Landtag von Sachsen-Anhalt Drucksache 7/2226 19.12.2017 Hinweis: Die Drucksache steht vollständig digital im Internet/Intranet zur Verfügung. Bei Bedarf kann Einsichtnahme in der Bibliothek des Landtages von Sachsen-Anhalt erfolgen oder die gedruckte Form abgefordert werden. (Ausgegeben am 19.12.2017) Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung Abgeordneter Hannes Loth (AfD) Nachfrage zur Antwort auf KA 7/848 (Derivate in Abwasserverbände) in Drucksache 7/1545 Kleine Anfrage - KA 7/1227 Vorbemerkung des Fragestellenden: In der Antwort der Landesregierung zu der oben genannten Anfrage steht ganz klar drin, „…, dass der Einsatz von Zinsderivaten in kommunalen Körperschaften in Sachsen-Anhalt grundsätzlich nicht in Betracht kommt.“ Antwort der Landesregierung erstellt vom Ministerium für Inneres und Sport 1. Sie antworteten unter 1. „Kommunale Körperschaften können ausnahmsweise Zinsderivate einsetzen, …“ Was ist die Vorschrift für die Ausnahme? Sollen alle Zinsabsicherungen über Derivate abgesichert werden? Mit der Antwort auf Frage 1 der Kleinen Anfrage 7/848, ob es rechtlich sicher sei, dass der Derivathandel von den Abwasserverbänden genutzt werden darf, wurde bereits auf die zu beachtenden Rechtsnormen hingewiesen. Aus den Verpflichtungen zur sorgfältigen Vermögensverwaltung und zur Beachtung ausreichender Sicherheiten bei Geldanlagen gemäß § 112 Abs. 2 Kommunalverfassungsgesetz des Landes Sachsen-Anhalt (KVG LSA), zur dauerhaften Sicherstellung der gemeindlichen Aufgabenerfüllung gemäß § 98 Abs. 1 Satz 1 KVG LSA sowie zu sparsamer und wirtschaftlicher Haushaltsführung gemäß § 98 Abs. 2 KVG LSA ergibt sich für kommunale Körperschaften das Verbot, unkalkulierbare Risiken mit kommunalem Vermögen einzugehen (Spekulationsverbot). Daraus folgt, dass der Einsatz von Zinsderivaten in kommunalen Körperschaften in Sachsen-Anhalt 2 grundsätzlich nicht in Betracht kommt. Um sich gegen ein Zinsänderungsrisiko aus Kreditgeschäften abzusichern, können kommunale Körperschaften ausnahmsweise Zinsderivate einsetzen, wenn das Zinsderivat in einem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang zum Kreditgeschäft (Grundgeschäft) steht (zeitliche und inhaltliche Konnexität). Dies ist der Fall, wenn sich aus einem oder mehreren Darlehensverträgen der kommunalen Körperschaft deshalb ein Zinsänderungsrisiko ergibt, weil entweder variable Zinsen vereinbart oder kurzfristige Darlehen aufgenommen werden, obwohl ein längerfristiger Finanzierungsbedarf besteht, und das Zinsderivat die kommunale Gebietskörperschaft gegen das sich daraus ergebende Zinsänderungsrisiko zumindest teilweise absichert. Zuständig für die Entscheidung der Kommune, ein Zinssicherungsgeschäft abzuschließen, ist die Vertretungskörperschaft gemäß § 45 Abs. 2 KVG LSA, weil der Abschluss eines Zinsderivategeschäftes kein Geschäft der laufenden Verwaltung ist und auch keine dringende Angelegenheit i. S. v. § 65 Abs. 4 KVG LSA. 2. In Ihrer Vorbemerkung steht: „Auf der Grundlage eines Erlasses des Ministeriums für Inneres und Sport vom 30. März 2012 wurden die Kommunen im Land Sachsen-Anhalt … darauf hingewiesen, dass der Einsatz von Zinsderivaten … grundsätzlich nicht in Betracht.“ Wie wurde das vor diesem Erlass gehandhabt? Anlass für die Herausgabe des Erlasses waren Berichte in überregionalen Zeitungen über das Scheitern von Spekulationsgeschäften namhafter Bankinstitute mit Milliardenverlusten. Bereits vor Bekanntgabe des Erlasses waren Spekulationsgeschäfte für die Kommunen im Land Sachsen-Anhalt wegen der damit verbundenen unkalkulierbaren Risiken verboten. Der Erlass sollte die Kommunen noch einmal für die Risiken sensibilisieren. 