Landtag von Sachsen-Anhalt Drucksache 7/2951 25.05.2018 (Ausgegeben am 29.05.2018) Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung Abgeordnete Christina Buchheim (DIE LINKE) Ärger um Bebauung in der Magdeburger Straße in Köthen Kleine Anfrage - KA 7/1698 Vorbemerkung des Fragestellenden: Am 8. Januar und 13. April 2018 berichtete die Mitteldeutsche Zeitung (MZ) Köthen über Ärger infolge von Baumaßnahmen der städtischen Wohnungsgesellschaft mbH in der Magdeburger Straße in Köthen. Die Mieter in den Hausnummern 37 und 38 bemängeln, dass ihnen ohne Vorwarnung Fenster zugebaut und durch Balkone die Sicht genommen wurde. Die Bebauung der Hausnummern 37 und 38 soll mit Fenstern in der Grenzwand/Brandschutzwand und Balkonen auf der Grundstücksgrenze in Richtung Nachbargrundstück genehmigt worden sein. An dieser Grundstücksgrenze hat nunmehr der Bauherr der Magdeburger Straße 39 ein Gebäude errichtet, dessen Dach das des Nachbargrundstücks um 30 cm überragt. Die unmittelbar auf der Grundstücksgrenze anschließende massive Steinmauer versperrt nicht nur Fenstern, Balkonen und Loggia die Aussicht, die Wohnungen werden auch entsprechend verdunkelt . Die Wohnungen seien, so die MZ, nahezu nicht mehr nutzbar. Die Eigentümer der Anwesen Magdeburger Straße 37 und 38 sehen sich Mietminderungen und Kündigungen ausgesetzt und haben angedroht, die Planungsbehörde des Landkreises auf Schadenersatz in Anspruch zu nehmen. Antwort der Landesregierung erstellt vom Ministerium für Landesentwicklung und Verkehr 1. Wer hat die Bebauung Magdeburger Straße 37 und 38 mit Fenstern, Balkonen und Loggia auf der Grenze genehmigt? Gab es entsprechende Vorbehalte ? War die genehmigte Bebauung zulässig und rechtskonform? Der Umbau bzw. die Erweiterung des bestehenden Wohn-und Geschäftshauses auf dem Grundstück Magdeburger Straße 37 und 38 unmittelbar an der Grundstücksgrenze zum Grundstück Magdeburger Straße 39 wurde 1994 von 2 der damals beim Landkreis Köthen ansässigen Bauaufsichtsbehörde genehmigt . Die Baugenehmigung wurde unter Vorbehalten erteilt. Das Fenster im 1. Obergeschoss , das jetzt durch das im Jahr 2017 neu genehmigte Vorhaben zugebaut wird, war bereits vor Baugenehmigungserteilung 1994 in der Grenzwand vorhanden und wurde in der zeichnerischen Darstellung mit der Grüneintragung „nur als Bestand zulässig“ genehmigt. Die Dachloggia wurde unter dem Vorbehalt der Ausführung im Grenzbereich, die eine Einsicht auf das Nachbargrundstück (Magdeburger Str. 39) ausschließt, genehmigt. Damit hätte die Höhe der Brüstung mindestens 180 cm betragen müssen. Da die tatsächliche Brüstungshöhe wesentlich niedriger ist, erfolgte insoweit keine baugenehmigungskonforme Bauausführung. Hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der 1994 erteilten Baugenehmigung ist auszuführen , dass die im Bestand bereits vorhandene Grenzwand bereits nach der zum Zeitpunkt der Genehmigungserteilung geltenden Fassung der Bauordnung des Landes Sachsen-Anhalt (BauO LSA) als Brandwand und damit ohne Öffnungen (Fenster) oder Ausschnitte (Loggia) auszuführen war. Eine Baulast zur öffentlich-rechtlichen Sicherung eines Grenzanbaus auch auf dem angrenzenden Grundstück wurde nicht eingetragen. Die Baugenehmigung ist damit nicht rechtskonform erteilt worden, hat aber dadurch, dass von Dritten keine Rechtsbehelfe eingelegt wurden, Bestandskraft erlangt, die der vorhandenen Bebauung Bestandsschutz vermittelt. 2. Wer hat die Bebauung der Magdeburger Straße 39 genehmigt? Ist diese zulässig und rechtskonform? Die Baugenehmigung für den Erweiterungsbau auf dem Grundstück Magdeburger Straße 39 wurde durch die Stadt Köthen als zuständige Bauaufsichtsbehörde erteilt. Die genehmigte Bebauung ist zulässig und rechtskonform. Gemäß § 71 Abs. 1 BauO LSA war die Baugenehmigung zu erteilen, da dem Vorhaben keine im Baugenehmigungsverfahren zu prüfenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen. Das Vorhaben verstößt insbesondere nicht gegen die Regelungen des Abstandsflächenrechts nach § 6 BauO LSA. Nach § 6 Abs. 1 Satz 3 sind Abstandsflächen nicht erforderlich, wenn nach planungsrechtlichen Vorschriften an die Grenze gebaut werden darf oder muss. Da sich das Vorhaben mangels Vorliegen eines Bebauungsplans im unbeplanten Innenbereich befindet, bestimmt sich die planungsrechtliche Zulässigkeit nach dem Einfügungserfordernis entsprechend § 34 BauGB. Da die prägende Umgebungsbebauung mehrgeschossig und jeweils ein- oder beidseitig auf der Grundstücksgrenze angeordnet ist, fügt sich die Bebauung in die Eigenart der näheren Umgebung ein. Danach durfte der Erweiterungsbau auf dem Grundstück Magdeburger Straße 39 auf der Grenze und ohne Einhaltung einer Abstandsfläche errichtet werden. 