Landtag von Sachsen-Anhalt Drucksache 7/1405 16.05.2017 (Ausgegeben am 16.05.2017) Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung Abgeordnete Kerstin Eisenreich (DIE LINKE) Gebühren und Beiträge in der kommunalen Praxis Kleine Anfrage - KA 7/767 Antwort der Landesregierung erstellt vom Ministerium für Inneres und Sport 1. Welche Kosten dürfen in Beiträgen und Gebühren kalkuliert werden? Gebührenfähig sind nach § 5 Abs. 2 Kommunalabgabengesetz des Landes Sachsen -Anhalt (KAG-LSA) alle nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen ansatzfähigen Kosten, sofern sie der von der maßgeblichen öffentlichen Einrichtung zu erbringenden Leistung zuzurechnen sind. Weiterhin bestimmt § 5 Abs. 2a KAG-LSA beispielhaft , welche Aufwendungen bei der Kalkulation von Gebühren zu berücksichtigen sind. Zu den ansatzfähigen Kosten gehören u. a. Entgelte für in Anspruch genommene Fremdleistungen sowie eine angemessene Verzinsung des aufgewandten Kapitals . Aufwendungen für die Herstellung von Anlagen (Investitionskosten) sind gem. § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG-LSA originär nur über Beiträge zu refinanzieren. Der Begriff des Aufwands erfasst die Kosten, die für die Verwirklichung des jeweiligen Beitragstatbestandes aus kosten- und anlagenbezogener Sicht notwendig und erforderlich sind. Beiträge sind gem. § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG-LSA nur zu erheben, soweit der Aufwand nicht über Gebühren gedeckt ist, d. h. bereits durch Gebühren refinanzierte Investitionen werden bei der Beitragskalkulation berücksichtigt. Somit wird eine Doppelbelastung der Abgabepflichtigen vermieden. 2 2. Ist das Festhalten an einer Grundgebühr noch notwendig und wenn ja, besteht die Notwendigkeit einer Höhenbegrenzung? Vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung in Sachsen-Anhalt und der hohen Investitionskosten in die Anlagen der Trinkwasserversorgung und Abwasserbeseitigung ist das Festhalten an einer Grundgebühr notwendig. Die Notwendigkeit einer Höhenbegrenzung der Grundgebühr besteht nicht. Die in § 5 Abs. 3 Satz 4 KAG-LSA zugelassene Grundgebühr ist eine Benutzungsgebühr , die für die Inanspruchnahme der Liefer- und Betriebsbereitschaft einer Einrichtung erhoben wird. Mit ihr sollen die durch das Bereitstellen und ständige Vorhalten der Einrichtung entstehenden verbrauchsunabhängigen Betriebskosten, die sogenannten Fixkosten, ganz oder teilweise abgegolten werden. Eine Gebührenerhebung in dieser Form beruht auf der Erwägung, dass die Aufrechterhaltung der Betriebsbereitschaft der betreffenden Einrichtung für jeden Anschluss verbrauchsunabhängige Betriebskosten verursacht, was es rechtfertigt, diese Vorhaltekosten unabhängig von dem Maß der Benutzung im Einzelfall vorab auf die Benutzer der Anlage zu verteilen. Die Grundgebühr wird verbrauchsunabhängig nach einem Wahrscheinlichkeitsmaßstab bemessen, der sich an Art und Umfang der aus der Lieferbereitschaft folgenden abrufbaren Arbeitsleistung als Anhaltspunkt für die vorzuhaltende Höchstlastkapazität zu orientieren hat. Dabei darf die Anwendung des Wahrscheinlichkeitsmaßstabs nicht dazu führen, dass die Gebühr in einem offensichtlichen Missverhältnis zu der damit abgegoltenen Leistung steht oder einzelne Gebührenschuldner im Verhältnis zu anderen übermäßig hoch belastet werden. Die landesgesetzliche Ausprägung des Äquivalenzprinzips in § 5 Abs. 3 Satz 1 und 2 KAG-LSA gilt auch für die Erhebung der verbrauchsunabhängigen Grundgebühr (Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 8. September 2011, Az.: 4 L 247/10, juris). 