Landtag von Sachsen-Anhalt Drucksache 7/220 08.08.2016 Hinweis: Die Anlage ist als Objekt beigefügt und öffnet durch Doppelklick im Netz den Acrobat Reader. (Ausgegeben am 08.08.2016) Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung Abgeordnete Angela Gorr (CDU) Forschungsergebnisse der Tagung „SED-VERFOLGTE UND DAS MENSCHEN- RECHT AUF GESUDNHEIT. Die Anerkennung gesundheitlicher Folgeschäden sowie psychosoziale, therapeutische und seelsorgerische Perspektiven“ Kleine Anfrage - KA 7/102 Antwort der Landesregierung erstellt vom Ministerium für Arbeit, Soziales und Integration 1. Wurden die Forschungsergebnisse der Tagung „SED-VERFOLGTE UND DAS MENSCHENRECHT AUF GESUNDHEIT. Die Anerkennung gesundheitlicher Folgeschäden sowie psychosoziale, therapeutische und seelsorgerische Perspektiven“ (25./26. Februar 2014 in Magdeburg) und des gleichnamigen Tagungsbandes (Studienreihe der Landesbeauftragten der Stasi-Unterlagen in Sachsen-Anhalt, Bd. 5, 2015) vonseiten der Landesregierung und nachgeordneten Behörden den mit der Problematik vertrauten Beratungsstellen, Gutachtern, Psychologen und Gerichten zur Verfügung gestellt? Ja, da sich alle genannten Institutionen regelmäßig damit beschäftigen, wie das damalige staatliche Handeln zu bewerten ist. 2. Wurden diese Forschungsergebnisse den für die Begutachtung zuständigen Behörden und Sachbearbeitern zur Verfügung gestellt, dort ausgewertet und zur Beachtung empfohlen und haben sich die Bewertungsmaßstäbe zur Begutachtung von Haftfolgeschäden, insbesondere komplexer Traumafolgeschäden/posttraumatischer Belastungsstörung dadurch verändert? Die Forschungsergebnisse wurden ausgewertet. Die Bewertungsmaßstäbe haben sich dadurch nicht verändert, jedoch wurde seitens der Versorgungsverwal- 2 tung das anliegende Qualitätssicherungskonzept zur Verwaltungs- und Begutachtungspraxis in Sachsen-Anhalt erarbeitet. 3. Falls dies nicht geschehen ist: Besteht aus Sicht des Sozialministeriums die Notwendigkeit, die Mitarbeiter in den zuständigen Behörden über die neuen Forschungsergebnisse in Kenntnis zu setzen und entsprechende Schulungen anzubieten? Es wird auf die Antwort zu Frage 2 verwiesen. Landesverwaltungsamt 22.04.2014 Abteilung Familie, Gesundheit, Jugend und Versorgung Strafrechtliches Rehabilitierungsgesetz-Anerkennung gesundheitlicher Folgeschäden Qualitätssicherungskonzept zur Verwaltungs- und Begutachtungspraxis in Sachsen Anhalt (11 - Punkte-Papier) Einleitung Da das Strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz (StrRehaG) dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) zugeordnet ist, sind der Verwaltungsentscheidung und der vorangehenden Begutachtung die im Sozialen Entschädigungsrecht (SER) geltenden Bestimmungen nach der Versorgungsmedizin - Verordnung (VersMedV) und den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (VMG) zugrunde zu legen. Es handelt sich um kausale Entscheidungen, die den Tatsachen zur Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs zu folgen haben. Die Anerkennung von Schädigungsfolgen ist nur dann zu begründen, wenn die Wahrscheinlichkeit der haftungsausfüllenden medizinischen Kausalität zwischen einem geltend gemachten Gesundheitsschaden und dem nachgewiesenen Schädigungstatbestand herzustellen ist. Daneben können Schädigungsfolgen nur dann einen Grad der Schädigungsfolgen (GdS) in ausgleichsberechtigender Höhe begründen, wenn das Ausmaß des Gesundheitsschadens einen gemäß VMG entsprechenden Bewertungsmaßstab erfüllt. Im Ergebnis einer am 24. und 25. Februar 2014 von der Landesbeauftragten für die Unterlagen der Staatssicherheit der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik länderübergreifend veranstalteten Fachtagung zum Thema „SED-Verfolgte und das Menschenrecht auf Gesundheit" blieb festzustellen, dass bundesgesetzliche Vorgaben durch die (Landes-) Versorgungsverwaltungen nicht gelockert oder außer Kraft gesetzt werden können. Unabhängig hiervon waren den Berichten Betroffener Kritiken an der Verfahrens- und Begutachtungspraxis zu entnehmen. So