Landtag von Sachsen-Anhalt Drucksache 7/2113 21.11.2017 Hinweis: Die Drucksache steht vollständig digital im Internet/Intranet zur Verfügung. Bei Bedarf kann Einsichtnahme in der Bibliothek des Landtages von Sachsen-Anhalt erfolgen oder die gedruckte Form abgefordert werden. (Ausgegeben am 22.11.2017) Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung Abgeordneter Andreas Steppuhn (SPD) Anerkennung von Ausbildungsvergütungen durch die Handwerkskammern (HWK) und Industrie- und Handelskammern (IHK) in Sachsen-Anhalt Kleine Anfrage - KA 7/1110 Vorbemerkung des Fragestellenden: Die Handwerkskammern und Industrie- und Handelskammern im Land bestätigen im Rahmen ihrer Aufgabenhoheit die in Ausbildungsverträgen genannten Ausbildungsvergütungen . In der Regel beruhen diese auf der Grundlage der im Tarifregister registrierten Tarifverträge. Darüber hinaus sind angemessene Ausbildungsvergütungen zu zahlen. Laut Rechtsprechung sind Ausbildungsvergütungen, die mehr als 20 % nach unten abweichen, rechtswidrig. Antwort der Landesregierung erstellt vom Ministerium für Arbeit, Soziales und Integration 1. Wie wird die Angemessenheit von Ausbildungsvergütungen in Branchen bewertet, in denen es schon seit Jahren keine neu zwischen den Tarifpartnern ausgehandelten Ausbildungsvergütungen mehr gibt? Die IHK Magdeburg, die IHK Halle-Dessau, die HWK Halle (Saale) und die HWK Magdeburg bewerten die Angemessenheit von Ausbildungsvergütungen anhand der ihnen bekannten Tarife bzw. Empfehlungen der Tarifpartner. Dieser Praxis wird gefolgt, auch wenn es dort schon seit Jahren keine neuen, zwischen den Partnern ausgehandelten tariflichen Ausbildungsvergütungen gibt. 2 2. Welche Höhe haben die angemessenen Ausbildungsvergütungen in den nachfolgend genannten Branchen? Bitte jeweils alle drei Ausbildungsjahre nennen. - Fleischerhandwerk - letzter Tarifabschluss aus dem Jahr 1998 - Metallverarbeitendes Handwerk - letzter Tarifabschluss aus dem Jahr 1997 - Karosseriehandwerk - letzter Tarifabschluss aus dem Jahr 2004 - Friseurhandwerk - letzter Tarifabschluss aus dem Jahr 1997 - Privates Verkehrsgewerbe - letzter Tarifabschluss aus dem Jahr 2000 Die Industrie- und Handelskammern und die Handwerkskammern in Sachsen- Anhalt haben in den o. g. Branchen übereinstimmend die Höhen angemessener Ausbildungsvergütungen wie folgt angegeben: Branchen Ausbildungsver - gütung 1. Lehrjahr Ausbildungsver - gütung 2. Lehrjahr Ausbildungsver - gütung 3. Lehrjahr Ausbildungsvergütung 4. Lehrjahr Fleischerhandwerk* (Tarif/Empfehlung vom 01.09.2013) 350,00 € 410,00 € 490,00€ -- Metallverarbeitendes Handwerk (Tarif vom 01.01.1997) 299,11 € 345,12 € 419,26 € 470,39 € Karosserie- und Fahrzeugbauerhandwerk * (Tarif/Empfehlung vom 01.04.2013) 310,00 € 350,00 € 410,00 € 450,00 € Friseurhandwerk (Tarif vom 01.06.1997) 153,39 € 178,95 € 204,52 € -- Privates Verkehrsgewerbe - Güterverkehr (Tarif vom 01.07.2000) 324,64 € 340,01 € 370,69 € 401,36 € Privates Verkehrsgewerbe - Omnibus - und Touristikverkehr* (Tarif vom 01.05.2002) 280,00 € 300,00 € 325,00 € -- * In den Branchen Fleischerhandwerk, Karosserie- und Fahrzeugbauerhandwerk und privates Verkehrsgewerbe, Bereich Omnibus und Touristik gelten für Sachsen-Anhalt später geschlossene Tarifänderungen/Empfehlungen für die Ermittlung der Angemessenheit der Ausbildungsvergütungen, wie sie in der Tabelle aufgeführt sind. 3. Werden die Tarifverträge in den bei Frage 2 genannten Branchen bei der Eintragung von Ausbildungsverträgen von den HWK und IHK immer noch als Festlegungsgröße für die Ausbildungsvergütungen verwendet? Im metallverarbeitenden Handwerk, im Friseurhandwerk und im privaten Verkehrsgewerbe , Bereich Güterverkehr werden die in Frage 2 genannten Tarifverträge bei der Eintragung von Ausbildungsverträgen von den Kammern in Sachsen -Anhalt noch immer als Festlegungsgröße für die Ausbildungsvergütungen verwendet. