Landtag von Sachsen-Anhalt Drucksache 7/2080 13.11.2017 (Ausgegeben am 14.11.2017) Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung Abgeordneter Ulrich Siegmund (AfD) Abrechnungs- und Leistungsbetrug in der ambulanten Pflege Kleine Anfrage - KA 7/1145 Vorbemerkung des Fragestellenden: Laut einem Artikel der WELT vom 18. April 2017, vermuten die gesetzlichen Kassen, dass sie auf diese Weise pro Jahr um 1 bis 1,25 Milliarden Euro geprellt werden. Die „Deutsche Fachpflege Gruppe“ schätzt, dass es bundesweit rund 19.000 Intensivpflegepatienten gibt, von denen jeder die Kassen pro Monat 22.000 Euro und mehr kostet. Mindestens jeder fünfte Euro wird den Schätzungen zufolge aber zu Unrecht bezahlt - das wäre eine Milliarde pro Jahr. Ein Großteil davon, vermutet man bei den gesetzlichen Kassen auf Bundesebene, fließe bspw. an russische Pflegedienste, die u. a. kostenintensive Fachkräfte abrechnen, die Dienstleistung aber nur unzureichend und durch Hilfskräfte erbringen lassen oder Vollzeitbetreuung in Rechnung stellen, tatsächlich aber nur für kurze Zeit bei den Patienten verweilen.1 Antwort der Landesregierung erstellt vom Ministerium für Arbeit, Soziales und Integration 1. Gibt es Erkenntnisse über Abrechnungsbetrug in Sachsen-Anhalt? Die Verbände der gesetzlichen Krankenkassen Sachsen-Anhalt teilen mit, dass regelmäßig Hinweise auf Abrechnungsbetrug eingehen. Die Hinweise stammen von Versicherten und ihren Angehörigen, von (ehemaligen) Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen der Pflegedienste sowie vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Sachsen-Anhalt (MDK), der seit Dezember 2016 die Abrechnungen der Pflegedienste in die Qualitätsprüfung einbezieht. 1 https://www.welt.de/wirtschaft/article154426270/So-funktioniert-der-Milliarden-Betrug-der-Pflege- Mafia.html, Stand: 22.08.2017. 2 2. Welcher Schaden ist den Kassen und Kommunen in Sachsen-Anhalt entstanden ? Der Landesregierung liegen über die Schadenshöhe bei den Kommunen keine Informationen vor. Die Verbände der gesetzlichen Krankenkassen Sachsen-Anhalt teilen mit, dass über die Schadenshöhe keine validen Zahlen vorliegen. 3. Welche Informationen hat die Landesregierung zu den Tätern, den Strukturen und den Vorgehensweisen? Abrechnungsbetrug gegenüber den Pflegekassen erfolgt in der Regel durch das Abrechnen tatsächlich nicht erbrachter Leistungen sowie durch das Abrechnen von Leistungen, welche durch hierfür nicht ausreichend qualifiziertes Personal erbracht wurden. Häufig gehen damit Urkundsdelikte einher, etwa das Nachahmen von Unterschriften der Versicherten bzw. von Namenskürzeln der in den Pflegediensten Beschäftigten. Nur in Einzelfällen konnte bislang ein kollusives Zusammenwirken von Versicherten bzw. deren Angehörigen und den Pflegedienstinhabern festgestellt werden. Hingegen konnte in fast allen in der Vergangenheit und aktuell geführten staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren festgestellt werden, dass Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen von Pflegediensten durch ihre Arbeitgeber in Ausnutzung der bestehenden Abhängigkeitsverhältnisse (u. a. Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes) zur Begehung strafbarer Handlungen (Beihilfe zum Betrug, Urkundenfälschung u. a.) veranlasst wurden. Vorstehendes gilt auch für das Abrechnen von Leistungen der häuslichen Krankenpflege gegenüber den Krankenkassen nach dem SGB V, wobei auch an dieser Stelle die Frage der Qualifikation des eingesetzten Personals von Bedeutung ist. Staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren gegen Inhaber russischer Pflegedienste wurden bislang im Land Sachsen-Anhalt nicht geführt. 