Landtag von Sachsen-Anhalt Drucksache 7/1901 21.09.2017 (Ausgegeben am 22.09.2017) Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung Abgeordnete Henriette Quade (DIE LINKE) Abgeordnete Eva von Angern (DIE LINKE) Ergebnisse aus dem neuen Brandgutachten des Schweizer Brandsachverständigen Kurt Zollinger aus dem Jahr 2016 zum Tod des Asylbewerbers Oury Jalloh Kleine Anfrage - KA 7/1054 Vorbemerkung der Fragestellenden: Mehr als elf Jahre nach dem Tod des Asylbewerbers Oury Jalloh in einer Dessauer Polizeizelle wurde der Fall abermals untersucht. Dazu wurde im Auftrag der Dessauer Staatsanwaltschaft im August 2016 im Institut für Brand- und Löschforschung im sächsischen Dippoldiswalde ein neuer Brandversuch vorgenommen. Nachgestellt wurde der Brand vom 7. Januar 2005, bei dem Oury Jalloh in einer Gewahrsamszelle der Polizei starb. Antwort der Landesregierung erstellt vom Ministerium für Justiz und Gleichstellung 1. Welche Gründe gab es, um ein erneutes Brandgutachten in Auftrag zu geben ? Die Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau hat am 07.12.2012 ein gesondertes Prüfverfahren zunächst als sogen. AR-Sache (Allgemeines Register) eingeleitet, weil im Rahmen der Hauptverhandlung gegen den Polizeibeamten Andreas S. vor dem Landgericht Magdeburg Brandausbruch und Brandverlauf von den gehörten Sachverständigen nicht hinreichend sicher aufgeklärt werden konnten. Dieser AR- Vorgang ist durch die Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau am 30.10.2013 in ein Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt (UJs-Verfahren) überführt worden, nachdem ein aufgrund von Informationen einer Journalistin beim Generalbundesanwalt in Karlsruhe angelegter Beobachtungsvorgang von dort an die Staatsanwaltschaft Dessau -Roßlau abgegeben worden war. Zudem hatte die „Initiative in Gedenken an Oury 2 Jalloh e. V.“ unter dem 11.11.2013 beim Generalbundesanwalt in Karlsruhe eine Strafanzeige gegen Unbekannt wegen Mordes oder Totschlags erstattet, welche im Februar 2014 von dort ebenfalls an die Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau abgegeben und mit dem bereits laufenden UJs-Verfahren verbunden worden ist. Diese Strafanzeige stützte sich vornehmlich auf Brandversuche des durch die Initiative beauftragten Brandgutachters Maksim Smirnou aus Waterford/Irland. Dessen Branduntersuchungsbericht wurde durch die Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau ins Deutsche übersetzt und in ihre ergänzenden Ermittlungen einbezogen. Im Ergebnis hat die Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau am 11.03.2015 entschieden, zur Klärung des Brandausbruchs und des Brandverlaufs einen erneuten Brandversuch durchzuführen und diesen umfangreich interdisziplinär auswerten zu lassen. 2. Was sollte mit dem neuen Brandgutachten untersucht werden? Welcher Versuchsaufbau wurde im Laufe der Untersuchung umgesetzt? Planungsziel war, mit dem Brandversuch den zeitlichen Ablauf hinsichtlich der Branddetektion, des Brandverhaltens, der Gaskonzentration und der thermischen Belastungen nachzustellen. Um den Versuchsablauf zu dokumentieren, wurden insgesamt acht Video- und Wärmebildkameras vor und in der nachgebauten Zelle, sowie 29 Thermoelemente zur Messung der Temperaturen an bestimmten Punkten im Raum oder am Material montiert. 