Landtag von Sachsen-Anhalt Drucksache 7/212 08.08.2016 (Ausgegeben am 09.08.2016) Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung Abgeordneter Andreas Höppner (DIE LINKE) Sonn- und Feiertagsarbeit in Sachsen-Anhalt Kleine Anfrage - KA 7/67 Vorbemerkung des Fragestellenden: In Sachsen-Anhalt wird in immer mehr Bereichen an Sonn- und Feiertagen gearbeitet . Grundsätzlich ist laut § 9 Arbeitszeitgesetz die Beschäftigung an Sonn- und Feiertagen unzulässig. Jedoch ist abweichend von diesem allgemeinen Verbot eine Beschäftigung zulässig, wo gesetzliche Ausnahmen greifen und dort, wo auf Antrag behördliche Ausnahmen zugelassen wurden (§ 13 und § 15 ArbZG). Antwort der Landesregierung erstellt vom Ministerium für Arbeit, Soziales und Integration 1. Wie viele Beschäftigte arbeiten in Sachsen-Anhalt regelmäßig an Sonnund Feiertagen bzw. sind aufgrund einer Ausnahmegenehmigung von Sonn- und Feiertagsarbeit betroffen? Die Anzahl der Beschäftigten in Sachsen-Anhalt, die ständig, regelmäßig oder gelegentlich an Sonn- und/oder Feiertagen arbeitet, lässt sich nicht aus den Bewilligungen der Arbeitsschutzverwaltung ableiten, da der Großteil der Beschäftigung an diesen Tagen unter die gesetzlichen Ausnahmen vom Beschäftigungsverbot für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gemäß § 10 Abs. 1 - 4 Arbeitszeitgesetz (ArbZG) fällt und hierfür weder eine Genehmigung noch eine Anzeige erforderlich ist. Dies gilt auch für die nach § 9 Abs. 2 Ladenöffnungszeitengesetz Sachsen-Anhalt (LÖffZeitG LSA) zulässige Beschäftigung an Sonn- und Feiertagen in Verkaufsstellen. 2 Zahlen zur Sonn- und Feiertagsbeschäftigung liegen jedoch aus den Mikrozensuserhebungen des Statistischen Landesamtes Sachsen-Anhalt vor und können der nachfolgenden Tabelle entnommen werden: Jahr      Abhängig Er‐ werbstätige ins‐ gesamt (ohne  Auszubildende)  Sonn‐ und / oder Feiertagsarbeiten    ständig    regelmäßig    gelegentlich         zusammen     in %     in %    in %    in %     in % 2013     926.200 100,00%  14.300 1,54% 135.500 14,63% 103.900  11,22%  253.700 27,39%    davon  männl.  477.000 51,50%  7.700 0,83% 64.900 7,01% 65.200  7,04%  137.800 14,88%    davon  weibl.  449.200 48,50%  6.600 0,71% 70.600 7,62% 38.700  4,18%  115.900 12,51% 2014     921.400 100,00%  12.200 1,32% 137.600 14,93% 100.800  10,94%  250.700 27,21%    davon  männl.  474.400 51,49%  5.100 0,55% 68.000 7,38% 64.700  7,02%  137.800 14,96%    davon  weibl.  447.000 48,51%  7.100 0,77% 69.600 7,55% 36.100  3,92%  112.900 12,25% 2015     919.100 100,00%  13.700 1,49% 140.200 15,25% 98.100  10,67%  251.900 27,41%    davon  männl.  469.200 51,05%  7.100 0,77% 69.700 7,58% 58.000  6,31%  135.600 14,75%    davon  weibl.  449.900 48,95%  6.600 0,72% 70.500 7,67% 39.300  4,28%  116.300 12,65% Mikrozensus, Statistisches Landesamt Sachsen-Anhalt 2. Wie viele Anträge auf Genehmigung von Sonn- und Feiertagsarbeit wurden seit 2005 gestellt? Bitte nach Jahren aufgliedern. 3. Wie viele Anträge auf Genehmigung von Sonn- und Feiertagsarbeit wurden seit 2005 erteilt und wie viele wurden abgelehnt? Bitte nach Jahren aufgliedern. Die Fragen 2 und 3 werden aufgrund ihres Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet: Das Arbeitszeitgesetz enthält neben gesetzlichen Ausnahmen (§ 10 ArbZG) vom Verbot der Beschäftigung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern an Sonn- und Feiertagen eine Reihe von unterschiedlichen Ausnahmetatbeständen , die einer Genehmigung durch die zuständige Aufsichtsbehörde bedürfen. In Sachsen-Anhalt ist die zuständige Arbeitsschutzbehörde das Landesamt für Verbraucherschutz. 