Landtag von Sachsen-Anhalt Drucksache 7/197 27.07.2016 (Ausgegeben am 28.07.2016) Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung Abgeordneter Thomas Lippmann (DIE LINKE) Verbreitung und weiterer Umgang mit der „Reichen-Methode“ im Anfangsunterricht der Grundschulen Kleine Anfrage - KA 7/88 Vorbemerkung des Fragestellenden: Seit längerer Zeit steht die sogenannte Reichen-Methode (Lesen-durch-Schreiben- Methode) zum Erlernen der deutschen Schriftsprache fachlich in der Kritik. Inzwischen wurde ihre Anwendung in den Grundschulen der Freien Hansestadt Hamburg - der Wirkungsstätte des Begründers Jürgen Reichen - durch die Schulbehörden untersagt . Antwort der Landesregierung erstellt vom Ministerium für Bildung Frage 1: Seit wann unterrichten Grundschulen in Sachsen-Anhalt nach der Reichen- Methode? Seit In-Kraft-Treten des Schulreformgesetzes für das Land Sachsen-Anhalt (Vorschaltgesetz ) vom 11. Juli 1991 (GVBl. LSA S. 165) erziehen und unterrichten Lehrerinnen und Lehrer in eigener pädagogischer Freiheit und Verantwortung und wählen die Methoden ihres Unterrichts eigenverantwortlich. Für die Auswahl der geeigneten Methoden ist der Lehrplan der Grundschule heranzuziehen. Alle Lehrwerke, die diesen Lehrplanvorgaben folgen, sind im Schulbuchverzeichnis des Landes aufgenommen. Auf diesen Grundlagen treffen die Grundschulen ihre Auswahl für den Unterricht. Demnach besteht für Grundschulen in Sachsen-Anhalt seit 1991 die Möglichkeit, nach der REICHEN-Methode zu unterrichten. 2 Frage 2: An welchen Grundschulen in Sachsen-Anhalt wird derzeit nach der Reichen- Methode unterrichtet? Derzeit ist nicht bekannt, welche Grundschulen in Sachsen-Anhalt nach der REI- CHEN-Methode unterrichten, da die favorisierte Leselehrmethode der Grundschulen nicht erhoben wird. Frage 3: Auf welcher Grundlage erfolgt die Einführung dieser Unterrichtsmethode? Können Eltern die Anwendung dieser Methode für den Unterricht ihrer Kinder wirksam ablehnen? Gemäß § 30 SchulG erzieht und unterrichtet die Lehrerin und der Lehrer in eigener pädagogischer Freiheit und Verantwortung. Sie sind an Rechts- und Verwaltungsvorschriften gebunden. Der Lehrplan der Grundschule Sachsen-Anhalt normiert das Ergebnis, schreibt die Leselehrmethode jedoch nicht vor. Gemäß § 27 SchulG i. V. m. § 6 der Konferenzverordnung (KoVO) vom 2. August 2005 (GVBl. LSA S. 491), zuletzt geändert durch die 2. Verordnung zur Änderung der KoVO vom 22.07.2013 (GVBl. LSA S. 397) obliegt die Entscheidung über Grundsätze zur fachdidaktischen und fachmethodischen Arbeit der Fachkonferenz der Schule. Ein Entscheidungsrecht der Eltern, welche Unterrichtsmethoden die Lehrkräfte in den von ihnen unterrichteten Fächern anzuwenden haben, ist rechtlich nicht vorgesehen. Sie können sich aber im Rahmen der Erziehungspartnerschaft und der Gremienarbeit in wesentliche pädagogische Schwerpunkte einbringen, so z.B. im Rahmen der Gesamt-, Fach- oder Klassenkonferenzen. Frage 4: Wurde bzw. wird die Methode evaluiert und wenn ja, welche Ergebnisse sind bekannt? Sofern bisher keine Evaluation stattgefunden hat, ist eine solche geplant ? Eine wissenschaftliche Evaluierung unter