wurden insbesondere Qualifikation, Erfahrungsschatz und Empathie von Gutachtern bemängelt. Obgleich die Kritik nicht mit speziellem Blick auf Sachsen- Anhalt gerichtet war, wurde die Fachtagung zum Anlass genommen, hier bereits etablierte Maßnahmen der Qualitätssicherung weiter zu verbessern und um ein Qualitätssicherungskonzept zu erweitern. Seite 2/4 Quaütätssicherheitskonzept (11- Punkte - Papier) - aufgestellt nach der Chronologie des Verfahrensablaufes 1. Nachweis des Schädigungstatbestandes Die im SER nach geltenden Beweisgrundsätzen möglichen Beweiserleichterungen zur haftungsbegründenden Kausalität werden strikt angewandt. 2. Haftungsausfüllende medizinische Kausalität Nach den im SER vorgegebenen Regelungen zur Beurteilung der haftungsausfüllenden medizinischen Kausalität gilt die Kausalnorm der wesentlichen Bedingung. Als für den Betroffenen anspruchserleichternd wirkt, dass im Falle einer annähernden Gleichwertigkeit versorgungsrechtlich geschützter Einwirkungen und versorgungsfremder Geschehnissen die Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhanges gegeben ist. 3. Qualifikation ärztlicher Gutachter* Bei den VMG handelt es sich um Bewertungsmaßstäbe, die verbindliche Norm für die Beurteilung der verschiedensten Auswirkungen von Gesundheitsstörungen unter besonderer Berücksichtigung einer sachgerechten Relation untereinander sind. (1) Eine folgerichtige Anwendung setzt neben breitem klinischem Facharztwissen besondere versorgungsmedizinische Kenntnisse und somit den Sachverstand entsprechend qualifizierter ärztlicher Gutachter voraus. Um Qualifikation und Kompetenz versorgungsmedizinisch tätiger ärztlicher Gutachter zu gewährleisten, hält der mit der Begutachtung beauftragte Versorgungsärztliche Dienst (ÄD) ausschließlich versorgungsmedizinisch langjährig erfahrene ärztliche Gutachter / Prüfärzte mit abgeschlossener Facharztweiterbildung und zusätzlichem Weiterbildungsabschluss auf dem Gebiet der Sozialmedizin vor. Begutachtungen in Ausgangs-, Rechtsbehelfs- und Rechtsmittelverfahren werden jeweils facharztgleich von besonders erfahrenen Versorgungsärzten, wegen zumeist geltend gemachter psychischer Störungen überwiegend von Fachärzten für Psychiatrie, Psychotherapie oder Neurologie vorgenommen. Qualitätssichernd ist eine Dreistufigkeit mit praktiziertem 6 Augen- Prinzip, wonach für entsprechende Verfahrensstufigkeiten jeweils verschiedene Gutachter zur Verfügung stehen. 4. Aktenlage - und Untersuchungsbegutachtung Der ÄD achtet auf ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Aktenlage- und Untersuchungsbegutachtungen. Die Begutachtung nach Aktenlage setzt die Entscheidungsreife nach abgeschlossener medizinischer Sachaufklärung voraus. Die Sachaufklärung in Form des Beiziehens zusätzlicher medizinischer Dokumentationen wird in die Wege geleitet, wenn erkennbar ist, dass die Entscheidungsreife der Aktenlage hiervon profitiert, ohne dass dem Anspruchsberechtigten die Belastungen einer Präsenzbegutachtung mit Doppel- und Mehrfachuntersuchungen zugemutet werden muss. Seite 3/4 5. Einsatz externer Gutachter Soweit fallbezogen zusätzliche Untersuchungen mit dem Einsatz spezieller Funktionsdiagnostik und des dazugehörigen Fachpersonals erforderlich sind, werden Untersuchungsaufträge und/oder - gutachten an externe Fachärzte jeweiliger Fachrichtungen vergeben. Beauftragt werden qualifizierte Gutachter, welche die Komponenten klinisches Fachwissen, versorgungsmedizinische Kenntnisse und Erfahrungen im Umgang mit Anspruchsberechtigten nach dem StrRehaG aufzubieten vermögen. Es wird darauf geachtet, dass es sich um langjährig erfahrene Gutachter handelt, die über ein historisches Wissen um die Besonderheiten der Opfer der SED-Diktatur sowie die notwendige Empathie verfügen. Selbstverständlich ist, dass die Örtlichkeiten der Untersuchungsstätten und/oder die Person bzw. die Tätigkeit des Gutachters keinen Anlass bieten, um den Vorwurf einer ungenügenden Sensibilität zu begründen oder eine Re- Traumatisierung verursachen zu können. 