Landtag von Sachsen-Anhalt Drucksache 7/1269 18.04.2017 (Ausgegeben am 19.04.2017) Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung Abgeordneter Detlef Gürth (CDU) Wolf in Deutschland – Konflikte, Aufwand und Nutzen V Kleine Anfrage - KA 7/614 Vorbemerkung des Fragestellenden: Es ist nicht auszuschließen, dass auch Teile der Landesregierung (sicher ungewollt) den Eindruck vermitteln könnten, dass u. U. nicht ausreichend objektiv Fachwissen und Zugang zu wissenschaftlichen Quellen gewichtet und in Entscheidungen so einbezogen wird, dass erkennbar ein ausgewogenes Spektrum der Begutachtung wichtigster Fragen bei der Veränderung der Ökosysteme durch Ansiedlung/Unterschutzstellung nichtheimischer Tierarten und zeitgleicher Ausrottung von Arten durch entsprechendes Verwaltungshandeln bzw. Programme der öffentlichen Hand gewährleistet wird. So wird beispielsweise das älteste Muffelwildvorkommen Deutschlands zuerst durch die Auswilderung von Luchs und nun durch die Ansiedlung und Unterschutzstellung von Wölfen bzw. wolfsähnlichen Arten so stark reduziert, dass eine Ausrottung droht. Öffentlich gemachte Äußerungen erwecken den Eindruck, dies werde hingenommen oder gar gewollt. Gleichzeitig werden Neozoen wie Nilgans (Alopochen aegyptiaca) und Nandu (Rhea americana, flugunfähiger Laufvogel) geschützt, indem die Jagd streng verboten ist. Das Amt für das Biospährenreservat Schaalsee, in dessen Gebiet Nandus sich derzeit bevorzugt vermehren, hat die Vögel in Mecklenburg gar „als heimische, wild lebende Art eingestuft, da sie sich seit mehr als zehn Jahren erfolgreich im Freiland reproduziert“. Jagdverbote gelten auch in Sachsen-Anhalt. 2 Antwort der Landesregierung erstellt vom Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft und Energie 1. Wenn Nilgans und Nandu durch Jagdverbot geschützt werden, obgleich sie Neozoen sind, welche erst seit kurzer Zeit in Deutschland vorkommen, weshalb wird dann durch die Auswilderung und Ansiedlung sowie Unterschutzstellung von Wolf und Luchs das Mufflon quasi zur Ausrottung frei gegeben, welches vor 200 Jahren in Österreich und mehr als 100 Jahren in Norddeutschland angesiedelt wurde? Es trifft nicht zu, dass Nilgans und Nandu durch Jagdverbot geschützt werden. Dagegen trifft es zu, dass Nilgans und Nandu in Sachsen-Anhalt nicht dem Jagdrecht unterliegen und damit wie jede andere nicht dem Jagdrecht unterliegende Tierart nicht bejagt werden dürfen. Zudem kommt der Nandu nach aktueller Kenntnis der Landesregierung in Sachsen-Anhalt nicht vor und könnte somit gar nicht bejagt werden . Wölfe wurden nicht ausgewildert und vom Menschen angesiedelt. Ich verweise dazu auch auf die Antwort zur Kleinen Anfrage 7/613. Der Luchs wurde in Niedersachsen gezielt wieder angesiedelt und hat sich auch nach Sachsen-Anhalt ausgebreitet. Gleichwohl ist der Luchs im Harz eine heimische Tierart in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet. Das Verhältnis von Wolf bzw. Luchs zum Mufflon folgt natürlichen ökologischen Zusammenhängen ohne Zutun des Menschen. Der Begriff der Ausrottung, der grundsätzlich als Bestandsvernichtung einer Tierart durch menschliche Verfolgung definiert ist, ist hierfür nicht anwendbar. Die erste Ansiedlung der in Deutschland ursprünglich gebietsfremden Tierart Mufflon in der Göhrde (Niedersachsen) und im Harz (Sachsen-Anhalt) erfolgte vor mehr als einem Jahrhundert. Die in verschiedenen heutigen Verbreitungsgebieten eingetretene starke Bestandsreduktion des Mufflons durch Luchs und Wolf ist als zwangsläufige Entwicklung infolge der Wiederbesiedelung des Wolfes in den gemeinsamen Lebensräumen zu sehen. Das Mufflon ist als originäres Gebirgsschaf mit kurzen Fluchtdistanzen nur unzureichend an die weit außerhalb seines natürlichen Verbreitungsgebietes liegenden mitteleuropäischen Waldlebensräume angepasst und hat daher in Anwesenheit des wieder natürlich vorkommenden, heimischen Beutegreifers Wolf in besonderem Maße Verluste zu verzeichnen. Eine Möglichkeit zur wirksamen Einflussnahme auf diese besondere Problematik, die durch das Zusammentreffen von Großraubtieren und Mufflons in jüngerer Zeit entstanden ist, besteht unter den derzeit gegebenen rechtlichen Schutzbestimmungen für Wolf und Luchs nicht. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 4 verwiesen. 2. Nach welchen Maßstäben wird der Artenschutz gehandhabt? Gilt etwa nicht mehr der Grundsatz, dass Artenschutz nicht teilbar sei? Der Artenschutz wird nach dem geltenden Naturschutzrecht gehandhabt. 