Landtag von Sachsen-Anhalt Drucksache 7/2910 23.05.2018 (Ausgegeben am 23.05.2018) Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung Abgeordnete Henriette Quade (DIE LINKE) Todesfälle in beziehungsweise unmittelbar nach polizeilichem Gewahrsam in Sachsen-Anhalt Kleine Anfrage - KA 7/1702 Antwort der Landesregierung erstellt vom Ministerium für Inneres und Sport Namens der Landesregierung beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Vorbemerkung der Landesregierung: Die Antragstellerin verwendet in ihrer Fragestellung die Begriffe „polizeilicher Gewahrsam “ und „Polizeigewahrsam“. Die Landesregierung geht bei der Beantwortung der Kleinen Anfrage von den Fällen aus, bei denen Personen in einer Gewahrsamszelle verwahrt worden sind. 1. Wie viele natürliche, unnatürliche sowie ungeklärte Todesfälle in beziehungsweise unmittelbar nach polizeilichem Gewahrsam gab es seit dem Jahr 1995 bis heute in Sachsen-Anhalt? Bitte differenziert nach Todeszeitpunkt, Polizeidirektion und Polizeirevier aufführen. Die Aufstellung der angefragten Todesfälle ist der nachfolgenden Tabelle zu entnehmen. Fall Todeszeitpunkt Polizeidirektion Polizeirevier 1 26.12.1997 Dessau Bitterfeld 2 30.10.2002 Dessau Dessau 3 07.01.2005 Dessau Dessau 4 18.02.2005 Magdeburg Zentraler Polizeigewahrsam 2 2. Aus welchen Gründen befanden sich diese Personen in Polizeigewahrsam ? In Anlehnung an die Beantwortung der Frage 1 sind die Gründe der Gewahrsamnahmen nachfolgender Tabelle zu entnehmen. Fall Grund der Gewahrsamnahme 1 Haftbefehl eines Amtsgerichts 2 hilflos, starke Alkoholisierung 3 Identitätsfeststellung nach § 163 Strafprozessordnung 4 hilflos, starke Alkoholisierung 3. Welche Staatsbürgerschaft hatten diese Personen? Die Staatsangehörigkeit der Personen ist entsprechend ihrer laufenden Nummer der nachfolgenden Tabelle zu entnehmen. Fall Staatsangehörigkeit 1 deutsch 2 deutsch 3 sierra-leonisch 4 deutsch 4. Welche konkrete Todesursache wurde im jeweiligen Einzelfall festgestellt ? Gemäß Kenntnisstand der Landesregierung wurden nachfolgend genannte Todesursachen festgestellt. Fall Todesursache 1 Erhängen bei hochgradiger akuter alkoholischer Beeinflussung 2 epidurale Blutung und Hirnquetschung bei Schädeldachbruch 3 inhalativer Hitzeschock1 4 tödliche Auskühlung 4.1 Wie viele Todesursachen gehen davon auf Suizide zurück? Eine Person verstarb durch Suizid. 1 BGH, Urteil vom 04. September 2014 - 4 StR 473/13 -, BGHSt 59, 292-307 3 5. In welchen Fällen wurden Obduktionen durchgeführt und mit welchem Ergebnis ? In allen in der Antwort auf Frage 1 aufgeführten Fällen wurde eine Obduktion durchgeführt. Zum Ergebnis der jeweiligen Obduktion wird auf die Antwort zu Frage 4 verwiesen. 6. Wurden in allen unter Ziffer 1 benannten Fällen Gewahrsamstauglichkeitsuntersuchungen durchgeführt? Nein. 6.1 Im Fall der Verneinung, warum nicht? In den in der Antwort auf Frage 1 aufgeführten Todesfällen 1 und 4 wurde keine ausdrückliche Gewahrsamstauglichkeitsuntersuchung durchführt. Bei dem Todesfall 1 wurde die Person unmittelbar vor der Aufnahme in den Polizeigewahrsam von einem Notarzt aufgrund einer Kopfplatzwunde untersucht. Eine Einweisung in ein Krankenhaus für eine weitergehende Untersuchung hat die Person abgelehnt. Bei dem Todesfall 4 ist die Person unmittelbar vor der Aufnahme in den Polizeigewahrsam von zwei Rettungssanitätern begutachtet worden; die Rettungssanitäter äußerten keine Bedenken gegen eine Verwahrung im Polizeigewahrsam. 6.2 In wie vielen Fällen gab es berechtigte Zweifel an der Gewahrsamstauglichkeit und aus welchen Gründen? Welche Konsequenzen hatte das? In den Fällen 2 und 3 wurde aufgrund des Zustandes der betroffenen Person eine ärztliche Untersuchung zur Feststellung der Gewahrsamstauglichkeit durchgeführt. 6.3 In welchem Umfang und auf welcher Grundlage hat eine Überprüfung der Tauglichkeit für den Polizeigewahrsam in Sachsen-Anhalt zu erfolgen? Grundlage für die Feststellung der Polizeigewahrsamsfähigkeit ist Nr. 10 der Polizeigewahrsamsordnung vom 4. April 2016 (MBl. LSA S. 268). Der Umfang der ärztlichen Untersuchung zur Feststellung der Polizeigewahrsamsfähigkeit ergibt sich aus der Bescheinigung zur Polizeigewahrsamsfähigkeit und dem Merkblatt „Hinweise für die ärztliche Untersuchung und Feststellung der Polizeigewahrsamsfähigkeit “. 