3. In welcher Weise lässt sich ein sachlich begründetes Verhältnis von Grund- und Verbrauchsgebühr darstellen? Da in der Grundgebühr nur die von der Ver- bzw. Entsorgungsmenge unabhängigen Fixkosten eingerechnet werden können, ist die Erhebung einer Grundgebühr nur bei gleichzeitiger Erhebung einer Leistungsgebühr (Verbrauchsgebühr) zulässig, mit der die laufenden versorgungs- bzw. entsorgungsmengenabhängigen Kosten und ggf. der mit der Grundgebühr nicht abgedeckte Teil der Fixkosten abgerechnet werden. Angesichts des Umstandes, dass der Fixkostenanteil in bestimmten kommunalen Ver- bzw. Entsorgungseinrichtungen sehr hoch liegt, verursacht nicht das Ausmaß der Inanspruchnahme der in Rede stehenden Einrichtung die wesentlichen Kosten, sondern ihr Vorhandensein als solches, ihre Betriebsbereitschaft und die Möglichkeit, sie jederzeit in Anspruch nehmen zu können. Sofern die Ver- bzw. Entsorgungseinrichtung wenig in Anspruch genommen wurde, kann der Anteil der Grundgebühr an den Gesamtgebühren überwiegen. Mit zunehmender tatsächlicher Inanspruchnahme der Ver- bzw. Entsorgungseinrichtung wird jedoch entsprechend auch der Anteil der Verbrauchsgebühr an der Gesamtgebühr steigen. 3 4. Welche Chancen und Risiken bergen die Abschaffung von Beiträgen und die ausschließliche Erhebung von Gebühren? Beiträge werden gem. § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG-LSA zur Deckung des Aufwandes der Gemeinden für die Herstellung, Anschaffung, Erweiterung, Verbesserung und Erneuerung zum einen für leitungsgebundene Einrichtungen und zum anderen für Verkehrsanlagen (Straßen, Wege, Plätze sowie selbständige Grünanlagen und Parkeinrichtungen ) erhoben. Grundstückseigentümer, denen durch die Inanspruchnahmemöglichkeit einer ausgebauten öffentlichen Verkehrsanlage im Verhältnis zur Allgemeinheit besondere Vorteile erwachsen, sollen diese durch eine Geldleistung ausgleichen. In Sachsen- Anhalt sind die Gemeinden gem. § 99 Abs. 2 Nr. 1 Kommunalverfassungsgesetz des Landes Sachsen-Anhalt verpflichtet, ihre Einnahmemöglichkeiten aus Entgelten für die von ihnen erbrachten Leistungen auszuschöpfen, bevor sie Steuern erheben. Das Kommunalverfassungsgesetz gibt damit grundsätzlich zwingend vor, dass die Gemeinden von denjenigen, die durch die kommunale Leistung besonders begünstigt werden, dafür ein Entgelt zu verlangen haben. Auf dieser Grundlage verdichtet sich das Beitragserhebungsrecht der Gemeinde dort, wo ein Vorteilsausgleich nicht über die Erhebung von Gebühren, so wie bei der Herstellung von öffentlichen Verkehrsanlagen , erzielt werden kann, zu einer grundsätzlichen Beitragserhebungspflicht . Die Abschaffung von Beiträgen für öffentliche Verkehrsanlagen würde daher den Einnahmebeschaffungsgrundsätzen im Kommunalverfassungsgesetz des Landes Sachsen-Anhalt entgegenstehen. Die Abschaffung von Beiträgen für leitungsgebundene Anlagen hätte zur Folge, dass sich zum einen die finanziellen Belastungen der Bürger auf den gesamten Nutzungszeitraum der Anlage (z. B. über 50 Jahre) verteilen und zum anderen die hohen einmaligen Belastungen durch Beiträge wegfallen würden. Stehen Beitragseinnahmen für Investitionsmaßnahmen nicht in dem Umfang zur Verfügung , wie diese für Investitionen benötigt werden, müsste die Vorfinanzierung über Kredite erfolgen, die dann die Leistung von Zins und Tilgung nach sich ziehen. Anders als Zinsen sind Kosten für die Tilgung von Krediten und damit die eigentlichen Investitionskosten weder nach § 5 Abs. 2 KAG-LSA noch nach § 5 Abs. 2a KAG-LSA ansatzfähig, d. h. vom Kostenbegriff des § 5 Abs. 2 KAG-LSA werden Tilgungen nicht erfasst. Aufgrund der Laufzeiten der Investitionskredite können die zusätzlichen Zinsen in die Gebührenkalkulation eingestellt werden. Das Gebührenniveau könnte demzufolge steigen; im Gegenzug entfallen aber hohe einmalige finanzielle Belastungen . Bei der Systemumstellung von einer Beitrags- zu einer Gebührenfinanzierung müsste eine Doppelbelastung von Eigentümern, die in der Vergangenheit bereits einen Beitrag gezahlt haben, vermieden werden. Dazu könnten die Aufgabenträger einen entsprechenden Ausgleich bei der Umstellung des gemeindlichen Finanzierungssystems durchführen. Die Aufgabenträger könnten anstelle einheitlicher Benutzungsgebühren unterschiedlich hohe Gebührensätze für die Benutzung der öffentlichen Einrichtung festsetzen. Weiterhin wäre es zulässig, denjenigen Gebührenschuldnern, 4 die bereits Beiträge entrichtet haben, einen Teil der Benutzungsgebühren wegen sachlicher Unbilligkeit zu erlassen (§ 13a KAG-LSA i. V. m. § 227 Abgabenordnung) oder ggf. die Anschlussbeiträge zurückzuzahlen.