Einbeziehung von Grundschulen aus Sachsen-Anhalt ist nicht bekannt und wird durch das Ministerium für Bildung des Landes Sachsen-Anhalt derzeit nicht geplant. Frage 5: Werden von Seiten der Schulbehörden Gründe gesehen, dem Beispiel von Hamburg zu folgen und die Anwendung der Methode zu untersagen? Wenn solche Gründe nicht gesehen werden, wie kann dem Anliegen der Eltern auf mehr Mitsprache bei der Einführung dieser Methode Rechnung getragen werden ? Der Hamburger Senat erklärte auf die schriftliche Kleine Anfrage der dortigen Abgeordneten der FDP, Anna-Elisabeth von Treuenfels, mit Bezug auf die in der Hansestadt herausgegebene Handreichung zum Rechtschreibunterricht: „Das Verbot bezieht sich auf die Verwendung von „Methoden, nach denen Kinder monatelang oder jahrelang nicht auf richtige Rechtschreibung achten müssen“ (S. 3 Drs. 21/1643 HH). 3 Die ausdrückliche Bezugnahme auf die Methode nach REICHEN ist hier nicht hergestellt . In seiner Antwort bezieht sich der Hamburger Senat auf die Drs. 20/13458. In dieser wird im Punkt 2.5.3 ausschließlich Bezug auf den Rechtschreiberwerb genommen . Die in Rede stehende Verfahrensweise nach REICHEN ist eher dem Leseerwerb zuzuordnen , da sie die Sprachanlässe der Kinder für eigene Schriftsprache nutzt und über die stete Analyse/Synthese (Lautdiskriminierung) zum Lesen führt. Da der Lehrplan in Sachsen-Anhalt keine Leselehrmethode vorschreibt, wäre ein Verbot einer speziellen Methode nicht sachgerecht. Die Lehrkräfte sind verpflichtet, die Methoden so zu wählen, dass die Schülerinnen und Schüler erfolgreich in ihrer Lernentwicklung sind. Dabei sind das didaktisch-methodische Konzept der Lehrkraft und deren Kompetenz zur Umsetzung ausschlaggebend. In der Regel gibt es Kombinationen mehrerer Methoden, um der Heterogenität der Schülerschaft zu entsprechen , den erreichten Stand der Sprachentwicklung ausreichend zu berücksichtigen und die Lernentwicklungsschritte individuell aufeinander abzustimmen. Eine verantwortliche Abwägung der Lehrmethoden ist vorauszusetzen. Beispielsweise sollte die Anwendung der REICHEN-Methode bei Kindern mit Migrationshintergrund, welche bereits von Beginn an mit Sprachbarrieren konfrontiert sind, eher kritisch betrachtet werden. Leselehrmethoden sind grundsätzlich mit Schreibmethoden zu verbinden sowie mit Strategien zum Schriftspracherwerb. Es ist daher immer ein Methodenmix, der das didaktisch-methodische Vorgehen der Grundschulen des Landes bestimmt. Der Lehrplan in Sachsen-Anhalt weist im Fachlehrplan Deutsch der Grundschulen auf S. 16 aus, dass orthografisch-grammatische Regelkenntnisse beim normgerechten Schreiben anzuwenden sind, dass Rechtschreibstrategien zu verwenden sind, dass Wörter und einfache Sätze normgerecht abzuschreiben und aufzuschreiben sind. Dies gilt sowohl für die Schuleingangsphase als auch für die Jahrgänge 3 und 4. Die Einbeziehung der Eltern ist durch die Mitgliedschaft von Elternvertreterinnen und Elternvertretern in den Konferenzen gesichert (siehe Antwort zu Frage 3). Die Eltern werden im Schulgesetz des Landes im § 43 ausdrücklich aufgefordert, als Erziehungs - und Bildungspartner mitzuwirken.