3 In diesem Zusammenhang gibt es keinen verbindlichen oder allseits akzeptierten Grundsatz zur Teilbarkeit des Artenschutzes. Vielmehr wird mit den juristischen Kriterien der „besonders“ und „streng geschützten“ Arten für das Naturschutzhandeln eine klare naturschutzfachliche Priorisierung vorgegeben , die wiederum an dem nachhaltigen Ansatz des gesamten Naturschutzes gemäß § 1 Bundesnaturschutzgesetz zu messen ist. In diesem Zusammenhang gibt es für den Artenschutz zwingende Gründe, die vorrangig in der Gefährdung autochthoner Arten durch anthropogene Einflüsse liegen. Arten, die nicht gefährdet sind, unterliegen in der Regel nicht dem Artenschutz. Aus Naturschutzsicht und nach Naturschutzrecht bestehen für nicht autochthone Arten in der Regel keine Erhaltungsverpflichtung und kein Erhaltungsinteresse. So ist es auch in der Naturschutzpraxis üblich, gegen nicht geschützte, häufige und insbesondere auch gegen nicht autochthone Arten in den Fällen vorzugehen, in denen geschützte autochthone Arten beeinträchtigt werden. In der anthropogen geprägten Kulturlandschaft ist das eine begründete und gesellschaftlich geforderte Vorgehensweise . Entbuschungsmaßnahmen eines Halbtrockenrasens sind dafür geläufige Beispiele . Auch in anderen Bereichen, so zum Beispiel der Land- und Forstwirtschaft, der Fischerei , dem Jagdwesen, der Schädlingsbekämpfung, oder dem Gesundheitswesen ist eine Entnahme oder Nutzung sowie eine Verfolgung oder Beseitigung nicht geschützter Arten tägliche Praxis. Das erfolgt nicht selten mit dem Ziel der zumindest lokalen Ausrottung. 3. Ist es Wille bzw. Duldungsabsicht der Landesregierung Neozoen wie beispielsweise die Nilgans und den Nandu zu schützen, jedoch seit Generationen vorhandene, im Ökosystem Wald in Sachsen-Anhalt gut verträgliche Muffelwildvorkommen durch Luchs und Wolf ausrotten zu lassen? Nein. 4. Ist der Landesregierung bekannt, dass beispielsweise Muffelwildvorkommen in angestammten Habitaten wie dem Tharanter Wald, in Hohenbuckow (von 1 500 Stck auf Null) oder im Einstandsgebiet Königshainer Berge (Görlitz ) bereits ausgelöscht wurden und welche Schlussfolgerungen sind daraus für verantwortliches Handeln in Sachsen-Anhalt zu ziehen? Ja. Die Landesregierung schließt daraus, dass das Mufflon Spitzenprädatoren wie Wolf und Luchs kein wirksames Schutzverhalten entgegensetzen kann. Das ist allerdings wissenschaftlich nicht abschließend belegt. 5. Ist der Landesregierung bekannt, dass beim Monitoring der Entwicklung der Wolfsbestände in Europa teilweise Reproduktionsquoten von 20 bis 50 Prozent pro Jahr dokumentiert wurden und welche Auswirkungen wird dies auf die Bestandsentwicklung des Muffelwildes in Sachsen-Anhalt haben? Die Reproduktion des Wolfes in den Rudeln auf der Fläche Sachsen-Anhalts wird nach den deutschlandweiten Standards wissenschaftlich erfasst und in den Monito- 4 ringberichten des Landesamtes für Umweltschutz Sachsen-Anhalt seit Beginn der Wiederbesiedlung quantitativ dargestellt. Für den Mufflonbestand liegen, abgesehen von Jagdstrecken, keine in diesem Sinne belastbaren Grundlagen für Bestandsdaten vor. Die gegenwärtigen Verbreitungsgebiete von Wolf und Mufflon in Sachsen-Anhalt überschneiden sich nur unvollständig, so dass die Wolfsdichte nicht flächendeckend in eine Beziehung zum Mufflonbestand gesetzt werden kann. Analog gilt dies auch für den Luchs. Eine belastbare Prognose zur Entwicklung der Mufflonbestände - mit oder ohne Einfluss des Wolfes sowie unter Berücksichtigung jagdlicher Entnahmen und sonstiger Einflüsse - ist für die Landesregierung nicht möglich. 6. Wie prognostiziert die Landesregierung die Reproduktionsquote der Wolfspopulation auf dem Gebiet Sachsen-Anhalts angesichts der Tatsache, dass diese vom Nahrungsangebot abhängt, welches ja nach Auskunft der Landesregierung (siehe Anfragen und Veröffentlichungen) als sehr gut beschrieben wird? Wie sich die Reproduktionsrate entwickeln wird, ist nicht sicher prognostizierbar, unter anderem deshalb, weil sich der Bestand des Wolfs in Sachsen-Anhalt derzeit noch im Aufbau befindet und sich am äußeren Rand einer sich ausbreitenden mitteleuropäischen Flachlandpopulation entwickelt. Die Daten der Monitoringberichte weisen bislang auf jährlich schwankende Reproduktionsraten hin. Insoweit wären Aussagen zur erwarteten Reproduktionsrate spekulativ. Neben der Nahrungsbasis können auch weitere nicht prognostizierbare Faktoren den Reproduktionserfolg beeinflussen. Dazu gehören Krankheiten, Witterungsfaktoren, menschliche Störungen und Eingriffe im Habitat sowie illegale Nachstellung. Außerdem sind weitere Faktoren zu berücksichtigen, die in Abhängigkeit von der Bestandsdichteverteilung des Wolfes und der Zu- und Abwanderung von Einzeltieren zu bewerten sind.