3 Die nachfolgende Tabelle stellt die im Zeitraum von 2005 bis 2016 erteilten Ausnahmebewilligungen getrennt nach Rechtsgrundlagen dar. Dabei ist anzumerken , dass die Anzahl der ablehnenden Bescheide nicht gesondert erfasst wird, diese aber praktisch bei den hier dargestellten Tatbeständen auch nicht vorkommen. Zum einen erfolgt in zahlreichen Fällen vor der eigentlichen Antragstellung bereits eine Anfrage zur Genehmigungsfähigkeit der Sonn- und Feiertagsarbeit bei der Behörde, so dass im Rahmen der Beratung auf das Stellen aussichtsloser Anträge verzichtet wird. Zum anderen machen die Unternehmen , deren Antrag aufgrund der Sachverhaltsdarstellung nach Einschätzung der Arbeitsschutzbehörde keine Erfolgsaussicht hat, nach entsprechender Beratung regelmäßig von der Möglichkeit der Antragsrücknahme Gebrauch und verzichten auf eine rechtsmittelfähige Bescheidung. Jahr Bewilligungen nach § 13 Abs. 4 ArbZG § 13 Abs. 5 ArbZG § 15 Abs. 2 ArbZG 2005 3 14 20 2006 4 15 33 2007 6 11 25 2008 9 21 14 2009 11 10 12 2010 9 14 19 2011 3 20 17 2012 7 18 13 2013 2 17 0 2014 3 24 1 2015 2 15 5 2016* 1 10 0 (LAV; Informationssystem Arbeitsschutz – IFAS) *bis 30.6.2016 Hinsichtlich der Bewilligung der Beschäftigung von Arbeitnehmern an einzelnen Sonn- und Feiertagen gemäß §§ 13 Abs. 3 Nr. 2 lit. a bis c ArbZG sowie für Feststellungsbescheide nach § 13 Abs. 3 Nr. 1 ArbZG erfolgt keine gesonderte statistische Erfassung. Diese werden jedoch gemeinsam mit den oben zahlenmäßig aufgeführten Bewilligungen und den Ausnahmegenehmigungen zur Verlängerung der täglichen Arbeitszeit gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 ArbZG als produktorientierte Darstellungen der Tätigkeit der Arbeitsschutzverwaltung im Bereich des Arbeitszeitrechts für die Jahresberichterstattung erfasst. Die nachfolgende Tabelle umfasst die Anzahl erteilter Bewilligungen, abgelehnter Anträge und die Anzahl von Anfragen, Anzeigen und Mängelmeldungen im Bereich des Arbeitszeitrechts für die Jahre 2005 bis 2015. 4 (Jahresberichte der Arbeitsschutzverwaltung Tabelle 3 - Auszug) 4. Welche Gründe zur Ausweitung der Beschäftigung an Sonn- und Feiertagen wurden im Genehmigungsverfahren benannt? Wie und in welcher Form werden die Begründungen geprüft? Als Begründung für die Anträge wurde zumeist angegeben, dass die Unternehmen durch die Marktsituation gezwungen sind, auf kurzfristige Auftragserteilung , -erhöhungen und -schwankungen schnell reagieren zu können und ihnen ohne Sonn- und Feiertagsarbeit Schäden drohen. Es können zumeist keine ausreichenden Kapazitäten vorgehalten werden, so dass fristgerechte Kapazitätssteigerungen nur mit Sonn- und Feiertagsarbeit möglich sind. Eine Nichterfüllung der Aufträge ziehe die Gefährdung von Arbeitsplätzen nach sich. Das Landesamt für Verbraucherschutz als zuständige Aufsichtsbehörde prüft eingehende Anträge und Unterlagen auf Basis der Voraussetzungen der jeweiligen Ausnahmetatbestände des Arbeitszeitgesetzes. Von der gesetzlich eingeräumten Möglichkeit der Ermessensausübung wird pflichtgemäß Gebrauch gemacht . Regelmäßig sind bereits im Vorfeld und im Rahmen der Antragstellung umfangreiche Beratungen durch die Arbeitsschutzverwaltung erforderlich. In diesen Beratungsgesprächen mit den Unternehmen werden regelmäßig die Voraussetzungen der Genehmigungstatbestände der §§ 13 und 15 ArbZG erörtert und ggf. von den Antragstellern ergänzende Auskünfte und Unterlagen abgefordert. Dies umfasst insbesondere Angaben zu möglicher ausländischer Konkurrenz, Angaben über zulässige und tatsächliche Betriebszeiten entsprechender ausländischer Konkurrenzbetriebe. Angaben über die bisherige und prognostizierte Auslastung der Produktionsanlagen