3. Die Kommunalaufsicht des Landkreises ABI hat als gesetzliche Regelungen bzw. als Orientierung Folgendes genannt: a) die Hinweise und Empfehlungen des Ministeriums der Finanzen des Landes Sachsen-Anhalt aus dem Jahr 2005, welche dem durch Zeitablauf zum 31. Dezember 2004 aufgehobenen Runderlass des MI vom 28.09.1999-32.14-10245/1 nachfolgten; b) die Rundverfügung des Landesverwaltungsamtes Nr. 26/07 vom 23. Oktober 2007 über den Einsatz von derivativen Finanzierungsinstrumenten und c) der von Ihnen genannte Erlass vom 30. März 2012. Sind in den genannten Regelungen Empfehlungen für die Benutzung der Derivate zu finden und in welcher Form? Einzige Ausnahme für den Abschluss von Derivategeschäften ist die Absicherung von Zinsänderungsrisiken aus Kreditgeschäften (Zinsderivate). Sollte eine Kommune sich mittels eines Zinsderivates gegen ein Zinsänderungsrisiko aus Kreditgeschäften absichern wollen, ist dies nur möglich, wenn das Zinsderivat in einem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang zum Kreditgeschäft (Grundgeschäft) steht (zeitliche und inhaltliche Konnexität). Darüber hinaus hat die Kommune bei Entscheidungen über den Einsatz von Zinsderivaten Folgendes zu dokumentieren : 3 a) das aktuelle Marktumfeld einschließlich einer aktuellen Analyse der Geld- und Kapitalmärkte (Marktrückblick) sowie einer Prognose der Entwicklung dieser Märkte (Marktausblick), b) die Zinsmeinung des für die Entscheidung zuständigen Bearbeiters, c) Einholung und Auswertung von Vergleichsangeboten einschließlich der Erstellung von Chancen- und Risikoprofilen der Angebote, d) den Zinssatz und den sich hieraus ergebenden Zinsaufwand im Finanzplanungszeitraum unter Berücksichtigung der geplanten Auszahlungen für die Tilgung sowie ggf. zu leistende Einmal- oder Prämienzahlungen und dergleichen , die sich aus dem Abschluss des geplanten Geschäfts ergeben, e) Eckpunkte der Beratung durch beteiligte Kreditinstitute, f) die Auswirkung der beabsichtigten Abschlüsse auf das Gesamtrisiko und auf die zu erwartenden Zinsaufwendungen, g) dass sie ihren Vertragspartner vor Abschluss eines derivativen Zinsgeschäftes von den durch die Kommune zu beachtenden Rechtsvorschriften und den damit verbundenen Pflichten in Kenntnis gesetzt hat. 4. Weiterhin argumentiert die Kommunalaufsicht, dass lediglich die Einrichtung eines Kreditmanagements und eine funktionierende Finanzverwaltung die Bedingung für den Einsatz von Derivaten war. Inwieweit geben diese eine Sicherheit in derivativen Geschäften? Das Eingehen von Derivatgeschäften setzt gemäß Nr. 5 der vom Ministerium der Finanzen herausgegebenen Hinweise und Empfehlungen vom 31. Mai 2005 auch eine gut funktionierende Finanzverwaltung voraus, zusätzlich wird die Einrichtung eines Kreditmanagements angeregt. Unabhängig davon ist das sich aus dem KVG LSA ergebende Spekulationsverbot stetig zu beachten (vgl. Antwort auf Frage 1). 5. Vonseiten des Landes wurde darüber hinaus empfohlen, sich von der Hausbank oder anderen Kreditinstituten beraten zu lassen und einen Rahmenvertrag abzuschließen. Inwieweit bildet eine Beratung zum eigenen Vorteil durch die Hausbank und ein Rahmenvertrag eine Sicherheit bei dem Abschluss von derivativen Geschäften? Banken und Finanzdienstleister sind vor dem Hintergrund der Risikobehaftetheit von Finanztermingeschäften, hierzu zählen auch Derivatgeschäfte, grundsätzlich dazu verpflichtet, ihre Kunden und Geschäftspartner über die mit dieser speziellen Anlageform verbundenen Risiken zu informieren und auch die Kenntnisse und Erfahrungen sowie finanzielle Verhältnisse und Anlageziele des Kunden zu ermitteln (vgl. §§ 31 ff. Wertpapierhandelsgesetz [WpHG]). Umfang und Intensität der einer Bank obliegenden Beratungspflichten richten sich dabei vorzugsweise nach der Frage, ob bei dem konkreten Geschäft, das zwischen Bank und Kunde zustande kommt, gleichzeitig auch ein Beratungsvertrag abgeschlossen wird. Ein solcher Beratungsvertrag muss nicht ausdrücklich vereinbart werden, sondern kommt im Zweifel stillschweigend zustande. Ein Beratungsvertrag verpflichtet die Bank zu einer anleger- und objektgerechten Beratung . Dazu gehören, soweit erforderlich, eine Exploration des Kunden sowie eine zutreffende, vollständige und geordnete Aufklärung über das Anlageobjekt. 