Landtag von Sachsen-Anhalt Drucksache 7/2909 23.05.2018 (Ausgegeben am 23.05.2018) Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung Abgeordnete Eva von Angern (DIE LINKE) Anspruch auf angemessene Entschädigung wegen überlanger Dauer eines gerichtlichen Verfahrens oder eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens Kleine Anfrage - KA 7/1678 Vorbemerkung des Fragestellenden: Jeder Bürger hat das Recht auf gerichtlichen Rechtsschutz in einer angemessenen Zeit. Bei überlangen Gerichtsverfahren sieht das „Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren“ eine Entschädigung bei unangemessen langen Prozessen vor. In einem ersten Schritt müssen die Betroffenen das Gericht, welches nach ihrer Ansicht zu langsam arbeitet, mit einer Rüge auf die Verzögerung hinweisen. Wenn sich das Verfahren trotz der Rüge weiter verzögert, kann in einem zweiten Schritt eine Entschädigungsklage erhoben werden. Antwort der Landesregierung erstellt vom Ministerium für Justiz und Gleichstellung 1. Wie viele Verzögerungsrügen gab es seit dem Jahr 2013 bis heute gegenüber Gerichten des Landes Sachsen-Anhalt? Bitte nach Jahren und Gerichtsbarkeiten aufgeschlüsselt darstellen. Die Anzahl der statistisch erfassten Verzögerungsrügen ergibt sich aus der nachfolgenden Übersicht: 2 Anzahl der Verzögerungsrügen 2013 2014 2015 2016 2017 1. Quartal 2018 Finanzgericht 7 8 5 3 3 4 Verwaltungsgerichtsbarkeit 9 25 41 12 48 5 Sozialgerichtsbarkeit 100 117 129 68 78 13 Arbeitsgerichtsbarkeit 2 0 5 16 8 3 Ordentliche Gerichtsbarkeit davon 58 29 50 41 43 11 Oberlandesgericht 2 0 0 1 1 0 Landgerichte 36 8 14 21 13 5 Amtsgerichte 20 21 36 19 29 6 Staatsanwaltschaften 6 4 0 3 5 1 2. Wie viele Entschädigungsklagen wurden seit dem Jahr 2013 bis heute an Gerichten des Landes Sachsen-Anhalt erhoben? Bitte nach Jahren und Gerichtsbarkeiten aufgeschlüsselt darstellen. Die Anzahl der bei den Gerichten eingegangenen und statistisch erfassten Entschädigungsklagen ergibt sich aus der nachfolgenden Übersicht: Anzahl der Entschädigungsklagen 1. Quartal 2013 2014 2015 2016 2017 2018 Finanzgericht - - - - - - Verwaltungsgerichtsbarkeit 0 0 2 0 2 1 Sozialgerichtsbarkeit 2 5 5* 1 3 3 Arbeitsgerichtsbarkeit 0 1 0 0 0 1 Ordentliche Gerichtsbarkeit 4 3 4 3 4 1 * Beinhaltet 2 unter neuen Gerichtsaktenzeichen fortgeführte Verfahren aus 2012. 3. In wie vielen Fällen richtete sich die Klage auf den Ersatz immaterieller Nachteile und/oder materieller Nachteile beziehungsweise auf den Ersatz eines Gewinnausfalles? In allen in der Antwort auf Frage 2 aufgelisteten Entschädigungsklagen wurde eine immaterielle Entschädigung unter Bezugnahme auf die gesetzliche Entschädigungspauschale beansprucht. In vier Fällen wurde zudem der Ersatz materieller Nachteile in Form vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten begehrt. In ei- 3 nem Fall davon ist darüber hinaus ein materieller Verzögerungsschaden beziffert worden. Ein entgangener Gewinn wurde nicht geltend gemacht. 4. Mit welchem Ergebnis wurden die Entschädigungsverfahren in dem unter Ziffer 1 benannten Zeitraum beendet? 4.1 Wie viele Verfahren waren davon unbegründet, wie viele begründet, aber unzulässig, wie viele erfolgreich, wie viele erfolglos und wie viele endeten mit einem Vergleich? Bitte nach Jahren differenziert aufführen. Die Frage wird so interpretiert, dass sie sich auf die in der Antwort auf Frage 2 aufgelisteten Entschädigungsklagen bezieht und von Interesse ist, wie häufig eine Geldentschädigung vom Gericht zugesprochen wurde. Bei der Kategorisierung „erfolgreich / nicht erfolgreich“ ist indes zu berücksichtigen, dass Klagen auch nur teilweise begründet sein können und insoweit nur teilweise Erfolg haben . Des Weiteren gibt es Fälle, in denen zwar ein Zahlungsanspruch verneint, aber dennoch die Unangemessenheit der Verfahrensdauer festgestellt wurde. Das Gesetz sieht diese Möglichkeit in § 198 Abs. 4 S. 3 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) ausdrücklich vor und betrachtet dies als eine Form der Wiedergutmachung auf andere Weise. In der nachfolgenden Aufstellung wird eine Differenzierung nur danach vorgenommen , ob tatsächlich eine Geldentschädigung zugesprochen wurde. In Bezug auf die Kategorisierung in „unzulässig aber begründet“ ist festzuhalten, dass eine unzulässige Klage vom Gericht abgewiesen wird, ohne dass es auf eine etwaige Begründetheit des Anspruches ankommt. Die Landesregierung nimmt im Rahmen ihrer Beantwortung keine Einschätzung zur hypothetischen Begründetheit eines Anspruches vor. Schließlich ist zu beachten, dass einige Klagen gegebenenfalls nach richterlichem Hinweis zurückgenommen oder aus anderen Gründen nicht weiter verfolgt wurden (z. B. Nichteinzahlung des Kostenvorschusses ). In der nachfolgenden Übersicht werden die unter Frage 2 bezifferten Entschädigungsklagen danach aufgelistet, in wie vielen Fällen eine Geldentschädigung ganz oder teilweise zugesprochen wurde oder nicht. Die Aufstellung erfolgt dabei entsprechend der Antwort zu Frage 2 nach den Jahren des Einganges der Entschädigungsklagen. Es wird allerdings darauf hingewiesen, dass die Entschädigungsverfahren nicht durchgehend im Jahr ihres jeweiligen Eingangs bei Gericht auch abgeschlossen wurden. Die Klageverfahren aus den Jahren 2017 und 2018 sind zum großen Teil noch nicht beendet. Darüber hinaus wird die erfragte Anzahl der Vergleiche angegeben. 