Landtag von Sachsen-Anhalt Drucksache 7/1845 13.09.2017 (Ausgegeben am 14.09.2017) Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung Abgeordneter Thomas Höse (AfD) Interventionszeiten im Bereich der Polizeidirektion Sachsen-Anhalt Süd Kleine Anfrage - KA 7/1031 Vorbemerkung des Fragestellenden: In den Morgenstunden des 1. August 2017 kam es in Halle/Saale zu mehreren, mutmaßlich politisch motivierten, Angriffen auf eine Wohnimmobilie in der Adam- Kuckhoff-Straße 16. Dabei versammelte sich eine größere Personengruppe zum Zwecke des Angriffes vor dem bewohnten Objekt und bewarf dieses u. a. mit Steinen . Im weiteren Verlauf des Morgens rottete sich die personell stark anwachsende Personengruppe erneut zusammen und griff die Immobilie sowie vor Ort befindliche Anwohner aus der Gruppe heraus wiederholt an, wobei die Immobilie beschädigt wurde. Auch nach Abwehr eines weiteren gegenwärtigen Angriffes bedrohte die aus mehreren Dutzend Personen bestehende Zusammenrottung das Objekt sowie die Anwohner. Trotz mehrfacher Verständigung der örtlichen Polizei via Notruf erschien diese nicht. Die durchschnittliche Interventionszeit (vgl. Drs. 7/1584) der Polizei wird für die kreisfreie Stadt Halle mit 24:18 Minuten bzw. mit 14:09 Minuten (Einsätze mit besonderen Kriterien) angegeben. Antwort der Landesregierung erstellt vom Ministerium für Inneres und Sport 1. Welche grundsätzlichen Erkenntnisse liegen der Landesregierung über den Sachverhalt vor? Geht die Polizei diesbezüglich von einem politisch motivierten Hintergrund aus? Am 1. August 2017 erlangte die Polizei im Wege des polizeilichen Notrufs bzw. der späteren Anzeigenerstattung darüber Kenntnis, dass sich in den frühen Morgenstunden des 1. August 2017 mehrere Personen vor dem Gebäude in der Adam-Kuckhoff-Straße 16 aufhalten. Aus dieser Personengruppe heraus sollen Steinwürfe auf das Gebäude erfolgt sein. Diese Gruppierung, die sich zwischen- 2 zeitlich auf dem nahegelegenen Steintorcampus aufhielt bzw. sich zu diesem zurückzog , soll Äußerungen gegenüber den Hausbewohnern mit politischer Orientierung getätigt haben, u. a. „Scheiß Faschos“, „Scheiß Nazis“. Vor dem Hintergrund des Vorgenannten und im Kontext der Nutzung des Gebäudes als Wohnobjekt und politisches (Begegnungs-)Zentrum der „Identitären Bewegung“ ist von einem politisch motivierten Hintergrund auszugehen. 2. Wie viele Notrufe gingen diesbezüglich bei der Polizei ein und inwiefern wurde seitens der Polizei auf diese reagiert? Bezüglich der Geschehnisse um das Wohnhaus in der Adam-Kuckhoff-Straße 16 gingen am 1. August 2017 zwei Notrufe im Lage- und Führungszentrum (LFZ) der Polizeidirektion Sachsen-Anhalt Süd (PD STS) ein. In dem ersten Notruf um 02:27 Uhr teilte eine Anruferin (Bewohnerin des Wohnhauses Adam-Kuckhoff-Straße 16) mit, dass Personen mit Steinen auf das Gebäude werfen. Zum Schaden konnte die Anruferin zu dieser Zeit keine Angaben machen. Die Personengruppe hat sich im Anschluss auf das Gelände des Steintorcampus begeben. Durch die Mitarbeiterin des Notrufmanagements im LFZ wurde der Sachverhalt als nicht priorisierter Einsatz, sogenannter Prio2-Einsatz, klassifiziert und elektronisch an die Einsatzführungsstelle des Polizeireviers Halle (Saale) übergeben. Sie