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 2 verwiesen. 4. Falls die Frage 3 bejaht wird: Wie wird diese Praxis von den jeweiligen Kammern begründet? 3 Die Rechtsprechung - insbesondere die Urteile des Bundesarbeitsgerichtes (BAG) vom 10.04.1991 (5 AZR 226/90) und vom 30.09.1998 (5 AZR 690/97) - wird seitens der benannten Kammern so interpretiert, dass Tarifverträge die verbindlichsten Orientierungspunkte für die Prüfung der Angemessenheit von Ausbildungsvergütungen sind. Sie wirken so lange nach, bis ein neuer Tarifvertrag geschlossen wird, der den alten ersetzt. 5. Falls die Frage 3 verneint wird: Wie wird alternativ die Höhe der Angemessenheit der eingetragenen Ausbildungsvergütungen in den genannten Branchen ermittelt? Entbehrlich, da Frage 3 bejaht wurde. 6. Wie oft kommt es vor, dass Ausbildungsvergütungen sich auf der Grundlage von abgeschlossenen Ausbildungsverträgen als sittenwidrig darstellen ? Bitte nach Kammern differenziert darstellen. Die Angaben der Kammern sind der nachfolgenden Tabelle zu entnehmen: Kammer Anzahl Fälle von nicht angemessenen Ausbildungsvergütungen* HWK Halle 17 Fälle in den Jahren 2015 bis 2017 HWK Magdeburg ca. 2,5 Prozent der jährlich einzutragenden Ausbildungsverhältnisse IHK Halle-Dessau 96 Fälle in den Jahren 2015 bis 2017 IHK Magdeburg ca. 120 Fälle in den Jahren 2015 bis 2017 7. Wie werden angemessene Ausbildungsvergütungen bei den HWK und IHK eingetragen und bestätigt, wenn diese sich tarifrechtlich in der Nachwirkung befinden? Bitte nach Kammern differenziert darstellen. In der HWK Halle (Saale) und der HWK Magdeburg werden die zur Eintragung in das Verzeichnis der Berufsausbildungsverträge eingereichten Verträge nach dem am Tag der Bearbeitung bekannten Stand des jeweilig gültigen Tarifes bzw. der entsprechenden Empfehlung kontrolliert und eingetragen. Die IHK Magdeburg und die IHK Halle-Dessau setzen den zum Zeitpunkt der Einreichung der Anträge auf Eintragung der Ausbildungsverträge geltenden Tarifvertrag an. Die zeitliche Begrenzung eines Tarifvertrages wird mit dem Tarifregister des Landes Sachsen-Anhalts abgeglichen und geprüft. Nach Kündigung eines Tarifvertrages wird dieser solange für die Beurteilung der Angemessenheit herangezogen, bis der neue Tarifvertrag im Tarifregister Sachsen- Anhalt eingetragen ist. 8. Gibt es, bezogen auf Frage 7, bei den HWK und IHK eine unterschiedliche Praxis bei der Bewertung von angemessenen Ausbildungsvergütungen? 4 Das ist nicht der Fall. Grundsätzlich besteht zwischen den vier Kammern Konsens in der Bewertung der Angemessenheit von Ausbildungsvergütungen. Basis sind in allen Fällen die jeweils geltenden Tarifabschlüsse der Branchen oder die Heranziehung von Tarifabschlüssen aus artverwandten Branchen. 