Landtag von Sachsen-Anhalt Drucksache 7/3150 09.07.2018 (Ausgegeben am 09.07.2018) Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung Abgeordneter Mario Lehmann (AfD) Abweichende Auslegung bei der Beantragung von Untersuchungshaft und die Auslegung von Haftgründen gemäß § 112 StPO durch die Staatsanwaltschaften Kleine Anfrage - KA 7/1791 Vorbemerkung des Fragestellenden: In Zusammenhang mit beantragten Haftbefehlen in Sachsen-Anhalt fällt auf, dass bei augenscheinlich gleichgelagerten Sachverhalten (gefährliche Körperverletzungen gemäß § 224 StGB, einmal mit Stahlkette am Magdeburger Allee-Center durch Migranten und einmal durch Deutschen mit beißendem Hund als verwendetes Tatmittel im Magdeburger Rotehornpark oder gar bei dem noch kapitalerem Delikt mit dem totgeschlagenen Geschädigten aus Wittenberg) die Staatsanwaltschaften eine völlig voneinander abweichende Auslegung und Anwendung der gemäß § 112 StPO zugrunde liegenden Haftgründe der Fluchtgefahr, Wiederholungsgefahr oder Verdunkelungsgefahr vornehmen. Antwort der Landesregierung erstellt vom Ministerium für Justiz und Gleichstellung 1. Warum erfolgte bis heute keine Beantragung eines Haftbefehls gegen den beschuldigten Syrer nach dem Tötungsdelikt in Wittenberg vom 29. September 2017 zum Nachteil des Marcus H.1? Gemäß § 112 Strafprozessordnung (StPO) darf die Untersuchungshaft nur dann angeordnet werden, wenn der Beschuldigte der Tat dringend verdächtig ist und ein Haftgrund besteht. 1 Name ist der Landesregierung bekannt. 2 Dringender Tatverdacht liegt vor, wenn aufgrund des gegenwärtig ermittelten Sachverhalts eine hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass der Beschuldigte Täter oder Teilnehmer einer Straftat ist. Diese tatbestandlichen Voraussetzungen sieht die Staatsanwaltschaft Magdeburg gegenwärtig als nicht erfüllt an. 2. Warum wurde kein Haftbefehl gegen den Beschuldigten beantragt, der am 4. April 2018 vor dem Magdeburger Allee-Center einem Geschädigten den Unterschenkel brach und eine Stahlkette als Tatmittel verwendete? Nach Auskunft der Staatsanwaltschaft Magdeburg, gestützt auf die bisherigen Ermittlungen, fehlt es an einem dringenden Tatverdacht gegen den Beschuldigten . 3. Warum wurde dagegen gegen den beschuldigten Hundehalter aus dem Sachverhalt vom Rotehornpark in Magdeburg vom 13. Mai 2018 Haftbefehl beantragt, wo augenscheinlich kein Haftgrund der Wiederholungsgefahr, der Fluchtgefahr oder der Verdunkelungsgefahr gegeben sind und sich das Tier bereits in amtlicher Obhut in einem Tierheim befindet? Die im laufenden Ermittlungsverfahren befassten Gerichte (Amts- und Landgericht Magdeburg) haben auf Antrag der Staatsanwaltschaft beim Beschuldigten einen dringenden Tatverdacht der gefährlichen Körperverletzung gemäß § 224 Absatz 1 Nr. 2 StGB und den Haftgrund der Wiederholungsgefahr (§ 112a StPO) bejaht. Durch Art. 97 Absatz 1 des Grundgesetzes (GG) und Art. 83 Absatz 2 der Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt wird die Unabhängigkeit der Richter als Voraussetzung eines rechtsstaatlichen Verfahrens garantiert. Aus verfassungsrechtlichen Gründen nimmt die Landesregierung deshalb zu diesen gerichtlichen Entscheidungen keine Stellung. 4. Bitte erläutern Sie die in den drei Fällen zugrunde gelegten Maßstäbe. Nicht nur in den drei Fällen, sondern im Rahmen eines jeden Ermittlungsverfahrens ergibt sich der rechtliche Maßstab aus der Strafprozessordnung. Neben dem dringenden Tatverdacht muss ein Haftgrund der Flucht, der Fluchtgefahr , der Verdunkelungsgefahr (§ 112 Absatz 2 StPO), der „Schwerstkriminalität “ (§ 112 Abs. 3 StPO) oder der Wiederholungsgefahr (§ 112a StPO) vorliegen . Die Entscheidung darüber ist dem Richter vorbehalten (Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG, § 114 Abs. 1 StPO). 3 5. Aus medialer Verbreitung ist in Bezug auf die Aufhebung von Haftbefehlen gegen Beschuldigte mit Migrationshintergrund der Begriff „Haftempfindlichkeit “ gefallen. In der StPO findet man diesen Begriff nicht. Wir bitten um Erläuterung. Wie viele derartige Fälle gab es bereits in der Rechtsprechung ? Der Begriff der „Haftempfindlichkeit“ betrifft in der Regel die Frage der Strafzumessung . Gemäß § 46 Absatz 1 StGB richtet sich die Strafe nach der Schuld des Täters. Die Strafzumessungskriterien nach § 46 Absatz 2 Satz 2 StGB sind nicht abschließend geregelt. Gemäß § 46 Absatz 2 Satz 1 StGB hat das Gericht vielmehr alle Umstände, die für und gegen den Täter sprechen, abzuwägen. Dabei kann die Frage der „Haftempfindlichkeit“, beispielsweise durch eine körperliche Beeinträchtigung, eine Rolle spielen. Die Haftempfindlichkeit kann auch bei der Frage des Erlasses eines Haftbefehls und der richterlichen Anordnung des Vollzugs der Untersuchungshaft im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung bedeutsam sein. Statistische Daten, in wie vielen Fällen der Begriff der „Haftempfindlichkeit“ in der Rechtsprechung Anwendung gefunden hat, werden im Geschäftsbereich nicht erhoben.