4. Welche Maßnahmen hat die Landesregierung zur Bekämpfung solcher Strukturen ergriffen? Für die Aufdeckung von betrügerischem Verhalten ist der Datenaustausch zwischen den unterschiedlichen Kostenträgern von großer Bedeutung. Bereits mit dem Gesetz zur Regelung des Assistenzpflegebedarfs in stationären Vorsorgeoder Rehabilitationseinrichtungen wurden zum 28. Dezember 2012 die Zusammenarbeit und der Datenaustausch zwischen Pflegekassen, Krankenkassen und Sozialhilfeträgern verbessert. Prüfungen durch den MDK sowie den Prüfdienst des Verbandes der privaten Krankenversicherung e. V. dienen nicht nur der Aufdeckung von Betrug, sondern entfalten auch eine präventive Wirkung. Mit dem Zweiten Pflegestärkungsgesetz, welches am 1. Januar 2016 in Kraft getreten ist, wurde klargestellt, dass der MDK, der Prüfdienst des Verbandes der privaten Krankenversicherung e. V. und die von den Landesverbänden der Pflegekassen bestellten Sachverständigen Anlasskontrollen auch in der ambulanten Pflege unangemeldet durchführen können. Zudem wurde eine Pflichtprüfung der Abrechnungen durch den MDK, den Prüfdienst des Verbandes der pri- 3 vaten Krankenversicherung e. V. und die von den Landesverbänden der Pflegekassen bestellten Sachverständigen eingeführt. Das am 4. Juni 2016 in Kraft getretene Gesetz zur Bekämpfung von Korruption im Gesundheitswesen hat nicht nur die neuen Straftatbestände der Bestechlichkeit im Gesundheitswesen und der Bestechung im Gesundheitswesen in das Strafgesetzbuch eingeführt, sondern auch die Stellen zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen gestärkt. Mit dem Gesetz wird der GKV-Spitzenverband verpflichtet, Bestimmungen zur einheitlichen und koordinierten Tätigkeit dieser Stellen zu treffen. Schließlich wurde mit dem Dritten Pflegestärkungsgesetz vom 23. Dezember 2016 auf Grundlage von Hinweisen und Erkenntnissen über Betrugspraktiken ein Maßnahmenpaket zur Verbesserung von Prävention, Aufdeckung und Bekämpfung von Abrechnungsbetrug eingeführt, beziehungsweise ergänzt. Im Mittelpunkt stehen dabei neue Rechte zur Prüfung von Leistungen der häuslichen Krankenpflege im Auftrag der Krankenkassen, die Weiterentwicklung bestehender Instrumente der Qualitätssicherung im Bereich der Pflegeversicherung sowie Ergänzungen zu Vertragsvoraussetzungen und zur Vertragserfüllung in den Landesrahmenverträgen der Pflegeselbstverwaltung. Eine zentrale Rolle nehmen dabei die Stellen zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen ein, die infolge des GKV-Modernisierungsgesetzes vom 14. November 2003 bei Krankenkassen, Pflegekassen und Kassenärztlichen Vereinigungen eingerichtet wurden. Diese Stellen gehen (auch anonymen ) Hinweisen auf Korruption und Abrechnungsbetrug nach und arbeiten eng mit den zuständigen Ermittlungsbehörden und mit den Prüfdiensten gemäß § 274 SGB V zusammen. 5. Gibt es im Land eine Schwerpunkt-Ermittlungsstelle zum beschriebenen Deliktbereich? Eine Schwerpunktstaatsanwaltschaft für die Bearbeitung von Straftaten aus dem Bereich des Gesundheitsmarktstrafrechts wurde in Sachsen-Anhalt nicht eingerichtet. Bei den Staatsanwaltschaften werden die Verfahren aus dem kriminologischen Phänomenbereich Abrechnungs- /Pflegebetrug, die nicht gesondert oder differenziert erfasst werden, seit 2016 jeweils in Sonderdezernaten bearbeitet. 