ging irrig davon aus, dass die Kriterien eines priorisierten Einsatzes, sogenannter Prio1-Einsatz, nicht erfüllt sind. Kriterien für die Klassifizierung als Prio1-Einsatz sind, dass eine gegenwärtige erhebliche Gefahr (vgl. § 3 Nr. 3 SOG LSA) oder eine Straftat von erheblicher Bedeutung (vgl. § 3 Nr. 4 SOG LSA) vorliegt, oder sich die Täter vor Ort befinden oder unmittelbar vor der Meldung geflüchtet sind. Der zweite Notruf ging 02:38 Uhr im LFZ ein. Hierbei schilderte der Anrufer unter Bezug auf den Notruf von 02:27 Uhr, dass sich die nunmehr ca. 40 Personen wieder vor dem Gebäude, auf der anderen Straßenseite, aufhalten bzw. zwischen dem Steintorcampus und der Adam-Kuckhoff-Straße pendeln. Unmittelbar im Anschluss an den Notruf hat sich die Notrufdisponentin des LFZ, begleitend zu der schon erfolgten elektronischen Übergabe des Einsatzes, an die Einsatzführungsstelle des Polizeireviers Halle (Saale) gewandt und auf die Lageentwicklung in der Adam-Kuckhoff-Straße hingewiesen. Wider Erwarten erfolgte keine Entsendung von Einsatzkräften zum Einsatzort. 3. Aus welchen Gründen erschienen am Ereignisort in der Adam-Kuckhoff- Straße keine Einsatzkräfte, obwohl gemäß § 3 Nr. 3 b) SOG LSA mindestens eine gegenwärtige Gefahr vorgelegen haben dürfte und auch die Täter noch vor Ort befindlich waren? In der PD STS wurde der Sachverhalt vom 1. August 2017 intensiv aufbereitet und ausgewertet. Als eine Ursache für das Nichtentsenden der Einsatzkräfte sind in erster Linie Kommunikationsprobleme zwischen dem LFZ der PD STS und der Einsatzführungsstelle des Polizeireviers Halle (Saale) festzustellen. Darüber hinaus ist von einer Falschbeurteilung der Lage auszugehen. Erschwerend kommt hinzu, dass offensichtlich nicht alle handelnden Beamten die nötige Sensibilität für den Sachverhalt, insbesondere hinsichtlich des Objektes, aufzeigten. 3 Diese Einschätzung gilt im besonderen Maße für die agierenden Kollegen der Einsatzführungsstelle. Spätestens der zweite Notruf um 02:38 Uhr hätte als Prio-1-Einsatz eingestuft werden müssen. In diesem Fall wäre eine Disponierung der Einsatzkräfte unmittelbar durch das LFZ erfolgt. Die Mitarbeiterin im LFZ der PD STS wählte eine andere Vorgehensweise, denn zu diesem Zeitpunkt war der Grundsachverhalt schon an die Einsatzführungsstelle des Polizeireviers Halle (Saale) auf elektronischem Wege abgegeben worden. Die Notrufsachbearbeiterin im LFZ der PD STS kontaktierte aus diesem Grund die Einsatzführungsstelle telefonisch, um sich zu vergewissern, dass nun tatsächlich Kräfte des Polizeireviers Halle (Saale) durch die Einsatzführungsstelle disponiert werden. Unabhängig davon, dass die Einsatzführungsstelle die Entsendung von Kräften zur Adam-Kuckhoff-Straße 16 unterließ, hätte die Notrufsachbearbeiterin im LFZ der PD STS den weiteren Einsatzverlauf verfolgen können, um ggf. erneut zu intervenieren. Im Ergebnis ist festzustellen, dass sowohl im LFZ der PD STS als auch in der Einsatzführungsstelle des Polizeireviers Halle (Saale) fehlerhaft gehandelt wurde . Um ein vergleichbares Agieren künftig zu verhindern, wurde der Sachverhalt sowohl im Polizeirevier Halle (Saale) als auch im LFZ der PD STS intensiv aufgearbeitet . Im Rahmen der Aufbereitung sind