Landtag von Sachsen-Anhalt Drucksache 7/2001 19.10.2017 (Ausgegeben am 19.10.2017) Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung Abgeordneter Markus Kurze (CDU) Entwicklung der Abwasserpreise in Sachsen-Anhalt Kleine Anfrage - KA 7/1131 Vorbemerkung des Fragestellenden: Das Institut für Wirtschaft hat im Frühjahr 2017 die Abwassergebühren von 100 deutschen Städten verglichen. Der Vergleich ergab, dass ein deutliches Nord-Süd- Gefälle besteht. Die günstigsten Abwassergebühren werden in Baden-Württemberg erhoben, die teuersten in Brandenburg. So betragen die Abwassergebühren im Durchschnitt einer vierköpfigen Familie 261,81 Euro p. a. in der Stadt Ludwigsburg und 911,23 Euro p. a. in der Landeshauptstadt Potsdam. Auch in Sachsen-Anhalt liegen die Abwassergebühren höher als im Durchschnitt. Antwort der Landesregierung erstellt vom Ministerium für Inneres und Sport Namens der Landesregierung beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Vorbemerkung der Landesregierung: Den Ergebnissen der genannten Untersuchung des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln liegt ein durchschnittlicher Wasserverbrauch von 122 Litern/je Einwohner und Tag zugrunde. In die Ergebnisse eingegangen ist der Wasserverbrauch multipliziert mit dem Gebührensatz. Im Bezugsjahr der Studie lag der durchschnittliche Wasserverbrauch in Sachsen-Anhalt indes bei 95 Liter/je Einwohner und Tag. Deshalb ist die Untersuchung für die Betrachtung der Kosten in Sachsen-Anhalt allein schon wegen dieses systematischen Fehlers nicht geeignet. 2 1. In welchem Umfang wirken sich die getätigten Investitionen aus den 90er Jahren in die Abwasseranlagen auf die heutigen Abwasserpreise aus? Im Bereich leitungsgebundener Einrichtungen werden die Aufwendungen für die Herstellung von Anlagen (Investitionskosten) gem. § 6 Abs. 1 Satz 1 Kommunalabgabengesetz des Landes Sachsen-Anhalt (KAG-LSA) über Beiträge erhoben . Beiträge für die in den 1990er Jahren getätigten Investitionen wurden gem. §§ 13b, 18 Abs. 2 KAG-LSA bis zum 31. Dezember 2015 festgesetzt. Gem. § 5 Abs. 1 Satz 1 KAG-LSA werden für die Inanspruchnahme einer öffentlichen Einrichtung Benutzungsgebühren erhoben. Dabei soll das Gebührenaufkommen die Kosten der jeweiligen Einrichtung decken, jedoch nicht überschreiten . Zu den Kosten gehören gem. § 5 Abs. 2a KAG-LSA u. a. die Abschreibungen von den Anschaffungs- und Herstellungskosten sowie die Zinsen auf das Fremdkapital. Kosten für überdimensionierte Anlagen dürfen bzw. durften nicht über Beiträge und Gebühren refinanziert werden. 2. Sind in dünn besiedelten Regionen, wie dem Jerichower Land oder der Altmark, aufgrund großer Distanzen grundsätzlich höhere Abwassergebühren zu verzeichnen? Die räumlichen Bedingungen in einem Gebiet können erheblichen Einfluss auf die erforderlichen Investitionen und die laufenden Betriebskosten haben. So hat die Besiedlungsdichte Einfluss auf die erforderliche Kanallänge und damit die Kosten für den Kanal (Errichtung und Betrieb) je Einwohner. Auch die naturräumlichen Bedingungen wie felsiger Untergrund, hohe Grundwasserstände, große Höhenunterschiede oder das Fehlen eines geeigneten Einleitgewässers beeinflussen die Kosten der Abwasserbeseitigung. 