6. Wie viele Ermittlungsverfahren wurden in Sachsen-Anhalt seit 2015 in Bezug auf Pflegebetrug eingeleitet? Zur Beantwortung dieser Frage wird auf die Antwort der Landesregierung vom 21. Juni 2016 auf die Kleine Anfrage des Abgeordneten Tobias Krull (CDU) in der Drucksache 7/123 verwiesen. 7. Welche Instrumente gibt es zur Sicherstellung des Einsatzes von Fachkräften anstelle von Hilfskräften? Welche Fälle sind hierzu in Sachsen- Anhalt bekannt? Anforderungen an die Qualifikation der einzusetzenden Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen bestehen für die Leistungserbringer hinsichtlich der häuslichen Krankenpflege entsprechend der §§ 132, 132a SGB V. Grundlage sind die vertraglichen Regelungen mit den Krankenkassen. Darin wird vereinbart, welche 4 Leistungen durch Pflegehilfskräfte erbracht werden dürfen. Im Rahmen von MDK-Qualitätsprüfungen bzw. durch externe Hinweise erhalten die Krankenund Pflegekassen Informationen über mögliche Vertragsverstöße, die dann weitergehend geprüft werden. Die Verbände der gesetzlichen Krankenkassen in Sachsen-Anhalt teilen mit, dass in diesem Zusammenhang bereits Verwarnungen erteilt und in mehreren Fällen auf die vertraglichen Regelungen hinsichtlich des einzusetzenden Personals hingewiesen wurden. Neben Hinweisen seitens der Kranken- und Pflegekassen auf Einhaltung der vertraglichen Regelungen zum einzusetzenden Personal, der Erteilung von Verwarnungen über Vertragsstrafen, Rückforderung von zu Unrecht abgerechneten Leistungen oder Vertragskündigung reichen die Instrumente bis hin zur Strafanzeige an die Staatsanwaltschaft, soweit sich ein Anfangsverdacht auf strafbare Handlungen mit nicht nur geringfügiger Bedeutung ergibt. Mit Einführung des § 275b SGB V erhalten Krankenkassen ab dem 1. Januar 2018 die Möglichkeit, Qualitäts- und Abrechnungsprüfungen von Leistungserbringern , mit denen Verträgen nach § 132a Abs. 4 SGB V geschlossen wurden, durchführen zu lassen. Diese Prüfungen waren bisher nur auf der Grundlage eines Versorgungsvertrages für die ambulante Pflege gemäß SGB XI möglich und stellen nun ein weiteres Prüfinstrument dar. Im Bereich der Pflegeversicherung ist die Notwendigkeit der Vorhaltung von Fachkräften in § 71 SGB XI geregelt. Die reine Fachkraftquote in stationären Einrichtungen entstammt dem Ordnungsrecht, ist im Wohn- und Teilhabegesetz des Landes Sachsen-Anhalt verankert und wird auch durch die Heimaufsicht des Landes Sachsen-Anhalt geprüft. Wichtigstes Prüfinstrumentarium der Landesverbände der Pflegekassen sind die regelhaften Qualitätsprüfungen durch den MDK und die Private Krankenversicherung . Die dadurch gewonnen Informationen werden ausgewertet und führen zur Umsetzung weiterer Maßnahmen. Seit Oktober 2016 ist die Prüfung von Abrechnungen verpflichtender Bestandteil der jährlichen Qualitätsprüfungen des MDK bei ambulanten Pflegediensten. Möglich ist weiterhin ein Personalabgleich gemäß § 84 Abs. 6 SGB XI. Sanktionsmöglichkeiten gehen von Hinweisschreiben , Ermahnungen, Abmahnungen, Maßnahmenbescheide, Regressen, Aufnahmestopps, über Kündigungsvermeidungsvereinbarungen bis zu fristlosen und fristgerechten Kündigungen. 8. Welche Überprüfungsmethoden gibt es für eine sachgerechte Abrechnung zwischen Heimen bzw. Pflegediensten und Kassen? Mit Inkrafttreten des Zweiten Pflegestärkungsgesetzes ist eine verpflichtende Regelung zur Durchführung von Abrechnungsprüfungen eingeführt worden. Damit umfasst die Qualitätsprüfung gemäß § 114 Abs. 2 S. 6 SGB XI ab 1. Oktober 2016 auch die Prüfung der in Rechnung gestellten Leistungen. Das Verfahren zur Abrechnungsprüfung wird in den Qualitätsprüfungs‐Richtlinien (QPR) geregelt.