Landtag von Sachsen-Anhalt Drucksache 7/2309 11.01.2018 (Ausgegeben am 11.01.2018) Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung Abgeordnete Christina Buchheim (DIE LINKE) Abgeordnete Kristin Heiß (DIE LINKE) Riskante Spekulationsgeschäfte in Kommunen (derivative Finanzierungsinstrumente ) Kleine Anfrage - KA 7/1299 Vorbemerkung des Fragestellenden: Die ehemalige Oberbürgermeisterin der Stadt Pforzheim, Christel Augenstein, ist vor kurzem wegen Untreue sowie Beihilfe zur Untreue zu einer Haftstrafe verurteilt wurden . Auch die frühere Kämmerin von Pforzheim wurde zu einer Haftstrafe verurteilt. Beide Strafen wurden zur Bewährung ausgesetzt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig . Hintergrund sind seit 2002 abgeschlossene riskante Zinswetten, woraus der Kommune für die Jahre 2014 bis 2017 Verluste von bis zu 77,5 Millionen Euro drohten . Durch Vergleiche mit den beteiligten Banken soll der Schaden begrenzt worden sein. Antwort der Landesregierung erstellt vom Ministerium für Inneres und Sport Namens der Landesregierung beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: 1. Sind im Land Sachsen-Anhalt Fälle bekannt, in denen Kommunen bzw. deren Eigenbetriebe und Beteiligungen hochriskante Zinswetten eingegangen sind? Wenn ja, welche finanziellen Verluste drohen den Kommunen ? Bitte auflisten. Welche dieser Geschäfte laufen noch? Der Landesrechnungshof hat die oberste Kommunalaufsichtsbehörde im Dezember 2017 darüber informiert, dass er eine überörtliche Prüfung von Kommunen und Zweckverbänden des Landes Sachsen-Anhalt mit dem Schwerpunkt „Derivatgeschäfte und deren Auswirkungen auf die Haushalts- und Wirtschaftsführung von Kommunen und Zweckverbänden“ durchführt. Die Erhe- 2 bungen sollen bei allen Kommunen und Zweckverbänden (Trinkwasserversorgung /Abwasserbeseitigung), welche in den Zuständigkeitsbereich des Landesrechnungshofes fallen, durchgeführt werden. Nach den der Landesregierung vorliegenden Informationen ist die Prüfung noch nicht abgeschlossen. 2. Sind den Kommunalaufsichtsbehörden Klageverfahren oder Vergleichsabschlüsse bekannt? Wenn ja, bitte auflisten. Allgemein haben die Kommunalaufsichtsbehörden unabhängig von Frage 1 berichtet , dass der Abwasserverband Köthen einen außergerichtlichen Vergleich mit der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) abgeschlossen haben soll. 3. Welche rechtlichen Vorgaben galten für den Einsatz von Zinsderivaten? Der Erlass des Ministeriums für Inneres und Sport vom 30. März 2012 stellt klar, dass es der Kommune wegen der Verpflichtung zur sorgfältigen Vermögensverwaltung und zur Beachtung ausreichender Sicherheiten bei Geldanlagen gemäß § 112 Abs. 2 Kommunalverfassungsgesetz des Landes Sachsen- Anhalt (KVG LSA), zur dauerhaften Sicherstellung der gemeindlichen Aufgabenerfüllung gemäß § 98 Abs. 1 Satz 1 KVG LSA sowie zu sparsamer und wirtschaftlicher Haushaltsführung gemäß § 98 Abs. 2 KVG LSA nicht gestattet ist, unkalkulierbare Risiken mit kommunalem Vermögen einzugehen (Spekulationsverbot ). Daraus folgt, dass der Einsatz von Zinsderivaten in kommunalen Körperschaften in Sachsen-Anhalt grundsätzlich nicht in Betracht kommt. Um sich gegen ein Zinsänderungsrisiko aus Kreditgeschäften abzusichern, können kommunale Körperschaften ausnahmsweise Zinsderivate einsetzen, wenn das Zinsderivat in einem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang zum Kreditgeschäft (Grundgeschäft) steht (zeitliche und inhaltliche Konnexität). Dies ist der Fall, wenn sich aus einem oder mehreren Darlehensverträgen der kommunalen Körperschaft deshalb ein Zinsänderungsrisiko ergibt, weil entweder variable Zinsen vereinbart werden oder kurzfristige Darlehen aufgenommen werden, obwohl ein längerfristiger Finanzierungsbedarf besteht, und das Zinsderivat die kommunale Gebietskörperschaft gegen das sich daraus ergebende Zinsänderungsrisiko zumindest teilweise absichert. 4. Wie beurteilt die Landesregierung vor dem Hintergrund der gerichtlichen Niederlage der Pforzheimer Ex-Bürgermeisterin die Situation in Sachsen- Anhalt? Die Landesregierung sieht sich angesichts der Risiken im Zusammenhang mit derivativen Finanzierungsinstrumenten darin bestätigt, auf diese Risiken bereits mit Erlass vom 30. März 2012 hingewiesen zu haben. 5. Wie beurteilt die Landesregierung zivilrechtliche Haftungsansprüche? In Abhängigkeit des jeweiligen konkreten Sachverhaltes kann z. B. die Verletzung von bankseitigen Beratungspflichten zumindest zu Mitverantwortlichkeiten der Bank führen. 3 6. Die Mitteldeutsche Zeitung (MZ) Köthen berichtete im Juni 2015 über einen Derivatehandel des Abwasserverbandes Köthen, wo durch einen außergerichtlichen Vergleich mit der Bank mögliche Umlagen für die Stadt Köthen und die Stadt Südliches Anhalt drohen. Wie beurteilt die Landesregierung diesen Sachverhalt? Wie beurteilt die Landesregierung die Testateinschränkungen der Jahresabschlüsse ab 2013 des Abwasserverbandes Köthen? Der Abschluss eines außergerichtlichen Vergleichs des Abwasserverbandes Köthen mit der Bank könnte ein Indiz dafür sein, dass das ursprüngliche Derivatgeschäft auch spekulativen Charakter hatte. Insoweit wurde die zuständige Kommunalaufsichtsbehörde gebeten, eine erneute Überprüfung des Sachverhalts vorzunehmen. Vor diesem Hintergrund ist es der Landesregierung zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht möglich, eine abschließende Bewertung der Thematik vorzunehmen.