Landtag von Sachsen-Anhalt Drucksache 7/2644 23.03.2018 (Ausgegeben am 26.03.2018) Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung Abgeordnete Henriette Quade (DIE LINKE) Löschung sowie Vernichtung von Akten und Unterlagen zu den drei Todesfällen im Dessauer Polizeigewahrsam Kleine Anfrage - KA 7/1523 Vorbemerkung des Fragestellenden: In den letzten Tagen und Wochen berichteten Medien über die mögliche Vernichtung sowie Löschung von Akten, die in Zusammenhang mit drei Todesfällen bei der Polizei in Dessau stehen. Die Mitteldeutsche Zeitung sowie die Tageszeitung (taz.) informierten dahingehend, dass das „Innenministerium bestätigt hat, dass wichtige Papiere vernichtet worden sind. Damit zeichnet sich ab, dass die Aufklärung eines möglichen Zusammenhangs zwischen den insgesamt drei Todesfällen bei der Dessauer Polizei extrem schwierig bis unmöglich ist.“ Im Einzelnen erklärte das Innenministerium: „Zum Todesfall des Hans-Jürgen Rose sind keine polizeilichen Erkenntnisse mehr vorhanden. Es liegen keine Unterlagen - weder in schriftlicher noch in digitaler Form - vor.“ Im Todesfall Mario Bichtemann ist nach Auskunft des Innenministeriums „das strafrechtliche Verfahren gegen zwei Polizeibeamte eingestellt worden. Auch Papiere zu Disziplinarverfahren gegen zwei andere Polizisten im Zusammenhang mit dem Ableben von Mario Bichtemann seien nicht mehr vorhanden.“ Die Mitteldeutsche Zeitung vom 12. Januar 2018 berichtete mit Blick auf die Akten im Todesfall Oury Jalloh Folgendes: „Offen ist, ob alle in dem Fall gefertigten Papiere noch vorliegen. Die Generalstaatsanwaltschaft kann nicht ausschließen, dass wichtige Unterlagen bereits vernichtet worden sind.“ Dem entgegen steht die Aussage des Oberstaatsanwaltes Klaus Tewes (Generalstaatsanwaltschaft Naumburg) gegenüber dem SPIEGEL, der sagt: „Sämtliche Er- 2 mittlungsakten zu den Fällen Bichtemann und Rose würden noch vollständig existieren und lägen den Ermittlern in Naumburg vor. Die Berichte über angeblich vernichtete Akten bezögen sich möglicherweise auf interne Notizen der örtlichen Polizei. Die gehören aber nicht zu den Ermittlungsakten.“ Antwort der Landesregierung erstellt vom Ministerium für Inneres und Sport Namens der Landesregierung beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Vorbemerkung der Landesregierung: § 106 der bis zum 30. Juni 2006 geltenden Disziplinarordnung Sachsen-Anhalt (DO LSA), (GVBl. LSA 1994, 582), in Verbindung mit der Tilgungsverordnung (TilgVO), (GVBl. LSA 1995, 209), regelte, dass Vorgänge und Eintragungen über Disziplinarverfahren , die durch Verweis, Geldbuße, Gehaltskürzung, Freispruch, Einstellung oder Aufhebung abgeschlossen wurden, unter Beachtung der Tilgungsfristen in § 106 Abs. 1 DO LSA von Amts wegen zu tilgen, das heißt zu vernichten sind. Die festgelegten Fristen für das Verwertungsverbot betrugen vor dem 1. Juli 2006 bezüglich eines Verweises und einer Geldbuße drei Jahre, bei einer Gehaltskürzung fünf Jahre. Die Frist begann mit dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Entscheidung. Im Fall der Einstellung eines Disziplinarverfahrens waren Vorgänge zu Disziplinarverfahren bereits ohne Einhaltung einer Frist, d. h. mit Unanfechtbarkeit der Entscheidung zu vernichten. Seit dem Inkrafttreten des Disziplinargesetzes Sachsen-Anhalt (DG LSA) am 1. Juli 2006 (GVBl. LSA 2006, 102) betragen die Fristen für das Verwertungsverbot und die Entfernung und Vernichtung von Disziplinarvorgängen aus der Personalakte gemäß § 16 DG LSA für einen Verweis, eine Geldbuße, eine Kürzung der Dienstbezüge sowie eine Kürzung der Ruhebezüge einheitlich drei Jahre und für eine Zurückstufung sieben Jahre. Für die Fälle des § 32 Abs. 1 Nr. 1 DG LSA, in denen ein Dienstvergehen nicht erwiesen ist, tritt das Verwertungsverbot und die Entfernung und Vernichtung von Disziplinarvorgängen bereits mit Unanfechtbarkeit der Entscheidung ein. 1. Welche Informationen kann die Landesregierung zu den in der Presse dargestellten Sachverhalten geben? Die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten den Tod des Herrn Ouri Jallow1 betreffend, die Gegenstand der beiden Hauptverhandlungen vor den Landgerichten in Dessau-Roßlau und Magdeburg waren, liegen der Generalstaatsanwaltschaft Naumburg in vollständiger Form vor. Gleiches gilt für die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten betreffend das von dieser zu überprüfende Verfahren wegen Verdachts des Mordes zum Nachteil des Herrn Ouri Jallow sowie hinsichtlich der Todesfälle der Herren Mario Bichtemann und Hans- Jürgen Rose. Kopien dieser der Generalstaatsanwaltschaft vorliegenden Akten sind Anfang Februar 2018 der Geheimschutzstelle des Landtages übergeben worden. 