3. Wie beurteilt die Landesregierung den allgemeinen Zustand, das Alter und die Dimensionierung von Kanälen und Kläranlagen in Sachsen-Anhalt? Am Ende des Jahres 2016 waren in Sachsen-Anhalt 224 Kläranlagen mit einer Kapazität ab 100 Einwohnerwerten in Betrieb. Die mittlere Auslastung der Kläranlagen liegt bei 73 %. Da Kläranlagen auch in der Lage sein müssen, Belastungsspitzen ordnungsgemäß zu behandeln und Spielraum für Neuansiedlungen und Erweiterungen vorhanden sein muss, kann von einer guten Auslastung ausgegangen werden. Nur vereinzelt kam es zu betrieblich bedingten und zeitlich begrenzten Überschreitungen der Anforderungen. Die Reinigungsleistung der Anlagen für die organische Belastung lag bei rund 96 %, für den Parameter Phosphor bei rund 94 % und für den Parameter Stickstoff bei rund 90 %. Etwa 80 % der Schmutzwasser- und 32 % der Mischwasserkanäle in Sachsen- Anhalt wurden nach 1990 errichtet. Auch fast alle Kläranlagen wurden nach 1990 errichtet bzw. grundlegend saniert. Im Vergleich zu den alten Bundesländern ist die Abwasserinfrastruktur daher sehr jung. Bis Ende 2020 (bzw. bis Ende 2025 für neue Kanäle, für die ein Dichtheitsnachweis vorliegt) müssen die Kanalnetzbetreiber nach der Eigenüberwachungsverordnung die öffentlichen 3 Schmutz- und Mischwasserkanäle auf ihren Zustand und ihre Funktion überprüfen . Die Auswertung der bisher vorliegenden Ergebnisse hat keinen besonderen Sanierungsbedarf an den vorhandenen Trennsystemen aufgezeigt. Anders verhält es sich bei den Mischsystemen, die schon zum Teil weit vor dem Jahr 1990 entstanden sind. Bei ihnen besteht teilweise erheblicher Sanierungsbedarf . 4. Wie wirkt sich die Verschuldungssituation von einzelnen Abwasserzweckverbänden auf die Abwasserpreise aus und wie gedenkt das Land in den nächsten Jahren durch weitere finanzielle Unterstützungs- und Entschuldungsmaßnahmen in den betroffenen Kommunen für eine Stabilität der Abwasserpreise zu sorgen? In die Gebührenkalkulation für eine öffentliche Einrichtung fließen die Zinsen auf Fremdkapitalien ein und werden somit über die Abwassergebühren refinanziert . Das Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft und Energie wird im Rahmen der im Haushalt zur Verfügung stehenden Mittel weiterhin Investitionen in die kommunale Abwasserbeseitigung fördern. Weitere Entschuldungsmaßnahmen sind nicht vorgesehen. 5. Eine weitere Verschärfung von stofflichen Grenzwerten erfordert zusätzliche Investitionen in die technische Abwasserbehandlung. Rechnet die Landesregierung mit einer weiteren Verschärfung von Grenzwerten? Wenn ja, was muss in die Abwasserbehandlung investiert werden und wie wirkt sich dies prognostisch auf den Abwasserpreis aus? Zurzeit gibt es auf Bundesebene eine Diskussion darüber, wie mit Spurenstoffen (vor allem Arzneimittelwirkstoffe, Biozide, Pflanzenschutzmittel, Industriechemikalien oder Körperpflege- und Waschmittel) im Abwasser umgegangen werden soll, die in konventionellen Kläranlagen nicht aus dem Abwasser entfernt werden können. Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit hat dazu die „Spurenstoffstrategie des Bundes“ herausgegeben , die Grundlage des weiteren Diskussionsprozesses sein soll. Im Moment ist keine generelle Nachrüstungspflicht für alle Kläranlagen vorgesehen. In einigen Bundesländern, besonders in Baden-Württemberg und Nordrhein- Westfalen sind bereits verschiedene Kläranlagen mit einer sogenannten vierten Reinigungsstufe ausgerüstet worden. Dies ist insbesondere an Gewässern geschehen , an die hohe Anforderungen gestellt werden, wie zum Beispiel dann, wenn das Wasser wieder für die Trinkwassergewinnung genutzt wird. Eine Abschätzung sowohl der Kosten als auch der Auswirkungen auf die Gebühren ist erst möglich, wenn konkrete Vorschläge diskutiert werden und klar ist, welche und wie viele Kläranlagen nachgerüstet werden müssen. Der Diskussionsprozess zur Spurenstoffstrategie des Bundes dauert an. 6. Gibt es im Land Sachsen-Anhalt Beispiele, wo Abwasserpreise in den zurückliegenden Jahren abgesenkt wurden? Ja. Jüngste Beispiele sind die Ankündigungen des Abwasserverbandes Köthen in beiden Abrechnungsgebieten und des Wolmirstedter Wasser- und Abwasserzweckverbandes die Abwassergebühren zu verringern. 