucherschutzes im Land Sachsen-Anhalt (Nichtraucherschutzgesetz) am 1. Januar 2008 ließ das Interesse der Schulen an Unterstützung zur Rauchfreiheit allerdings merklich nach - in der Annahme, die schulischen Probleme mit dem Rauchen würden sich nun erledigen. Tabakentwöhnung durch zertifizierte Suchtberater und Suchtberaterinnen Im Jahre 2003 wurde eine Rahmenempfehlung zur Raucherentwöhnung durch Suchtberatungsstellen mit der Gesetzlichen Krankenversicherung, dem damaligen Ministerium für Gesundheit und Soziales Sachsen-Anhalt und der Landesstelle für Suchtfragen abgeschlossen. Diese Empfehlung dient als Grundlage für eine einheitliche Vorgehensweise bei der Durchführung von Raucherentwöhnung an Suchtberatungsstellen. 32 Suchtberaterinnen und Suchtberater wurden zertifiziert. Die Nachfrage ist sehr gering, trotz erheblicher Öffentlichkeitsarbeit . Unter den neuen Bedingungen des Präventionsgesetzes lässt sich die Nachfrage möglicherweise durch gezielte ärztliche Präventionsempfehlungen beleben. „KlarSicht-Parcours“ BZgA Dieser Mitmach-Parcours zum Thema „Alkohol und Tabak“ für Schulen ab der Sekundarstufe 1 kommt auch in Sachsen-Anhalt zur Anwendung. Aktuell wird die Kofferversion durch Fachkräfte für Suchtprävention an Schulen eingesetzt. Der fachgerechte Einsatz dieses Methodenrepertoires wurde als wirksam hinsichtlich der Einstellungen zu Alkohol- und Tabakkonsum evaluiert. Neben den Schulklassen wurden in den Gebietskörperschaften Teams aus fest angestellten Mitarbeitern/innen von Schulen sowie aus der Jugend-, Sucht- und Gesundheitshilfe zu Moderationstechniken geschult. Dadurch konnte die Kooperation vor Ort sehr verbessert werden. Durch den weiteren Ausbau des Netzes an Fachstellen für Suchtprävention wird die Möglichkeit des Einsatzes erweitert werden können. Der Jugendschutz-Parcours „stop & go“, der in der Servicestelle Kinder- und Jugendschutz Sachsen-Anhalt zur Verfügung steht, stellt darüber hinaus ein niederschwelliges Angebot dar, das Jugendlichen in vier Stationen die Möglichkeit bietet, sich lebensweltnah selbstständig und spielerisch mit den Normen des Jugendschutzes in der Öffentlichkeit sowie in Bezug auf jugendgefährdende Medien auseinanderzusetzen. Auch die Bereiche Sucht und Werbung/Konsum werden thematisiert. Roll-Ups, die die Themen veranschaulichen, laden dabei zum Gespräch ein. Ergänzt wird der Parcours durch praxisorientierte Ansichts - und Arbeitsmaterialien wie Spiele, Quiz, Themenkarten, Filme, Rauschbrillen und diverse Alltagsgegenstände. Schulen und Jugendeinrichtungen kön- 4 nen den Parcours über die Servicestelle buchen. Der Parcours richtet sich an Kinder und Jugendliche ab zehn Jahren. Der Jugendschutzparcours ist ein Bundesmodellprojekt unter Trägerschaft der Bundesarbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz e. V. (BAJ), an dem sich Bayern, Brandenburg, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen beteiligen. Unter verhältnispräventiven Gesichtspunkten hat das Nichtraucherschutzgesetz wesentlich dazu beigetragen, dass in zahlreichen öffentlichen Räumen nicht mehr geraucht wird. Hier verspricht sich das Land auf längere Sicht eine Vorbildwirkung für Kinder und Jugendliche. Unabhängig von den Maßnahmen auf Landesebene tragen auch bundesgesetzliche Regelungen dazu bei, das Rauchverhalten zu verändern, wie z. B. Tabaksteuererhöhungen, Präsentationspflicht sogenannter Schockbilder, Werbeverbote , Regelungen zu den Inhaltsstoffen, Änderungen im Jugendschutzgesetz zur Abgabe von E-Zigaretten. Ein Verbot der Tabakaußenwerbung befindet sich noch im Gesetzgebungsverfahren. 