9. Wie oft haben sich in den letzten drei Jahren HWK und IHK geweigert, Ausbildungsverhältnisse einzutragen? Bitte nach Kammern differenziert darstellen. Die Angaben der Kammern sind der nachfolgenden Tabelle zu entnehmen. Sie stehen im unmittelbaren Zusammenhang mit den Ausführungen zu Frage 6. Kammer Anzahl Fälle in denen die Kammern die Ausbildungsverhältnisse nicht in die entsprechenden Verzeichnisse/Rollen eintrugen* HWK Halle 17 Fälle in den Jahren 2015 bis 2017 HWK Magdeburg Keine Angabe möglich IHK Halle-Dessau In 96 Fällen in den Jahren 2015 bis 2017 ließ die IHK Halle-Dessau die Verträge vor der Eintragung korrigieren. IHK Magdeburg ca. 120 Fälle in den Jahren 2015 bis 2017 10. Wie wird beim Fehlen aktueller tariflicher Regelungen, wie z. B. der Callcenter -Branche, sichergestellt, dass dennoch durch die Kammern Ausbildungsvergütungen eingetragen werden, die - im Vergleich zu verwandten Wirtschaftsbereichen - angemessen sind? In Branchen, in denen es keine tarifliche Regelung gibt, nutzen die Kammern Tarifverträge und Empfehlungen für artverwandte Branchen. Hilfreich ist in solchen Fällen die Zuordnung zu übergeordneten Branchen bzw. Gewerken. So wird z. B. für die Prüfung der angemessenen Ausbildungsvergütungen im Kosmetikbereich , für den es keine tarifliche Vereinbarung bzw. Empfehlung gibt, der Tarifvertrag bzw. die Empfehlung des Friseurhandwerks genutzt. In der Callcenter-Branche wird der Dienstleistungstarif zur Prüfung der Angemessenheit der Ausbildungsvergütungen herangezogen. 11. Wie wird, bezogen auf die vorgenannten Fragen, die Praxis der HWK und der IHK durch die Landesregierung bewertet? Die Handwerkskammern und Industrie- und Handelskammern in Sachsen- Anhalt orientieren sich bei der Bewertung der Angemessenheit von Ausbildungsvergütungen an der Rechtsprechung. Dort wird klargestellt, dass von einer angemessenen Vergütung regelmäßig dann auszugehen ist, wenn ein für die jeweilige Branche bestehender Tarifvertrag zur Höhe der Ausbildungsvergütung eine Festlegung trifft. 5 12. Wie wird die Angemessenheit von Ausbildungsvergütungen bei Tarifverträgen , die sich schon mehr als drei Jahre in der Nachwirkung befinden, durch die Landesregierung bewertet? Der Gesetzgeber verlangt in § 17 Absatz 1 Satz 1 Berufsbildungsgesetz, dass Auszubildende einen Anspruch auf eine „angemessene“ Ausbildungsvergütung haben. Nach der einschlägigen Rechtsprechung ist davon auszugehen, dass eine tarifrechtliche Regelung für die Beurteilung der Angemessenheit regelmäßig den Maßstab bildet. Die Nachwirkung eines Tarifvertrages ist zeitlich nicht begrenzt, wenn er nicht ausdrücklich gekündigt wurde. Es ist jedoch offensichtlich , dass eine Ausbildungsvergütung, deren Höhe in einem Tarifvertrag von 1997 festgelegt worden ist, nur schwerlich den für das Jahr 2017 gültigen Angemessenheitskriterien entsprechen kann. Somit sollten auch alternative Wege zur Ermittlung angemessener Höhen von Ausbildungsvergütungen entwickelt, geprüft und angewandt werden. Im BAG-Urteil von 30.09.1998 (5 AZR 690/97) wird im Abschnitt 18 ausgesagt, dass beim Fehlen von tariflichen Regelungen z. B. auf branchenübliche Sätze oder auf eine der Verkehrsauffassung des Industriezweiges entsprechende Vergütung zurückgegriffen werden kann. Land und Kammern haben das Gespräch aufgenommen, um gemeinsam nach Lösungsmöglichkeiten zu suchen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass ähnliche Problemlagen auch in anderen Bundesländern bestehen. Kammern und Land werden die Thematik der Angemessenheit von Ausbildungsvergütungen daher auch in ihre jeweiligen Fachgremien einbringen.