Landtag von Sachsen-Anhalt Drucksache 7/2946 25.05.2018 Hinweis: Die Drucksache steht vollständig digital im Internet/Intranet zur Verfügung. Bei Bedarf kann Einsichtnahme in der Bibliothek des Landtages von Sachsen-Anhalt erfolgen oder die gedruckte Form abgefordert werden. (Ausgegeben am 28.05.2018) Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung Abgeordnete Monika Hohmann (DIE LINKE) Umgang mit Trennungskindern in Kitas und Schulen Kleine Anfrage - KA 7/1612 Vorbemerkung des Fragestellenden: Laut Mikrozensus lebten 2016 in Sachsen-Anhalt ca. 110.000 Kinder bei alleinerziehenden Eltern. Es kann davon ausgegangen werden, dass ein Großteil dieser Familienkonstellationen aufgrund von Trennung und Scheidung entstanden sind. Hinter vielen von Trennung und Scheidung betroffenen Kindern stehen sorge- und umgangsrechtliche Einzelfallentscheidungen, die den Alltag dieser Kinder und Jugendlichen nachhaltig beeinflussen. Jedes von Trennung und Scheidung betroffene Kind hat ein Recht auf Umgang mit beiden Elternteilen. Jugendhilfe und Schule haben die Pflicht, Kinder und Jugendliche in ihren individuellen Bedürfnissen und Lebenssituationen wahrzunehmen, zu fördern und zu unterstützen . In der umgangsrechtlichen Praxis ist es nicht unüblich, insbesondere in Fällen hochstrittiger Elternteile, dass Kitas und Schulen als Abhol- und Rückbringorte der Kinder von den Gerichten festgelegt werden, um das Entstehen eskalierender Übergabesituationen zwischen den Eltern möglichst zu vermeiden. Damit können für Kitas und Schulen neue Herausforderungen verbunden sein. 2 Antwort der Landesregierung erstellt vom Ministerium für Justiz und Gleichstellung 1. Wie schätzt die Landesregierung die Funktion von Kitas und Schulen ein, die per familiengerichtlichen Beschluss als Übergabeorte von Trennungskindern festgelegt worden sind? Kindertageseinrichtungen werden nach Kenntnis der Landesregierung eher zurückhaltend als Abhol- oder Bringort der Kinder festgelegt. Es wird aber von den Sorgeberechtigten selbst häufig so praktiziert. Entsprechende Vereinbarungen zur Verfahrensweise zwischen den Sorgeberechtigten werden mit dem pädagogischen Personal abgestimmt. Solange beide Elternteile die elterliche Sorge haben, darf die Kindertageseinrichtung das Kind einem Elternteil nicht vorenthalten. Liegt jedoch eine rechtskräftige Entscheidung des Familiengerichtes zur elterlichen Sorge vor, darf das Kind nur der sorgeberechtigten Person übergeben werden. Die Kindertageseinrichtung , das Familiengericht und das Jugendamt bilden in diesem Kontext eine Verantwortungsgemeinschaft für einen nachhaltigen Kinderschutz. Trennungsfälle sind nicht selten mit hohem Konfliktpotenzial verbunden. Wenn hochgradig zerstrittene Eltern aufeinandertreffen, drohen Eskalationen. Dies ist ein Umstand, der sich für die Kinder belastend und entwicklungshemmend auswirken kann. Aus diesem Grund können gerichtliche Umgangsregelungen in Form von Hol- und Bringmodellen, die die Kindertageseinrichtung einbeziehen, grundsätzlich zur Vermeidung solcher Konflikte beitragen. Eltern müssen sich dort nicht begegnen und der nicht überwiegend betreuende Elternteil kann dennoch in das Alltagsleben des Kindes einbezogen werden. Dies ist jedoch mit großen Herausforderungen für die pädagogischen Fachkräfte vor Ort verbunden , da die Kindertageseinrichtungen - und mit ihnen das Kind - im Mittelpunkt