2. In welchen Bereichen sieht die Landesregierung den größten Handlungsbedarf für die aktuelle und künftige Ausrichtung zur Rauchprävention sowie dem Nichtraucherschutz? Den größten Handlungsbedarf sieht die Landesregierung nach wie vor und auch in Zukunft beim jugendlichen Rauchverhalten. Je früher mit dem Rauchen begonnen wird, desto wahrscheinlicher ist die Entwicklung einer Abhängigkeit, unabhängig von anderen die Gesundheit beeinträchtigenden Wirkungen. Deutschlandweit zeigt sich, dass präventive Maßnahmen bei Jugendlichen große Erfolge nach sich ziehen. Erforderlich ist hier ein Policy-Mix aus verhältnis - und verhaltenspräventiven Maßnahmen. Wichtige bundes- und landesrechtliche Grundlagen der Verhältnisprävention sind z. B. Regelungen zum Nichtraucherschutz am Arbeitsplatz und in öffentlichen Räumen, die Preisgestaltung für Tabakerzeugnisse sowie Regelungen des Jugendschutzgesetzes. Eine strikte Umsetzung ist hier unerlässlich. Wird in öffentlichen Räumen nicht geraucht, hat das eine Vorbildwirkung für Jugendliche. Ein weiteres Thema mit Handlungsbedarf sind rauchende Schwangere. In Facharbeitskreisen wird eine Verpflichtung der Schulen zur Einführung suchtpräventiver Gesamtkonzepte als Bestandteil des Schulprogramms diskutiert. 3. Welchen Handlungsbedarf sieht die Landesregierung auf kommunaler Ebene und wie können die Kommunen wirksam unterstützt werden? Auf kommunaler Ebene ist einerseits die Kontrolle der gesetzlichen Regelungen das ausschlaggebende Thema, das an Aktualität nie verliert. Insbesondere betrifft das die Regelungen des Jugendschutzgesetzes und die des Nichtraucherschutzgesetzes . Unterstützung bietet das Ministerium für Arbeit, Soziales und Integration z. B. bei Auslegungsfragen des Nichtraucherschutzgesetzes. Andererseits sind die Landkreise auch in der Verhaltensprävention aktiv. Ein wichtiges Setting ist hierbei die Schule. Mit der Förderung von Fachstellen für Suchtprävention in den Landkreisen und kreisfreien Städten leistet das Land einen 5 grundlegenden Beitrag für die Schaffung von Strukturen, die in der Lage sind, auf einem fachlich hohen Niveau Projekte zu initiieren, zu begleiten und sich mit den relevanten Partnern zu vernetzen. Die fachliche Beratung und Begleitung findet in den Facharbeitskreisen der vom Land geförderten Landesstelle für Suchtfragen statt. Das Land wird auch weiterhin diese Unterstützung gewährleisten . Mit Verabschiedung des Haushaltes 2017/2018 ist eine Erhöhung der Fördersummen erfolgt. 4. Wie bewertet die Landesregierung die ordnungspolitischen Kontrollmechanismen ? Welche Ergebnisse weisen diese insbesondere hinsichtlich der Einhaltung des Nichtraucherschutzes im Gaststättenbereich aus? Zuständig für die Überwachung der Regelungen des Nichtraucherschutzgesetzes sind die kreisfreien Städte, Einheitsgemeinden und Verbandsgemeinden. Das Nichtraucherschutzgesetz enthält keine Vorgaben zur Häufigkeit und Intensität der Kontrollen. Dies obliegt den Behörden im eigenen Ermessen. Aussagen hierzu liefert z. B. der „Bericht über die Evaluierung des Nichtraucherschutzgesetzes Sachsen-Anhalt für den Zeitraum von 2008 bis 2010“ (LT-Drs. 5/3039). Hier gaben insgesamt 203 Ordnungsämter oder sonstige, für den Nichtraucherschutz zuständige Behörden Auskunft. Im Ergebnis konnte festgestellt werden, dass man von einer sehr heterogenen Verfahrensweise ausgehen kann. Die Ahndung und Verfolgung von Verstößen erfolgte entweder ausschließlich anlassbezogen, anlassbezogen und im Rahmen der Kontrolltätigkeit oder überwiegend im Rahmen der regelmäßigen Kontrolltätigkeit. Die äußerst unterschiedliche Handhabung in der Wahrnehmung und Ausübung des Entschließungsermessens spiegelte sich im Berichtszeitraum in der Umsetzung des Vollzuges in den einzelnen Kommunen wider. Als Hauptproblem des Vollzugs wurde die der allgemeinen finanziellen Situation geschuldeten problematischen Personalsituation in den Kommunen angesehen. Hinzu kommt, dass die zahlreichen Ausnahmevorschriften zum Rauchen in Gaststätten im Nichtraucherschutzgesetz einen höheren Aufwand für die Vollzugsbehörden darstellen, als dies beispielsweise bei den in Bayern oder Nordrhein-Westfahlen geltenden generellen Rauchverboten im Gastronomiebereich der Fall ist. Da der Landesgesetzgeber auf konkrete Vorgaben zum Gesetzesvollzug, die dem Erfordernis der Konnexitätsregelung gemäß Artikel 87 Abs. 3 Landesverfassung unterliegen würden, verzichtet hat, ist die Ausübung des Ermessens beim Vollzug des Nichtraucherschutzgesetzes durch die Kommunen in Sachsen-Anhalt nicht zu beanstanden.