4 7. Besteht ein Zusammenhang zwischen hohen Abwasserpreisen in Regionen mit hohen landwirtschaftlichen und industriellen Anteilen im Gegensatz zu Kommunen mit normalem Gewerbeanteil? Landwirtschaftliches Abwasser wird üblicherweise nicht in kommunalen Kläranlagen behandelt, sondern zumeist zusammen mit der anfallenden Gülle bzw. Jauche entsorgt. Grundsätzlich gilt, dass die spezifischen Kosten der Abwasserreinigung mit zunehmender Ausbaugröße der Kläranlage sinken. Für industrielle und gewerbliche Abwässer, die stärker als der Durchschnitt häuslicher Abwässer verschmutzt sind, ist wegen der besonderen Art der Inanspruchnahme der Abwasserbeseitigungseinrichtung nach § 5 Abs. 3 Satz 1 KAG-LSA die Erhebung eines Starkverschmutzerzuschlages zulässig. Insofern wirkt sich die gemeinsame Behandlung von kommunalem und industriellgewerblichem Abwasser eher kostenstabilisierend aus. 8. Könnte nach Ansicht der Landesregierung eine Privatisierung der Abwasserbehandlung zu mehr Wettbewerb und infolgedessen zu sinkenden Abwasserpreisen führen? Nach § 56 Wasserhaushaltsgesetz ist das Abwasser von den juristischen Personen des öffentlichen Rechts zu beseitigen, die nach Landesrecht hierzu verpflichtet sind (Abwasserbeseitigungspflichtige). Eine Privatisierung der Abwasserbeseitigung ist deshalb nicht möglich. § 78 Abs. 1 Satz 1 des Wassergesetzes für das Land Sachsen-Anhalt legt fest, dass die Gemeinde abwasserbeseitigungspflichtig ist, auf deren Gebiet das Abwasser anfällt. Die Gemeinde kann sich zur Erledigung der Aufgabe privater Dritter bedienen. Dazu kann sie beispielsweise eine Konzession vergeben oder einen Betreiber- oder einen Betriebsführungsvertrag abschließen. Die Letztverantwortung für die Abwasserbeseitigung bleibt aber immer beim öffentlichen Aufgabenträger. Ob durch die Einbeziehung Privater eine Kosteneinsparung möglich ist, hängt vom jeweiligen Einzelfall ab. Die Entscheidung darüber liegt in der Hoheit der Kommune, da die Abwasserbeseitigung eine Aufgabe ist, die den Gemeinden zur Erledigung im eigenen Wirkungskreis übertragen worden ist. 9. Der Klimawandel führt in Deutschland zu vermehrten Starkregenereignissen . In welchem Umfang könnten diese durch die Einbeziehung des Regenwassers in die Abwassergebühr zu weiteren Preissteigerungen führen ? Sowohl die Kalkulation der Schmutzwasser- und der Niederschlagswassergebühren als auch deren Erhebung erfolgt getrennt voneinander. Gesetzliche Vorschriften zur Bemessung von Kanalisationen auf bestimmte Niederschlagsereignisse gibt es nicht. Jedoch werden Kanäle üblicherweise anhand von technischen Regeln bemessen. Danach liegt der Bemessung ein bestimmter Bemessungsregen zugrunde, da Kanäle nicht so groß dimensioniert werden können, dass sie jedes denkbare Niederschlagsereignis abführen können. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass durch notwendige Maßnahmen infolge des Klimawandels auch die Kosten der Niederschlagswasserbeseitigung steigen. 5 10. Wie beurteilt die Landesregierung die nationale Wettbewerbssituation durch hohe Abwassergebühren für die heimische Wirtschaft, z. B. bei wasserintensiven Produktionen, wie der Fleischverarbeitung, der chemischen Industrie oder der Papier- und Zelluloseherstellung? Die Kosten der Abwasserbeseitigung sind insbesondere bei Betrieben mit hohem Abwasseranfall wettbewerbsrelevant. In der Regel beitreiben die Unternehmen der genannten Industriesparten eigene Kläranlagen, so dass Abwassergebühren hier keine Rolle spielen. Das Land hat die kommunale Abwasserbeseitigung seit 1990 mit mehr als 1,5 Mrd. Euro gefördert, um die Beiträge und die Gebühren zu reduzieren, die ansonsten zur Kostendeckung erforderlich gewesen wären.