Landtag von Sachsen-Anhalt Drucksache 7/228 10.08.2016 (Ausgegeben am 10.08.2016) Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung Abgeordnete Kristin Heiß (DIE LINKE) Zur Situation unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge in Sachsen-Anhalt Kleine Anfrage - KA 7/111 Antwort der Landesregierung erstellt vom Ministerium für Arbeit, Soziales und Integration 1. Wie viele unbegleitete minderjährige Flüchtlinge sind im Jahr 2015 und im 1. Halbjahr 2016 in Sachsen-Anhalt angelangt? Aufstellung bitte nach Alter und Geschlecht differenziert vornehmen. Ende 2015 befanden sich 930 unbegleitete minderjährige Ausländer*innen (UMA) in jugendhilferechtlicher Zuständigkeit eines Jugendamtes im Land Sachsen-Anhalt. Bis zum Stichtag 01.07.2016 stieg die Zahl auf 1.151 UMA an. Zur Geschlechtsstruktur kann für das Jahr 2015 keine Angabe gemacht werden . Zum Zeitpunkt 01.07.2016 sind ca. 95 % der UMA in Sachsen-Anhalt männlich und 5 % weiblich. Die Altersspanne zum Stichtag 31.10.2015 reicht von 3 bis 19 Jahren, wobei die Gruppe der 15- bis 18-Jährigen ca. 83 % des Gesamtanteils ausmacht, und zum Stichtag 01.07.2016 von 2 bis 19 Jahren (88 % 15- bis 18-Jährige). Im Hinblick auf die Angaben zur Altersspanne ist anzumerken, dass sehr junge Kinder in der Begleitung von Verwandten nach Deutschland gelangt sein können und Jugendlichen über 18 Jahre in begründeten Einzelfällen Hilfen für junge Volljährige nach § 41 SGB VIII gewährt werden. 2. Wo und wie wurden diese untergebracht? Aufstellung bitte nach Landkreisen und kreisfreien Städten differenziert vornehmen. Unbegleitete ausländische Kinder und Jugendliche werden im Land Sachsen Anhalt ausschließlich in betriebserlaubnispflichtigen Einrichtungen nach § 45 2 SGB VIII untergebracht. Hierzu zählen Wohnformen wie Kinderheime, Erziehungsfachstellen und Betreutes Wohnen, in denen in der Regel deutsche und ausländische Kinder und Jugendliche gemeinsam betreut werden. Am 01.07.2016 verteilten sich die UMA wie folgt auf die Landkreise und kreisfreien Städte: Jugendamt Landkreis/kreisfreie Stadt  UMA  Altmarkkreis Salzwedel  45   Anhalt‐Bitterfeld  97   Börde  68   Burgenlandkreis  81   Dessau‐Roßlau  45   Halle  124   Harz  101   Jerichower Land  64   Magdeburg  118   Mansfeld‐Südharz  71   Saalekreis  99   Salzlandkreis  98   Stendal  82   Wittenberg  58   Insgesamt  1.151  3. Wie gestaltet sich die soziale und psychologische Betreuung und Begleitung dieser Kinder und Jugendlichen? Die Leistungen des zuständigen Jugendamts und damit die Betreuung dieser Kinder und Jugendlichen richten sich nach § 42 SGB VIII (Inobhutnahme von Kindern und Jugendlichen). Die soziale Betreuung und Begleitung von ausländischen Kindern und Jugendlichen beginnt mit dem sog. Clearing, das regelmäßig u. a. Folgendes beinhaltet: - eine umfangreiche Anamnese, - pädagogische Betreuung sowie ggf. psychologische Hilfen in Verbindung mit Aufklärung und Beratung über rechtliche Belange, - Kontaktaufnahme zur örtlich zuständigen Ausländerbehörde, - Unterstützung einer fachgerechten Durchführung des asyl- und ausländerrechtlichen Verfahrens, - Zusammenarbeit mit dem Vormund und Kontaktherstellung zu Bezugspersonen durch die Suche nach Familienangehörigen und Verwandten (ggf. Familienzusammenführung ). 