Gespräche mit den handelnden Beamten durchgeführt worden. Als weitere Maßnahme wurde im Einsatz-, Leit-, Dispositions- und Informationssystem (ELDIS) für dieses Objekt eine elektronische Information hinterlegt. Das Objekt ist nun für jeden Beamten, der am ELDIS arbeitet, als Wohnobjekt und politisches Zentrum der „Identitäten Bewegung" erkennbar. Diesbezügliche Einsatzhandlungen sind nunmehr priorisiert vorzunehmen. Der Abteilungsleiter Polizei der PD STS hat bezogen auf das Wohnhaus in der Adam-Kuckhoff-Straße 16 zunächst bis auf Weiteres die Schutzmaßnahme 6 gem. Polizeidienstvorschrift (PDV) 129 VS-NfD Ziffer 6.2.3.1 für den Zeitraum von 06:00 Uhr bis 20:00 Uhr und die Schutzmaßnahme 5 gem. PDV 129 VS-NfD Ziffer 6.2.3.1 für den Zeitraum von 20:00 Uhr bis 06:00 Uhr angeordnet. 4. Lag nach Bewertung der Polizei zum Zeitpunkt der Notrufe eine gegenwärtige Gefahr vor? Falls nicht, wie kam die Polizei zu dieser Lageeinschätzung ? Ja. Im Übrigen wird auf die Beantwortung zu Frage 3. verwiesen. 5. Wie hoch war am 1. August 2017 im Zeitraum von 00:00 Uhr bis 06:00 Uhr das Einsatzaufkommen im Stadtgebiet Halle? Im benannten Zeitraum wurden 32 Einsatzanlässe bearbeitet. 4 6. Wie viele Notrufe gingen im entsprechenden Bereich zwischen 02:00 Uhr und 03:30 Uhr bei der Polizei ein und inwiefern kam es aufgrund dieser Notrufe zu Einsätzen der Polizei? Bitte nach Uhrzeit, Stadtteil und Sachverhalten aufschlüsseln. Am 1. August 2017 gingen im Zeitraum von 02:00 Uhr bis 03:30 Uhr im LFZ der PD STS insgesamt acht Notrufe ein. Daraus ergaben sich für den Bereich des Polizeireviers Halle (Saale) folgende sechs Einsätze: Halle-Wörmlitz, Roßlauer Straße 12, Lärmbelästigung, Notruf um 02:07 Uhr Halle-Ammendorf, Industriestraße 116, Einbruchsalarm, Notruf um 02:09 Uhr Halle-Altstadt, Adam-Kuckhoff-Straße 16, mögliche Sachbeschädigung, Notruf um 02:27 Uhr Halle-Altstadt, Emil-Abderhalden-Straße 18, Lärmbelästigung, Notruf um 02:32 Uhr Halle-Altstadt, Adam-Kuckhoff-Straße 16, Mitteilung im Zusammenhang mit möglicher Sachbeschädigung zum Notruf 02:27 Uhr, Notruf um 02:38 Uhr Halle-Wörmlitz, Roßlauer Straße 12, Lärmbelästigung, Notruf um 02:52 Uhr 7. Wurden im Nachgang des Sachverhalts in der Adam-Kuckhoff-Straße Ermittlungsverfahren eingeleitet? Wenn ja, welche? Es wurden Ermittlungsverfahren wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung , Sachbeschädigung und Beleidigung eingeleitet. Aufgrund weiterer Angaben der Geschädigten wurden darüber hinaus zwei Ermittlungsverfahren wegen Betruges (Versandhausbestellungen zulasten der Anzeigenerstatter) und ein Verfahren wegen versuchter Körperverletzung sowie Sachbeschädigung eingeleitet . 8. Welches Verhalten empfiehlt die Landesregierung bzw. die Polizei den Bürgern grundsätzlich, wenn größere und aggressive Personengruppen nachts deren Wohnhaus angreifen bzw. versuchen, in dieses einzudringen, und die Polizei erst mit reichlicher Verzögerung oder überhaupt nicht am Tatort erscheint? Aus polizeilicher Sicht sollte in derartigen Situationen der Notruf „110“ der Polizei gewählt werden. Weiterhin sollten die Betroffenen darauf achten, dass sie sich so wenig wie möglich in Eigengefahr begeben und sich möglichst viele Angaben zum Geschehen einprägen.