werden ggf. durch Auswertung von Schichtplänen und Arbeitszeitnachweisen überprüft. Soweit erforderlich werden betriebswirtschaftlich relevante Daten aus der Vergangenheit und Prognosen für die Zukunft abgefordert und geprüft, um zu belegen, dass ohne die beantragte Ausnahme dem Unternehmen unverhältnismäßige Schäden drohen oder Jahr Erteilte Genehmigungen, Erlaubnisse, Zulassungen, Ausnahmen, Ermächtigungen Abgelehnte Genehmigungen, Erlaubnisse, Zulassungen, Ausnahmen, Ermächtigungen Anfragen, Anzeigen, Mängelmeldungen 2005 528 1 174 2006 588 5 244 2007 668 4 165 2008 568 5 148 2009 615 6 180 2010 638 5 208 2011 697 12 198 2012 816 3 254 2013 776 3 211 2014 552 6 244 2015 616 7 307 5 eine Gefährdung von Arbeitsplätzen gegeben ist. Erforderlichenfalls werden Auskünfte z. B. bei Industrie- und Handelskammern, Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften eingeholt. In jedem Fall erfolgt die Einbeziehung vorhandener Personal- bzw. Betriebsräte, vgl. Antwort zu Frage 7. 5. Sind der Landesregierung Fälle bekannt, bei denen es auf Grundlage des § 12 ArbZG, abweichende Regelungen im Rahmen eines Tarifvertrages oder aufgrund eines Tarifvertrages in einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung festgelegt wurden? Es ist bekannt, dass die Tarifverträge für einige Branchen, vor allem in der Energie- und Wasserversorgung, Verkehrsunternehmen, Gesundheits- und Wohlfahrtspflege und Chemischen Industrie entsprechende Regelungen enthalten . Die tatsächliche Inanspruchnahme ist nach den Informationen der Arbeitsschutzverwaltung gering. 6. Wie beurteilt die Landesregierung die Entwicklung der Beschäftigung an Sonn- und Feiertagen? Welche Erkenntnisse hat die Landesregierung über die Auswirkungen der Sonn- und Feiertagsarbeit auf die betroffenen Beschäftigten? Die Entwicklung der Sonn- und Feiertagsarbeit in Sachsen-Anhalt bewegt sich aus Sicht der Landesregierung auf konstantem Niveau. Trotz des verfassungsrechtlich garantierten Sonn- und Feiertagsschutzes ist eine Beschäftigung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern an Sonn- und Feiertagen unumgänglich. Neben den gesetzlichen Ausnahmetatbeständen des § 10 ArbZG und § 9 Abs. 2 LÖffZeitG LSA führen der europäische Binnenmarkt und die insgesamt zu verzeichnende Globalisierung der Handelsströme und Wirtschaftsbeziehungen dazu, dass sich immer mehr Unternehmen einer internationalen Konkurrenzsituation ausgesetzt sehen. Die gesetzlichen Bestimmungen in anderen Ländern knüpfen insgesamt stärker am individuellen Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer hinsichtlich der Gewährung wöchentlicher Ruhezeiten an und sehen kein striktes Sonn- und Feiertagsbeschäftigungsverbot vor. Daher werden dort regelmäßig Maschinenlaufzeiten von 156 Stunden die Woche ermöglicht , die in Deutschland produzierende Unternehmen in der Regel nur durch die Inanspruchnahme von Ausnahmegenehmigungen der Arbeitsschutzbehörden erreichen können. Der Landesregierung liegen keine konkreten Erkenntnisse über die Auswirkungen der Sonn- und Feiertagsarbeit auf die betroffenen Beschäftigten in Sachsen -Anhalt vor. Insbesondere sind hier keine wissenschaftlichen belastbaren, methodisch kontrollierten Längsschnittstudien bekannt, die belegen, dass Sonnund Feiertagsarbeit automatisch die Gesundheit aller betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gefährdet. Allerdings kann Erwerbstätigenbefragungen (z. B. BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin - BAuA 2014) entnommen werden, dass Sonn- und Feiertagsarbeit einen Risikofaktor für die Beeinträchtigung der Gesundheit darstellen kann. Das Risiko einer