3 3. Warum wurden keine nachbarschützenden Regelungen der Bauordnung des Landes Sachsen-Anhalt (BauO LSA) beachtet? Die nachbarschützenden Regelungen der BauO LSA wurden beachtet. Ein Verstoß gegen nachbarschützende Regelungen ist nur dann zu bejahen, wenn das zugelassene Bauvorhaben gegen Vorschriften des Bauplanungs- oder Bauordnungsrecht mit zumindest auch nachbarschützendem Charakter verstößt, eine Ausnahme, Befreiung oder Abweichung von diesen Vorschriften nicht vorliegt oder unter Berücksichtigung nachbarlicher Belange nicht hätte erteilt werden dürfen und den Nachbarn dadurch in seinen Rechten verletzt. Ein öffentlich-rechtlicher Abwehranspruch des Nachbarn ergibt sich für den hier vorliegenden Fall weder aus dem bauplanungsrechtlichen Gebot der Rücksichtnahme aus § 34 BauGB noch aus bauordnungsrechtlichen Vorschriften mit nachbarschützender Wirkung. Das Gebot der Rücksichtnahme will angesichts der gegenseitigen Verflechtung der baulichen Situation benachbarter Grundstücke einen angemessenen planungsrechtlichen Ausgleich schaffen, der einerseits dem Bauherrn ermöglicht, was von seiner Interessenlage her verständlich und unabweisbar ist, und andererseits dem Nachbarn erspart, was an Belästigungen und Nachteilen für ihn unzumutbar ist. In diesem Sinne vermittelt es Nachbarschutz, wenn und soweit andernfalls durch die Ausführung oder Benutzung eines Vorhabens in konkrete, schutzwürdige Belange eines Dritten in unzumutbarer Weise eingegriffen würde . Die Verstöße müssen also so gravierend sein, dass sie als rücksichtslos einzustufen sind (vgl. OVG Magdeburg, Beschluss vom 01.10.2012 - 2 M 114/12). Ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme kann nicht deswegen bejaht werden, weil das in der Grenzwand des Nachbarn vorhandene Fenster, dass zu einem bisher nur als Büro genehmigten Raum gehört, zugebaut wird, denn dem Nachbarinteresse an der Freihaltung seines Fensters ist das schutzwürdige Interesse des Bauherrn, sein Grundstück gleichfalls angemessen baulich zu nutzen , gegenüberzustellen. Insbesondere derjenige, der in einer auf der Grenze errichteten Außenwand seines Hauses Fenster einsetzt, kann nicht erwarten, dass der Nachbar ausschließlich in seinem Interesse von der Ausnutzung seines Grundstücks im sonst üblichen Maß absieht. Auch ist der betroffene Raum zusätzlich über ein Fenster in der Nordseite ausreichend zu belüften und zu belichten . Auch der Bestandsschutz vermittelt dem Eigentümer keine öffentlich-rechtliche Rechtsposition gegen eine das Fenster beeinträchtigende Bebauung auf dem Nachbargrundstück; er hindert die Bauaufsichtsbehörde lediglich daran, die Schließung des Fensters zu verlangen (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 31.01.1991 - 7 B 241/91). Hinsichtlich der von vornherein nicht genehmigungskonform errichteten Loggia, die mit einer viel zu geringen Brüstungshöhe ausgeführt wurde, besteht ebenfalls kein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme. Es besteht kein An- 4 spruch des Nachbarn vor jeglicher Beeinträchtigung der Licht- und Luftverhältnisse oder der Verschlechterung der Sicht von seinem Grundstück bzw. Wohngebäude . Verschattungseffekte hat er, sofern die landesrechtlichen Abstandsflächenvorschriften gewahrt bleiben, regelmäßig hinzunehmen. Um den nachbarlichen Bedenken allerdings entgegenzukommen, wurde die ursprüngliche Gesamthöhe an der Grenze bereits von 10,69 m auf 10,07 m reduziert . Eine weitere Reduzierung wäre aus brandschutzrechtlichen Gründen nicht mehr zulässig, da die neue Grenzwand als Brandschutzwand auszuführen ist und nach § 29 Abs. 5 Satz 1 BauO LSA 0,30 m über die Bedachung des Nachbargebäudes zu führen ist. Zu den Auswirkungen des geplanten Bauvorhabens wurde außerdem eine Tageslichtberechnung in Auftrag gegeben. Hierbei konnte festgestellt werden, dass nur eine geringfügige Verringerung der Lichtzufuhr in den angrenzenden Räumen eintritt, die zu keiner wesentlichen, über das zumutbare Maß hinausgehenden Verschlechterung der Tageslichtsituation führt. Auch eine mögliche Verschlechterung oder der Wegfall der Aussicht begründen keinen Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme, da diese nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts keinen schutzwürdigen Belang darstellt. Grundsätzlich muss jeder Grundstückseigentümer damit rechnen , dass infolge von Bautätigkeiten auf benachbarten Grundstücken Beschränkungen seiner Aussicht eintreten; will er sich dagegen schützen, so muss er sich, soweit möglich, zivilrechtlicher Mittel, wie etwa dem Erwerb von Grunddienstbarkeiten , bedienen. Den Eigentümern der Nutzungseinheit im 1. Obergeschoss (Fensteröffnung) sowie den Eigentümern der Dachgeschosswohnung (Loggia) wurde die Baugenehmigung zugestellt. Der nur von den Eigentümern der Dachgeschosswohnung erhobene Widerspruch gegen die Baugenehmigung wurde nach Erläuterung der Sach- und Rechtslage zurückgezogen.