4 1. Quartal Entschädigungsklagen 2013 2014 2015 2016 2017 2018 erfolgreich (ganz oder teilweise) 0 3 4 0 0 1 erfolglos 6 5 5 4 4 1 Vergleich 0 1 2 0 0 0 5. In wie vielen Fällen und in welcher Höhe musste das Land Sachsen-Anhalt seit dem Jahr 2013 bis heute Schadensersatzansprüche wegen überlanger Dauer eines gerichtlichen Verfahrens oder eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens zahlen? Bitte nach Jahren getrennt aufzeigen. § 198 Abs. 1 S. 1 GVG gewährt einen Anspruch auf angemessene Entschädigung infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens. Rechtstechnisch handelt es sich dabei nicht um einen Schadensersatzanspruch, weil es nicht darum geht, Vermögenseinbußen eines Betroffenen vollständig zu kompensieren , sondern lediglich einen angemessenen Ausgleich für erlittene Nachteile zu gewähren. Gleichwohl umfasst der Anspruch materielle sowie immaterielle Nachteile. In der nachfolgenden Übersicht ist dargestellt, in wie vielen Fällen und in welcher Höhe Entschädigungszahlungen in den einzelnen Jahren geleistet wurden. Die Zuordnung zum konkreten Jahr orientiert sich dabei am Zeitpunkt der Zahlung . Der Entschädigungsanspruch kann in einem früheren Jahr und insbesondere schon vor 2013 geltend gemacht worden sein. Dies ist insbesondere der Fall, wenn über den Anspruch erst in einer Rechtsmittelinstanz rechtskräftig entschieden wurde. Darüber hinaus unterscheiden sich die hier wiedergegebenen Zahlen von der Aufstellung bei der Antwort zu Frage 4.1, weil nunmehr auch begründete Entschädigungsansprüche berücksichtigt wurden, die ausschließlich außergerichtlich geltend gemacht worden sind. In Bezug auf die Höhe der angegebenen Entschädigungssummen wurde die Frage so verstanden, dass allein die aufgrund einer unangemessenen Verfahrensdauer gezahlten Beträge für immaterielle und materielle Entschädigungen mitgeteilt werden sollen. In tatsächlicher Hinsicht waren gegebenenfalls zusätzlich Prozesszinsen und Verfahrenskosten sowie vorgerichtliche Rechtsverfolgungskosten zu begleichen. 5 1. Quartal Entschädigung 2013 2014 2015 2016 2017 2018 Anzahl 2 2 3 8 0 0 Entschädigungssumme in Euro 6.664,87 € 1.900 € 3.400 €¹ 15.100 € 0 0² ¹ Summe beinhaltet Teilzahlungen in 2 Fällen. ² Zahlung in dem begründeten Entschädigungsverfahren nicht mehr im 1. Quartal erfolgt. 6. Worin sieht die Landesregierung hauptsächliche Ursachen für die überlange Dauer von gerichtlichen Verfahren oder strafrechtlichen Ermittlungsverfahren ? Die Ursachen für Verfahren mit einer unangemessenen Dauer sind vielfältig. Es kann im Einzelfall aufgrund verfahrensspezifischer Besonderheiten zu gerichtlichen Verfahren oder strafrechtlichen Ermittlungsverfahren mit überlanger Dauer kommen. Temporär können jedoch auch - dienststellenbezogen in durchaus unterschiedlicher Ausprägung - überdurchschnittliche Fehlzeiten wie z. B. Langzeiterkrankungen die Dauer von gerichtlichen Verfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren verlängern. 7. Mit welchen Maßnahmen beabsichtigt die Landesregierung die Anzahl überlanger Gerichtsverfahren oder strafrechtlicher Ermittlungsverfahren zu reduzieren? Über den Verlauf eines gerichtlichen Verfahrens entscheiden die Richterinnen und Richter im Rahmen der grundgesetzlich geschützten richterlichen Unabhängigkeit gemäß Art. 97 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) nach Maßgabe der durch sie eingeschätzten Sach- und Rechtslage. Eine (unmittelbare) Einflussnahme auf die Dauer einzelner Verfahren scheidet im Hinblick darauf aus. Gleichwohl hat die Justizverwaltung auf eine bedarfsgerechte Personalausstattung hinzuwirken, um mittelbar überlange Gerichtsverfahren und strafrechtliche Ermittlungsverfahren zu vermeiden beziehungsweise nach Möglichkeit auszuschließen . Dazu wurde durch das Justizressort ein Feinkonzept zur Personalstrategie in der Justiz erstellt, welches mit Schreiben vom 5. Februar 2018 an den Ausschuss für Recht, Verfassung und Gleichstellung des Landtages von Sachsen-Anhalt übersandt und dort am 4. April 2018 vorgestellt wurde. Insoweit wird an dieser Stelle auf das vorgenannte Konzept verwiesen.