1 Vorliegend wird einheitlich die vom Landgericht Magdeburg - 1. Große Strafkammer - gewählte Schreibweise des Namens Ouri Jallow verwandt. 3 Im Rahmen der Beantwortung einer Presseanfrage wurde der Mitteldeutschen Zeitung am 2. Februar 2018 vom Ministerium für Inneres und Sport mitgeteilt, dass zum Todesfall des Herrn Hans-Jürgen Rose keine polizeilichen Erkenntnisse mehr vorhanden seien und bei der Polizei keine Unterlagen (weder in schriftlicher noch in digitaler Form) mehr vorlägen. Des Weiteren wurde an die ermittlungsführende Staatsanwaltschaft verwiesen; es besteht mithin keinerlei Widerspruch zu den Aussagen des Oberstaatsanwaltes Klaus Tewes (Generalstaatsanwaltschaft Naumburg) gegenüber dem SPIEGEL. Gleiches gilt in Bezug auf den Todesfall des Herrn Mario Bichtemann. Insoweit hat das Ministerium für Inneres und Sport der Mitteldeutschen Zeitung am 2. Februar 2018 mitgeteilt, dass in zwei Disziplinarverfahren im Zusammenhang mit dem Todesfall des Herrn Mario Bichtemann Disziplinarakten nicht mehr vorlägen . Zu den strafrechtlichen Ermittlungsakten hat sich das Ministerium für Inneres und Sport indessen nicht geäußert. 2. Kann die Landesregierung die Vernichtung sowie Löschung von Akten und Unterlagen zu den drei Todesfällen im Dessauer Polizeigewahrsam (Oury Jalloh, Mario Bichtemann, Hans-Jürgen Rose) bestätigen? Im Zuständigkeitsbereich der Staatsanwaltschaften wurden keine Ermittlungsakten betreffend die Todesfälle der Herren Ouri Jallow, Mario Bichtemann und Hans-Jürgen Rose gelöscht oder vernichtet. Sie liegen der Generalstaatsanwaltschaft vollständig im Original und dem Landtag in Kopie vor. Hinweise zu Disziplinarverfahren im Zusammenhang mit dem Todesfall des Herrn Hans-Jürgen Rose im Jahr 1997 liegen dem Ministerium für Inneres und Sport nicht vor. Im Zusammenhang mit dem Todesfall des Herrn Mario Bichtemann im Oktober 2002 wurden nach den dem Ministerium für Inneres und Sport vorliegenden Informationen gegen drei Polizeibeamte des Polizeireviers Dessau/ Roßlau sogenannte disziplinarrechtliche Vorermittlungen eingeleitet. In zwei Fällen wurden die Disziplinarvorgänge aufgrund des Eintritts des Verwertungsverbots von Amts wegen gemäß § 106 Abs. 1 DO LSA entfernt und vernichtet. In einem Fall wurden die disziplinaren Vorermittlungen zum Todesfall des Herrn Mario Bichtemann im Januar 2005 beendet, und es wurde aufgrund des Todesfalles des Herrn Ouri Jallow im Februar 2005 gegen denselben Polizeibeamten des Polizeireviers Dessau / Roßlau ein förmliches Disziplinarverfahren unter Einbeziehung des Todesfalles des Herrn Mario Bichtemann eingeleitet. Der entsprechende Disziplinarvorgang liegt noch vor, da das Disziplinarverfahren noch nicht abgeschlossen ist. Weitere Disziplinarvorgänge gegen Polizeibeamte im Zusammenhang mit dem Todesfall des Herrn Ouri Jallow wurden aufgrund des Eintritts des Verwertungsverbots gemäß § 16 DG LSA von Amts wegen entfernt und vernichtet. 3. Kann die Landesregierung die Aussage des Oberstaatsanwaltes Tewes unterstützen bzw. belegen? Bitte begründen. 