Landtag von Sachsen-Anhalt Drucksache 7/2348 19.01.2018 (Ausgegeben am 19.01.2018) Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung Abgeordnete Kerstin Eisenreich (DIE LINKE) Faire und rechtssichere Erhebung von Kommunalabgaben Keine Beitragserhebungspflicht für leitungsgebundene Ver- und Entsorgung Kleine Anfrage - KA 7/1318 Vorbemerkung der Fragestellenden: In ihrem Koalitionsvertrag vereinbarten CDU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, dass die Koalitionspartner für eine faire und rechtssichere Erhebung der Kommunalabgaben eintreten. Auf Seite 24 dieser Vereinbarung ist diesbezüglich u. a. zu lesen: „Zusätzlich werden wir die Beitragserhebungspflicht für leitungsgebundene Ver- und Entsorgung lockern und die Möglichkeit eröffnen, von der Erhebung von Beiträgen abzusehen.“ Sachsen-Anhalt wartet bisher vergeblich auf die rechtsichere Umsetzung dieses Vorhabens. Mit Beschluss vom 5. März 2013 hatte das BVerfG entschieden, dass es notwendig ist, im Kommunalabgabenrecht eine abschließende Zeitgrenze zu normieren, bis zu der Beitragspflichtige nach Entstehen der Möglichkeit zur Inanspruchnahme einer öffentlichen Wasserversorgungs- oder Abwasserbeseitigungsanlage mit der Erhebung von Anschlussbeiträgen rechnen müssen. Demnach war der Gesetzgeber dazu verpflichtet , z. B. durch Verjährungsregelungen sicherzustellen, dass Anschlussbeiträge nach Eintritt einer beitragspflichtigen Vorteilslage nicht zeitlich unbegrenzt festgesetzt werden können. In Sachsen-Anhalt hat der Landesgesetzgeber daraufhin das Kommunalabgabengesetz durch Einfügen des § 13 b und § 18 Abs. 2 KAG novelliert. Seitdem gilt grundsätzlich, dass Abgabenfestsetzungen mit Ablauf des zehnten Kalenderjahres , das auf den Eintritt der Vorteilslage folgt, ausgeschlossen sind. Unklar ist aber geblieben, WANN von einem Eintritt der Vorteilslage gesprochen werden kann. Das Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt beschreitet in dieser Frage nun einen Weg, der die genannten Vorschriften durchaus aushebeln könnte. Es vertritt in einer Entscheidung vom 29. September 2017 (4 M 131/17) die Auffassung, dass die Vorteilslage jedes Mal ganz neu entstehen könne, wenn Verbände sich zusammenschließen oder eine Gemeinde auch nur einem Zweckverband beitritt. Denn dann sei 2 die ursprüngliche Anlage, für deren Errichtung ein Beitrag zu fordern war, nicht mehr identisch mit der aktuellen Anlage nach dem Zusammenschluss oder Beitritt. Antwort der Landesregierung erstellt vom Ministerium für Inneres und Sport 1. Bis wann wollen Sie das im Koalitionsvertrag formulierte Ziel verwirklichen ? Hierüber wird im Laufe der Legislaturperiode entschieden. 2. Welche gesetzlichen und untergesetzlichen Vorschriften wollen Sie zur Umsetzung des Vorhabens in welcher Weise ändern? Siehe Antwort auf Frage 1. 3. In welcher Weise beabsichtigen Sie, im Zuge der vorgesehenen Reform die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Aufgabenträger der Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung zu berücksichtigen? Siehe Antwort auf Frage 1. 4. Mit welchen Auswirkungen auf die Gebührenentwicklung rechnen Sie bei einem Verzicht auf die Beitragserhebung bei den einzelnen Aufgabenträgern ? Ein Verzicht auf die Beitragserhebung für leitungsgebundene Anlagen hätte grundsätzlich zur Folge, dass sich die finanziellen Belastungen der Bürger auf den gesamten Nutzungszeitraum der Anlage (z. B. über 50 Jahre) verteilen würden . Wenn Beitragseinnahmen für Investitionsmaßnahmen nicht zur Verfügung stehen, müsste die Vorfinanzierung über Kredite erfolgen, die die Leistung von Zins und Tilgung nach sich ziehen. Anders als Zinsen sind Kosten für die Tilgung von Krediten und damit die eigentlichen Investitionskosten nicht ansatzfähig. Aufgrund der Laufzeiten der Investitionskredite können die zusätzlichen Zinsen in die Gebührenkalkulation eingestellt werden. Bei der Systemumstellung von einer Beitrags- zu einer Gebührenfinanzierung müsste eine Doppelbelastung von Eigentümern, die in der Vergangenheit bereits einen Beitrag gezahlt haben, vermieden werden. Es könnten anstelle einheitlicher Benutzungsgebühren unterschiedlich hohe Gebührensätze für die Benutzung der öffentlichen Einrichtung festgesetzt werden. Weiterhin wäre es zulässig, denjenigen Gebührenschuldnern, die bereits Beiträge entrichtet haben, einen Teil der Benutzungsgebühren wegen sachlicher Unbilligkeit zu erlassen (§ 13a KAG-LSA i. V. m. § 227 Abgabenordnung). 3 5. Welche Risiken sehen Sie für eine faire und rechtssichere Erhebung von Kommunalabgaben in Sachsen-Anhalt vor dem Hintergrund solcher Entscheidungen wie der des Oberverwaltungsgerichtes Sachsen-Anhalt vom 29. September 2017 (4 M 131/17) und welche Herausforderungen ergeben sich in diesem Zusammenhang für die Landespolitik? Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt (OVG LSA) vom 29. September 2017 ist im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ergangen. Das Oberverwaltungsgericht ist in summarischer Prüfung zu der Auffassung gelangt, dass überwiegende Gründe für die Rechtmäßigkeit der erneuten Beitragserhebung sprechen. Die abschließende Entscheidung im Hauptsacheverfahren steht noch aus. Erst danach können eindeutige Schlussfolgerungen zu den Auswirkungen getroffen werden. Das Verwaltungsgericht (VG) Magdeburg hat mit seinem Urteil vom 13. Juni 2017 (9 A 37/15 MD) in einem vergleichbaren Fall den beklagten Beitragsbescheid aufgehoben und im Unterschied zum OVG LSA eine grundstücks- und nicht einrichtungsbezogene Auffassung vertreten. Danach könne der einmal einer sachlichen Beitragspflicht unterworfene Grundstückseigentümer auch bei einem Wechsel des Aufgabenträgers nicht erneut zu einem Beitrag herangezogen werden. In diesem Verfahren wird es voraussichtlich noch zu einer Entscheidung in der Hauptsache durch das OVG LSA kommen.