6. Sensibilisierung externer Gutachter Die zum Februar 2014 länderübergreifend vorgetragenen Kritiken Betroffener hinsichtlich des Mangels an Empathie geben Anlass, die externen Gutachter bezüglich des Achtens auf eine Atmosphäre der offenen und ungestörten Zuwendung nochmals zu sensibilisieren. 7. Unabhängigkeit der ärztlichen Begutachtung Grundlage des Handelns der im Angestellten- oder Beamtenverhältnis tätigen sozialmedizinischen Sachverständigen ist das ärztliche Berufsrecht und die daraus folgende Unabhängigkeit gegenüber Weisungen des Arbeitgebers bzw. Dienstherren in ärztlichen Beurteilungen. Selbstverständlich ist, dass erstellte Gutachten und prüfärztliche Stellungnahmen objektiv beurteilt und im Aufbau der Fakten nachvollziehbar abgefasst sind. Die ärztliche Entscheidung unterliegt allein der sachlichen Neutralität, der in der medizinischen Wissenschaft herrschenden Lehrmeinung und den im Sozialrecht geltenden trägerspezifischen Vorschriften. 8. Fortbildung von Gutachtern Regelmäßig durchgeführt wird die Fortbildung interner und externer Gutachter auf klinischem und sozialmedizinischem Gebiet. Bei der Sozialmedizin handelt es sich um einen Fachbereich, welcher den Erwerb der ärztlichen Gutachterkompetenz, aufbauend auf breiten klinischen Kenntnissen und umfänglichem Wissen im Schnittstellenbereich zwischen Medizin und Sozialrecht, vorhält. Das LVwA ist seit Gründung anerkannte Weiterbildungsstätte für Sozialmedizin. Zugrunde liegt eine der Leitenden Ärztin von der Ärztekammer erteilte Weiterbildungsbefugnis. Im Ergebnis konnten versorgungsmedizinisch tätige interne und externe Ärzte ihren Abschluss erfolgreich absolvieren bzw. eine Weiterbildung antreten. Seit Jahren sind monatliche sozialmedizinische Fortbildungen etabliert, die wegen ihrer Außenöffnung und einer Seite 4/4 von der Ärztekammer erfolgten Zertifizierung dazu beitragen, interaktive Schnittstellen zwischen sozialmedizinischen Weiterbildungsinhalten und versorgungsärztlicher Fortbildung zu bereichern. 9. Bescheidqualität Sichergestellt wird, dass Anspruchsberechtigte über die Inhalte der Bescheide eine ausführliche, nachvollziehbare und im Wortlaut sensibel abgefasste Begründung erhalten. 10. Abschließende Supervision Neu etabliert wurde die abschließende Supervision aller Fälle, bei denen ein ablehnender Bescheid droht. Es handelt sich um Teambesprechungen der Versorgungsverwaltung, die unter der Leitung des Abteilungsleiters und Beteiligung der Leitenden Ärztin monatlich durchgeführt werden und die alle unter 1-9 genannten Qualitätssicherungsmaßnahmen einer Endkontrolle unterziehen. Geprüft werden die Besonderheiten im Einzelfall unter Abwägen aller entscheidungsdieniichen Fakten. 11. Außenwirksamkeit und Zusammenarbeit Betroffene und ihre Interessensvertretungen empfinden die nach jetzigem Recht geregelte Begutachtungspraxis als „menschenrechtlichen Missstand" (2). Sie fordern die Normierung eines nach StrRehaG grundsätzlich anzuerkennenden Gesundheitsschadens („Bautzen- Beweis") (3). Der daraus zu geltendem Recht resultierende Konflikt belastet die Begutachtungspraxis. Vor diesem Hintergrund steht das Angebot einer engen Zusammenarbeit mit der Landesbeauftragten für die Unterlagen der Staatssicherheit der ehemaligen DDR mit der Zielsetzung, die Besonderheiten der Versorgungsmedizinischen Grundsätze zu verdeutlichen und gemeinsam nach konstruktiven Problemlösungsalternativen zu suchen. *Genderformel 1) Versorgungsmedizinische Grundsätze, herausgegeben vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Stand Januar 2009, Einleitung, Seite 5 2) SED-Verfolgte und das Menschenrecht auf Gesundheit; Fachtagung der Landesbeauftragten für Stasiunterlagen am 24./25.Februar 2014 in Magdeburg - einleitende Worte zum Tagungskonzept 3) Konferenz der Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR und zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur - Vorschläge für eine Novellierung der SED- Unrechtsbereinigungsgesetze und des Bundesversorgungsgesetzes - Positionspapier Stand 09/2013