3 Auch dient das Clearing der Feststellung des individuellen Hilfebedarfs. Im sich anschließenden - für alle Kinder einheitlichen - Hilfeplanverfahren nach § 36 SGB VIII wird der individuelle Hilfeplan für jedes Kind bzw. jede/n Jugendliche/n aufgestellt und werden damit der erzieherische Bedarf, die zu gewährende Art der Hilfe sowie die notwendigen Leistungen, z. B. auch die geeignete Betreuungs - und Unterbringungsform, festgelegt. Für die psychologische Betreuung ausländischer Kinder und Jugendlicher stehen die ambulanten und stationären medizinischen Versorgungsstrukturen sowie teilweise trägerinterne psychologisch -therapeutische Dienste zur Verfügung. Dabei richten sich psychologische Angebote nach dem individuellen Hilfebedarf der Kinder und Jugendlichen. 4. Welche Pläne verfolgt die Landesregierung bezüglich der Unterbringung und sozialen und psychologischen Betreuung für die Zukunft? Ausgestaltung und Durchführung der Aufgaben des SGB VIII im Einzelnen fallen in den eigenen Wirkungskreis der Kommunen. Die Landesregierung wird weiterhin auf einen gleichmäßigen Ausbau der Angebote hinwirken und die Jugendämter bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben unterstützen. 5. Mit wie vielen unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen, die in Sachsen- Anhalt unterzubringen und zu betreuen sind, rechnet die Landesregierung in den kommenden Jahren? Prognosen über den Umfang der Flüchtlingsbewegungen nach Deutschland und damit auch über die Entwicklung der Zahl der minderjährigen unbegleiteten ausländischen Kinder und Jugendlichen in zukünftigen Jahren sind angesichts der Vielzahl der bekannten Bedingungsfaktoren faktisch nicht möglich. 6. Wie gestaltet sich die Beschulung der Kinder und Jugendlichen? Durch wen und auf welcher Basis erfolgen die Qualifikationsfeststellungen? Welche Schulformen werden besucht und welche Kriterien werden der Entscheidung für die jeweilige Schulform zugrunde gelegt? Wie viel Zeit vergeht zwischen Ankunft und Schulbesuch durchschnittlich und wie wird die Einhaltung der UNKinderrechtskonvention sichergestellt? Bitte detailliert darstellen. Der Besuch einer Schule ist für alle im Land Sachsen-Anhalt wohnenden Kinder und Jugendlichen und somit auch für den Personenkreis der unbegleiteten minderjährigen Ausländer*innen (UMA) gemäß § 36 SchulG LSA verpflichtend. Das Recht auf Bildung nach Artikel 28 UN-Kinderrechtskonvention wird hiermit sichergestellt. Die beauftragten Vormünder und Pflegschaften haben die UMA unverzüglich nach Übernahme der Vormund- bzw. Pflegschaft in der Schule anzumelden. Zur Zeitspanne zwischen Ankunft und Schulbesuch liegen der Landesregierung keine repräsentativen Daten vor. Nach Auskunft der Heimaufsicht, basierend auf Rückmeldungen einzelner Einrichtungsträger, beträgt der Zeitraum gegenwärtig vier bis sechs Wochen. Mit der Anmeldung beginnt in der Regel unverzüglich der Schulbesuch. 4 Die Anmeldung der UMA durch die beauftragten Vormünder und Pflegschaften in den allgemeinbildenden Schulen des Landes erfolgt in der Regel dem Alter und der Vorbildung entsprechend an der Grundschule, der Sekundarschule, der Gesamtschule oder der Gemeinschaftsschule. Sofern die Voraussetzungen der Übergangsverordnung, der Oberstufenverordnung oder der Abschlussverordnung erfüllt sind, kann im Einzelfall auch eine Anmeldung am Gymnasium erfolgen . Eine formale Qualifikationsfeststellung erfolgt vor der Anmeldung der UMA an den allgemeinbildenden Schulen zunächst nicht. Die Schülerinnen und Schüler werden vielmehr in konkrete Lernsituationen gebracht, um sie über einen längeren Zeitraum beobachten und einschätzen