Landtag von Sachsen-Anhalt Drucksache 7/1687 26.07.2017 (Ausgegeben am 26.07.2017) Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung Abgeordnete Dagmar Zoschke (DIE LINKE) Barrierefreier Notruf für Gehörlose Kleine Anfrage - KA 7/947 Vorbemerkung der Fragestellenden: Derzeit können Gehörlose den Notruf nicht rund um die Uhr absetzen (in der Regel nur von 08:00 bis 23:00 Uhr durch Vermittlungsdienste). Es gibt für diverse Hilfeleistungen und Notrufe auch Faxvorlagen, die dann entsprechend ausgefüllt an die Leistelle verschickt werden müssen. Diese Regelung birgt viele Hürden für die Betroffenen und stellt eine Gefährdung ihrer Gesundheit dar. Auch die aktuellen Änderungen des Telekommunikationsgesetzes auf der Bundesebene lösen die Probleme leider nicht umfänglich. Antwort der Landesregierung erstellt vom Ministerium für Inneres und Sport Vorbemerkung: Mit dem Dritten Gesetz zur Änderung des Telekommunikationsgesetzes (3. TKGÄndG) vom 27. Juni 2017 (BGBl. I S. 1963) wurde § 45 Telekommunikationsgesetz (TKG) dahingehend geändert, dass nunmehr Absatz 1 zusätzlich den Satz „Der Zugang zu den Telekommunikationsdiensten muss behinderten Endnutzern jederzeit zur Verfügung stehen.“ enthält und laut Absatz 3 die Anbieter öffentlich zugänglicher Telefondienste „jederzeit verfügbare“ Vermittlungsdienste für gehörlose und hörgeschädigte Endnutzer bereitstellen. Damit wurde die täglich von 08:00 bis 23:00 Uhr bestehende Möglichkeit, einen Notruf über eine Videoverbindung zu einem Gebärdensprachdolmetscher (Vermittlungsdienst) abzusetzen, auf eine 24-stündige Verfügbarkeit an jedem Wochentag ausgedehnt. 2 Mit der Gesetzesänderung erhalten Menschen mit Sprach- und Hörbehinderungen einen Zugang, der auch unter dem Aspekt der zeitlichen Verfügbarkeit dem Zugang gleichwertig ist, über den die Mehrheit der Endnutzer verfügt. Dies ist umso notwendiger , als sich Notsituationen jederzeit ereignen und somit auch Notrufe oder sonstiger Hilfebedarf ergeben können. Damit ist der Weg zum barrierefreien Notruf frei gemacht worden. Die Bundesnetzagentur ist für die Umsetzung der Vorgaben aus § 45 TKG verantwortlich und wird die notwendigen Maßnahmen vornehmen. 1. Wie viele der oben beschriebenen Notrufe gehörloser Menschen wurden in den Jahren 2013, 2014, 2015 und 2016 in Sachsen-Anhalt abgesetzt? Bitte nach Landkreisen und kreisfreien Städten aufschlüsseln. Notruf 110 Seit der Inbetriebnahme der drei polizeilichen Leitstellen in den Lage- und Führungszentren der Polizeidirektionen (Polizeidirektion Sachsen-Anhalt Ost im Juli 2012, Polizeidirektion Sachsen-Anhalt Nord im November 2012 und Polizeidirektion Sachsen-Anhalt Süd im März 2013) wurden keine Notruffaxe empfangen. Notruf 112 In den Jahren 2013 bis 2016 wurden insgesamt 14 Notrufe durch Gehörlose über den Notruf 112 durch Nutzung des Notruffaxes in den Leitstellen der Landkreise /kreisfreien Städte registriert. Eine genaue Auflistung nach Landkreisen/kreisfreien Städte ist der beigefügten Anlage zu entnehmen. Für die Stadt Dessau- Roßlau ist anzumerken, dass das Hilfeersuchen Gehörloser (per Notruffax) über die Notrufnummer 112 eingeht und innerhalb der Leitstelle eine Weiterleitung an ein internes Faxgerät erfolgt. Eine detaillierte Erfassung der eingehenden Notruffaxe ist nicht gegeben. 