Gesundheitsbeeinträchtigung wird jedoch durch mehrere Faktoren bestimmt. Es nimmt zu, wenn weitere ungünstigere Faktoren (keine Einflussnahme auf die Arbeitszeitgestaltung, Nachtarbeit, lange Arbeits- 6 zeiten) hinzukommen und kann durch günstige Faktoren (Handlungsfreiheit, soziale Unterstützung) kompensiert werden. Allgemein kann festgestellt werden, dass die Arbeitszeitgestaltung insgesamt und insbesondere Sonn- und Feiertagsarbeit die gesamte Lebenssituation von Beschäftigten beeinflusst. So führt Arbeit an Sonn- und Feiertagen dazu, dass die Freizeiten von Beschäftigten und Familienmitgliedern oder Personen im sozialen Umfeld oft nicht übereinstimmen. Die Gestaltung des Familienlebens bedarf einer entsprechenden Anpassung. Eingeschränkt ist weiterhin die Teilnahme am politisch-gesellschaftlichen Leben. Auch dies kann Beeinträchtigungen des Wohlbefindens nach sich ziehen. Die Landesregierung misst der verfassungsrechtlich geschützten Sonn- und Feiertagsruhe daher eine hohe Bedeutung bei. Arbeitsfreie Sonn- und Feiertage sollen der Sicherheit und dem Gesundheitsschutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dienen. Der Vollzug der Vorschriften zum Sonn- und Feiertagsschutz wird von der Arbeitsschutzverwaltung in Sachsen-Anhalt dementsprechend ernst genommen. Insbesondere wird auch die Einhaltung der gesetzlich vorgesehenen Ausgleichsregelungen für Sonn- und Feiertagsarbeit gemäß § 11 ArbZG überwacht. 7. In wie vielen Fällen erfolgte im Rahmen des Genehmigungsverfahrens eine Anhörung oder Stellungnahme des zuständigen Betriebsrats? Mit welcher Begründung erfolgte keine Anhörung oder Stellungnahme des zuständigen Betriebsrats? Von der zuständigen Arbeitsschutzbehörde in Sachsen-Anhalt werden grundsätzlich die Stellungnahmen vorhandener Betriebsräte zu allen beantragten Bewilligungen unter Berücksichtigung der §§ 87 Abs. 1 und 89 Abs. 1 des Betriebsverfassungsgesetzes abgefordert, obwohl die Genehmigungstatbestände des Arbeitszeitgesetzes eine solche Beteiligung nicht vorsehen. Das Landesamt für Verbraucherschutz als zuständige Arbeitsschutzbehörde holt entsprechende Auskünfte ein, da diese insbesondere wegen der Detailkenntnisse der Belegschaftsvertretungen hinsichtlich der betrieblichen Abläufe und der Personalsituation von großem Wert für die zu treffende Entscheidung sind. Nur bei dem Erfordernis einer kurzfristigen Entscheidung und wenn die Einbindung des Betriebsrats nicht mehr möglich ist, kann von diesem Grundsatz ausnahmsweise abgewichen werden. Im Regelfall wird eine Zustimmung des Betriebsrates bereits mit der Antragstellung übermittelt. 8. In wie vielen Fällen erfolgte im Rahmen des Genehmigungsverfahrens eine Anhörung oder Stellungnahme der zuständigen Gewerkschaft? Mit welcher Begründung erfolgte keine Anhörung oder Stellungnahme der zuständigen Gewerkschaft? Im Rahmen von Genehmigungsverfahren erfolgt regelmäßig keine Anhörung oder Einholung von Stellungnahmen der zuständigen Gewerkschaft. Es ist erfolgreich geübte Praxis, dass vor dem Erlass einer Rechtsverordnung die betroffenen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände angehört und deren Stellungnahmen einschließlich eventueller Einwände sachgerecht gewertet und entsprechend berücksichtigt werden. Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände sind im Landesarbeitskreis für Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz vertreten , der als Gremium die für den Arbeitsschutz zuständige Ministerin berät. 7 Darüber hinaus werden die Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände als Tarifparteien im Rahmen der Auslegung von tariflicher Bestimmung beteiligt.