zu können und daraus folgend Schullaufbahnentscheidungen zu treffen. Sobald sich im Schulalltag zeigt, dass die Förderung an einer Schule einer anderen Schulform der Allgemeinbildung besser erfolgen kann, ist der Übergang im Einzelfall flexibel möglich und nicht an die regulären Zeitpunkte gebunden. Zur generellen Thematik der Qualifikationsfeststellungen bzw. Potenzialfeststellungsanalyseverfahren befinden sich die Bundesländer bereits in einem intensiven Diskurs. Eine belastbare einzelfallbezogene Qualifikationsfeststellung stellt eine große Herausforderung dar und ist aktuell in Sachsen-Anhalt keine angewandte Praxis. Im Hinblick auf die Vielzahl der Sprachen, sehr heterogene Kulturen , ausgesprochen differenzierte Schullaufbahnen, Fluchterlebnisse und Traumatisierungen, die bei den Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund zu berücksichtigen sind, wird eine Qualifikationsfeststellung sowohl aus pädagogisch-psychologischen als auch aus organisatorischen Gründen von Fachleuten derzeit nicht empfohlen. Die weitere Entwicklung der Diskussionen bleibt abzuwarten. Kernaufgabe schulischer Integration ist und bleibt das Erlernen der deutschen Sprache. Für Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund und somit auch für UMA an allgemeinbildenden Schulen sind daher Sprachförderklassen und -gruppen eingerichtet, wobei mehrere Sprachfördergruppen auch an einem Standort gebildet wurden. Diese Schülerinnen und Schüler sind zudem von Beginn an in Fächern wie Sport, Musik und Gestalten einer Regelklasse zugeordnet . Diese soziale Zugehörigkeit ist ein wichtiger Baustein der schulischen Integration . In den berufsbildenden Schulen wurden allein vom Jahresbeginn 2016 an ca. 1.000 UMA und somit der überwiegende Teil dieses Personenkreises dem Alter entsprechend in die berufsbildenden Schulen aufgenommen. Die Beschulung an berufsbildenden Schulen erfolgt im Rahmen des einjährigen Berufsvorbereitungsjahres nach der Verordnung über das Berufsvorbereitungsjahr (BVJ-VO) vom 25. Juni 2013 (GVBl. LSA S. 374) in der Regel bei Nichtvorliegen eines Schulabschlusses und bei geringen Sprachkenntnissen. Die Möglichkeit der Teilnahme am Intensivkurs Deutsch in Lerngruppen oder Klassen ist nach § 6 Abs. 4 BVJ-VO für Schülerinnen und Schüler, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, vorgesehen. Im einjährigen BVJ-S (BVJ für Schülerinnen und Schüler nichtdeutscher Herkunftssprache ohne Schulabschluss und in der Regel ohne Deutschkenntnisse) liegt der Schwerpunkt in der Vermittlung umfangreicherer Deutschförderung, die mit beruflichen Inhalten kombiniert ist. Nach oder während des BVJ-S ist der Übergang in das reguläre BVJ möglich, u. a. zum Erwerb des Hauptschulabschlusses. 5 Bei Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund und ausreichenden Kenntnissen der deutschen Sprache (mindestens Niveaustufe B 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen (GER)) ist die direkte Aufnahme in bestehende Bildungsgänge der berufsbildenden Schulen bei Erfüllen der Aufnahmevoraussetzungen für den jeweiligen Bildungsgang möglich. 7. Wie positioniert sich die Landesregierung zum u. a. im Bundesrat diskutierten Vorschlag, Leistungen und Instrumente der Jugendhilfe für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge künftig nur noch bis zum 18. Lebensjahr zu gewähren? Für eine Änderung des mit der Frage angesprochenen § 41 SGB VIII sieht die Landesregierung keinen Bedarf.