stehen. Diese sind insoweit wichtige Säulen im Leben des betroffenen Kindes. Sie vermitteln Sicherheit und Stabilität und werden zu einem Schutzraum, dem eine besondere Bedeutung für diese Kinder zukommt. Darüber hinaus ermöglichen sie das Bewusstsein, dass beide Eltern nach wie vor am Leben des Kindes teilhaben. Diese Erfahrungen sind besonders in der Nachtrennungsverarbeitung zentral. Dabei ist es wichtig, dass in den Einrichtungen möglichst stabile und beständige Bedingungen vorliegen und dem betroffenen Kind eine Vertrauensperson zur Seite gestellt wird. Die pädagogischen Fachkräfte in den Kindertageseinrichtungen sollten darüber hinaus über Basiswissen zum Sorgerecht verfügen, um in rechtlichen Fragen bezüglich der Abholberechtigungen, Auskunftsansprüchen und anderen Alltagsentscheidungen nicht in die Kritik der Eltern zu geraten. Generell sollten sich Kindertageseinrichtungen durch Neutralität auszeichnen und die dort tätigen Fachkräfte als Fürsprecher und Fürsprecherinnen des betroffenen Kindes (und natürlich aller Kinder) auftreten. Anzuraten ist, dass Kindertageseinrichtungen dies grundsätzlich im pädagogischen Konzept verankern und damit bestimmte Grundsätze festlegen. 3 Vereinzelt werden Beschlüsse von Gerichten, nach denen Trennungskinder in der Kindertageseinrichtung übergeben werden sollen, von Jugendämtern kritisch gesehen (beispielsweise vom Jugendamt der Landeshauptstadt Magdeburg ). Zur Begründung wird angeführt, dass erforderlichenfalls dort eine Zwangsvollstreckung erfolgen könne, wenn ein Elternteil der Herausgabeanordnung nicht nachkomme. Die dann handelnden Gerichtsvollzieher, Polizeibeamten und Jugendamtsmitarbeiter können in einem solchen Fall von dem Kind als Übergriff empfunden werden mit der Folge, dass die Kindertageseinrichtung ihre Funktion als Schutzraum verliere. Deshalb schlagen Vertreter der kritischen Sichtweise vor, dass der Gerichtsvollzieher bei der Zwangsvollstreckung eine mit dem Kind vertraute pädagogische Fachkraft der Kindertageseinrichtung oder die Kinderschutzfachkraft hinzuziehen sollte. Die Herausgabevollstreckung eines Kindes, das als Schülerin bzw. als Schüler eine Schule besucht, stellt für den Ablauf des Schulunterrichtes, für die Lehrerinnen und Lehrer sowie für die Mitschülerinnen und Mitschüler eine außergewöhnliche Situation dar. Von daher besteht ein Interesse der Schulen daran, dass die Maßnahme der Zwangsvollstreckung außerhalb des schulischen Bereiches stattfindet. Soweit allerdings von dem Amtsgericht und dem Gerichtsvollzieher die Schule aus konkreten Gründen als neutraler und sicherer Ort für die Herausgabe angesehen wird, wird diese Entscheidung von den Schulen nicht infrage gestellt. Dies erfordert bereits das Kindeswohl des von der Vollstreckung betroffenen Kindes. 2. Welche Aufgaben entstehen für diese Kitas und Schulen insbesondere dann, wenn es zu Abweichungen von gerichtlich festgelegten Umgangsregelungen kommen sollte? Welche Grenzen hat das Tätigwerden dieser Einrichtungen in solchen Fällen? Grundsätzlich muss das pädagogische Personal einer Kindertageseinrichtung immer aktuell informiert sein, wer für das Kind sorgeberechtigt ist. Dies sollte mit den Eltern bereits im Aufnahmegespräch thematisiert werden. Insbesondere bei Hinweisen auf eine familiäre Veränderung muss das pädagogische Personal die Familiensituation regelmäßig von sich aus