4 Wenn ja, wie verhält sich diese Aussage zu bisher veröffentlichten Äußerungen des Innenministeriums? Der Bericht der Mitteldeutschen Zeitung vom 12. Januar 2018, der von der Tageszeitung (taz) anscheinend ungeprüft übernommen wurde, gibt die Medieninformation der Pressestelle der Generalstaatsanwaltschaft Naumburg unzutreffend wieder. Die Generalstaatsanwaltschaft hatte eine Presseanfrage der Mitteldeutschen Zeitung am 10. Januar zum Komplex Ouri Jallow dahingehend schriftlich beantwortet , dass bislang nicht alle Akten bei der Generalstaatsanwaltschaft eingegangen seien, weil ein Teil noch von den aktenführenden Behörden für den Landtag kopiert werden müsse und erst dann die Originale an die Generalstaatsanwaltschaft versandt würden. Auch die Akten zum Fall „Hans-Jürgen Rose“ lägen deswegen noch nicht vor. Die weitere allgemein gestellte Frage: „Wie lange werden Unterlagen der Staatsanwaltschaft aufgehoben?" wurde ebenfalls schriftlich dahin beantwortet, dass sich dies nach den sog. Aufbewahrungsbestimmungen (GVBL. LSA Nr. 7/2015) richte, die je nach Tatvorwurf und Erledigungsart - zeitlich gestaffelt - eine Verwahrdauer von fünf bis max. 30 Jahren vorschreiben. Wie es bei diesen eindeutigen schriftlichen Antworten nur zwei Tage später zu der Meldung in der Mitteldeutschen Zeitung kam, „es sei offen, ob alle in dem Fall gefertigten Papiere noch vorlägen und die Generalstaatsanwaltschaft könne nicht ausschließen, dass wichtige Unterlagen bereits vernichtet worden sind“, ist nicht nachvollziehbar. Gleiches gilt für die offensichtlich unkritische Weiterverbreitung dieser Meldung, ohne - im Gegensatz zu SPIEGEL-online - durch Anfrage bei der Generalstaatsanwaltschaft nach zu recherchieren. Die in „SPIEGEL-online“ wiedergegebene Aussage des Pressesprechers der Generalstaatsanwaltschaft trifft demgegenüber in vollem Umfang zu und gibt den derzeitigen Erkenntnisstand zutreffend wieder, zumal Kopien der in diesem Interview erwähnten - noch vollständig existierenden - Ermittlungsakten auch dem Landtag zur Einsicht vorliegen . 4. Wenn die Frage unter Ziffer 2 seitens der Landesregierung bejaht wurde, welche Akten und Unterlagen - einschließlich der Akten zu Disziplinarverfahren - sind von der Vernichtung bzw. Löschung betroffen? Bitte differenziert nach den einzelnen Todesfällen aufführen. Disziplinarvorgänge zu zwei Polizeibeamten des Polizeireviers Dessau / Roßlau , die mit dem Todesfall des Herrn Mario Bichtemann in Zusammenhang stehen , wurden - mit Ausnahme des noch laufenden Disziplinarverfahrens gegen einen weiteren Polizeibeamten - aufgrund des Eintritts des Verwertungsverbots gemäß § 106 Abs. 1 DO LSA von Amts wegen entfernt und vernichtet. Disziplinarvorgänge zu weiteren Polizeibeamten, die mit dem Todesfall des Ouri Jallow in Zusammenhang stehen, wurden - mit Ausnahme des noch laufenden Disziplinarverfahrens gegen einen Polizeibeamten - aufgrund des Eintritts des 5 Verwertungsverbots gemäß § 16 DG LSA von Amts wegen entfernt und vernichtet . 5. Aus welchen Gründen und auf welcher Grundlage wurden die Akten und Unterlagen gelöscht bzw. vernichtet? Disziplinarvorgänge wurden aufgrund des Eintritts des Verwertungsverbots auf Grundlage des § 106 Abs. 1 DO LSA bzw. seit dem 1. Juli 2016 auf Grundlage des § 16 DG LSA von Amts wegen entfernt und vernichtet. 6. Werden die Vernichtung und die Löschung von Akten und Unterlagen aus Sicht der Landesregierung die Aufklärung eines möglichen Zusammenhangs zwischen den insgesamt drei Todesfällen erschweren oder sogar unmöglich machen? Die Generalstaatsanwaltschaft hat keine Zweifel, dass anhand der vorliegenden Ermittlungsakten sowohl die Umstände der Todesverursachung im Hinblick auf eine strafrechtlich relevante individuelle Verantwortlichkeit von Personen als auch mögliche Zusammenhänge der drei Todesfälle ermittelt und bewertet werden können. Die Landesregierung hat gegenwärtig keinen Grund, diese Einschätzung anders zu bewerten. 7. Sind zum gegenwärtigen Zeitpunkt alle Disziplinarverfahren gegen Polizeibeamte , die im Zusammenhang mit dem Todesfall Oury Jalloh stehen, abgeschlossen? Wenn nicht, welche Gründe gibt es für die lange Dauer von Disziplinarverfahren , die im Zuge der Untersuchung von Oury Jallohs Tod eröffnet wurden ? Das Disziplinarverfahren gegen einen Polizeibeamten der Polizeidirektion Sachsen-Anhalt Ost im Zusammenhang mit dem Todesfall des Herrn Ouri Jallow sowie dem Todesfall des Herrn Mario Bichtemann läuft derzeit noch und wird voraussichtlich im 1. Halbjahr 2018 abgeschlossen. Die lange Dauer des förmlichen Disziplinarverfahrens steht mit der Aussetzung des Disziplinarverfahrens bis zur Beendigung des Strafverfahrens im Zusammenhang mit dem Todesfall des Herrn Ouri Jallow in Zusammenhang.