4 Selbst dann, wenn im Einzelfall kein Beratungsvertrag geschlossen wird, verbleibt es bei der Verpflichtung für die Bank, den Kunden zum einen umfassend und zutreffend über das beabsichtigte Geschäft zu informieren und zum anderen Informationen über den Kunden einzuholen, damit sie die „Angemessenheit der Finanzinstrumente oder Wertpapierdienstleistungen für die Kunden“ beurteilen kann (§ 31 Abs. 5 WpHG). Zur Gestaltung von Zinsänderungsrisiken hatte das Ministerium der Finanzen die Empfehlung gegeben, vor Abschluss eines Zinsderivates einen Rahmenvertrag für Finanztermingeschäfte abzuschließen. In diesem Zusammenhang wird auf die Möglichkeit der Verwendung der deutschen Standardrahmenverträge des Bankenverbandes hingewiesen. 6. Inwieweit darf man bei festen Zinssätzen ein Derivatgeschäft zur Zinssicherung abschließen? Auf die Antwort auf Frage 1 der Landtagsdrucksache Nr. 7/1545 wird verwiesen. Danach kann bei Auseinanderfallen von kürzerer Zinsbindungsfrist und längerfristigem Finanzierungsbedarf ein bestehendes Zinsänderungsrisiko durch derivative Finanzierungsinstrumente zumindest teilweise abgesichert werden. 7. In welchem Umfang hat der Geschäftsführer die Verpflichtung, die Verbandsversammlung über Aktivitäten zu informieren? Die Entscheidung über den Einsatz von derivativen Finanzinstrumenten obliegt nach § 16 Abs. 1 des Gesetzes über kommunale Gemeinschaftsarbeit (GKG- LSA) i. V. m. § 45 KVG LSA grundsätzlich der Verbandsversammlung als Hauptorgan des Zweckverbandes im Wege der Beschlussfassung, da es sich dabei nicht um ein Geschäft der laufenden Verwaltung im Sinne des § 12 Abs. 1 Satz 2 GKG-LSA handelt, über das der Verbandsgeschäftsführer in eigener Verantwortung entscheiden dürfte. Beschließt die Verbandsversammlung den Abschluss von Zinsderivaten, hat der Verbandsgeschäftsführer den Beschluss zu vollziehen und die Verbandsversammlung nach Maßgabe des § 16 Abs. 1 GKG-LSA i. V. m. § 65 Abs. 2 KVG LSA über damit im Zusammenhang stehende wichtige Entwicklungen zu unterrichten . 8. Ist es vor 2012 grundsätzlich erlaubt gewesen, Derivate mit Memoryeffekt abzuschließen? Bereits in der Antwort auf Frage 2 wird darauf hingewiesen, dass Spekulationsgeschäfte für die Kommunen im Land Sachsen-Anhalt wegen der damit verbundenen unkalkulierbaren Risiken verboten sind. Unter Beachtung des Spekulationsverbotes und des Haushaltsgrundsatzes der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit obliegt es der Kommune, zu entscheiden, welches auf dem Markt angebotene derivative Finanzierungsinstrument sie auswählt. Wann ggf. durch die konkrete Vertragsgestaltung Derivate mit Memoryeffekt (sog. CMS-Memory-Swaps) vorrangig einen spekulativen Charakter besitzen, lässt sich nicht verallgemeinern, sondern ist immer einzelfallabhängig zu betrachten. 5 9. Durfte vor 2012 ein Geschäftsführer selbstständig Derivatgeschäfte abschließen ? Die aktuellen kommunalverfassungsrechtlichen Regelungen, die die Kompetenzen der Verbandsversammlung sowie des Verbandsgeschäftsführers normieren, entsprechen den Regelungen, die vor dem Jahr 2012 galten. Insoweit kann auf die Ausführungen zu Frage 7 verwiesen werden. 10. Wie wurde mit den Provisionen der Derivatgeschäfte verfahren? Wurden diese dem Abwasserverband gutgeschrieben? Die Landesregierung hat keine Erkenntnisse darüber, dass Abwasserzweckverbände Provisionszahlungen im Zusammenhang mit dem Abschluss von derivativen Finanzierungsinstrumenten erhalten haben.