abfragen. Wenn Eltern sich trennen oder ein Scheidungsverfahren läuft, muss der Kindertageseinrichtung mitgeteilt werden, ob beide Elternteile sorgeberechtigt sind und damit beide gemeinsam alle KiTa-relevanten Entscheidungen treffen oder ob nur ein Elternteil über das Sorgerecht verfügt und der andere Elternteil nur noch ein Umgangs - und Auskunftsrecht besitzt. Ein vorgelegter gerichtlicher Beschluss ist für die Kindertageseinrichtung bindend . Dies muss den betroffenen Eltern unzweideutig mitgeteilt werden. Das gilt auch, wenn Eltern versuchen, von gerichtlich festgelegten Umgangsregelungen abzuweichen oder wenn ein Elternteil bei einem gemeinsamen Sorgerecht darum bittet, das Kind dem anderen Elternteil nicht auszuhändigen. Das Personal der Kindertageseinrichtung hat bei Streitigkeiten zwischen den Eltern gegenüber diesen immer neutral zu bleiben. Bei Nichtbeachtung des richterlichen Beschlusses werden die pädagogischen Fachkräfte allerdings nicht von sich aus aktiv tätig. Die familiären Probleme müssen die Sorgeberechtigten außerhalb der Kindertageseinrichtung klären. Wenn sich ein Elternteil aber gehäuft nicht an die gerichtlich festgelegten Umgangsregelungen hält, informiert 4 die Kindertageseinrichtung den sorgeberechtigten Elternteil und gegebenenfalls das Jugendamt darüber. Bei Problemen kann sie erforderlichenfalls auch von ihrem Hausrecht Gebrauch machen und ein Hausverbot aussprechen. Wenn es in Trennungsvorgängen Fragen zum Verhalten des Kindes gibt, dann wird die pädagogische Fachkraft auf der fachlichen Ebene aktiv. Sie ist auch Ansprechpartnerin für das Kind. Das SchulG LSA bildet den Rahmen für den Verantwortungsbereich der öffentlichen Schulen und beschreibt den Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule (§ 1 SchulG LSA). Zur Umsetzung des Bildungs- und Erziehungsauftrages arbeitet die Schule sowohl mit den Erziehungsberechtigten (§ 43 Abs. 1 SchulG LSA) als auch mit den Trägern der öffentlichen und freien Jugendhilfe (§ 1 Abs. 4a SchulG LSA) im Rahmen ihrer Aufgaben zusammen. Die Überwachung und Durchsetzung der gerichtlich festgelegten Umgangsregelungen gehört jedoch nicht zum Aufgabenkatalog bzw. Verantwortungsbereich der Schule. Die Umgangsregelungen sind der Schule nur dann bekannt, wenn die Erziehungsberechtigten diese Informationen den Schulen von sich aus mitteilen. Eine gesetzliche Verpflichtung hierzu existiert nicht. 3. Wie schätzt die Landesregierung allgemein den Kenntnisstand von an Schulen und Kitas beschäftigten Personal hinsichtlich sorge- und umgangsrechtlicher Fragen ein? Das pädagogische Personal in den Kindertageseinrichtungen, insbesondere die Leitungskräfte, verfügen über ein Grundwissen hinsichtlich sorge- und umgangsrechtlicher Fragen. Gemäß dem fachrichtungsbezogenen Lernbereich im Fachrichtungslehrplan der Fachschule Sozialwesen in der Fachrichtung Sozialpädagogik gehört ein vertieftes Wissen zu Unterstützungs- und Beratungssystemen im Sozialraum, zu rechtlichen Bestimmungen und Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe, zu rechtlichen und institutionellen Rahmenbedingungen für die Zusammenarbeit mit Eltern und anderen Bezugspersonen sowie über Unterstützungssysteme und Netzwerke zum Lerninhalt. Weiterhin erlangen sie die Fertigkeiten, sich aufgrund fundierter Selbstreflexion in die individuelle Lebenssituation von Kindern hineinzuversetzen, Bildungs- und