4 7. Wie wurde bzw. wird die ärztliche Versorgung im Polizeigewahrsam sichergestellt? In den Polizeigewahrsam dürfen grundsätzlich nur Personen aufgenommen werden, die keiner unmittelbaren ärztlichen Versorgung bedürfen, daher wurde und wird im Polizeigewahrsam auch keine unmittelbare ärztliche Versorgung sichergestellt. Unter welchen Umständen der Rettungsdienst zu verständigen ist, der gemeinsame Bereitschaftsdienst der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen-Anhalt und der Ärztekammer Sachsen-Anhalt oder ein zur Feststellung der Polizeigewahrsamsfähigkeit vertraglich gebundener oder auf sonstiger Grundlage zur Verfügung stehender Arzt, ein Amtsarzt (im Rahmen der Amtshilfe) oder sonst zur Verfügung stehender Arzt anzufordern oder in Anspruch zu nehmen ist, regelt umfassend Nr. 10.2 der Polizeigewahrsamsordnung vom 4. April 2016. 8. Welche rechtlichen Vorgaben regeln die Frage, ob eine Person, die sich in einem gesundheitsbedrohlichen und/oder alkoholisierten Zustand befindet , in ein Krankenhaus eingewiesen wird oder in polizeilichen Gewahrsam verbracht wird? Grundlage für die Beantwortung der Frage, ob eine Person in den Polizeigewahrsam aufgenommen werden darf, ist die Polizeigewahrsamsordnung. Es handelt sich um eine Verwaltungsvorschrift. Im Zeitpunkt der Todesfälle, die in der Antwort auf die Frage 1 aufgeführt sind, war die Polizeigewahrsamsordnung vom 27. März 1995 (MBl. LSA S. 1211) anzuwenden. Diese wurde durch die Polizeigewahrsamsordnung vom 28. Februar 2006 (MBl. LSA S. 137, 219) abgelöst . Nunmehr ist für die Durchführung des Polizeigewahrsams die Polizeigewahrsamsordnung vom 4. April 2016 anzuwenden. Zum Zeitpunkt der Todesfälle , die in der Antwort auf die Frage 1 aufgeführt sind, war bei einer Person, die erkennbar krank ist oder angibt krank zu sein, sich in hilfloser Lage befindet oder erhebliche Auffälligkeiten im Verhalten zeigt, unverzüglich eine ärztliche Untersuchung zu veranlassen (vgl. Nr. 11.1 der Polizeigewahrsamsordnung vom 27. März 1995). Konkretere, die Gesundheit oder den Alkoholisierungsgrad beschreibende Situationen , die eine Unterbringung im Polizeigewahrsam grundsätzlich ausschließen , sind erst durch die Polizeigewahrsamsordnung vom 28. Februar 2006 geregelt worden. Im Übrigen wird auf die Antwort auf Frage 6.3 verwiesen . 9. Welche rechtlichen Vorgaben gibt es für die Betreuung von gesundheitsbedrohlichen und/oder alkoholisierten Personen im Polizeigewahrsam? Gemäß der Polizeigewahrsamsordnung vom 4. April 2016 entscheidet der Arzt, der mit der Feststellung der Polizeigewahrsamsfähigkeit beauftragt ist, auf der Grundlage des Ergebnisses seiner Untersuchungen über die Polizeigewahrsamsfähigkeit und im Zusammenhang damit über Erleichterungen, Sonderverpflegungen (z. B. Diätkost), Anlässe, die eine erneute ärztliche Untersuchung der in Gewahrsam genommenen Person erfordern, die Zeitabstände, nach de- 5 nen die Person vorübergehend oder kurzfristig zu wecken ist, oder die Zeitabstände von weniger als 30 Minuten, in denen die Person zu kontrollieren ist. Eine nicht polizeigewahrsamsfähige Person ist von der Polizei vorerst in ihren Gewahrsamszellen oder - soweit erforderlich - anderen geeigneten Räumen unter ständiger Aufsicht von zwei Beamten unterzubringen, wenn die Verwahrung zum eigenen Schutz der Person oder zum Schutz der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung unerlässlich ist und dieser Schutzzweck auf andere Weise (z. B. durch Einlieferung in eine medizinische Einrichtung, durch Überstellung in häusliche Fürsorge) noch nicht erreicht werden konnte. 10. Wurden die unter den Ziffern 8 und 9 benannten rechtlichen Vorgaben in allen benannten Fällen eingehalten? Die unter den Ziffern 8 und 9 erläuterten rechtlichen Vorgaben wurden im Hinblick auf die Prüfung der Gewahrsamstauglichkeit in den Todesfällen 1 und 4, wie bereits unter Ziffer 6.1 angemerkt, nicht eingehalten. Zudem muss festgestellt werden, dass die in Ziffer 31.3 der Polizeigewahrsamsordnung vom 27. März 1995 enthaltende rechtliche Vorgabe, dass kranke, betrunkene oder benommene Personen im Abstand von höchstens 30 Minuten zu kontrollieren sind, soweit seitens des untersuchenden Arztes nicht besondere Hinweise ergangen sind, bei den zu Frage 1 aufgeführten Todesfällen 2 und 3 nicht eingehalten worden ist.