2. Welche technischen Gegebenheiten müssten seitens der Gehörlosen und der Leitstellen vorhanden sein, um 24 Stunden eine Videotelefonie inklusive Notfall-App vorzuhalten, die einen direkten Kontakt (ohne Vermittlungsdienste ) zur Leitstelle herstellt? Mit welchen Kosten wäre hier zu rechnen? Wer wäre Kostenträger? Zu den erforderlichen technischen Gegebenheiten für eine direkte Kontaktaufnahme seitens der Gehörlosen zu den Leitstellen kann keine Aussage getroffen werden. Weder in den drei polizeilichen Leitstellen des Landes noch in den Leitstellen der Landkreise/kreisfreien Städte ist die Videotelefonie gegenwärtig technisch realisiert. Hierzu gibt es derzeit auch keinen bundeseinheitlich festgelegten technischen Standard, so dass keine Aussage zu den anfallenden Kosten sowie den Kostenträgern getroffen werden kann. Neben den technischen Voraussetzungen wäre auch die Beherrschung der Gebärdensprache durch die Leitstellenmitarbeiter erforderlich. 3. Welche Handlungsoptionen sieht die Landesregierung, um Gehörlosen schnelle Hilfe im Notfall zu gewähren? Im Sinne des § 108 TKG sind Notrufverbindungen zuverlässig und unverzüglich über die europaeinheitliche Notrufnummer 112 oder die zusätzliche nationale 3 Notrufnummer 110 zu realisieren. Zur Gewährleistung einer hohen Verfügbarkeit und sofortigen Zustellung werden hohe Anforderungen an diesbezügliche Technik gestellt. Die Grundlage hierfür bilden entsprechende Anforderungen und Standards, die einheitlich in den Ländern gelten. Mit der Einhaltung dieser hohen Anforderungen und zur Absicherung der notwendigen Qualität befasst sich die Expertengruppe Notrufe (EGN) als Gremium der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder (IMK). Das Votum der EGN ist für diesbezügliche Entscheidungen fachlich grundlegend. Sachsen-Anhalt unterstützt deshalb nur Vorhaben, die eine entsprechende Bewertung durch die EGN erfahren haben. Dies trifft bisher mit Ausnahme des Notruffaxes auf keine weitere Lösung zu. Unabhängig davon sind die zuständigen Bundesministerien im Zusammenwirken mit den Ländern bestrebt, einen deutschlandweiten barrierefreien Notruf einzurichten . Der Bund und die EGN favorisieren die Inanspruchnahme eines Gebärdensprachdolmetscherdienstes mit einer 24 Stunden Verfügbarkeit, dem die Vermittlung von Notrufen an die zuständige territoriale Leitstelle obliegen soll. Die Umsetzung der Maßnahme ist für 2018 vorgesehen und obliegt der Bundesnetzagentur . 4. Gehörlosenverbände fordern seit langer Zeit, in Polizeistationen und Krankenhäusern Kriseninterventionsteams vorzuhalten, die mit den Betroffenen in angemessenem Maß kommunizieren können und somit eine schnelle und umfassende Versorgung sichergestellt werden kann. Ist die Einrichtung solcher Teams von der Landesregierung bereits angedacht ? Mit welchen Kosten wäre hier zu rechnen? Die bei der Landespolizei eingerichteten Polizei-Kriseninterventionsteams Nord und Süd/Ost werden im Rahmen der Psychosozialen Notfallversorgung zur Betreuung von Bediensteten der Landespolizei nach außergewöhnlichen, kritischen beruflichen oder privaten Lebensereignissen und bei größeren Gefahren- und Schadenslagen sowie Katastrophen eingesetzt. Es sind keine Fälle bekannt, in denen mit betroffenen Gehörlosen nicht in angemessenem Maße kommuniziert werden konnte und die ein Erfordernis zur Einrichtung und Vorhaltung zusätzlicher Kriseninterventionsteams für Gehörlose begründen würden. Erkenntnisse, in welchem Umfang Krankenhäuser in Krisensituationen auf Kommunikationshilfen (u. a. Gebärdensprachdolmetscher) für Hörbehinderte oder sprachbehinderte Menschen zurückgreifen, liegen nicht vor. 4 Anlage Notruf 112; Eingang Notrufe über Notruffax in den Jahren 2013 bis 2016 Leitstelle Landkreis/ kreisfreie Stadt 2013 2014 2015 2016 Bemerkungen Altmarkkreis Salzwedel /Stendal 0 0 0 0 Anhalt-Bitterfeld 0 0 0 0 Börde 0 0 0 0 Burgenlandkreis 0 0 0 0 Harz 0 0 0 0 Jerichower Land 2 1 0 0 Mansfeld-Südharz 0 0 0 0 Saalekreis 0 0 0 0 Salzlandkreis 0 0 0 0 Wittenberg 1 0 1 0 Dessau-Roßlau k.A. k.A. k.A. k.A. Notruffax wird auf internes Faxgerät umgeleitet ; es erfolgt keine gesonderte Erfassung Halle (Saale) 2 2 2 2 Magdeburg 0 0 1 0 Gesamt 5 3 4 2 Σ 14