Erziehungspartnerschaften mit Eltern und anderen Bezugspersonen auf der Grundlage rechtlicher und institutioneller Rahmenbedingungen zu gestalten, Gespräche mit Eltern und anderen Bezugspersonen methodengeleitet und partizipativ durchzuführen sowie die besonderen Lebenssituationen von Eltern zu erfassen und diese bei der Arbeit mit Familien zu berücksichtigen, um sie bei der Wahrnehmung ihrer Erziehungsaufgaben zu unterstützen. Bei offenen Fragen und Problemen werden in der Regel bedarfsabhängig der sozialpädagogische Dienst oder die pädagogische Fachberatung des Jugendamtes kontaktiert. 4. Sind der Landesregierung Konzepte von Schulen und Kitas bekannt, die den Umgang mit Trennungskindern und deren Eltern thematisieren? Falls ja, um welche Einrichtungen handelt es sich? 5 Der Landesregierung sind keine Kindertageseinrichtungen bekannt, die in ihren Konzepten den Umgang mit Trennungskindern und deren Eltern konkret thematisieren . In der Schule werden die Lehrkräfte mit vielen individuellen Problemen der Schülerinnen und Schüler konfrontiert (Streit, Mobbing, Gewalt, Krankheit und Tod eines Angehörigen, Scheidung der Eltern usw.). Die Schule erstellt nicht für jede mögliche individuelle Problemlage ein gesondertes Konzept. Der hier in Rede stehende konkrete Sachverhalt ist für die Schulen aber nicht neu. Trennungskinder gab und gibt es und wird es auch künftig an den Schulen geben. In der Regel tauschen sich Lehrkräfte untereinander aus und profitieren von den Erfahrungen des anderen. Unterstützung finden die Lehrkräfte auch bei den Schulpsychologinnen und Schulpsychologen. In Bezug auf die Herausgabevollstreckung in Helbra wird das Ministerium für Bildung den sogenannten Krisenordner um Hinweise für eine Kindesübergabe in der Schule ergänzen. 5. Existieren im Land entsprechende Schulungsangebote? Falls ja, bitte die Träger dieser Angebote nennen. Entsprechende Schulungsangebote sind existent. Einige Fortbildungsangebote des Landesverwaltungsamtes richten sich unter anderem an pädagogische Fachkräfte aus Kindertageseinrichtungen. Dies erfolgt zum Beispiel im Zertifikatskurs „Kinderschutzfachkraft“, im „Leitungskompetenzkurs“ und in der Fortbildung „Sorgerecht und Aufsichtspflicht in Kindertageseinrichtungen“. Weiterhin wird die Kommunikation mit Eltern in vielfältiger Weise in unterschiedlichen Fortbildungsangeboten thematisiert, zum Beispiel in den Fortbildungen „Schwierige Eltern - Erziehungspartnerschaft mit Familien in Kindertageseinrichtungen “, „Wie sage ich es? - Elterngespräche bei Verdacht auf Kindeswohlgefährdung “, „Gesprächs- und Beratungskompetenz in der Zusammenarbeit mit Eltern - Konfliktgespräche sicher meistern“. Diese Veranstaltungen gehören zum Fortbildungsprogramm 2018 für sozialpädagogische Fachkräfte des Landesverwaltungsamtes . Die Akademie für Wirtschaft und Verwaltung GmbH in Dresden bietet die Fortbildung „Hilfen für Trennungskinder“ mit den Inhalten „Psychosoziale Situation von Trennungskindern, Altersspezifiken, Trennungsfolgen und Unterstützungsmöglichkeiten für Pädagogen“ an. Der Landesverband Sachsen-Anhalt des Deutschen Kinderschutzbundes hat am 24. April 2018 in Haldensleben das „Fachgespräch: Kind im Blick bei Trennung und Scheidung?!“ durchgeführt. Das Landesinstitut für Schulqualität und Lehrerbildung Sachsen-Anhalt hält keine eigenständigen Fortbildungsangebote zu diesem Thema vor.