3. Welche (ersten) Ergebnisse und seit wann liegen nach Auswertung des erneuten Brandversuches vor? Der Brandversuch wurde von zwei Brandsachverständigen vorbereitet, gemeinsam durchgeführt und getrennt begutachtet. Die ersten Erkenntnisse lagen Ende 2016 vor. Die Feststellungen der beiden Brandsachverständigen waren sodann mit den bereits vorliegenden rechtsmedizinischen Gutachten, Brand- und Bewegungsversuchen sowie diversen Materialuntersuchungen (Fasern, Brandschutt, Feuerzeugreste) des Originalereignisses abzugleichen. Dazu gab es interdisziplinäre Gespräche und ergänzende schriftliche Anfragen. Seit Anfang April 2017 ist die sachverständige Bewertung des Brandversuchs als abgeschlossen anzusehen. 4. Wie verhält sich die Landesregierung zu den vorliegenden Ergebnissen aus dem neuen Brandgutachten? Wie gedenkt sie damit umzugehen? Bereits die beiden Brandsachverständigen sind nicht durchweg zu einheitlichen Ergebnissen gekommen. Es ist nunmehr Aufgabe der Staatsanwaltschaft, sämtliche im Verfahren gefertigten Gutachten nochmals sorgfältig zu prüfen, abzugleichen und sodann zu entscheiden, ob mit hinreichender Wahrscheinlichkeit von einem bestimmten Geschehensablauf ausgegangen werden kann und ob dieser Ablauf weitere strafrechtliche Ermittlungen rechtfertigt. 5. Aus welchen Gründen wurden die Ergebnisse des Brandgutachtens bisher nicht veröffentlicht? Die im Auftrag der Staatsanwaltschaft gefertigten Sachverständigengutachten sind Bestandteil der Ermittlungsakten. Weder die Strafprozessordnung (StPO) noch die presserechtlichen Regelungen verpflichten oder berechtigen die Staatsanwaltschaft, 3 Teile einer Ermittlungsakte zu veröffentlichen, bevor sie in öffentlicher Hauptverhandlung erörtert worden sind. Eine Veröffentlichung könnte vielmehr nach §§ 353b, 353d StGB strafbewehrt sein. Das schließt nicht aus, die Öffentlichkeit über Zwischenergebnisse von Ermittlungen zu unterrichten. Dabei ist jedoch stets zu beachten, dass die sachgerechte Durchführung des Ermittlungsverfahrens nicht vereitelt, erschwert, verzögert oder gefährdet werden darf (§ 4 Abs. 2 Nr. 1 Pressegesetz LSA). Auch die im vorliegenden Verfahren zum Teil überobligatorische Öffentlichkeitsarbeit der Vergangenheit, mit der auf Vorwürfe der Intransparenz und Vertuschung reagiert worden ist, begründet keinen Anspruch der Medien, zu jeder Zeit und insbesondere vor dem Abschluss der Ermittlungen über deren jeweiligen aktuellen Stand oder jeden Ermittlungsschritt in Kenntnis gesetzt zu werden. Die Entscheidung, was während eines laufenden Verfahrens mitgeteilt wird, muss allein von den Strafverfolgungsbehörden getroffen werden. 6. Wie beurteilt die Landesregierung Aussagen - wie bspw. des Londoner Brandgutachters Peck - welche die Anlage der Untersuchung in Dippoldiswalde als nicht den Gegebenheiten in der Zelle Oury Jallohs entsprechend kritisieren und ihre brauchbare Auswertbarkeit in Zweifel ziehen? Da die staatsanwaltschaftlichen Bewertungen der gesamten Gutachtenlage aus den zu Fragen 4. und 7. ersichtlichen Gründen noch nicht abgeschlossen sind, vermag die Landesregierung eine Beurteilung, welche im Übrigen in erster Linie den Strafverfolgungsbehörden obliegt, nicht zu treffen. 7. Aus welchen Gründen wurden die Ermittlungen durch den Generalstaatsanwalt von der bisher zuständigen Staatsanwaltschaft in Dessau abgezogen und an die Staatsanwaltschaft Halle übertragen? Der Generalstaatsanwalt Naumburg hat von seinem Substitutionsrecht gemäß § 145 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) Gebrauch gemacht und die weitere Bearbeitung des Verfahrens am 08.06.2017 der Staatsanwaltschaft Halle übertragen. Aus staatsanwaltschaftlicher Sicht kommt es darauf an festzustellen, ob sich aus den objektiven Brandverlaufsdaten eine verlässliche gemeinsame Bewertungsgrundlage ableiten lassen könnte, die Anhaltspunkte für weitere Ermittlungen bieten würde. Vor diesem Hintergrund erachtete der Generalstaatsanwalt Naumburg es für angezeigt, nunmehr diese abschließende Analyse der teilweise widerstreitenden Gutachteransätze von Experten in Kapitalsachen durchführen zu lassen, die bislang noch nicht in die Ermittlungen involviert waren, und zwar auch losgelöst von deren bisherigen Verlauf. Dies galt um so mehr, als die in Dessau-Roßlau tätigen Fachleute für die Ermittlung in Kapitalsachen bereits durch andere parallel laufende Ermittlungen und Hauptverhandlungen übermäßig zeitlich gebunden waren. 8. Kann die Landesregierung bestätigen, dass Nachfragen von Journalist *innen zu den Ergebnissen des neuen Brandgutachtens unbeantwortet blieben? Wenn ja, aus welchen Gründen? Auf die Ausführungen zu Frage 5. wird verwiesen. 4 9. Trifft es zu, dass Anfragen der Anwält*innen der Familie Oury Jalloh unbeantwortet blieben? Wenn ja, wie beurteilt die Landesregierung diese Praxis und welche Gründe werden dafür angeführt? Die Beteiligung von Verletzten bzw. Geschädigten oder deren Familienangehörigen am Strafverfahren ist in der StPO ausdrücklich geregelt. Im vorliegenden Fall sind die §§ 406d f. StPO zu beachten. Gemäß § 406d Abs. 1 Nr. 1 StPO ist der Verletzte auf Antrag über die Einstellung eines Ermittlungsverfahrens zu unterrichten. Gemäß § 406e StPO kann der Verletzte zudem Auskünfte aus den Akten oder über einen Rechtsanwalt Einsicht in die Akten erhalten. Auskünfte und Akteneinsicht können insbesondere versagt werden, soweit der Untersuchungszweck gefährdet erscheint. Seitens der Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau sind die Anwälte der Familie in die Ermittlungen einbezogen worden. Auch wurde Einsicht in die Akten einschließlich des Vorgutachtens des Sachverständigen Dr. Zollinger vom 17.12.2015 gewährt. Die darüber hinaus gehenden Befugnisse von Nebenklägern (§§ 395 f. StPO) kommen in einem laufenden Ermittlungsverfahren noch nicht zur Anwendung, sondern erst im Rahmen einer anstehenden Hauptverhandlung im Fall einer Anklageerhebung . Insoweit wirken die Zulassung der Nebenkläger im Verfahren gegen Andreas S. und damit auch die hiermit verbundenen prozessualen Rechte nicht fort, sondern endeten mit dem rechtskräftigen Abschluss dieses Strafverfahrens. 10. Trifft es zu, dass Anträge der Anwält*innen der Familie Oury Jalloh ohne Reaktion blieben? Wenn ja, wie beurteilt die Landesregierung diese Praxis und welche Gründe werden dafür angeführt? Es entspricht den Tatsachen, dass seit dem Brandversuch im August 2016 keine Akteneinsicht mehr gewährt worden ist. Auch wurde einem Antrag auf Einholung eines weiteren rechtsmedizinischen Gutachtens bislang nicht nachgegangen. Unter Berücksichtigung des in Antwort zu Frage 4. dargestellten Verfahrensstandes entspricht diese Entscheidung der Staatsanwaltschaft den gesetzlichen Regelungen. Auch hier kann die vorherige überobligatorische Beteiligung der Verletzten keine weitergehenden Ansprüche oder Rechte begründen. Die Staatsanwaltschaft hat jeweils neu zu prüfen und zu entscheiden, ob und in welchem Umfang Auskünfte erteilt werden oder Akteneinsicht gewährt wird. Auch ein förmliches Beweisantragsrecht steht dem Verletzten im laufenden Ermittlungsverfahren noch nicht zu.